Weizen - © Foto: Rendering: iStock/Bilanol

Neue Gentechnik: Die große Polyphonie

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Neue Gentechnik in der Landwirtschaft wird derzeit heiß diskutiert. Über die Reibepunkte zwischen Forschung, Industrie und Umweltschutz.

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Neue Gentechnik in der Landwirtschaft wird derzeit heiß diskutiert. Über die Reibepunkte zwischen Forschung, Industrie und Umweltschutz.

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Eine Studie hat den Diskurs um neue Gentechnik wieder entfacht. Letztes Jahr veröffentlichte die europäische Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (DG Santé) ihre Einschätzung zur Regulierung von Produkten, die etwa mithilfe neuer Gentechnik entstanden sind. Die Quintessenz: Die Regulierung solle an den „wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt angepasst“ werden. Ist das nun eine Deregulierung?

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Nein, betont Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Aber neue Gentechnik könnte die Landwirtschaft resilienter machen. In dieselbe Kerbe schlagen multinationale Konzerne wie Bayer, während Umweltschutzorganisationen vor Lockerungen warnen. Gerade läuft eine öffentliche Konsultation, politische Maßnahmen sollen folgen.

China als Vorreiter

„CRISPR ist ein fantastisches Werkzeug“, sagt die Molekularbiologin Ortrun Mittelsten Scheid vom Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der ÖAW. Mit ihrer Gruppe forscht sie zu genetischen und epigenetischen Verfahren. Mit der „Genschere“ CRISPR verändert Mittelsten Scheid gezielt die Gene der Modellpflanze Ackerschmalwand, um Mutationen zu erzeugen. „Man kann zum Beispiel auch Chromosomen umbauen oder Basen austauschen. Damit kann man Gene an- oder abschalten“, erklärt sie. Abhängig von der Größe des Erbguts und dem Lebenszyklus der Pflanze könne man mit neuen genomischen Verfahren sechs bis 50 Jahre Züchtungsarbeit einsparen.

Bleiben so entstandene Pflanzen weiterhin als Gentechnik eingestuft, würde das nicht nur die Vermarktung, sondern auch die Forschung einschränken, meint Mittelsten Scheid. Einige Forscher äußern die Sorge, dass Europa so von Entwicklungen der Biotechnologie und Bioökonomie abgekoppelt werden könnte. Denn China, die USA, Brasilien und Kanada sind weit voraus. „Mindestens die Hälfte der Publikationen auf dem Feld kommt aus chinesischen Labors“, sagt die Forscherin.

Kommt der Ruf nach Deregulierung also von „der Wissenschaft“? Nein, meint Brigitte Reisenberger, Landwirtschaftssprecherin von GLOBAL 2000. „Die Saatgut- und Chemielobby war stark dahinter, dass ihre Interessen gehört werden.“ Gemeinsam mit „Friends of the Earth Europe“ hat die NGO evaluiert, wer in der DG Sante-Studie vorkommt. 79 Interessensgruppen aus dem Bereich der Industrie stehen nur zwei Forschungsgruppen gegenüber. Auch die europäische Öffentlichkeit ist skeptisch – besonders in Österreich, wie Forschende der Uni Göttingen evaluierten. 36 Prozent von 420 Befragten fanden den Einsatz von neuer Gentechnik falsch, rund ein Viertel stand ihm neutral gegenüber. Besonders kritisch sah man die Auswirkungen auf die Natur.

In der klassischen Züchtung setzt man Pflanzen chemischen Stoffen oder ionisierenden Strahlen aus, um Mutationen zu erzeugen. Gewünschte kreuzt man in bestehende Sorten ein, ungewünschte kreuzt man zurück: ein seit Jahrzehnten etabliertes und sicheres Verfahren. So entstandene Produkte werden nicht als Gentechnik eingestuft. Durch Genom-Editierung entstandene Pflanzen kann man im Nachhinein nicht von solchen unterscheiden, die zufällig in der Natur entstanden sind. „Das CRISPR-Enzym und das Verfahren ist ein natürliches Immunsystem, das Bakterien entwickelt haben, um sich gegen Viren zu verteidigen“, sagt Mittelsten Scheid. Auch, was nach dem „Schnitt“ passiert, sei ein normaler biologischer Reparaturvorgang. Das Argument der Natürlichkeit von neuer Gentechnik meint oft sogenannte Punktmutationen. Andreas Heissenberger vom Umweltbundesamt beschäftigt sich mit biologischer Sicherheit von GMO-Produkten: „Mit Natürlichkeit hat das nichts mehr zu tun. Die meisten Entwicklungen im Bereich der neuen Gentechnik sind komplexer. Man verändert etwa den Stoffwechsel eines Organismus tiefgreifend.“

Mit den Verfahren der neuen Gentechnik kann man sechs bis 50 Jahre Züchtungsarbeit einsparen.

Ortrun Mittelsten Scheid, ÖAW

Auch einem weiteren Deutungsrahmen begegnet man: Durch neue Gentechnik ließen sich „klimafitte“ Nutzpflanzen züchten, die besser mit Hitze oder Trockenheit auskämen. Das sei eine Lösung in Zeiten der Klimakrise sowie der sinkenden globalen Ernährungssicherheit.

Am Markt sind aktuell nur eine Handvoll von GMO-Produkten. Etwa eine herbizidresistente Rapsart des Cibus-Konzerns. Der Saatguthersteller Corteva vermarktet eine Sojabohne, deren Öl weniger gesundheitsbedenkliche Fettsäuren enthält, sowie eine Maisvariante mit veränderter Stärkezusammensetzung. Japanische Kleingärtner bauen probeweise die „GABA-Tomate“ an. Sie entstand mittels CRISPR und soll mehr Gamma-Aminobuttersäure (ein beruhigender Botenstoff im menschlichen Gehirn) enthalten. Auch Großbritannien testet eine genomeditierte Weizensorte. Als Toastbrot verarbeitet, sollen beim Verbrennen weniger krebsauslösende Stoffe entstehen.

„Bei den bisher erfolgreichen Beispielen werden meist ein bis wenige Gene gleichzeitig verändert. Doch es gibt nicht ein einzelnes Gen, das für Trocken- oder Hitzeresistenz verantwortlich ist, sondern eine Menge Faktoren, die ein komplexes Regelwerk ausmachen,“ sagt Ortrun Mittelsten Scheid. Um Resistenz gegen Trockenheit zu erreichen, müsste man mehrere Gene verändern, die auch in anderen Stoffwechselwegen eine Rolle spielen.

Hitzeresistenz ist gefragt

Argentinische Forscher sollen es dennoch geschafft haben, eine trockenresistente Weizenvariante zu züchten: HB4 wächst bereits auf argentinischen und brasilianischen Feldern und soll um 20 Prozent besseren Ertrag bringen. Finanziert wurde die Forschung auch vom Saatgutkonzern Bioceres. Ob HB4 hält, was er verspricht, lässt sich nicht prüfen. Heissenberger und sein Team versuchten für eine Studie Daten zu erhalten. „GMOs sind in Argentinien dereguliert. Daten, etwa zu Umweltauswirkungen, sind nicht verfügbar“, erklärt er. Denn der Entwickler ist nicht verpflichtet, diese an Behörden weiterzugeben. „Es wird viel mit Ankündigungen und dem Prinzip Hoffnung gearbeitet,“ meint Brigitte Reisenberger von GLOBAL 2000: Klimafitte Nutzpflanzen sind für sie bloß ein „Marketing-Versprechen“.

Der deutsche Agrarökonom Matin Qaim argumentiert, dass Europa durch neue Gentechnik Ertragssteigerungen von bis zu zehn Prozent erreichen könne. Dadurch ließe sich Lagerung und Resistenz gegen Krankheiten verbessern. Chinesische Forscher konnten etwa die Resistenz von Weizen gegen den „Echten Mehltau“ steigern und mit CRISPR in mehreren Sorten einbauen. „Im Zusammenspiel können diese Faktoren zu höherer Ernährungssicherheit und geringerer Abhängigkeit beitragen“, so Ortrun Mittelsten Scheid.

Saatgut wird in SubsaharaAfrika vor allem von Frauen produziert. Der Löwenanteil von GMOProdukten liegt in der Hand multinationaler Konzerne, die neben Saatgut oft auch Patente und Herbizide verkaufen. Die Rapsvariante der Firma Cibus ist herbizidresistent. In der EU wartet die Maissorte DP015635 von Corteva auf die Zulassung, die neben herkömmlicher Gentechnik auch mit CRISPR entstanden ist. Sie ist auch gegen Glufosinat resistent, das als „reproduktionstoxisch“ gilt. Auch der „klimafitte“ HB4- Weizen ist dagegen resistent.

Vorwurf des „Greenwashing“

Brigitte Reisenberger von GLOBAL 2000 sieht im Diskurs über die Neueinstufung von GMOs das „Greenwashing“ eines industriellen Agrar- und Lebensmittelsystems. Von geringeren Ausgaben für Prüfungsverfahren und Kennzeichnung würden auch die Kosten für multinationale Konzerne sinken. Durch Deregulierung schriebe man ein Landwirtschaftsmodell fort, das von diesen kontrolliert werde – inklusive hohem Pestizideinsatz und sinkender Biodiversität am Acker. „Die Deregulierung ist wie ein Damoklesschwert, das über der Landwirtschaft hängt, die gentechnikfrei produzieren will,“ sagt sie.

Wenn man aufgrund mangelnder Risikoforschung nicht hinsieht, ist es eine gewagte These, dass die neuen Produkte sicher wären.

Brigitte Reisenberger, GLOBAL 2000

Forscherin Mittelsten Scheid hingegen ortet „einen Denkfehler der Anti-GMO-Aktivisten.“ Aufgrund der teuren und langwierigen Zulassung von GMO-Produkten würden Konzerne auf Blockbuster-Produkte wie Soja, Mais oder Raps setzen, denn: „Nur dadurch wird Geld gemacht.“ Stuft man CRISPR nicht mehr als Gentechnik ein, könnten auch kleine Saatguthersteller das Verfahren in Betracht ziehen – und etwa lokale Landrassen editieren. „Außerhalb der Industrienationen gibt es Nutzpflanzen, deren Verbesserung für große Konzerne uninteressant, für die lokale Bevölkerung aber enorm wichtig ist. Genom-Editierung stößt dort auf großes Interesse“, sagt sie.

Der Diskurs über neue Gentechnik scheint festgefahren. Konzerne argumentieren mit globaler Ernährungssicherheit, während Umweltschutzorganisationen vor Abhängigkeiten warnen. Mikrobiologen wollen die Technik und ihre Potenziale verstanden wissen. „Es geht nicht um die Technik. Es geht um das Produkt“, sagt Ökologe Andreas Heissenberger. Stimmen wie die seine gehen im Diskurs oft unter. GMO-Produkte werden nach einem strengen Verfahren geprüft. Erst durch langfristiges Monitoring auf dem Feld und der Beobachtung der umliegenden Ökosysteme zeigen sich Umweltfolgen. Wären GMOs nicht mehr als Gentechnik klassifiziert, müssten sie dieses lange Verfahren nicht mehr durchlaufen. Produkte würden schneller Marktreife erreichen, was ein ökonomischer, aber kein ökologischer Vorteil ist. „Würden Pflanzen nach einer Generation auf den Markt gebracht und nicht mehr geprüft, kann man negative Effekte nicht ausschließen“, so Heissenberger. Verändert man die Umwelteigenschaften einer Pflanze, wie etwa beim transgenen, herbizidresistenten Raps, könne dies Ökosysteme beeinflussen: „Der Raps hat viele wilde Verwandte. Das Auskreuzungspotenzial wäre sehr groß. Damit könnte sich die Wildflora verändern, da diese eine Herbizid-Resistenz entwickeln könnte.“ Deshalb muss man Umweltfolgen pro Produkt beurteilen. Dafür fehlt es jedoch an Forschung. Gelder gehen in Produktentwicklung und „Proof-Of-Concept“-Studien. „Nur 1,6 Prozent der EU-Forschungsgelder fließen in Risiko- und Sicherheitsforschung sowie in die Entwicklung von Nachweismethoden“, sagt der Experte.

Reisenberger sieht EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten gefordert, diese Forschungslücke zu schließen: „Wenn man nicht hinsieht, ist es eine gewagte These zu sagen, diese neuen Produkte wären sicher.“ Doch soll man die Chance für die Ernährungssicherheit, die etwa der Mehltauresistente Weizen bieten könnte, vorüberziehen lassen? Für Länder im globalen Süden hängt die Antwort auf die Frage davon ab, ob die Rechte auf Saatgut, Patente und Land in der Hand von Konzernen oder der lokalen Bevölkerung liegen. Für Österreich bedeutet mehr Ertrag nicht gleich mehr Nahrungsmittel. Nur 17 Prozent des heimischen Getreides landet auf unseren Tellern, fast die Hälfte fressen Nutztiere. Landwirtschaft an Klimafolgen anzupassen, heißt weniger Fleisch essen, Böden bedecken, Humus aufbauen. Das passiert in WeizenMonokulturen nicht – egal, ob der Weizen darauf „klimafit“ ist.

Fakt
Crispr - © Bild: iStock / Meletios Verras
© Bild: iStock / Meletios Verras

Neue Gentechnik (Genom-Editierung)
Sammelbegriff von Techniken, mit denen sich – im Gegensatz zur „klassischen Gentechnik“ – Erbgut gezielt verändern lässt, etwa durch Enzyme wie CRISPR/Cas9 (Bild), TALEN oder Zinkfinger-Nukleasen.

CRISPR/Cas9 („Genschere“, kurz CRISPR)
CRISPR sind kleine Bereiche bakterieller DNA. Cas9 bezeichnet eine Schneidekomponente des Bakteriums Streptococcus pyogenes: Dadurch lässt sich in Zielregionen der DNA präzise „schneiden“ und das Erbgut verändern.

Mutationen
Genetische Veränderungen; entstehen spontan, durch „klassische Mutagenese“ (z. B. durch ionisierende Strahlung oder chemische Stoffe); oder durch zielgerichtete Werkzeuge wie CRISPR.

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