Kurz - © Foto: picturedesk.com / AP /Lisa Leutner (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Sebastian Kurz: Als Satan und Messias überschätzt

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Sebastian Kurz war "kein Heiliger und auch kein Verbrecher", wie er selbst richtig sagte. Aber er trägt die Verantwortung für eine Politik, die im Zweifel eher auf Stimmungen und Aktionismus setzte - und in der Pandemie letztlich scheiterte. Eine Rückschau in FURCHE-Texten.

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Sebastian Kurz war "kein Heiliger und auch kein Verbrecher", wie er selbst richtig sagte. Aber er trägt die Verantwortung für eine Politik, die im Zweifel eher auf Stimmungen und Aktionismus setzte - und in der Pandemie letztlich scheiterte. Eine Rückschau in FURCHE-Texten.

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„Als Satan wird Kurz überschätzt.“ Das schrieb Aurelius Freytag vergangenen Oktober in einem Gastkommentar für die FURCHE. Es ging um die Frage, ob die Veröffentlichung jener Chatnachrichten, in denen in frappierender Rotzigkeit über Frauen, Kirche und gekaufte Umfragen debattiert wurde, nun zulässig sei oder nicht. Bis heute gibt es dazu unterschiedliche Ansichten. Ob Kurz als Satan oder eher als Wunderkind überschätzt wurde, stellt sich freilich nach seinem Rückzug nochmals neu. Schließlich galt er „den einen als Messias und den anderen als Gottseibeiuns“, wie Peter Filzmaier treffend analysierte.

Er sei „weder ein Heiliger, noch ein Verbrecher“, meinte Sebastian Kurz selbst bei seiner Abschieds-Pressekonferenz - sondern „ein Mensch mit Stärken und Schwächen“. Diese neue Demut steht freilich in verblüffendem Kontrast zu jener Erzählung, welche die Kanzlerschaft dieses Ausnahmepolitikers wesentlich prägte: dass da einer am Werk sei, der genau wisse, was zu tun ist - und dies mit starker Hand und ohne übertriebene Selbstzweifel vollziehe.

Diese neue Demut steht in verblüffendem Kontrast zu jener Erzählung, welche die frühe Karriere dieses Ausnahmepolitikers von Anfang an prägte: dass da einer am Werk sei, der genau wisse, was zu tun ist - und dies mit starker Hand und ohne übertriebene Selbstzweifel vollziehe.

Dieses Macherimage wurde freilich im Laufe der Zeit mehr und mehr erschüttert - und zuletzt von der Pandemie regelrecht überrollt. "Eine Mischung aus Aktionismus und Populismus" sei die Kurzsche Politik gewesen, meinte unlängst der Theologe Ulrich Körtner in der FURCHE - weshalb sich der Ex-Kanzler "auf ganzer Linie als unfähiger Krisenmanager erwiesen" habe. Ein scharfes Wort angesichts dessen, dass bislang kaum ein Staat die Pandemie im Griff hat. Dennoch wäre es wohl von Anfang an klüger gewesen, weniger auf politische Selbstdarstellung denn auf das sachlich Gebotene zu setzen. In der Pandemie - und ganz generell.

Wie nachhaltig sich die zehn Regierungs- und vier Parteiobmannjahre des Sebastian Kurz erweisen, wird die Zukunft zeigen. Auch hier gab es freilich von Anfang an Stimmen, die die Substanz der Kurzschen Politik in Zweifel zogen. Er sei eine „Sphinx ohne Geheimnis“, meinte der langjährige ÖVP-Politiker Manfried Welan einmal in der FURCHE - und der Politologe Anton Pelinka meinte überhaupt, bei Kurz „nur Taktik, aber keine politische Strategie“ zu erkennen.

Die Taktik des "Zurseitetretens", bis die Vorwürfe im Rahmen der Inseratenkorruptionsaffäre sowie der Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss juristisch geklärt sind, ist jedenfalls gescheitert - und Sebastian Kurz ist in Österreichs Politik (zumindest vorerst) Geschichte. Der bisherige Innenminister und Berufssoldat Karl Nehammer folgt ihm als Parteichef nach und wird nach Kurzzeit-Kanzler (und Wieder-Außenminister) Alexander Schallenberg Regierungschef. Dabei machte Nehammer bereits in den ersten Sätzen klar, dass sich in der harten Migrationslinie nichts ändern und sich die Kommunikation mit Impfgegnern wohl in der Tonalität verschärfen werde. Auch wenn sich die mediale Reizfigur Sebastian Kurz also zurückgezogen hat - die Polarisierungen bleiben und werden sich wohl noch weiter verschärfen. Dass Nehammer mit Bildungsminister Heinz Faßmann just jenen Minister absetzt, der bei aller angebrachten Kritik zuletzt wie kein anderer für freie Schulen kämpfte und in Summe eine der erfreulicheren und nebenbei auch eigenständigeren Erscheinungen in dieser Regierung war, irritiert umso mehr und ist ein weiterer Beleg dafür, dass die alte ÖVP-Machtlogik nach Ländern und Bünden wieder einwandfrei funktioniert. (Wiewohl mit dem Grazer Unirektor Martin Polaschek innerhalb dieser Logik ein überaus honoriger und vielversprechender Kandidat gefunden wurde).

Was das alles für die türkis-grüne Regierung bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Keiner der Koalitionspartner hat jedenfalls Lust auf Neuwahlen - und angesichts der Pandemie wären sie auch kein Dienst am Land. Und die Volkspartei? Hinsichtlich ihrer Zukunft hat Emil Brix jedenfalls unlängst in der FURCHE einen anschaulichen Ratschlag geliefert: Für die ÖVP solle künftig „die Caritas wichtiger sein als der ÖAMTC“ – und die Prinzipien der katholischen Soziallehre müssten „auch für Flüchtlinge gelten“. Diese Hoffnung muss man angesichts des neuen Chefs und seiner ersten Festlegungen wohl vorerst weiter begraben.

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