Durch die populäre Fernsehsendung „Mit gleichen Waffen“ zwischen Georges Marchais, stellvertretendem Generalsekretär der kommunistischen Partei, und dem neugewählten Generalsekretär der UDR, Alain Peyrefitte, wurde kürzlich der französische Wahlkampf 1973 eröffnet. Georges Marchais zeichnete das Bild einer sozialistischen Welt, wie man sie sich idyllischer nicht vorstellen kann. Die Sowjetunion und ihre Satelliten stünden demnach an der Spitze der technischen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der Menschheit. Der Chef der KPF bombardierte seinen Diskussionspartner mit riesigen Zahlenkolonnen und wußte sogar die persönliche Freiheit in den kommunistischen Staaten entsprechend zu würdigen.
Für die einen war er der Sunnyboy der französischen Innenpolitik, an dessen Wiege unzählige gute Feen gestanden sind. Die anderen sahen in ihm einen Sisyphus, der immer wieder durch kühne Sozialreformen und Projekte die Felsen beseitigte, die auf dem Weg zu einer neuen und besseren Gesellschaft lagen: Jacques Chaban-Delmas.
Die Affäre Altmann-Barbie — des, Gestapo-Henkers von Lyon —, der gegen gute Francs seine Memoiren in der auflagestarken Boulevardzeitung „France-Soir" veröffentlicht, hat die Rolle der Resistance neuerlich zur Diskussion gestellt. Über die französische Widerstandsbewegung existiert eine vielzählige, aber meist unkritische Literatur. Eine vom Staat geförderte Geschichtsschreibung trug seit 1944/45 das ihre dazu bei, um die Jahre des Regimes von Vichy zu verfälschen. Eine kleine Bande gekaufter Subjekte hätte sich demnach des Prestiges eines Marschalls und Siegers van Verdun
Es ist einmalig in der Fünften Republik, daß der Staatschef in eine Kriminalaffäre eingreift, um die Auslieferung eines Verbrechers durch einen persönlichen Brief an ein fremdes Staatsoberhaupt zu erzwingen. Selbst der Ministerrat vom 16. Februar 1972 setzte auf seine Tagesordnung den Fall eines Gestapo-Chefs, der während der Jahre 1943 und 1944 sein blutiges Unwesen in der Stadt Lyon getrieben hatte. Neben den Steuerproblemen rund um den Ministerpräsidenten Chaban-Delmas beschäftigt nichts die Öffentlichkeit gegenwärtig so stark wie das Schicksal eines bolivianischen Großkaufmannes deutscher Abstammung namens Klaus Altmann, dessen Identität mit dem Chef der geheimen Staatspolizei in Lyon, Klaus Barbie, fest untermauert wurde.
Vertreter der Opposition Chaban-Delmas in keiner Weise einer ille-galen Handlung beschuldigt. Sie kri-tisieren ein Steuersystem, das die Lohn- und Gehaltsempfanger trifft, die Kapitalisten aber verschont. 1965 hatte der damalige und jetzige Fi-nanzminister Giscard d'Estaing ein Gesetz eingebracht, dessen Trag-weite sich die Abgeordneten nach eigenen Gestandnissen kaum be-wuBt waren: Wenn ein franzosischer Betrieb Gewinne erzielt, muB er 50 Prozent an Steuern abfuhren. Der Rest wird unter den Aktionaren als Dividende verteilt. Diese Einnahmen werden ein neuerliches Mai von den Steuerbehorden als personliches Ein-komimen mit 27 Prozent belastet. Auf der anderen Seite wird die Halfte der von den Betrieben ver-rechneten Steuern den Aktionaren gutgeschrieben. Wer also iiber ge-niigend Kapitalien verfiigt und sich den Luxus leisten kann, Borsen-papiere zu kaufen, rechnet mit einem so gut wie steuerfreien Einkommen.
Die nichtmarxistische Linke Frankreichs möchte zu gerne politische Aristokraten stellen, welche in den hohen Burgen des Staates, also gegenwärtig in den Amtsräumen der verschiedenen Ministerien regieren. Ein Politiker dieser Art ist ohne Zweifel Francois Mitterrand, seit dem Kongreß Juni 1971 in Epiney gekürter Chef der neuen sozialistischen Partei und geschmückt mit dem schlichten Titel „Erster Sekretär“. Da Mitterrand ein überaus gebildeter Mann ist, wird er sicherlich die Dramen Shakespeares auswendig kennen; und gelegentlich wird er sich wohl an Hamlet erinnern: der unglückliche dänische Königssohn könnte zur Zeit als Symbol für die sozialistische Partei dienen.
Eine Pariser Badeanstalt steht seit Wochen im Kreuzfeuer der Diskussionen: die dort angestellten oder schon entlassenen Wärter werden strengster Kritik unterzogen. Aber es handelt sich in diesem Fall nicht um eine Einrichtung zur Körperertüchtigung, sondern der Zweck dieser Institution besteht darin, Informationen im Ausland zu sammeln und den großen und kleinen Agentgn aus Moskau, Warschau, Bukarest oder Prag bei Ausübung ihrer Tätigkeit möglichst starke Hindernisse in den Weg zu setzen. Der französische Nachrichtendienst SDECE (Service de Documentation Exté- rieure et de
Ende Oktober besuchte der allmächtige Generalsekretär der kommunistischen Partei der Sowjetunion, Leonid Breschnjew, die Hauptstadt der V. Republik. Obwohl die Huldigungen der Pariser Bevölkerung, die dem hohen Gast bestimmt waren, spärlich ausfielen — die kommunistische Bruderpartei mobilisierte lediglich einige Tausend Anhänger — ist doch diese Visite ein wichtiger Meilenstein der europäischen Nachkriegsgeschichte. Nachdem General de Gaulle 1966 der Diplomatie seines Landes neue Ziele setzte, wurden die Kontakte mit der mächtigsten Kontinentalmacht sorgfältiger gepflegt, als es
Die Franzosen sind ein eigenartiges Volk. Sie feiern mit Pomp jährlich die glorreichen Stunden des Sturms auf die Bastille, verwenden zu oft- das Wort Revolution, leisteten sich beinahe den Luxus einer solchen im Mai 1968, aber halten sogar in turbulenten Tagen gewisse Spielregeln ein. In Wirklichkeit sind sie die konservativste Nation Westeuropas. Obwohl die Bürger und ihre Parteien auch heute gern als linksstehend gelten möchten, bekennen sie sich im wesentlichen zur klassischen Mitte. Niemand will allerdings als rechts oder konservativ eingestuft werden. Und Staatspräsident Pompidou hat einmal in launiger Stimmung der gaullistischen Sammelpartei UDR das schmückende Beiwort „sozialistisch“ verliehen.
Auf die Atlantikinsel Noirmoutier fährt man wegen ihres Klimas, die Ile d’Yeu hingegen besucht, wer eines Mannes gedenken will, der wie höchstens noch ein anderer in der neueren französischen Geschichte Bewunderung und Haß auf sich zog. Marschall von Frankreich, Sieger von Verdun, Chef des Staates von 1940 bis 1944 — Philippe Pétain liegt dort begraben. Seinen Wunsch, bei den toten Kameraden in Verdun zu ruhen, hat keine Regierung erfüllt. Den einen ist er ein Verräter, der Frankreich Hitler ausliefern wollte, den anderen der Mann, der gegenüber ständigen deutschen Forderungen die Substanz der Nation rettete.
„Bis hierher und nicht weiter“, entschied der französische tultusministeFl) u hVhi dl in Sächbn Grand Opera und dekretierte die Stunde Null der Pariser Oper. Nach einer kollektiven Kündigung des gesamten Personals schloß er einen Vertrag mit Rolf Liebermann, der das Palais Garnier im Zusammenhang mit der Komischen Oper reformieren soll. Und schon ist der Schock den kommunistischen CGT-Mitgliedern in die Glieder gefahren. Zuerst wollten sie die Oper zugunsten ihrer Profitgeschäfte zugrunde richten, dann bedauerten sie, „das Huhn geschlachtet zu haben, das goldene Eier legen sollte“. Jetzt kommt die späte Erkenntnis, daß mit Liebermann ein harter Widerpart in Paris einzieht, mit dem nicht gut Kirschen essen ist.
Seit sich die Linke 1920 auf dem Kongreß in Tours gespalten hat, träumt der französische Sozialismus von einer ideologischen und organisatorischen Einheit. Durch Jahrzehnte wurde diesem Phantoi^ nachgejagt. Die Gegensätze zwischen der einem humanistischen Erbe des Volkstribunen Jaurės verbundenen sozialistischen Partei und der KPF waren zu beachtlich.
Die Franzosen hatten sich im Friedensvertrag von Evian sowie in den Erdölabkommen von 1965 beachtliche Schürf- und finanzielle Rechte in den einstigen nordafrikanischen Provinzen gesichert. Auf der anderen Seite machte Frankreich bedeutende Zugeständnisse. Die in Frankreich lebenden algerischen Arbeiter können jährlich eine Milliarde Francs in ihre Heimat transferieren und wurden praktisch, trotz der Selbständigkeit ihres Staates, den französischen Bürgern gleichgestellt. In einer konzertierten Aktion diplomatischer Noten, steuerlicher Maßnahmen und glatter Ultimaten steigerte Boumedienne die Forderungen, verstaatlichte während des Dialoges zwischen Paris und Algier 51 Prozent der französischen Petroleumkonzerne in Algerien, fixierte einseitig die Entschädigungen und legte den Preis des Sahara- Erdöles fest.
Es ist wieder modern, in den Pariser Kinos zu weinen. Zehntausende haben die „Love Story” weinend genossen und genau das gleiche Phänomen zeigte sich bei dem Film Andrė Cayattes, der das tragische Schicksal der 33jährigen Professorin Gabrielle Russier in ein Epos verwandelte. Die Lehrerin verliebte sich bekanntlich in einen 17jährigen Schüler und wurde wegen Verführung Minderjähriger zweimal in Untersuchungshaft gesetzt, bis sie schließlich zum Selbstmord getrieben wurde. Der Präsident der Republik, Pompidou, fühlte sich in einer Pressekonferenz sogar veranlaßt, der Verstorbenen
Fast jeden Monat offerieren die Verleger Frankreichs neue Biographien von Männern, die im Leben General de Gaulles eine Rolle spielten, ihn begleiteten oder bekämpften und das Epos des gaullistischen Abenteuers rezitieren. Niemand wird künftighin die Geschichte des Begründers der Fünften Republik begreifen können, ohne die letzten Gespräche zu würdigen, die der exilierte Monarch im lothringischen Dörfchen mit seinem einzigen Vertrauten, dem genialen Schriftsteller Andrė Malraux, führte. Leben und Tod, das Rätsel der Macht, die Bestimmung führender Staatsmänner im Ablauf geschichtlicher Entwicklungen wurden in einem Dialog zwischen Männern erörtert, die jeweils in Politik und Literatur einem Zeitalter den Stempel aufdrückten. Diese Flut von Monographien verstärkt den Wunsch, die Persönlichkeit eines der eigenwilligsten Männer der jüngsten Geschichte durch ein authentisches Selbstzeugnis kennenzulernen.
Alles schien bestens geregelt. Es war der einzige wichtige Wahlgang Frankreichs vor den Parlamentswahlen 1973. Die Regierung bemühte sich allen Ernstes, diese Entscheidung der Bürger zu „entpolitisieren", und Staatspräsident Pompidou erklärte, daß er die Neubesetzung der Gemeinderatsstuben nicht von oben her beeinflussen werde und ihr jeden Charakter „für oder gegen das Regime" nehmen wolle.
Das gaullistische Epos hat so manchen Gegner des Generals viele Jahre Zuchthaus oder schmerzliches Exil gekostet. Der höchstdekorierte offizier der französischen Armee, Salan, mußte seine falschverstandene Treue gegenüber dem französischen Algerien mit lebenslänglichem Gefängnis bezahlen. Dank der Maikrise wurden er und brillante Stabsoffiziere, die im Zentralgefängnis von TuUe melancholisch Fußball spielten, befreit. Sie kämpfen heute noch um eine vollständige Rehabilitierung und werden in ihren Pensionsansprüchen geschmälert oder überhaupt von starrköpfigen Verwaltungsstellen abgewiesen.
Als im Dezember 1969 auf Anregung des frisch gewählten Staatspräsidenten Pompidou eine Konferenz der sechs Verantwortlichen der EWG in Den Haag abgehalten wurde, glaubte man vorübergehend, Frankreich werde originelle Initiativen für die europäische Einigung entwickeln. Aber der „große Vater” wachte, und seine Nachfolger waren kaum bereit, das gaullistische Erbe, in dessen Mittelpunkt absolute staatliche Souveränität stand, aufzugeben. Nach wie vor wurden die Grenzen für die politische Einigung Europas durch die zwei Fouchet-Pläne von 1961 und 1962 bestimmt. Die am 27. Oktober 1970 unter dem Namen „Comite Avignon” angenommenen Beschlüsse bezüglich der politischen Union Europas sind keineswegs ehrgeiziger oder revolutionärer als die von de Gaulle sanktionierten Projekte des früheren französischen Innen- und Unterrichtsministers Fouchet.
Während der Vollversammlung der Auslandsjournalisten in Paris am Ende des vergangenen Jahres zog der Doyen dieser Organisation das Fazit eider 30jährigen Tätigkeit. Der ergraute Deutsch-Schweizer erklärte seinen wissensdurstigen jüngeren Kollegen: „In der Vierten Republik war noch etwas los, niemals mehr wird es die Spannung im Palais Bourbon gegen 5 Uhr früh geben, wenn über das Weiterbestehen einer Regierung abgestimmt wurde. De Gaulle wiederum hat für andere Sensationen gesorgt und mit seinen außenpolitischen Initiativen die Welt beunruhigt, zur Bewunderung aufgerufen oder schärfste Kritik erzeugt. Aber jetzt… Was sollen wir noch über die französische Innenpolitik schreiben?“
Wie eine Eislandschaft unter der späten Frühlingssonne ihren ursprünglichen Charakter verliert, die gewohnten Formen auflöst, definiert Frankreich — nach den Worten Pompidous eine Witwe geworden — zum Jahresende seinen politischen Weg. Dies gilt für die gaullistische Sammelpartei, die ohne Ideologie, aber im Besitz der Macht (287 Parlamentssitze von 487) einen eigenen Standpunkt orten muß.
Der politische Karikaturist1 des „Figaro“, Jacques Faizant, hat die innenpolitische Situation Frankreichs mit einigen Strichen charakterisiert: auf einem Seil balancieren die Chefs der nicht-kommunistischen Linken, der'einstige Präsident der demokratischen und sozialistischen Föderation, Francois Mitterand, und der Generalsekretär der Sozialistischen Partei, Savary. Zwei Männer, mit wuchtigen Netzen ausgerüstet, erwarten den Sturz der kühnen Akrobaten. Es sind dies der Ministerpräsident Chaban-Delmas und der stellvertretende Generalsekretär der Kommunisten, Marchais.
Ende Oktober boten das Pariser Studentenviertel Quartier Latin, die Umgebung des Justizpalastes und die Seine-Brücken ein kriegerisches Bild. 5000 CRS, mobile Gendarmen und Polizisten, ausgerüstet wie mittelalterliche Helden — Stahlhelm, Eisenschild, drohende Waffen — riegelten dieses der Schönheit und dem Geist gewidmete Gebiet der Stadt hermetisch ab. Dieser Aufmarsch einer beinahe kampfstarken Division galt dem 31 jährigen Alain Geismar, der im Mai/Juni 1968 mit dem legendären Cohn-Bendit den Aufstand der Studenten organisierte und den Abgang General de Gaulles dadurch vorbereitet hat. Nicht genug des damals erworbenen Ruhms, entdeckte der Volkstribun seine Berufung zum Chef der außerparlamentarischen Linken und der maoistischen Splittergruppen und wurde der Herold einer permanenten Revolution.
Am Höhepunkt der Reise Pompidous nach Moskau platzte in Paris eine Bombe, die ein Meister des taktischen Kampfes vorsorglich gelegt hatte. Der erste Band der Friedensmemoiren Charles de Gaulles, der unter dem Titel „Die Erneuerung“ die Epoche 1958 bis 1962 umfaßt, erschien zur großen Überraschung des Publikums bereits am 4. Oktober. Die Publikation war ursprünglich für November (am 22. November feiert General de Gaulle seinen 80. Geburtstag) vorgesehen. Seit seinem Abgang hatte der Einsiedler in Colombey-les-deux-Eglises geschwiegen, sich jeder Geste enthaltten, einige Freunde
Während der Herrschaft de Gaulies gehörte die sogenannte „Reisepolitik“ zu einem integrierenden Bestandteil der französischen Diplomatie. Aul dem Höhepunkt der Maikrise von 1968 zog es der damalige Staatschef vor, Bukarest zu besuchen und ließ sich von den rumänischen Studenten feiern, während seine jugendlichen Landsleute von der extremen Linken im Studentenviertel „Quartier Latin“ Barrikaden errichteten, Feuer entzündeten und sich an den „Roten Freitagen“ des historischen Monats wie Wilde benahmen. Einige Knalleffekte bleiben ebenfalls in Erinnerung, wie etwa die
Nun ist die schöne, die schreckliche Zeit zu Ende. Der Lebens, mittelhändler grüßt verschmitzt seine Stammkunden und erzählt ausführlich von Ferienabenteuern. Der Fleischhauer in der Rue du Rendez-vous und seine rundliche Gattin erforschten die exotischen Gefilde von Marokko. Der Hauscoiffeur berichtet strahlend von einer sagenhaften Reise nach Japan. 25 Millionen Franzosen haben den Monat August dazu benützt, um Städte und Fabriken, Büros und Geschäfte, Kaufhäuser und Ministerien zu verlassen und sich auf den weiten Sandstränden der Bretagne oder auf den Felsen der Cöte d'Azur die Haut rösten zu lassen.
>„Die Revolution kommt von weitem“: Unter diesem Titel veröffentlichte eine der markantesten Figuren des franzosischen Kommunismus, Charles Tillon, seine Memoiren. Der ehemalige Spanienkämpfer und oberste Chef der militanten Gruppe der Kommunistischen Partei während des zweiten Weltkrieges hat einiges zu erzählen. Doch die Revolution frißt nach einem klassischen Ausspruch die eigenen Kinder. Die KPF leistete sich nach dem Fall ihres Starphilosophen Garaudy den Luxus, einen ehemaligen Minister und glorreichen Widerstandskämpfer aus ihren Reihen zu verbannen. Seine Zelle in Aix-en-Provence schloß mit 8 gegen 4 Stimmen bei 1 Enthaltung den erprobten Streiter Tillon aus. Seine Richter zählten zwischen 20 und 30 Jahren, wogegen der ehemalige Rebell schon nach dem ersten Weltkrieg eine historische Persönlichkeit war.
Wie schön erschien dieses Europa in den Jahren nach 1945. Die französischen Städte waren zerstört, man hungerte in Paris genauso wie in Berlin, die Heimkehrer aus den Kriegsgefangenenlagern und KZ, die Männer und Frauen der Resistance suchten nach neuen Horizonten und erforschten den Sinn ihres Leidens und Kämpfens.
Sie war die Elitetruppe Napoleons, zeichnete sich auf allen Schlachtfeldern Europas aus, murrte aber mehr als einmal über die Befehle und die schlechten Lebensbedingungen. Trotzdem waren diese Soldaten stolz, dem Kaiser zu dienen, und zeigten sich jederzeit bereit, für ihn das Leben zu lassen. Auch General de Gaulle hatte sich mit einer solchen Garde umgeben, es war die nach ihm benannte Partei, die bedingungslos die Richtigkeit aller Entschlüsse des Staatschefs bejahte. Sobald der Fraktionsvorsitzende den gaullistischen Parlamentariern mitteilte, er sei eben im Elysee-Palast empfangen werden, verstummte sofort die geringste Neigung, zu frondieren.
Bevor die Abgeordneten die wohl wichtigste Debatte über die Orientierung des VI. französischen Wirtschaftsplanes abführen — 27 Stunden sind vorgesehen —, versuchten sie eines der traurigsten Kapitel der jüngsten Nachkriegsgeschichte zu liquidieren. Es ging darum, die Algerienheimkehrer, besser bekannt unter dem Spitznamen „Schwarzfüße“, zu entschädigen und sie damit endgültig über den Verlust der Heimat hinwegzutrösten und in die nationale Gemeinschaft einzugliedern.
Die Pariser ziehen in diesem Jahr mit gemischten Gefühlen aufs Land, in die Berge oder an die Strände der Bretagne und Cöte d'Azur. Ob sie durch das Explodieren der Bomben in der Nacht aufgeweckt wurden, unter einem der Streiks gelitten haben, einmal fiel die Metro aus, dann stauten sich die Abfalleimer tagelang vor den Häusern — sie alle empfinden die Unruhe, welche die Bevölkerung seit Monaten erfaßt. Mit Recht erinnerten politische Kommentatoren an die seinerzeitige Feststellung des humanistischen Sozialistenführers Leon Blum, der von einer Legalität sprach, die auf Urlaub geht.
Seitdem sich die Hochkulturen in den Ländern um das Mittelmeer entwickelten, war diese Nahtstelle zwischen dem Abend-und Morgenland ein ständiges Spannungsfeld, in dem sich kulturelle und wirtschaftliche Interessen mit den Aspirationen der jeweiligen Weltmächte überschnitten. Durch das Auftauchen zweier gewaltiger Flotten, der amerikanischen und der sowjetrussischen, den andauernden israelisch-arabischen Konflikt und die Entdeckung riesiger Erdölvorkommen in Algerien und Libyen, haben sich gewisse Gegensätze akzentuiert und aktualisiert. Durch den Verkauf von 110 Mirage-Flugzeugen an die regierende Militärjunta in Libyen, verkündete das Regime Pompidou-Chaban-Delmas eine Art Monroedoktrin für das Mittelmeer. Der jüngste Besuch des marokkanischen Königs Hassan II. in Paris, die Abstimmung französischer und spanischer Interessen, die Geduld, die der Quai d'Orsay gegenüber den griechischen Obersten aufbringt, beweisen, daß im und um das Mittelmeer die Fronten in Bewegung geraten sind und eine Beherrschung des Raumes angestrebt wird.
Seit 28 Jahren beeinflußte General de Gaulle und die nach ihm benannte Bewegung die französische und internationale Politik. Eine Nachkriegsgeschichte Europas ist ohne intime Kenntnis dieser Persönlichkeit und der mit ihr verbundenen politischen Kräfte undenkbar. Uber de Gaulle selbst existiert eine umfangreiche Literatur — mindestens 150 Titel. Der Wert dieser Veröffentlichungen ist unterschiedlich.
Das Interesse der französischen Linken richtet sich auf die Spannungen, die zwischen dem Starphilosophen der Kommunistischen Partei, Roger Garaudy, und dem Zentralkomitee ausgetragen werden. Garaudy, seines Zeichens Philosophieprofessor und maßgebender Denker Frankreichs, wurde gerade in den letzten Wochen häufig zugleich mit dem Österreicher Ernst Fischer zitiert. Als Garaudy sein grundlegendes Werk „Le grand Tournant du Socia-Msme“ (Paris 1969) veröffentlichte, war er sich des drohenden Konfliktes mit seiner Partei bewußt. Sie hatte es geschickt verstanden, ihre persönlichen und
Die einen jubeln, andere wieder sind besorgt und die politischen Beobachter skeptisch. Seit Beginn dieses Jahres zeigt sich die Kommunistische Partei Frankreichs aggressiv. Sie unterstützt den Generalsekretär der CGT, Seguy, der mehrfach von einer Alternative zum gegenwärtigen Regime sprach.
Die Entführung von fünf Schnellbooten aus dem Hafen von Cher-bourg in der Nacht bietet den Chansonniers und Karikaturisten Anlaß, diesen kühnen Handstreich der Israeli-entsprechend, zu würzen, und genießt somit die schmunzelnde Heiterkeit des Publikums. Sehen wir von den romanhaften Umständen des Unternehmens ab, so stellen sich grundsätzliche politische Fragen. Auch die Maßregelung zweier hoher Offiziere und die Entfernung des Chefs der israelischen Einkaufskommission in Paris, Admiral Limon, unterstreichen das. Mit Recht weisen die politischen Beobachter darauf hin, daß sich die
Mit welchen Gefühlen mag Generäl de Gaulle in der Einsamkeit von Colombey-les-deux-Eglises die Ereignisse der EWG-Konferenz von Den Haag beurteilen? Haben nicht Pompidou und die nach ihm benannte Partei sein Denken verfälscht, die Prinzipien der Außenpolitik umgebogen und einen jahrzehntealten Kamf verraten? Man darf vermuten, daß der General im stillen den ?ur Macht gelangten Dauphin verurteilt. Aber niemand, wir betonen: niemand darf für sich das Privilegium in Anspruch nehmen, den Willen des Generals zu interpretieren oder als offizieller Sprecher aufzutreten.Ende November feierte
In der IV. Republik galt er als gefährlicher Rebell und wurde zu den gefürchtetsten Publizisten seiner Generation gerechnet, der die Kolonialpolitik der verschiedenen Regierungen mit unvergleichlicher Schärfe geißelte; als de Gaulle bereits das „Abendrot seiner Herrschaft“ heraufdämmern sah, wurde er der Prophet eines erneuerten und revolutionär modernisierten Frankreichs, das seinen Platz in einem technologischen Europa einnehmen soll; nicht genug mit dem bisher Erreichten, ließ er sich zum Generalsekretär einer einst einflußreichen Partei küren, die von 1871 bis 1940 als Staatspartei schlechthin die Geschicke der Nation leitete: Jean-Jacques Servan-Schreiber.
Wird er etwa im Palais Bourbon Barrikaden aufrichten? Wird er die Geister des Mai 1968 beschwören? Wird er mit seinen revolutionierenden Studenten und Jungarbeitern eine Kommune im geheiligten Hause der Volksvertreter begründen? So fragen unsicher „wohlmeinende“ Abgeordnete, die über das neue Mitglied des französischen Parlamentes keineswegs entzückt sind. Diese „Wohlmeinenden“ finden sich nicht nur in den gaullistischen Mehrheitsparteien, sondern sind noch um vieles zahlreicher in der kommunistischen Fraktion. Denn der neu gekürte Abgeordnete des Wahlbezirkes Yvelines wird von
Seit dem Abgang de Gaulles verneinte das Regime Pompidou-Cha- ban-Delmas den Primat der Außenpolitik und legte der Nation das Konzept einer erneuerten Gesellschaft vor.Wohl hat der jetzige Staatschef Georges Pompidou eine Festigung der EWG in Aussicht gestellt, zeigte sich bereitwilliger, die Kandidatur Großbritanniens zum Gemeinsamen Markt zu überprüfen, er vermied aber deutlich eine zu scharfe politische Zäsur. Nach wie vor wurde ein gutes Einvernehmen zur Sowjetunion gepflegt, wurden die Ereignisse in der Tschechoslowakei verharmlost. Man überläßt es den Sozialisten, sich über die
Nachdem im Mai und Juni 1968 das Schulwesen und die Statuten der Universitäten in Frage gestellt worden sind, zahlreiche Priester des Landes die allzugroße Autorität der Bischöfe bestritten habens ist nur eine einzige Einrichtung übrig geblieben, die handelt und denkt, als würden die Jahrhunderte spurlos dahingezogen sein. Beanspruchen die Rechtsvorstellungen Napoleons auch heute noch Gültigkeit? Wohl haben die Justizminister Capitant und Plėven versprochen, eine Reform der Justiz einxuleiten, doch sind es bisher nur Vorsätze geblieben.Kann auch der Prozeß Deveaux kaum mit der
Zahlreiche Kenner der französischen Innenpolitik vertraten seit Jahren die Ansicht, daß ein Gaullismus ohne den Gründer dieser Bewegung undenkbar wäre. Maßgebende Vertreter der Zentrumsparteien wollten wissen, daß sich die gaullistischen Wähler wieder den traditionellen Mittelparteien zuwenden würden, sobald der General die Führung des Staates abgegeben hätte. Aber die sich abzeichnende Front gegen den Nachfolger de Gaulles konnte bisher nicht in die Tiefe der Bewegung Vordringen. Allerdings verstärken sich die Gegensätze in dieser Fraktion. Der gaullistische Mythos wurde in den
Während noch die Spekulanten in Nizza und Cannes, Deauville lind Chamonix ihre Aperitifs schlürften und die Millionen auf den Sandstränden ihre Haut bräunten, kam der 8. August 1969. Die Bekanntgabe des streng gehüteten Geheimnisses der nachgaullistischen Epoche erzeugte weder Sensation noch Panik. Die Franc-Abwertung versank in der süßen Gleichgültigkeit der Sommertage.
Durch die Zeitereignisse 1934/38 gezwungen, mußten zahlreiche österreichische Künstler oft nach einer gewagten Flucht die Heimat verlassen. Viele von ihnen fanden in überseeischen Ländern ein neues Zuhause. Einige Österreicher verblieben in Paris, und selbst die Armeen des Dritten Reiches, die Gestapo und die Leiden der Besatzungszeit konnten sie nicht vertreiben. Wenige von ihnen erlangten späte Anerkennung. Ihr Wirken spiegelt sich in Kritiken oder einem größer werdenden Schülerkreis wider. Die Älteren dagegen versinken in Träumereien der Vergangenheit und zitieren die Zeit ohne
Da sich die Opposition auf keinen einzigen Kandidaten einigen konnte, wie das 1965 der Fall war, beschloß die kommunistische Partei Frankreichs, ihr „altes Streitroß' Jacques Duclos aufzustellen. Das langjährige Mitglied des Zentralkomitees hatte sich überraschend gut geschlagen und sicherte den Kommunisten jene Stimmen, die ihnen im Juni 1968 verlorengegangen waren. Seitdem der sozialistische Begierungschef Ramadier 1947 die kommunistischen Minister verabschiedet hatte, konnte die KPF niemals wieder an der staatlichen Macht teilnehmen. Sie wurde ein Fremdkörper in der politischen Geographie. Nur Mi11err an d hatte es 1964/65 gewagt, die losen Verbindungen zwischen Sozialisten und Kommunisten zu vertiefen, eine vorübergehende Einheitsfront der beiden Arbeiterparteien herzustellen. Mitterrand vertritt heute die Meinung, daß die Linke nur dann eine polif he Chance habe, wenn ein gemeinsames Programm die beiden wichtigsten Exponenten der Opposition binde. Die KPF möchte natürlich die drückende Einsamkeit verlassen und den Ubergang zum Sozialismus vorbereiten. Wo steht also eine Partei, die nach wie vor für sich beansprucht, die Mehrheit der Arbeiterklasse zu vertreten und zahlreiche Intellektuelle und Künstler anzieht?
Am 13. Mali um Mitternacht lief die Frist ab, um als Kandidat für das höchste Amt der Republik vom Staatsrat bestätigt zu werden. An diesem Tag registrierten die Kronjuristen sechs Kandidaturen, die sich nun in den kommenden Wochen mit allen Mitteln der Technik, der Meinungsforschung und klug geplanter Werbefeldzüge die Gunst der Wähler sichern wollen.Der Expremierminister Pompidou hatte sofort seine Bereitschaft bekanntgegeben, das politische Erbe de Gaulles anzutreten. Pompidou war einsichtig genug, um den negativen Ausgang des Referendums richtig zu deuten. Die Staatsbürger wollten
Wer die soziologischen Strukturen Frankreichs ständig beobachtet und die Mutierungen begreift, weiß, daß die Unruhen und Streiks, die zunehmende Malaise und die politischen Auseinandersetzungen aus tieferliegenden Quellen gespeist werden, als es der Kampf um die Vorzüge und Mißerfolge eines Regimes “ermuten lassen. Seit der französischen Revolution erleidet dieses Volk die bisher schwerwiegendsten Umgestaltungen. Mag der junge katholische Bauernführer De-batisse von der „stillen Revolution“ sprechen, weiß doch jeder Bürger des Landes, daß sämtliche traditionellen Vorstellungen in Frage gestellt sind. Alljährlich verlassen 100.000 Bauern ihr Land, um in einer rationalisierten und zentralisierten Stadtgesellschaft zu leben. Auf engsten Baum zusammengedrängt, bildet sich ein besonderer Lebensrhythmus heraus, der eigene Gesetze entwickelt. Die Bourgeoisie, tragende Säule der III. und IV. Republik, kämpft um eine Neudefinierung ihrer Funktion in Staat und Nation. Weitblickende Gewerkschaftsführer wissen zu genau, daß die Arbeitnehmerorganisationen ihren Mitgliedern mehr zu bieten haben, als die Entfesselung von Lohnkämpfen und die Organisierung von gelungenen Streiks.
Die Meinungsforschungsinstitute hatten am Vorabend des 27. April eine Niederlage de Gaulles in einer Ordnung von 51 Prozent bekanntgegeben. Aber seien wir ehrlich, niemand hat wirklich die Siegeschancen des Staatschefs bezweifelt. Seit elf Jahren beherrschte General de Gaulle souverän seine Nation und spielte in der internationalen Politik eine Rolle, die mit der gegenwärtigen Stellung und industriellen Kapazität eines Landes kaum in Einklang zu bringen war. Seine Politik irritierte, seine Person imponierte! Auch der neugewählte amerikanische Präsident Nixon konnte sich diesem Charisma nicht entziehen und bezeichnete de Gaulle als einen „Giganten der Geschichte“. Mochten auch die Kaufleute protestieren, die Bauern revoltieren, die Arbeiter mit Streiks drohen, die Studenten Barrikaden bauen, er inkarnierte Frankreich und war der unbestrittene Sprecher der Nation, der prophetische Barde von Frankreichs Größe und einmaliger Bedeutung in der Welt.
Ein reizender Junge von zwei Jahren stellt sich als typischer Wähler des Jahres 2000 vor. Er interessiert sich für die Technik und liebt — so wird zumindest ernsthaft behauptet — klassische Musik. Der hoffnungsvolle Staatsbürger wurde unter tau-senden Kindern ausgewählt. Seit Tagen war ein gezeichneter Steckbrief im Fernsehen zu bewundern. Dieser Knabe ist sozusagen die Geheimwaffe der Regierung, mit der die Stimmberechtigten aufgerufen werden, im Referendum am 27. April 1969 von ihren Rechten Gebrauch zu machen. Trotzdem General de Gaulle persönlich in den anlaufenden Wahlkampf
Mit hörbarem Aufatmen drehten am Abend des 11. März die Pariser ihre Fernsehknöpfe. Der Staatschef wollte neuerlich seine Nation beruhigen, die Güte seines Regimes preisen und die Wahlberechtigten auffordern, am 27. April im Referendum ein massives „Ja“ abzugeben. Der Generalstreik seit Juni 1968 war glücklich überstanden. Paris bot das übliche Bild eines solchen arbeitsfreien Tages. Die Militärautos transportierten Angestellte und Arbeiter, die Metro verkehrte manchmal oder überhaupt nicht, die Bahnhöfe lagen verödet da, und die Postämter standen wohl offen, aber hinter den Schaltern fehlten die Beamten. Die Bevölkerung nahm mit gewissem Fatalismus die zeitweise Erschwerung der Lebensumstände hin.
Die Urteile, welche die französischen Gerichte im Schnellverfahren fällen, werden von der Nation nicht ohne weiteres anerkannt. Die Bewegung der Kontestierung überspringt die Gitter der Justizpaläste, dringt in die Wandelgänge der Gerichte ein und erzeugt bei Richtern, Staate- und Rechtsanwälten eine beachtliche Malaise. Einzelne mutige Juristen, wie der bekannte Casamayor, recte Serge Fuster, Rat am Pariser Appel-lationsgericht, plädieren seit Jahren für eine Reform der französischen Justiz. Wie die Statuten der Universitäten stammen die Strukturen der Justiz aus den Zeiten
Sobald der Direktor der bedeutendsten politischen meinungsbildenden Zeitung Frankreichs ,.Le Monde“, Hubert Beuve-Miry, unter dem Pseudonym Sirius einen Leitartikel verfaßt, bringt er damit zum Ausdruck, daß sich Frankreich ein staatspolitisches Problem stellt. Auf dem Höhepunkt der Mai-Juni-Krise hatte dieser bekannte Publizist sehr offen den Rücktritt des Staatschefs General de Gaulle verlangt. Vor einigen Tagen griff Beuve-Mery wieder zur Feder und verurteilte die Monokratie der V. Republik. In diesem System leite eine einzige Persönlichkeit die Geschicke der Nation und treffe
„Diisöäschen Publizisten sind komische Leute. Da erfinden sie Gespenster, wo keine sind. Eine faschistische Gefahr in Frankreich ist unmöglich. Dort herrscht eine alte republikanische Tradition. Politisch scharf orientierte Gewerkschaften ersticken sofort jeden Putsch kleiner faschistischer Gruppen im Generalstreik.“ So dürfte das Urteil eines gequälten Zeitunglesers lauten, der sich mit den Weltkonflikten beschäftigt und nicht künstl'ch beunruhigt werden will. Aber von einem faschistischen Angriff in Frankreich sprach nicht etwa ein lüsterner Sensationsreporter, sondern der
Nun sind sie wieder aufgetaucht, die wilden Studenten von Nanterre, der einstigen Hochburg des Jungrevolutionärs Cohn-Bendit. Säle werden besetzt, die Mauern mit sinnigen Sprüchen verziert, Polizisten wachen, und nahe der Fakultätsgebäude droben riesige Einsatzautos der mobilen Gendarmerie. Die linksgrüppchen, wie sie verächtlich von den Kommunlisten und ihren Hilfstruppen genannt werden, sind neuerlich zum Angriff angetreten, um das Reformwerk des Unterrichts-ministers Edgard Faure in Frage zu stellen oder dieses vollkommen zu sabotieren. Aber die Wilden und ihre Hintermänner
Jedem einsichtigen Beobachter der französischen Mai-Juni-Krise war klar, daß diese, trotz des gewaltigen gaullistischen Wahlsieges, Kräfte freilegte, die sich später manifestieren würden. Obwohl der Sommer durch die Ereignisse in Mitteleuropa verdunkelt war, tauchte bei den Millionen Ferienhungrigen die Frage auf, in welchem Klima die Herbstarbeit beginnt. Die Zeitungen prophezeiten neue Studentenunruhen und wußten von internationalen Geheimkonferenzen der Junganarchisten zu berichten. In den Studentenvierteln und Fakultätsgebäuden kam es zu erträglichen Zusammenstößen. Die
Über eine Bewegung, die nun 28 Jahre die französische und internationale Szene beherrscht und bereits einer geschichtlichen Wertung unterworfen ist, sollte eine Fülle von Literatur existieren. Freilich, unzählige Berufene und Unberufene glaubten sich fähig, als Biographen General de Gaulles aufzutreten, jede Epoche seines Lebens zu studieren und die geringsten Äußerungen des Generals zu deuten. Wenn wir richtig informiert sind, liegen mindestens 150 diesbezügliche Werke vor. Der Nutzen solcher Studien ist sehr unterschiedlich. Einmal wird der General als Übermensch dargestellt, der
Seit Jahrzehnten gehört es zum guten Ton, sich in Frankreich links zu gebärden. Denn links hieß, die Folgen der französischen Revolution bedingungslos anzuerkennen und das Modewort „fortschrittlich” zu verwenden, selbst wenn ultrakon- servative, wirtschaftliche Theorien vertreten wurden. Das spritzige Wort „man wählt links, trägt aber das Portefeuille rechts”, konnte eine gewisse Berechtigung bis zu Beginn der V. Republik beanspruchen. Die Tradition verlangte eine laizistische und antiklerikale Einstellung, die sich besonders in der Ablehnung der freien, sprich kirchlichen,
War die Errichtung des gaullistischen Regimes ein Zufall, entsprach sie den politischen Kräfteverhältnissen in Frankreich oder konnten wirklich obskure Verschwörer die Geschicke einer großen europäischen Nation derartig beeinflussen, daij eine vollkommen neue Form der politischen Willensbildung gefunden werden muhtet Die staatlichen Archive, welche die Vorgänge um den 13. Mai 1958 beleuchten, sind dem Forscher vorläufig verschlossen. Aber unzählige Erinnerungsbücher sowie Prozehakte gestatten es doch, diese dramatischen Stunden der Machtergreifung de Gaulles in den Einzelheiten zu analysieren. Man gewinnt dadurch ein immerhin umfassendes Bild van den Erwartungen und Wünschen der beteiligten Personen, den Vorstellungen der Parteien und der Rolle der französischen Armee.
Als vor einigen Wochen Paris in einen Goldrausch taumelte und das westliche Währungssystem zutiefst erschüttert wurde, konnte man von zahlreichen Franzosen die etwas nachdenkliche Feststellung hören: „Hat der Alte wieder einmal recht?”Mit diesem schmückenden Beiwort versieht die öffentliche Meinung manchmal ihren Staatschef, der seit Jahren als internationale Kassandra auftritt- Seine Prophezeiungen werden zuerst verhöhnt, dann außergewöhnlich kritisch analysiert und zum Schluß wird die Folgerung gezogen: .„Stimmt es gar, was er sagt?”Dasselbe Schauspiel wiederholte sich in
Die „Furch e“ hat in ihrer letzten Nummer den Tod Pater Emile Gabels gemeldet und sein Leben und sein Wirken im Poträt gewürdigt. Wir sind heute in der Lage, ergänzend zum Porträt noch einiges über das besondere Wirken P. Gabels im französischen Pressewesen, insbesondere seine Tätigkeit als Chefredakteur der Tageszeitung „La Croix“, zu berichten. Unser Pariser Mitarbeiter, Alexander Kare 11, schildert dieses Wirken P. Gabels und seine Person unter dem unmittelbaren Eindruck des plötzlichen Todes dieses großen Priesters und Journalisten.Die RedaktionBei dem Flugzeugunfall der
„Die Welt starrt hypnotisiert auf den Indochinakrieg und vergißt, daß im Nahen Osten an einer Nahtstelle der Einflußsphäre der Weltmächte Zonen existieren, in denen jederzeit ein Ausbruch den Frieden ernstlich gefährden kann“. Einer der besten Pariser Kenner der internationalen Politik stellte kürzlich in) kleinsten Kreise diese Diagnostik auf. Als am Samstag, dem 15. Oktober, die mächtigste Bankgruppe des Nahen Ostens, die Intra-Bank, ihre Zahlungsunfähigkeit bekanntgeben mußte, strich ein eisiger Hauch durch Redaktionszimmer, beunruhigte Generaldirektoren von gewaltigen
Während die Gladiatoren ihre Schwerter prüften, die Muskeln bewegten und die Taktik ihres Kampfes entwarfen, schlossen die blasierten römischen Zuschauer Wetten ab, welcher ihrer Lieblinge diesmal gewinnen werde. In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts sind die Sitten manierlicher geworden. An Stelle der Arena treten der Fernsehapparat und die modernen Helden, diesmal als Minister oder Staatssekretäre, Fraktionsführer oder ständige Parteisekretäre verkleidet, rüsten sich, um Rechenschaft über ihre bisherigen Taten abzulegen, Versprechungen abzugeben, den Gegner lächerlich
Ein Mord ohne Leichnam; der Innen- und Polizeiminister eines bedeutenden Staates wird schwerer Verbrechen bezichtigt, echte und falsche Polizisten, Berufsrevolutionäre, Diener., einer .parallelen Polizei , Doppelagenten, Geheimdienste aller Art: Man muß schon in die Phantasiewelt eines James Bond steigen, um eine derartige Häufung grotesker Unwahrscheinlichkeiten zu finden.Trotzdem sitzen die Protagonisten eines solchen Falles seit Tagen auf der Anklagebank eines Pariser Schwurgerichtes. Eine, der mysteriösesten Angelegenheiten der französischen Kriminalgeschichte, die noch dazu tiefe
Verfassungsmäßig erfolgt die Erneuerung der französischen Nationalversammlung im Frühjahr 1967. Zahlreiche Politiker der Regierungsmehrheit denken jedoch an die überaus günstige Wirtschaftsentwicklung (unter anderem besitzt Frankreich neuerlich den größten Goldvorrat der Welt nach den USA) und plädieren für eine Vorverlegung des Termines auf den Spätherbst dieses Jahres. Diese Kreise, die besonders in der Nähe des Wirtschafts- und Finanzminister Debrė die ultragaullistische Linie vertreten, warten diesbezüglich mit zahlreichen Argumenten auf.Der prestigemäßige Erfolg der Reise
Man sollte glauben, daß die Atomforschung und die Nutzung neuer Energiequellen die Grenzen überspringt und die Grundtatsachen der Kernforschung der Menschheit schlechthin vertraut sind. Diese Binsenwahrheit scheint in der Praxis außer Kurs gesetzt zu sein. Die beiden Weltmächte hüten sorgsam ihre Geheimnisse. Wenn schon die Superweitmächte aus Verteidi-gungs- und Prestigegründen nationale Atomindustrien aufbauen und die Kernforschung nach egoistischen Gesichtspunkten ordnen, mag dies um so verwunderlicher für Europa sein. Die Klein-und Mittelstaaten unseres Kontinents sind kaum noch in der Lage, die entsprechenden Kapitalien zur Verfügung zu stellen und Forschungsstätten von den Dimensionen der USA oder der Sowjetunion zu gründen.