Über einen Zeitraum von fünfzig Jahren entwickelt sich das berührende Drama zweier afghanischer Geschwister und ihrer Kinder vor dem Hintergrund von Krieg, Flüchtlingsdasein und Immigrantenschicksal. Pari und ihr großer Bruder Abdullah werden von ihrem verzweifelten Vater aus dem Dorf nach Kabul gebracht. Der Winter steht vor der Türe, schon ein Baby der Familie musste sterben. Der Vater trifft eine bittere Wahl und beeinflusst dadurch das Schicksal vieler in mehreren Generationen. Pari, zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alt, wird zum Abbild von Hoffnung, Sehnsucht, vergeblicher Erfüllung
Ai Ping ist Witwe, der alten chinesischen Lebensweise verbunden, und lebt am Lande mit der Familie ihres Sohnes. Sie glaubt an traditionelle Werte, ist jedoch aufmüpfig genug, um sich kleine Freiheiten und Verrücktheiten zu erlauben. Sie leidet unter der Entfremdung zu ihrem Sohn und vor allem unter dem spurlosen Verschwinden ihrer schönen Enkelin Pflaumenblüte, die vermutlich einem Heiratsschwindler aus Shanghai auf den Leim gegangen ist. Ai Ping fasst ihren Mut zusammen und macht sich auf den beschwerlichen Weg in das Sündenbabel.Mit ihren verkrüppelten Füßen und ohne Ahnung von der
Zuhause dort, wo die Gedichte wohnen, deren Wortlaut weggeflossen ist, und die Musiken, von denen ihr Anhauch blieb. Und meine Toten." So endet der berührende Erzählband "Fremde" von Ilse Helbich, die 2009 mit dem Roman "Das Haus" endlich das Echo erhielt, das diesen vordergründig ruhigen, irritierenden und großartigen Texten gebührt. Eine 87-Jährige schreibt über vieles, das fremd erscheint, das fremd bleibt, das fremd sein muss und wodurch erst sich das Vertraute definiert. Das Kind erfährt Anderes anders als die Mutter, die erwachsene Frau stellt sich dem Fremden anders als eine
Isabel Allende wollte einen Roman über New Orleans schreiben, ihre Recherchen führten sie zu den französischen Flüchtlingen, den weißen Herren, die Haiti 1793 in Scharen verließen, als die Sklaven sich erfolgreich erhoben. Vier Jahre Quellenforschung folgten und Allendes Interesse verschob sich.Menschen unterschiedlicher Völker und mit unterschiedlichen Sprachen fanden in der Sklaverei über Musik und Religion zu einer neuen Identität, die ihnen im Freiheitskrieg half und später die Kultur viele Länder prägend beeinflusste. Allende beschäftigte sich mit dem auf Haiti entstandenen
Atiq Rahimis Roman ist eine erschütternde Klage über Frauenleid.Atiq Rahimi schrieb „Stein der Geduld“ auf Französisch, in der Sprache des Landes, das ihm Asyl gewährte, nachdem der 1962 in Kabul geborene Literat während des sowjetischen Krieges aus Afghanistan geflohen war. Er schrieb es zum Andenken an die afghanische Lyrikerin N. A., die von ihrem Mann ermordet wurde. Dass er ihren Namen codiert, kann man als zusätzliches Bild für die versteckten, verhüllten Frauenleben verstehen. Er schrieb mit überwältigender Klarheit, Einfachheit, Poesie über die letzten Wochen im Leben
ORIENT UND OKZIDENT SIND IN VLADIMIR VERTLIBS UNBEQUEMEM BUCH AUCH
HINSICHTLICH DER "DUNKLEN SEITEN" IHRER TRADIERTEN ANSICHTEN UND
IDEOLOGIEN VERBUNDEN.
Salman Rushdie erfindet ein Verwirrspiel vor historischem Hintergrund.Es geht um das Gefüge der Welt und die Natur der Götter. Um die Einsamkeit eines mächtigen Sultans, der sich einen reisenden Narren und Zauberkünstler sucht als korrigierendes Äquivalent. Um Verführung und die Vorstellung von einer perfekten Liebesbeziehung. Um das Gelächter, das selbst im Schrecken noch in uns steckt. Um das Essenzielle des Menschen, nämlich eine Geschichte zu erzählen und einen Zuhörer dafür zu finden. Das lehrt Salman Rushdie in seiner ausladenden Mär "Die bezaubernde Florentinerin", voll
Rafik schami führt in seinem neuen roman in ein wunderland des erzählens."Zivilisation ist nichts anderes als die Summe aller Fehlerquellen", sagt Hamid Farsi, der berühmte Kalligraph und hintergangene Ehemann dieser Geschichte, ein kluger Mann, dessen bedingungslose Liebe zur Schrift und dessen Stolz auf das eigene, überwältigende Talent ihn blind werden lassen für menschliche Schwächen. 1953 beginnt ein kurzes demokratisches Kapitel in Syriens politischer Geschichte, ein Tauziehen zwischen Demokratieanhängern und Fundamentalis- ten. Welche Rolle dabei die Kunst der Kalligraphie und
Salvatore Niffoi unterhält mit grotesken Sirenengesängen.Vor den Toren zum Nichts scheint in Abacrasta im wilden sardischen Hochland keine Macht zu schützen. Menschen werden vom Fluch in den Selbstmord hineingerufen und können nichts entgegenhalten. Widerstandslos hängen sich die Männer am Gürtel, die Frauen am Strick auf, nachdem sie vorher noch sorgsam den richtigen Baum, den passenden Balken, den stimmigsten Ort für ihren Exitus ausgewählt und vorbereitet haben.Geballtes UnglückAufgelistet, bewahrt und erzählt werden die Biografien dieser Unglücklichen von Battì, dem
Ivana Sajkos Debütroman führt in ein Land, in dem der Tourismus blüht, aber auch Hass und Nationalismus.„Schieß nicht, ich bin die Friedenstaube. Aber weil ich hungrig bin, habe ich die Oliven mit dem Zweig aufgegessen.“Wo bleibt die Hoffnung, wenn alles zerstört ist und man, um diese Zerstörung ertragen zu können, sich selbst systematisch zu zerstören versucht? Eine Braut feiert 1995 Hochzeit, als die Sirenen den Krieg ins Fest tragen. der Bräutigam rennt davon, um als Freiwilliger zu kämpfen, die Gäste brechen von Bomben getroffen zusammen, das weiße Kleid wird zerfetzt,
Leonardo Paduras neuer Roman stört Klischees.El Conde liebt Bücher. Außerdem ist er seinen Freunden, dem Hasenzahn, dem Roten Candido und dem Dünnen Carlos, der seit dem Angolakrieg in einem Rollstuhl vor sich hinfettet, zutiefst verbunden. Mario Conde, der wunderbar widersprüchliche Held Leonardo Paduras, führt auch diesmal wieder quer durch die Viertel Havannas, die der Tourist so ganz sicher nicht kennt."Hier leben alle von irgendwas, (…) die da spielen Domino, um Geld, klar. Aber einer vermietet den Tisch, ein anderer verkauft Bier, wieder ein anderer Essen, der Nächste verkauft
In "Nichts an mir ist freundlich" schreibt sich eine Frau die eigene Idylle herbei.In diesem kurzen Roman geht es um die Geschichte einer jungen Frau, die von Wut erfüllt ist, von einem Zorn, der ihre Haut fast zum Platzen bringt. Daher entwickelt sie schmerzliche Strategien: Ich habe Angst, dass jemand weggeht. Deswegen gehe ich immer zuerst.Es erinnert, natürlich, an die zelebrierte Innenschau der 70-er Jahre, man schwankt zwischen Ärger, Belustigung, Verständnis und manchmal Wiedererkennung. Das versöhnt durchaus mit den endlosen Spiralen, in denen die Autorin in die Tiefen ihres
Najem Wali gelingt mit "Jussifs Gesichter" ein komplexes Mosaik über Krieg, Identitäten, Liebe und Betrug.Am Anfang stehen zwei kleine irakische Brüder, die ein ausländisches Mädchen anhimmeln. Am Ende steht ein erwachsener Mann, der sich klar werden muss, wer er wirklich ist, ob er den Platz des verschwundenen Bruders weiterhin besetzt, ob er endlich er selbst werden möchte, ob er herausfinden kann, wer er sein sollte.Krude liest sich schon die Einleitung, in der der Erzähler den Leser mit der Frage nach der Identität konfrontiert, mit einem Leben, das aus Lügen, Verstecken, Betrug
Alonso Cueto erzählt vom Jet Set in Peru, dessen Körperkult und Konsum genau so aussieht wie überall.Manche erwarten von der Literatur Erkenntnis, Anprangerung, leidenschaftliche Darstellung geheimer und allgemeiner Nöte. Dass Modeerscheinungen zum Thema werden, ist gut, aber wieso wird als Fortschritt beworben, wenn sich Perus interessanter Schriftsteller Alonso Cueto des Schönheitswahns annimmt, weil er damit die Literatur seines Landes zum weltweiten Modethema heranführt?Dabei sind die Heldinnen im "Flüstern der Walfrau" gut gewählt, Mädchen zuerst, deren gemeinsamer Nenner die
Das Leben einer Schweizer Frau im 18. Jahrhundert formt Margrit Schriber zu einem interessanten Roman.Gerichtsakten sind die sachliche Quelle, aus der die Schweizer Schriftstellerin Margit Schriber für ihren vierten Roman schöpft und ein berührendes Frauenporträt erschafft:Eine Frau wird in Schwyz 1724 zum Tod durch den Strang verurteilt, die Protokolle, fein säuberlich geführt, verraten viel über das Reglement, die unüberbrückbaren sozialen Grenzen der Kantone, die sich gern europaweit als freie Länder verstanden und präsentierten. Zu dem Zeitpunkt ist Anna 19 Jahre alt, eine
Dalia Sofers schlichter Roman über Abschiede, Verfolgung und Anfänge, über amputierte Familien und den Iran.Reue, denkt Isaac auf dem Rückweg in seine Zelle, was könnte er wohl bereuen? Da er die Verbrechen, deren man ihn bezichtigt, allesamt nicht begangen hat, könnte er höchstens Reue darüber zeigen, dass er sich erdreistet, am Leben zu sein." Seit knapp zwei Jahren sind im Iran die Mullahs an der Macht, landesweit werden Menschen in Gefängnisse geschleppt, bleiben amputierte Familien zurück. Isaac Amin ist zu diesem Zeitpunkt Ende fünfzig, ein Juwelier, ehemals zählte er die
Eine Inderin in Südafrika zu Zeiten der Apartheid: literarisches Debüt von Shamim Sarif: "Die verborgene Welt".Im Pretoria der Fünfziger Jahre eröffnet die junge Amina ein Café. Was in Europa vielleicht nur Bewunderung hervorriefe, gerät hier zur permanenten Mutprobe. Denn Amina ist Inderin, ihr Geschäftspartner ein Schwarzer, und die Gesetze der Apartheid werden gerade rigoros verschlimmert. Die Weißen sind in dieser Welt nur Randfiguren, deren Vorstellungen und Macht jedoch alles beeinflussen.Eine seltene Kundin im Café ist Miriam, eingewandert aus Bombay, in einer traditionellen
Die Siebziger Jahre haben begonnen, ein Hauch von Freiheit macht sich kurz in den sowjetischen Großstädten bemerkbar. Direkt von einer Party in einem Leningrader Künstlerkreis verlässt ein junger Mann seine zaghaft aufblühende Lebensnische voll verbotener Westautoren und rebellischer Lyrik gegen Breschnews urgeschichtlichen Kremlzoo, garniert mit ersten Versuchen im Ausprobieren freier Liebe und abwägend zelebriertem Austausch mit Westjournalisten. Er übernimmt die Betreuung einer pseudowissenschaftlichen Arbeit in der Gegend von Archangelsk, flüchtet vor dem, was er zu kennen
Zwillinge: Für die Eltern wird nichts mehr so sein, wie es war. Der Autor, der sich darauf einlässt, ein jederzeit greifbarer Vater zu sein, lernt - manchmal brutal überfordert -, wie sich Vertrautes ändert, aufgegeben werden muss, er selbst in Frage gestellt wird. Erstaunt erkennt Dirk von Petersdorff Wunder, wo er sie nie vermutete. Schlaflose Nächte geraten zu Grenzerfahrungen, Entdeckungen in Kniehöhe offenbaren schräge Einsichten. Nichts ist banal genug, um ausgelassen zu werden. Aber sicher, präzise und verdichtend arbeitet Dirk von Petersdorff den Alltag um in poetische Details,
Andrea Stift erzählt von einer starken südsteirischen Bäuerin: ihrer Großmutter.Über Großmütter erzählen viele, aber Andrea Stift gelingt dies in "Reben" besonders gut, indem sie die Lieblingsarbeit der Matriarchin als roten Faden wählt.In der Südsteiermark entwickelt sich das Leben einer ungewöhnlich zielstrebigen Frau, die sich weder von politischen Entwicklungen, noch vom Wetter und schon gar nicht von ihren Kindern aufhalten lässt. Sie ist Bäuerin und gleichzeitig Dame, eine Respektsperson für alle, gefürchtet von vielen, geschätzt auch von Gegnern, geliebt von wenigen,
Kader Abdolah erzählt die Geschichte des Irans als Geschichte einer Familie.Seit acht Jahrhunderten wohnt die Familie von Agha Djan, die Händler, Dichter und Imame hervorgebracht hat, im "Haus an der Moschee". Senedjan ist eine religiöse Stadt im Norden Irans, Geistliche und die Führer des Bazars leiten ruhig die Geschicke der Gemeinde, versuchen, den Neuerungen Shah Reza Pahlevis Gutes abzugewinnen und die Traditionen trotzdem zu pflegen. Die Familie ist groß, eigenwillige Charaktere bevölkern das Haus, die Machtstrukturen sind nicht festgefahren.Der Modernisierungsdruck aus Teheran
Salim Alafenisch erzählt von Beduinen im Negev zur Zeit des 6-Tage-Krieges.Ein Mann wird ermordet. Der Killer ist nicht auffindbar. Sühne wird von den Falschen verlangt. Was sich hier wie ein Krimi liest, hat stattgefunden und das Leben vieler nachhaltig beeinflusst.Exotisch ist nicht die Tatsache, sondern das Umfeld: die Geschichte beginnt im Negev in den Fünfziger Jahren, Israel und seine arabischen Nachbarn rüsten auf, der Sechstagekrieg findet statt, in den darauf folgenden Jahren geraten die Beduinenstämme endgültig zwischen die Fronten. Die gewohnte Lebensform kann unverändert
Johanna Awad-Geisslers Roman erinnert an eine interessante Frau.Das Problem beim Verfassen eines historischen Romans ist der Seiltanz zwischen fiktiver Darstellung von geballten Stoffsammlungen und gut recherchierten Details, spannender Aufbereitung, Dialogen, die glaubwürdig Zeit und Ort zum Leben erwecken und trotzdem moderne Leser ansprechen. Und das alles in einer Sprache, die so niveauvoll wie möglich ist, und authentisch, so weit das Sinn macht.Der Journalistin Johanna Awad-Geissler ist diese schwierige Aufgabe fast durchgehend gelungen. Für ihren Roman wählte sie eine Region
Ein Krimi und viele leibliche Genüsse: Christoph Wagners "Gefüllte Siebenschläfer".Vielleicht bin ich aus diesem Grund auch Archäologe geworden, weil ich tief in mir ein Bedürfnis fühle, Vergangenheit und Gegenwart in Einklang zu bringen, um die Befindlichkeit meiner Seele im rechten Lot zu halten." Mario Carozzi, Südtiroler, Genussmensch, Chililiebhaber und im Moment eher wenig erfolgreicher Archäologe ist der Held des Romans Gefüllte Siebenschläfer und entführt in die nuancenreiche Inselwelt Kroatiens, in eine Landschaft, die von Römern, Byzantinern, Venezianern geprägt wurde.
Christine Pitzkes experimentiert mit Blogs.Eine berufstätige Mutter, Karoline, und ihr teilweise getrennt von ihr lebender Partner werden von einem alten Freund aufgefordert, den Urlaub mit ihm und einer Gruppe zu verbringen. Er hat alle Teilnehmer ausgewählt, schräge Vögel, Sammler, Schauspieler, Lebenskünstler, um einem reichen Mann den perfekten Heimatort für sich und seine Familie zu finden. Für ihn sollen Süddeutschland, der österreichische Böhmerwald, das Friaul durchwandert werden, mit Erzählungen und willkürlichen Begegnungen mit Einheimischen garniert.Es geht darum,
Rudolf Habringers literarischer Blick auf Liebende.Alles wird gut steht viel versprechend auf dem Buchcover und nichts, gar nichts wird wirklich gut in diesen acht Geschichten über Liebende und Geliebte."Nachts halten wir Wache. Es könnte sein, dass jemand klopft, dass sie uns ruft. Dann möchten wir bereit sein. Wir möchten die Gelegenheit nicht versäumen, die vielleicht nur einmal kommt. Dafür rüsten wir uns. Wir sind da, wenn sie uns ruft."Geschichten übers WerbenUnmöglich macht sich der Mensch selbst die Erklärung, die Offenlegung, das Zueinanderfinden, vor allem der Typ, dem
Keine dramatische Geschichte, aber Glück, das man erlesen kann.Die Kastanorka ist ein Tier, im Leben der jungen Heldin verankert, eine alte Schildkröte, eher zufällig in diesem nach Aufbruch riechenden Haushalt irgendwo in Berlin existierend. Die Kastanorka teilt das Wachen der Erzählerin, unbewegt von deren Zweifeln und der so spielerisch gewälzten Sinnfrage sucht sie die Wohnung ab nach ihren geliebten Spitzwegerichblättern. Es ist ein friedlicher Sonntag Morgen in einem Schlafzimmer mit Blick auf den Berliner Zoo. Neben der Heldin träumt noch der zärtlich betrachtete Liebhaber. Auf
Johanna Straubs Debüt nähert sich einem Menschenleben aus vielen Perspektiven.Philippa ist die Heldin dieses Buches, eine Durchschnittsfrau in einem Durchschnittsleben mitten in Deutschland. Ihre Eltern kommen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und sind geprägt vom Aufbruch der späten Sechzigerjahre. Philippa ist Scheidungskind, Studentin, erfolgreiche Frau, endlich Mutter, mutiert abgeklärt zur alten Frau, die dem Enkel eher in dessen Welt folgt als ihm die ihre, vergangene näherbringen zu wollen. Dass diese Allerweltsgeschichte sich nicht dröge liest, ist dem Kunstgriff der
Yasmine Ghatas Roman "Die Nacht der Kalligraphen".Rikkat Kunt starb 1986 am Bosporus und erhielt von der türkischen Regierung ein Ehrengrab als die beste Kalligraphin des Landes. Denn sie hatte trotz der Verbote unter Atatürk die Kunst des Schreibens gerettet, an der Universität unterrichtet und vollkommen erneuert. Diesem außergewöhnlichen Leben geht die französische Enkelin Yasmine Ghata in ihrem ersten Roman nach. Die Schönschrift wird zur Lebensmetapher für die Suche nach Gott, nach dem Absoluten und zur Sucht. Und die Arbeit an perfekten Zeichen gerät zum Geländer, das in
Lily Tucks Roman "Die Geliebte des Diktators" führt nach Paraguay.Die Bekanntgabe der Preisträger des renommierten National Book Award 2006 in der Sparte Erzählende Prosa überraschte alle: die nur wenigen bekannte Lily Tuck konnte mit ihrem Roman News from Paraguay die Jury für sich gewinnen, stach Kollegen wie Joyce C. Oates oder Philip Roth aus. Die schillernde Geschichte ist ihre erste ins Deutsche übertragene - schade, dass man sich für den so reißerischen Titel Die Geliebte des Diktators entschied.Besessenheit, sexuelle Hörigkeit, Hingabe spielen eine Rolle, aber eigentlich geht
Isabel Allende erfindet ihr Heimatland Chile.Neunjährig muss Isabel Allende das erste Mal Chile verlassen, bekommt als Trost eine Weltkarte und Shakespeares "Gesammelte Werke" in die Hände gedrückt. Diese Kombination öffnet ihr die Augen: der Nabel der Welt ist nicht das Heimatland, Santiago nicht die Krone aller Metropolen. Sämtliche Sicherheiten des Kindes lösen sich auf dieser Reise in die Fremde auf, aber die packenden Königsdramen und Liebesgeschichten Shakespeares schenken dem kleinen Mädchen bleibende Zuversicht: Fantasie und gut erzählte Geschichten können einen tröstlichen
Der Irak soll nicht zu einer blutigen Fußnote der Geschichte verkommen. Dagegen richtet sich der Riverbend-Internetblog,der auch in Buchform nachzulesen ist: "Bagdad Burning".Am 17. August 2003 eröffnet die 24-jährige "River" mit "Riverbend" einen Blog im Internet. Sie versteckt sich hinter dem Pseudonym, um sich und ihre Familie zu schützen, denn sie lebt in Bagdad, hat gerade ihren Job als Programmiererin verloren und sieht sich als Akademikerin der Animosität erstarkender Fundamentalisten gegenüber (siehe Die Furche Nr. 13).Ausgezeichnetes Tagebuch2005 erscheinen die ersten zwei Jahre
Meg Mullins schrieb mit "Der Teppichhändler" ein wunderbar mögliches Märchen.Als 2002, in einer Sammlung der besten amerikanischen Erzählungen des Jahres, die Kurzgeschichte, "The Rug" ("Der Teppich") erschien, war die Autorin Meg Mullins nur Insidern ein Begriff, als eine Meisterin der Kleinen Form. Die Welt rund um orientalische Wohnkultur und iranischtürkisches Leben ließ sie jedoch nicht mehr los. 2006 erscheint ihr erster Roman "Der Teppichhändler", ein Debüt, das Kritiker und Publikum begeistert und rasch übersetzt wird, eine überwältigend erzählte Liebesgeschichte, die
Helen Meiers Erzählung "Schlafwandel" ist ein missglückter Tabubruch.Noras Langzeitgefährte ist gestorben, mühsam richtet sie sich in dem neuen Alleinsein ein, vergräbt sich in ihrer Arbeit, stürzt sich in soziales Engagement, schreibt ein Theaterstück, das aufgeführt und sachte verrissen wird. Dem Ausflug in die Kunstszene verdankt sie die Bekanntschaft mit der dynamischen, aufregend anregenden Celestina. Noras Aufbruch zurück in ein neues Leben, an neue Ufer beginnt. Und hier fängt auch das Dilemma dieses Buches an.Zwei ungleiche FrauenNora, das wird erst langsam klar, ist eine
Javier Salinas hat mit "E" ein biografisches Labyrinth kreiert.Wenn man nicht weiß, wer man ist, kennt man seine Geschichte nicht, und dann kann deine Geschichte jede beliebige sein, nur nicht die eigene." E ist ein Mann, der vordergründig das Geheimnis seiner Eltern zu lüften versucht. Voll Ernst legt er dem Leser sein Problem vor: die Mutter, mittlerweile für ihn nicht mehr greifbar, hat sich, so scheint es, durch Europa reisend, von einem Fremden schwängern lassen. Der Vater könnte ein Arzt, ein Hippie, ein Minenarbeiter, ein Soldat gewesen sein. Der Auftakt ist dramatisch, führt ins
Zoya Pirzad stellt in ihrem Roman "Die Lichter lösche ich" Lebenssituationen iranisch-armenischer Frauen vor.Clarisse lebt als armenische Christin, verheiratet und mit drei schulpflichtigen Kindern in der Erdölstadt Abadan am Persischen Golf. Sie vermisst Teheran und ihren Buchhändler, aber sie liebt die grüne Enklave der Firma, in der sie wohnt. Mit muslimischen Iranern hat sie wenig Kontakt, die Araber, bettelarm im Staub direkt am Schatt lebend, gehören einer anderen Welt an. Man pflegt armenische Traditionen, den Glauben, die aufwendige Küche. Die jungen Frauen stecken viel Energie
Renate Welsh pflegt "Die schöne Aussicht" mit einer unspektakulären Heldin.In Rosas Leben ist nichts schön. Sie ist ein Kind, das ungelegen und zu spät kommt, die Schwestern sind schon erwachsen, die Mutter ist überfordert mit dem Vorstadtwirtshaus, der Vater ein stumpfer Mensch und Trinker. Ein allein gelassenes Mädchen, das früh lernen muss, Verluste wegzustecken, Schmerz auszuhalten."Er (der Vater) sei nur froh, daß er der Mutter die blöde Idee ausgeredet habe, das Gasthaus ,Zur schönen Aussicht' zu nennen, ganz abgesehen davon, daß die einzige Aussicht, die man vom Dachfenster
Gabriele Petriceks Erzählband "Zimmerfluchten".Ein nackter Mann öffnet der gerade zugezogenen Nachbarin, die angeläutet hat und mit einem frischen Guglhupf um gut nachbarliche Nähe bittet. Die Situation birgt viele Möglichkeiten. Gabriele Petricek entscheidet sich für eine ganz besondere: Gespräche, die aneinander vorbeigehen, körperliche Berührungen, die kalt lassen, berechnend wirkende Gedanken, die nichts mit Menschen, sehr viel jedoch mit Objekten zu tun haben.In sieben Erzählungen führt die junge Österreicherin aus Wohnungen in öffentliche Räume, eisige Flure, kühle Plätze
Neun Frauenporträts von Evelyne Polt-Heinzl.Immer wieder stößt man auf vergessene Biografien schreibender Frauen, die es verdient hätten, im allgemeinen Wissen verankert zu sein, auf die wir alle stolz sein sollten, weil sie vor hundert, vor fünfzig Jahren so viel für unser Land, soviel für uns getan haben. Evelyne Polt-Heinzl stellt neun dieser sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten vor. Gemeinsam ist ihnen das Bemühen um professionelles Arbeiten, soziales Engagement im weitesten Sinn, Neugier, die Sucht, mit Hilfe der Sprache eine gerechtere Welt zu entwerfen und ihre reale
In dunkle Geheimnisse führt Hamid Sadrs Roman "Der Gedächtnissekretär".Ein alter Wiener Fotograf, durchaus liebenswert und schrullig, plant als krönendes Lebenswerk einen Bildband, der die Zerstörung von Gebäuden, die Vernichtung "kultureller Güter", "kunstgeschichtlich wertvollen Baumaterials" in den letzten Kriegsmonaten zum Thema hat. Nicht die getöteten oder ausgebombten Menschen sollen interessieren, sondern die steinernen Hüllen. Seine Fotos sind sechzig Jahre alt, seine Beine so schwach, dass er jemanden für die Recherche, die Laufarbeit braucht. Denn den historischen
Ein Buch über die enorme Bedeutung des Lesens für Frauen im Iran.Aspekte der Kunst, die wir im freien Westen permanent unterbewerten: Kunst ist eine funktionierende Zuflucht vor Ideologien - weshalb Regimes Kunst kontrollieren. Und Kunst bietet Auswege an - weshalb Diktatoren Kunst fürchten. Bücher können die Welt nicht verändern. Aber gute Texte können einzelne Menschen dazu bewegen, sich zu verändern - und damit tritt manchmal ein Schneeballeffekt ein.Mitte der 90er Jahre konnte und wollte sich die iranische Literaturprofessorin Azar Nafisi nicht länger der Zensur der Mullahs
Ein Bericht aus Christoph Meckels Traumruinen.In sieben Erzählungen und einem Epilog, zum Teil bereits einzeln veröffentlicht, nun aber gebündelt wie ein kaleidoskopischer Episodenroman, führen Christoph Meckels namenlose Helden in eine Welt der Zerstörung und Einsamkeit. Egal ob als Hausmeister verlassener Kasernen, Architekt vor gebrandschatzten Regierungsgebäuden, paramilitärischer Entsorger von scharfen Bomben und Blindgängern, sterbender Beobachter einer endzeitlichen Szene - der Erzähler ist der zum Menschen gewordene versehrte Engel mit gebrochenen Flügeln.Verführt und
"Der Tangosänger", der neue Roman von Tomás Eloy Martínez, kartografiert das Leid und die Schönheit in Buenos Aires.Der New Yorker Bruno Cadogan fliegt nach Buenos Aires, um für seine Dissertation über das Phänomen Tango nicht archiviertes Material, vor allem aber den Sänger Julio Martel kennen zu lernen. Sein eingeschränktes Wissen über die Stadt und ihre Geschichte hat er aus Romanen. Kein Wunder, dass die unvermittelte Realität, sinnliche Dichte, unverhüllte Armut ihn verwirren und faszinieren."Nur eine Stadt, die der Schönheit so sehr abgeschworen hat, kann selbst im Unglück
Jorge Semprúns Roman "Zwanzig Jahre und ein Tag"E s war in Toledo ...", 1956, und der Erzähler - nicht einer, sondern Geflüster aus vielen Ecken, mit Verschränkungen und Verflechtungen, in Rückblicken und Andeutungen - ein Schriftsteller, der Jahrzehnte hinter falschen Namen versteckt, unter angenommenen Biografien und in unterschiedlichen Sprachen gearbeitet hat, schreibt, 80 Jahre alt, das erste Buch in seiner Muttersprache. Jorge Semprún gibt "seine Maske, seine Verkleidung" (Semprún über seine Schreibsprache Französisch in einem Interview Ende 2000) auf und stürzt sich wieder in
Elizabeth Bowen garantiert höchstes Lesevergnügen.Wo immer wir unbewußt empfinden, leben wir." Und wenn wir über die Versionen, unser Leben zu leben, mehr erfahren wollen, dann führt kein Weg an den faszinierenden Studien Elizabeth Bowens vorbei.1899 in Dublin in gesicherten Verhältnissen geboren, wird sie nach dem frühen Tod ihres Vaters gemeinsam mit der Mutter von der Verwandtschaft in Südengland herum- und abgeschoben. Nach dem Ersten Weltkrieg beginnt sie ein Kunststudium, bricht ab, verschreibt sich der Literatur und der literarischen Bühne in London. Bereits die erste
Eine wissenschaftlich erarbeitete Biografie-Collage zu William Shakespeare.Wie fühlt sich über Jahre hinweg ungestillte Sehnsucht an? Wie sehr treibt Ehrgeiz? Wie weit prägt der Hunger nach erzählbaren Geschichten den Alltag? Wie ist das, Angst haben zu müssen? Wie lebt es sich im Schatten der Galgen, umgeben von Spitzeln, und wie entsteht aus alledem Kunst?Stephen Greenblatt, der fundierte Kenner der elisabethanischen Welt, stand vor dem Problem, einen Schriftsteller, der über Jahre hinweg nur in seinem Werk aufspürbar ist, als lebendigen Menschen, historisch fundiert, wissenschaftlich