Zum Dossier. Letzten Dezember, da waren wir wieder wer. Der Nabel
der Europäischen Union, immerhin. Der EU-Gipfel als Revival von
1815, Wiener Kongreß II. Die Karawane ist längst weitergezogen. Wien
ist wieder so anders wie immer. David Axmann nimmt dieses Anderssein
kritisch unter die Lupe, Christoph Chorherr lobt im Furche-Interview
Michael Häupl, Johann Strauß und die Osterweiterung, und Albert
Brandstätter hellt eine urbane Schattenseite auf: Armut
Der Mensch ist phylogenetisch ein Jäger und Sammler.” Der Satz gefällt mir nicht. Ich habe ihn zum ersten Mal im Gymnasium gehört, und zwar in der Naturgeschichtsstunde. Er hat mir (ich erinnere mich genau) schon damals nicht gefallen.Das ist nicht verwunderlich; mir hat nämlich alles mißfallen, was ich in der Naturgeschichtsstunde gehört habe. Schuld daran war Professor N., unser Naturgeschichtslehrer. Er war ein kleiner, grauhaariger, vitaler Mann, der sich gern reden hörte und keinen Widerspruch duldete.Ich konnte den Herrn Professor N. nicht leiden. Denn er war ein lästiger
Anton Kuh spielt in der Kulturgeschichte unserer lokalen Neuzeit eine merkwürdige Rolle: Wiewohl er den Typus des idealen Wiener Literatencafe- Stammgasts verkörperte, war er ein untypischer Kaffeehaus-Literat. Ein Literat nämlich, der lieber redete als schrieb; der aus dem Stegreif Aphorismen, Feuilletons, ja sogar Essays produzierte. Er war eben ein meisterhafter „Sprechsteller“.Glücklicherweise aber hat er etliche seiner geistreichen Gedanken und Geschichten zur Schrift- Sprache gebracht; und wenn auch (wie Ohrenzeugen glaubhaft versichern) seine Niederschriften bloß einen
„Der Mensch ? ist phylogenetisch ein Jäger und ! Sammler.“Der Satz gefällt r mir nicht. Ich habe ihn zum ersten Mal im Gymnasium gehört, und zwar in der Naturgeschichtsstunde. Er hat mir (ich erinnere mich genau) schon damals er nicht gefallen.Das ist nicht,verwunderlich; mir hat nämlich alles mißfallen, was ich in der Naturgeschichtsstunde gehört habe. Schuld daran war Professor N., unser Naturgeschichtslehrer. Er war ein kleiner, grauhaariger, vitaler Mann, der sich gern reden hörte und keinen Widerspruch duldete.Ich konnte den Herrn Professor N. nicht leiden. Denn er war ein
(Burgtheater, Wien) „Ihr habt's getroffen und kennt, so scheint's, des Kaisers tiefste Meinung", spricht Kiesel zu Erzherzog Leopold im zweiten Akt. Ich spreche also nach dem fünften Akt zu Lindtberg Leopold, der den „Bruderzwist im Hause Habsburg" im Burgtheater inszeniert hat. Des Kaisers tiefste Meinung aufs klarste zur Anschauung zu bringen, den Herzensstreit des männlich-müden Herrschers in den Mittelpunkt der hochpolitischen Aktionen zu stellen, war des Regisseurs Absicht, welche glückte. Vornehmlich dank der makellosen Leistung Romuald Peknys: Er ist Monarch und
Hie und da glücklich sein, das trifft bald einer. Das dauerhafte Glück aber hat nur der Tüchtige. Rudolf Henz hat es. Schon das war ein Glück (für uns), daß er am 10. Mai 1897 in Göpfritz/Wild geboren wurde. Sein ernster, energischer Charakter, in den klaren Lüften des Waldviertels gereift, sein im Schatten des Nordwalds erblühter Schaffens- und Tatendrang haben sein Leben von Haus aus bestimmt, von Grund auf geprägt. Der junge Henz besucht das Erzbischöfliche Knabenseminar in Oberhollabrunn, muß nach der Matura drei Jahre lang harten Kriegsdienst leisten. Dann studiert er an der
Was Ovid für das lateinische Altertum gewesen, das ist für die österreichische Gegenwartsliteratur Peter Marginter, nämlich: ein Meister der Metamorphose. Ein poetischer Verwandlungskünstler.Seiner Phantasie entspringen allerlei seltsame Kunstfiguren, die, von transformatorischen Sprungfedern bewegt, mit artiger Eleganz ihre Schicksalspfade durch den dichten Garten der Romanhandlung beschreiten. Unterwegs treiben sie zudem so manche amüsante oder amouröse Spiele mit den just nicht alltäglichen Möglichkeiten der menschlichen Selbstverwirklichung.Solches ereignet sich, wie natürlich,
Das letzte Buch des vor kurzem verstorbenen Jean Amery ist einem einfachen Mann gewidmet, der zeitlebens im Schatten seiner hochberühmten Frau gestanden ist: dem Landarzt Charles Bovary. Dem redlichen, gutmütigen und gutgläubigen Gatten der faszinierenden Madame Bovary, die ihn nach Herzenlust betrogen hat. Amery beweist Mut. Er ergreift die Partei des Unglücklichen, der von seinem literarischen Schöpfer mit Spott und Verachtung bedacht worden ist. Jean Amery zieht Gustave Flaubert zur Rechenschaft. Er attackiert dessen hochmütig-misanthropische Erzählerwillkür, welche in der naiven
Peter Stephan Jungk, geboren 1952 in Santa Monica/Kalifornien, 1957 nach Wien übersiedelt, 1974 bis 1976 am American Film Institute in Los Angeles tätig, zur Zeit in Salzburg lebend, „ist die Gewohnheit eigen, morgens, sofort nach dem Erwachen, Erinnerungen an Traumfragmente der vergangenen Nacht aufzuzeichnen“. Auf der Grundlage dieser Notizensammlung hat er sein erstes Buch - „Stechpalmenwald“ -aufgebaut.„Die brüchige Wirklichkeit“ Hollywoods ist der Hauptgegenstand seiner nächtlichen Visionen; in zwölf „drehbuchähnlichen“ Erzählungen versucht er, seinen Kindheits- und
„Mit zwölf Jahren habe ich mein erstes Gedicht geschrieben. Von diesem Augenblick an wußte ich, daß ich Dichterin werden wollte.“ Ich glaube es ihr aufs Wort. Denn Jeannie Ebners Wort ist getragen von dem unbedingten Anspruch nach Wahrhaftigkeit. Sie hat keine Starallüren. Sie macht sich und der Welt nichts vor. Sie wollte eine Dichterin werden, und sie ist es geworden. Allen Schwierigkeiten zum Trotz, alle Hindernisse überwindend.Wir sitzen in dem kleinen Redaktionsraum im Palais Palffy, der zehn Jahre lang ihr literarisches Hauptquartier war. Seit 1968 hat sie hier mit
Die offiziellen Kunstrichter seiner Heimat halten den polnischen Science-fiction-Autor Stanislaw Lern offensichtlich für einen harmlosen Humoristen. Sie ziehen aus dem Umstand, daß er sich nicht mit aktuellen politischen Fragen, sondern mit zukünftigen Pilotenproblemen beschäftigt, den Schluß, daß er mit der kommunistischen Gegenwart einverstanden sei.Verbirgt sich aber Lems Kritik nicht gerade darin, daß er seinen grenzenlosen Optimismus in die Menschennatur nicht hier und heute, sondern in ferner Zeit- und Welträumen entwickelt? Die turbulenten kosmischen Abenteuer des Astronauten
Peter Tyran und „Pokus“ haben miteinander ein inniges Verhältnis. „Pokus“ (d. h. „Versuch“) ist eine neue kroatische Kulturzeitschrift aus dem Burgenland, und Peter Tyran ihr glavni urednik, d. h. ihr Chefredakteur. Er stammt natürlich aus dem Burgenland, und zwar iz Novoga Sela (aus Neudorf), studiert an der Wiener Universität Anglistik und Slawistik, besitzt Tatkraft, Unternehmungsgeist und eine gehörige Portion Idealismus, also die notwendigen Voraussetzungen, um als Versuchs-Leiter zu fungieren.Die Aufgabe, die „Pokus“ sich gestellt hat, ist eine überaus wichtige. Die
Amerikaner, ausgerüstet mit japanischen Photoapparaten und touristischen Ambitionen, treten in Wien zumeist in Gruppen auf und finden alles „lovely“. David Bronsen jedoch, Professor für Germanistik in St. Louis/Missouri, ist ein hagerer, wendiger Einzelgänger. Als er vor Jahren zum ersten Mal in Wien weilte, lernte er das Werk des österreichischen Romanciers Joseph Roth kennen; er war davon so fasziniert, daß er Roth in den Mittelpunkt seines wissenschaftlichen Tätigkeitsbereichs stellte. Und er verfaßte, die langwierigen Recherchen und mühsamen Nachforschungen nicht scheuend, die
„Sie hatten sich, Skeptiker, die sie waren, naturgemäß der, wie sie sich, kaum da, wo das Fernrohr montiert gewesen war, angekommen, immer wieder vorgesagt hatten, einzigartigen Schönheit dieses Hochgebirges nicht entziehen können“, lautet ein Satz in Thomas Bernhards neuem Erzählband mit dem Titel „Der Stimmenimitator“. Sogar erfahrene und im Umgang mit Fernrohren geschulte Alpinisten werden Mühe haben, sich durch Bernhards zerklüftete Sprachlandschaft, die von seinem düsteren Lebensgefühl ironisch überschattet wird, in höhere Gedankenregionen emporzulesen. Wie leicht kann
Ein echter Wiener, net wahr, der geht bekanntlich nicht unter, denn er treibt im Strom der Zeit gemütlich dahin, raunzend und klagend, daß man halt nix machen kann. Dem Wiener Schauspieler Heribert Sasse - er wurde im 5. Bezirk geboren, ist der Enkel des letzten Hofkapellmeisters und kann den Margaretener Dialekt auch in Klassikeraufführun- * gen nicht ganz verleugnen -„mundelt“ die hierorts beliebte latsche Lebensweise jedoch nicht. Er folgt dem Grundsatz: Es muß etwas geschehen. Und weil ihm nicht genug geschieht, macht er halt selber so allerhand und auf diese Weise von sich reden.
Ja, die Zeit ändert viel. Dieses unerschütterliche Naturgesetz befördert nicht allein die (so oft erschütternde) Entwicklung des privaten wie des politischen Lebens, es gelangt auch im Bereich der Kunst zu enormer Wirkung. Der Lauf der Literaturgeschichte zum Beispiel ist einem steten Wechsel unterworfen; sie folgt mit schöner Regelmäßigkeit der gerade vorherrschenden Zeitströmung und schlägt, sobald deren Schwung am Widerstand einer neuen Tendenz erlahmt, unverzüglich die nun eine Zeitlang maßgebliche und zielführende Richtung ein.Rudolf Henz, am 10. Mai 1897 in Göpfritz
Milo Dor ist ein vorzüglicher Romancier und ein vorbildlicher Zeitgenosse. Er trinkt gern (vor allem Wodka), er raucht gern (vor allem Zigarren), er spielt gern Karten (vor allem Poker), er ist ein Kaffeehausfreund, liebt die nächtlichen Spaziergänge mit seinem Hund Charly und behauptet: „Die Rebellion ist die einzige Lebensform, die heute noch möglich ist!“Trotzdem ist er kein Rebell. Dazu fehlen ihm der Fanatismus und der Glaube, es könnte alles besser werden. Den unheilbaren Skeptizismus hat er sich wohl in Wien geholt, wo er seit mehr als 30 Jahren lebt - und schreibt. Dem