Der Prager Dichter Rainer Maria Rilke hat, •us dem Urgrund des böhmischen Denkens heraus, die unnachahmliche Formulierung für Jenen Grundsatz gefunden, der seit einem Jahrtausend böhmisches Denken und böhmische Geschichte bis heute beherrscht und eben wieder die Erklärung dafür gibt, warum es in diesen unseren Tagen in Prag zu keinem Aufstand gekommen ist, sondern die Moldaurepublik völlige Ruhe bewahrt hat. „Wer spricht von Siegen”, heißt der Grundsatz, „überstehen ist •lies.’Es ist die Lebensphilosophie eines kleinen, schwachen Volkes, das nicht von vielen Freunden
Am 24. Mai 1934 schritt die tschechoslowakische Nationalversammlung im Wladi-slawschen Saal der Prager Burg zum viertenmal seit Bestand der Republik zur Wahl des Staatsoberhauptes. Von den 418 abgegebenen Stimmzetteln waren 53 leer, 327 lauteten auf den Namen Thomas Garrigue Masaryk und 38 auf den Namen des Führers der Kommunistischen Partei, Klement Gottwald. Die Wahl war ein eindeutiger Sieg Masaryks und eine eindeutige Niederlage Gottwalds. „Masaryk, nicht Lenin“, hätte über dieser Wahl stehen können.Der unterlegene Kandidat konnte dem Sieger, wie es in demokratischen Ländern
DAS ANTLITZ DIESER STADT wurde geformt durch das Schicksal, das sie zwischen zwei Hügeln entstehen ließ. Denn jeder dieser Hügel drückt symbolhaft Gesetz und Macht aus, mit denen versucht wurde, diese Stadt zu beherrschen und durch diese Stadt das Land, dessen Herz sie ist.Zwei Hügeln: der eine im Westen der Stadt, der andere im Osten. Der Hügel im Westen: der Hradschin. Mit dem Dom zu St. Veit, der kaiserlichen Burg darum, den Klöstern, den Kirchen, den Palästen, den Bürgerhäusern. Eine ungeheure Vielfalt, von den Stilarten angefangen, ein ungeheurer Individualismus. Und dennoch der
Noch werfen die Bogenlampen ihren trüben Schein in die Halle des großen Prager Bahnhofs. Es ist zeitlich am Morgen und der kommende Tag liegt nur wie eine Ahnung in der Luft. Der Zug rollt endlich aus der Halle, kriecht durch die schwarzen Mauern der Stadt und erreicht das Freie. Bummelt dann endlos, als gäbe es kein Ziel, durch die böhmische Landschaft. Es wird langsam Tag. Station reiht sich an Station. Endlich ein kleiner Bahnhof, zum Unterschied von allen früheren sehr modern und sauber, mehr Empfangspavillon als Bahnhof. „Lany“ steht in großen Buchstaben auf der Front. Die
Die Sonne brannte noch heiß vom Himmel, obwohl man schon Oktober schrieb, den 5. Oktober 1938. Keine Wolke stand am Firmament, kein Windhauch wehte über die Stoppelfelder. Regungslos hing das goldgelbe Laub an den Bäumen, in deren Ästen sich manchmal ein Strohhalm von heimkehrenden Erntewagen verfangen hatte. Weit draußen hob sich der Kamm des Erzgebirges sanft vom Horizont ab. Eine unendliche Milde lag über der Landschaft. Aber niemand von den Menschen, die hier am Bahnhof saßen oder standen und warteten, bemerkte etwas davon. Ihre ausdruckslosen und erloschenen Gesichter zeigten nur
In einem kleinen Gasthaus in der Nähe von Prag wurde im Jahre 1878 der erste sozialistische Verein tschechischer Arbeiter gegründet. Aus dem kleinen Verein entwickelte sich bald eine mächtige Partei, der im Verlauf der Jahrzehnte Hunderttausende und Millionen von Tschechen ihre Stimme gaben, in der Hoffnung, daß ihre Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit dadurch verwirklicht würden. Am 24. Juni 1948, fast genau sieben Jahrzehnte nach der Gründung des ersten Arbeitervereines, ist dieses machtvolle Instrument der Politik durch einen Entschluß der eigenen Parteileitung ausgeschaltet
Als František Palacky am 14. Juni 1798 in einem kleinen mährischen Dorf als Sohn eines Lehrers geboren wurde, gab es praktisch kein tschechisches Volk, das Träger einer Geschichte gewesen wäre. Heute, hundertfünfzig Jahre nach seiner Geburt, scheint das tschechische Volk wieder als Subjekt aus der Geschichte zu verschwinden, um nur mehr Objekt der Politik zu sein. Aber innerhalb dieses Zeitraumes liegt der Aufstieg einer kleinen Nation zu materieller, kultureller und politischer Selbständigkeit, der beispiellos und ohne Parallele in der Geschichte Mitteleuropas ist.Als Palacky geboren
Vor kurzer Zeit wurde am ehemaligen Prager Wohnhaus des tschechoslowakischen Generals Eliasch eine schlichte Gedenktafel enthüllt, eine Erinnerung an die Vorübergehenden, daß dieser Soldat sein Leben für die Freiheit des tschechischen Volkes dahingab. General Eliasch war bis zum Jahre 1941 Vorsitzender der tschechischen Protektoratsregierung. Im Frühherbst dieses Jahres wurde er von den Deutschen verhaftet und wegen „Hochverrat“ gegen das Dritte Reich zum Tode verurteilt; das Urteil wurde nach dem Attentat auf Heydrich im Juni 1942 vollstreckt. Es hat seine besondere Bedeutung, daß
„Sie fragen nach meinen Ansichten über die gegenwärtige Epoche der böhmischen Geschichte? Das heißt, Sie wollen wissen, was ich als tschechischer Katholik, noch mehr, als tschechischer katholischer Priester zu jenen Ereignissen sage, die sich seit ungefähr anderthalb Jahren hier abspielen?“ Der alte Propst schwieg einen Augenblick. Seine Augen wanderten zum Fenster, blickten hinaus. Schwere Dezembernebel schlichen langsam und unheimlich über die Dächer der Häuser, die zum Fenster hereinblickten, und über die kahlen Bäume, die das Ufer des Flusses säumten. Kein Sonnenstrahl