Alle Parteien reklamieren die „Mitte“ für sich; genauer: alle Parteien buhlen um die Mittelschichte, die in Österreich annähernd zwei Drittel der Bevölkerung umfaßt: die Facharbeiter, die Angestellten, den Mittelstand des selbständigen Gewerbes und Handels, die Bauern und schließlich die freiberuflich Tätigen. Diesen Gruppen ordnet man das Bekenntnis zu den sogenannten „bürgerlichen Werten“ zu: die Hochschätzung von Arbeit und Leistung; die Bereitschaft zu sparen, Eigentum zu erwerben, ein bescheidenes Vermögen zu vermehren; die Bejahung von „natürlichen“ Unterschieden zwischen Menschen, die keine Politik zu beseitigen vermag; vice versa: die Aversion gegen alle Arten des Gleichheitswahnes; der Glaube an die Möglichkeit des Aufstiegs; das Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung; die mehr oder minder starke Zustimmung zu den geltenden Normen von Sitte und Anstand; ein Konservativismus, der Reformen grundsätzlich bejaht, aber wissen will, wohin denn eigentlich die Reformreise gehen soll.
604.000 neue Wohnungen müßten bis 1985 in Österreich gebaut werden, um den quantitativen und qualitativen Wohnungs-Fehlbestand abzubauen. Dies ist das Ergebnis einer im Auftrag des Bautenministeriums von einer Arbeitsgemeinschaft unter Leitung von Gerhard Bruckmann gemachten Untersuchung über „Österreichs Wohnungsbedarf bis 1985“. Diese Untersuchung berücksichtigt sowohl die leicht schrumpfende Bevölkerungsentwicklung als auch das steigende Anspruchsniveau der Österreicher und ihr von immer höheren Einkommen stimuliertes Interesse an Zweitwohnungen.
Seit dem Spätherbst 1975 zeichnet sich eine sehr leichte Belebung der österreichischen Konjunktur ab. Das Wirtschaftsforschungsinstitut verbreitete damals die Hoffnung, daß die österreichische Wirtschaft 1976 um etwa 1 Prozent wachsen werde. Dieser Tage wurde diese Prognose vom Wirtschaftsforschungsinstitut nach oben revidiert: auf 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum, wenn sich die Hoffnungen auf eine stärkere Belebung — vor -allem der Exporte — erfüllen.
Die wirtschaftlichen Probleme unseres Landes werden nach dem Wahltag am 5. Oktober 1975 ganz bestimmt nicht kleiner und leichter. Im Gegenteil: schlecht ausgelastete Kapazitäten werden Unternehmen veranlassen müssen, weitere Arbeitskräfte freizustellen. Denn die aktuelle Arbeitslosenrate von 1,8 Prozent widerspiegelt die tatsächliche Situation — vor allem in der Industrie — noch lange nicht (die erste Herbstlohnrunde für rund 900.000 Arbeitnehmer wird den Belastungsdruck der Wirtschaft auch nicht mildem); die Verhandlungen um die Regierungsbildung, die bis zum 22. Oktober notwendige
Im Wirtschaftsforschungsinstitut fürchtet man für das kommende Jahr ein Abgleiten Österreichs in eine Stagflation, falls ungünstige Voraussetzungen Zusammentreffen: eine Verschärfung der staatlichen Budgetsituation, sinkende Exportzuwachsraten und weiter steigenden Lohndruck samt hohen Inflationsraten.Diese ungünstigen Voraussetzungen mehren sich: im laufenden Jahr dürfte sich das Budgetdefizit der 30- Milliarden-Schilling-Marke nähern, die österreichischen Exporte sind teilweise stark rückläufig, die Bauarbeiter wollen 16,8 Prozent höhere Löhne (in der Bundesrepublik erhielten
Anfang April 1974 schrieb das Grazer SPÖ-Organ „Neue Zeit“, daß in Regierungskreisen (wieder einmal!) eine Schilling-Aufwertung zur Diskussion stehe; in der Karwoche, am 10. April 1974, platzte die der Begierungspartei nahestehende „Kronen-Zeitung“ mit der Meldung heraus, daß der Schilling schon in nächster Zeit aufgewertet werde. In der Folgezeit legten Vertreter der Industrie, der Export-, ebenso wie der Fremdenverkehrswirtschaft ihr Veto gegen eine solche wirtschaftspolitische Maßnahme ein. Ihre Argumente gingen unter: am 16. Mai 1974 diktierte die Bundesregierung nach einer Sitzung des sozialistischen Parteivorstandes (!) der autonomen Nationalbank und ihrem Präsidenten Kloss das Ausscheren des Schillings aus der sogenannten europäischen Währungsschlange; das kommt einer De-facto-Aufwertung des Schillings um 3 Prozent gleich.
In knapp acht Wochen, am Sonntag, dem 23. Juni, findet in Österreich eine Volksabstimmung über die Person des Mannes, der in den nächsten sechs Jahren Bundespräsident dieses Landes sein wird, statt. Wiewohl heute schon feststeht, daß nach den sozialistischen Funktionären Renner, Körner, Schärf und Jonas zum erstenmal in der Geschichte Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg ein Nicht-Parteimitglied der SPÖ Bundespräsident wird, handelt es sich bei dieser Wahl auch in unserer mit so vielen (wichtigen) Wahlen angereicherten Zeit wohl um die politischste Abstimmung, die in den letzten
Je höher die Preisfiut steigt, desto großer wird die Versuchung, die Flucht in den Preisdirigismus anzutreten. Gar nicht deshalb, weil davon Erfolge zu erwarten wären, sondern weil ein, erstaunlich großer Teil der Bevölkerung in verständlichem Ärger über die hohen Inflationsraten — in Österreich dürfte die 10-Pro-zent-Grenze im April überschritten werden — für ein bürokratisches Verbot weiterer Preiserhöhungen eintritt.
Ohne besondere Mühe läßt sich beweisen, daß seit 1953 in Österreich die meisten Maßnahmen zur Milderung der Lohn- und Einkommensteuerprogression wahltermingebunden waren und eigentliche hie den konjunkturpolitischen Postulaten (Steuersenkung in der Rezession, Steuererhöhung in der Prosperität) entsprachen. Oberflächlich betrachtet, bestätigt auch die Forderung, die Steuerprogression per 1. Juli 1974 zu mildern, diese Regel. Denn die Wirtschaftsprognosen besagen, daß die relativ günstige Entwicklung der österreichischen Wirtschaft in diesem Jahr vor allem von der hohen Zuwachsrate des privaten Konsums stimuliert wird. L^tfiHfl