Nach mehr als sechzig Jahren habe ich ein hochberühmtes, überaus geliebtes Buch wieder gelesen, das ich nicht nennen möchte, weil ich seinen Dichter weiter liebe. Denn ich muß gestehen, daß es mich trotz seiner makellosen Prosa und vieler un-vergeßbar schöner Augenblicke so enttäuscht hat, wie ich es nie geahnt hätte. Es sind Aufzeichnungen eines jungen einsamen ausländischen Dichters, der in einer Weltstadt zu leben versucht, aber von seiner Umgebung und seinen Begegnungen, die er genau schildert, so gepeinigt wird, daß es zuweilen den Anschein hat, diese Leiden seien eingebildete
Hochwürden, wenn wir gestorben sind, was geschieht mit- unserer Seele? Ist sie sogleich im Jenseits oder muß sie auf das Jüngste Gericht warten?„Ich weiß es nicht.“Wäre meine Frage darum unbeant-wortbar, weil es ja doch für die Seele weder Zeit noch Raum mehr gibt? Also verginge keine Zeit von dem Augenblick unseres Todes an bis zum Jüngsten Gericht, und ebenso verhielte es sich mit dem Himmel, der nur raumlos geahnt werden kann?„Ich weiß es nicht.“Das ewige Leben, das uns verheißen ward, muß aber doch irgendwie auch in Zeit und Raum vorgestellt werden?„Nach unserem
Die Garderobe der Tanzschule in der Akademie. Dämmerabend im Frühherbst In einer Ecke sitzt Philippa, eine junge Tanzschülerin, bei einem roten Wandlicht über ein Buch gebeugt, das sie hingegeben liest.Nach einer Zeit wird der Vorhang auseinandergehoben und M elitas blonder Kopf lugt herein.MeliUWo steckt sie? — Ah — (tritt ein)! Was tut sie denn da so spät?Philippa(liest;MelitaPhilippa! — Sie hört nicht. — Mir scheint: sie liest. Und in was für einer untänzerischen Haltung! Spielt sie? Oder ist sie wirklich versunken? — Philippa! Was liest du denn wieder so
Wer je, verbannt, in fremdem Land gedarbt,Sich sehnend nach der Heimat, die verwehrt war,Weiß mehr als die zu Hause Gebliebenen,Was ein Mann fühlen muß, dem, heimzukehren,Das eig’ne Volk versagt. Warum? Weil er Entstammt dem Erzhaus, das sechshundert Jahre Über uns herrschte und uns gleichwohl diente;Dem wir verdanken, was wir Fremden gern Mit Stolz und Ehrfurcht zeigen; aber wenn wir Gerecht sind, dürfen wir des Leides nicht Vergessen, das uns Habsburg auch bereitet,Nicht nur durch Kriege. Doch empfingen wir Nicht Leid von allem, was uns hier begegnet?Nicht von den Eltern selbst, von
Ein jüngerer österreichischer Lyriker, Robert J. Koc, gibt seit einiger Zeit eine Serie schöner Hefte heraus, die er, picht ohne Anklang an Stefan George, „Blätter für das Wort“ nennt und in denen er eigene Gedichte und die seines Freundeskreises darbietet. Der Sinn für das Schöne wird hier erfreuend wieder offenbar. Das bisher letzte Heft möchte ich besonders anzeigen, weil es eine literarische Entdeckung bekannt gibt, die fortan in der Geschichte der Weltliteratur nicht mehr übersehen werden kann.Nun muß eines Mannes gedacht werden, von dessen Erdenweg und vielfachem,
Eine österreichische Zeitschrift müßte die Elemente unseres verringerten Landes widerspiegeln: die Alpen, die Donau, die Seen, den Granit des böhmischen Mittelgebirges, die überkommene Religion, die Musik, die hohe wie die leichte, die gotischen Dome, die barocken Kirchen und Paläste, das geistige Erbe, die Heiterkeit wie die Schwermut, das verborgene und sich schenkende Gut des Volkstums Sie müßte die Werte der Vergangenheit bewahren und das Zukünftige so ahnen, als ob es noch durch Maria Theresia gestaltet werden sollte.Allem diesem hier Angedeuteten hat „Die Furche“ immer zu
Die Geschichte des heiligen Alexius hat Goethe in der „Schweizer Reise“ erzählt. Der Jüngling, den seine Eltern, nach altrömischem Brauch, mit einem ihm seit der Kindheit bekannten Mädchen verheiratet haben, flieht, um ein frühes Gelübde der Keuschheit zu erfüllen, noch vor dem Hochzeitsmahl in das Heilige Land, darin er viele Jahre einsam lebt. Aber die Sehnsucht nach der Heimkehr, nach den Eltern, nach der Braut, verläßt ihn nicht und wird zur Reue. Wir bringen die zweite Szene in der sein weltlicher Wunsch überwiegt.(Am See Oenezareth. Links Im Hintergrund zwei alte verfallene
Durch das Dorf im Abendgang Sah ich, wie in einem Garten Nonnen Heu zusammenscharten. Mit den braunen Rechen lang.Mich ergriff es voller Sinn, Diese dunklen Himmelsfrauen Bei der Erde Dienst zu schauen. Und ich stand und sah nur hin.: Wie vom grünen RasenlandIi • - 8. 'Sich die schwarzen Kleider hoben, Wie sie ihre Rechen schoben, Mit der ungewohnten Hand!Und ich sagte mir: Wer weif)! — Engel schreiten neben ihnen. Um sie her, mit sanften Mienen, Bilden Heilige einen Kreis.Und auf diesem Garbenbund Sitzt, bekränzt mit Mohn und Winde, Wohl die Jungfrau mit dem Kinde, Hold ein Lächeln um
Der Knabe lag krank in dem großen Bett des Vaters. Es tat wohl, krank zu sein: denn das Fieber ließ die Geräte und Möbel, die ihm seit je lebten, zugleich fremder und vertrauter erscheinen. Er wußte, welche ihm gutgesinnt waren und welche ihm heimlich übel wollten, und auch, wie sie zueinander standen, ahnte er. Zwischen der Uhr und dem Spiegel erkannte er eine alte Feindschaft, die er gerne versöhnt hätte; die des lichteinladenden Fensters gegen die abhaltende Türe aber schlichtete kein Schiedsspruch. In der Fensterecke kauerte er zuweilen, wenn er gesund war, und genoß darin das
wieder einen Baum geschmückt und warte wieder, wie einst, auf die Kinder. Sie haben seit damals hier keinen mehr gesehn.Habe ich Unrecht getan, die Freude so lange von hier zu verbannen, oder tue ich Unrecht, sie nun wieder einzulassen? Muß ich das wirklich fragen? Meine Trauer, du weißt es, sie War kein Trauerspiel? Wie du starbst, nicht weil du eine Idee erfüllen wolltest, sondern sie erfüllen mußtest, weil dein Wesen selbst diese Idee war, so mußte auch ich kraft meines Wesens um dich trauern. Es war Natur, und darum soll meine Trauer nun auch Früchte tragen.„Laßt uns den Tod
Ein neues Heft der Shakespeare-Übersetzung von Theodor von Zeynek ist in der Salzburger Stifter-Bibliothek erschienen: „Troilus und Cressida“, die merkwürdig tiefe Komödie, die ich seit langem nicht gelesen hatte. Da ich mich wieder nach Troja begab, freilich nach einem, das von dem Homers zweieinhalbtausend Jahre entfernt liegt und dennoch das Homers ist — wie durch Schliemanns Ausgrabungen mehrere Schichten Trojas nach vielen Zerstörungen entdeckt wurden —, verwunderte mich eine ästhetische Einsicht, die nicht abgeleugnet werden konnte. Die Helden Homers erscheinen auch hier,
Noch bevor ich in die Volksschule kam, führte mich mein Großvater in das Naturhistorische Museum und zeigte dem staunenden Kind die ausgestopften Tiere und Vögel. Den Löwen, den Tiger, den Panther, die ich in Schönbrunn lebendig gesehen, konnte ich nun, da sie sich nicht bewegten, genau betrachten, und so den Adler, der sich von den Menschen wegwendet, und viele andere, noch nicht erblickte Geschöpfe durfte ich bewundern. Seither bin ich nur selten in das Naturhistorische Museum gegangen, weil mich das Kunsthistorische zu sehr anzog. Aber jetzt, da ich selbst im Alter meines Großvaters
Hast du sehr Heimweh heute?Ja.“Und willst doch Österreich nie mehr sehn?„Das irdische nicht. Aber das himmlische!“Ach, werden dort Die Alpen so mit Wäldern rauschen?„Grüner,Als über Finstermünz und Franzensfeste, Und lichter leuchten ihre Gipfelhalden Als je das Karls-Eisfeld und die Pasterze Weißbläulich stürzen Wildwasser von Sternen. Wein fließt mit in der Donau, und im Marchfeld Ernten sie Hostien. Wie geweihte Kerzen Brennt Herz um Herz ab auf dem wundertätigen Opferstock in Sankt Stephan. Oh, wer dies Weiß und nicht weint, den nimmt kein Engelsschiff In Melk an Bord
In seinem neuesten Roman „Herbst des Reiches“, der vor kurzem im Otto-Walter-Verlag in Ölten erschienen ist, hat der österreichische Dichter Felix Braun an Hand der Schicksale einer Wiener Familie die letzten Friedensjahre der Habsburgermonarchie, die Zeit des Krieges und die ersten so schrecklichen Nachkriegsjahre, zu zeichnen vermocht. Das folgende Kapitel ver-öffentlicht die „Furche“ aus dem genannten Werk, da sich wieder jener Tag nähert, an dem vor vierundvierzig Jahren der Weltbrand begann.
DIE DONAUEinsame lieben Einsames. Ungern duldest Du der Menschen Siedlung an deinen Ufern. Selbst von unserer Stadt wegwendest du dich: Einen deiner Söhne, den du bald heimrufst, Gönnst du ihr zur Tröstung für ihr Entbehren.Wilde Auen liebst du, dürstende Bäume, Die sich niederbeugen zu deiner Welle. Liebst die blaue Anchusa, liebst die Liane, Liebst der Wasservögel Flug, die schwere Schwingen netzen, schreiend, in deinem FluthauchUrvolkes Sagen ahnst du. Aber unter Der Jahrhunderte Brücken stetig wallst du Ohne Zeit-Erinnerung. Vergessen,Schwand dir, was vor Wagram geschah, doch immer
Wer als Kind in einer Wiener Schule Landkarten gezeichnet, wird sich des Glücks entsinnen, das die Gestalten der Kronländer beim Anschauen und Nachziehen ihrer Konturen ihm bereitet. Niemals wird er die Grenzfiguren des heutigen Tirol und der Steiermark anders als mit dem schmerzlichen Empfinden einer Verstümmelung wahrnehmen können. Wie schön senkte sich Tirol nach dem Süden, zu beiden Seiten der Etsch folgend, bis an den Gardasee und die italienischen Alpen hin; Vorarlberg, noch nicht davon getrennt, bildete mit an der reinen Gestalt, welche das horizontale Kärnten mit dem nach Westen
In dem kleinen, vornehm gehaltenen, von neuzeitlichen Bildern oder Handzeichnungen behangenen Kunstsalon des Buchhändlers Hugo Heller auf dem Bauernmarkt hatte ich bereits mehrere Dichter vorlesen hören. Hier lasen fast alle, jungen Dichter Wiens, außer mir, der vergeblich auf eine Einladung des Buchhändlers wartete; aber sie erfolgte niemals. Eines Tages hieß es, daß auch Rainer Maria Rilke an dieser Stätte erscheinen werde, und bald bestätigte die Zeitung die große Nachricht. Also würden wir den Dichter persönlich sehen, hören, vielleicht kennenlernen dürfen. Der Buchhändler