Volle zehn Jahre, von 1945 bis 1955, dauerte das Exil des Burgtheaters in der Himmelpfortgasse. Sechs davon standen unter der Leitung von Josef Gielen, der nach seinem zehnjährigen Exil in Südamerika nach Wien berufen wurde. Dort wohnte er zwar in den unversehrt gebliebenen Räumlichkeiten der Burgtheaterdirektion am Ring, als Direktor amtiert hat er jedoch ausschließlich im Ronacher. Der Gedanke, daß dort einmal der große Heinrich Laube residiert hat, mag für Gielen in Anbetracht der räumlich beengten und technisch unzulänglichen Zustände im Ronacher nur ein magerer Trost gewesen sein.
In Kürze erscheint das neue Burgtheaterbuch von Fred Henninga mit dem Untertitel „Des Hauses und meine Wandlungen“. Es ist eine Darstellung der persönlichen Entwicklung des Autors und der künstlerischen Geschehnisse im Burgtheater in der Zeit vom 11. März 1938 bis zum Ende des Jahres 1971. Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Zeitgeschichte, darüber hinaus jedoch viel mehr: ein menschliches Dokument und ein von Toleranz und Altersweisheit diktierter Bericht von einem Autor, den wir als Künstler, Wien-Kenner und Menschen gleichermaßen schätzen. — Um von dem Reichtum des Inhalts eine Vorstellung zu geben, setzen wir hier einige Kapitel her: Mein Weg zur Topographie Wiens. Die Gegenspieler Walter Thomas und Goebbels. Der 80. Geburtstag Gerhart Hauptmanns in Wien. Die letzte Premiere vor der Zerstörung des Hauses. Veranstaltungen des Burgtheaters nach dessen Schließung. Die ersten Vorstellungen im Ronacher. Bekanntschaft mit Franz Taucher und Förderung durch Stadtrat Viktor Matejka. Erstes Wiederauftreten nach langjähriger Pause. Die Direktionen Aslan, Gielen, Schreyvogl-Rott und Haeusser-man. Das vierzigjährige Burgtheaterjubiläum von Fred Hennings und die erste Welttournee des Ensembles. Das folgende Kapitel findet sich im ersten Teil des Buches. F.
Zu Beginn der Saison 1925/26 steuerte mein unstetes Leben seinem Höhepunkt zu. Ich spielte in jenen Tagen vor allem das Fach des Bonvivants. Also fühlte ich mich bemüßigt, die von den Vertretern des Faches so gern geübte Tradition des Schulden-machens nicht abreißen zu lassen. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Es gab keinen Kaiser mehr, der den Herren Hofschauspielern immer wieder ihre Schulden nachließ. Aus einem großen Reich war ein von inflationären Tendenzen ständig bedrohter Kleinstaat geworden, der trotz aller Not die Noblesse aufgebracht hat, die einstigen kaiserlichen Theater in seine Obhut zu übernehmen. Da Gagenvorschüsse nicht mehr so leicht zu bekommen waren wie einst, sah man sich gezwungen, private Kreditinstitute in Anspruch zu nehmen. Ich bediente mich der Hilfe des „Spar-und Vorschußkonsortiums Währing des Ersten allgemeinen Beamtenvereines“, bei dem ich im Laufe der Spielzeit 1925/26 mit fast 20.000 Schilling in die Kreide geriet. Trotzdem gab ich mein wildes „Drahrerleben“ nicht auf. Ich verfiel dabei auf die Idee, einen Burgtheaterstammtisch zu gründen, da ich glaubte, durch ein regelmäßiges Beisammensein mit meinen Kollegen auch außerhalb des Theaters einen Halt zu finden.
Am 10. März 1937 fand am Burgtheater die Uraufführung von Franz Theodor Csokors „3. November 1918'' statt. Es war ohne Zweifel sein bestes und erfolgreichstes Werk, ein erschütterndes Requiem auf den Tod der alten österreichisch-ungarischen Monarchie. Wenn auch dieses weltgeschichtliche Ereignis fast 20 Jahre zurücklag, war das Stück durch die völlig ungeklärte und bis zum Zerreißen gespannte politische Situation jener Tage, da es uraufgeführt wurde, von einer geradezu beklemmenden Aktualität. Die von Oberst Radosin in die Vergangenheit und von Csokor in die Zukunft gespochene
Knapp vor Ostern erschien der fünfte Band der Reihe „Solange er lebt“, deren Verfasser der berühmte Burgschauspieler Hofrat Prof. Fred Hennings ist. Neben seiner Tätigkeit als Schauspieler beschäftigte sich Hennings seit 1939 immer mehr mit der Geschichte Wiens und Österreichs. Einen Niederschlag fand diese Beschäftiguhg in Hunderten von Lichtbildvorträgen, die Hennings hauptsächlich in der Wiener Urania hielt. Ab 1963 begann er seine Forschungen auch in Buchform au veröffentlichen. Berühmt wurde seine Trilogie „Ringstraßen-Symphonie“, für welches Gebiet er gleichsam als
Soeben Ist im Herold-Verlag der vierte Band der Serie „So lange er lebte“ erschienen, der den Titel führt: „Ich ärgere mich immer, wenn ich ihre Denkschriften lese.“ Wieder erzählt Fred Hennings wichtige Ereignisse aus den Schicksaisjahren des Kaiserreiches: politische, kulturelle und künstlerische. — Wir brachten in der 17. Folge der „Furche“ unter dem Titel „Klaviermacher und Mäzen“ ein Porträt Ludwig Bösendorfers und lassen nun einen weiteren abschließenden Abschnitt seiner Lebensgeschichte folgen.Am l. Marz 1909 ubergab Bösendorfer die Firma, die er 50 Jahre als
Als Beethoven sein Streichquartett Opus 135 komponierte, schrieb er unter dem Eindruck bitterer Erlebnisse über den letzten Satz die Worte: „Der schwergefaßte Entschluß“. Zu Beginn wirft das Cello in tiefem Moll immer wieder die Frage auf: „Muß es sein?“, bis dann endlich nach innerem Widerstreben in hellem Dur entschieden und klar die Antwort folgt: „Es muß sein!“ Dieses Werk leitete auch das denkwürdige Konzert ein, mit welchem das Rosee-Quartett im Mai 1913 vom berühmten Bösendorfer-Saal in Wien für immer Abschied genommen hat. Auch im politischen Leben der Monarchie ging es in diesen Jahren, die Fred Hennings uns wieder so lebendig und reizvoll vor Augen führt, um wichtige Entscheidungen und Veränderungen. Der im Mai erscheinende vierte Band der Serie „So lange er lebte“ (Herold-Verlag, Wien-München), erzählt von der Berufung Conrad von Hötzendorfs als Chef des Generalstabes, seiner wechselvollen Beziehung zum Kaiser und zum Thronfolger, seinem Konflikt mit Aehrenthal, aber auch vom Aufstieg und Wirken des Klavierfabrikanten Ludwig Bösendorfer sowie vom Bau des Kriegsministeriums am Stubenring und von der Entlarvung des Spions Redl — ein figuren- und szenenreiches Vorspiel zur Tragödie, die 1914 begann.
Der nachfolgende Text ist dem dritten Band in der neuen kulturgeschichtlichen Serie von Fred Hennings „Solange er lebt“ entnommen, der vor kurzem unter dem Titel „Nehmt meine Herrlichkeit und Würde hin…“ erschien. Diese Worte aus Shakespeares Tragödie „König Richard II.“ sprach Burgschauspieler Josef Kannz. als er schon schwerkrank und vom Tode gezeichnet war. Sie galten nicht nur für ihn selbst, sondern auch für Bürgermeister Dr. Lueger, den „Herrgott von Wien“, der im selben Jahr wie Kainz, 1910, sein Leben beschloß. Diese beiden großen Gestalten und Lieblinge der Wiener stehen im Mittelpunkt des neuen „Hennings“. Er zeichnet Kainz und Lueger mit ihren Vorzügen, aber auch mit ihren menschlichen Schwächen. Eine Reihe von wichtigen Ereignissen der Wiener Kulturgeschichte werden in diesem Band behandelt: der leidenschaftliche Kampf um Otto Wagners Projekt eines Städtischen Museums auf dem Karlsplatz, die Entwicklung des Flugwesens, die Versuche von Wilhelm Kreß, der Besuch des ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Theodore Roosevelt, in Wien, der Bericht des Thronfolgers Franz Ferdinand über seine Teilnahme am Begräbnis König Eduards VII. von England und die Reise Kaiser Franz Josephs nach Bosnien. Die vielseitige und farbenreiche Darstellung läßt vieles aufleben, was die Wiener damals bewegte, ergänzt durch die reiche Illustrierung. (105 Seiten Text, 75 Abbildungen auf 40 Tafeln. Verlag Herold Wien-München.)
Am 24. März 1900 starb einer der letzten großen „Ring- straßler™, der Allroundmäzem Nikolaus Dumba, im Alter von 70 Jahren und hinteriieß nicht weniger als 250.000 Gulden an wohltätigen Legaten. Sein Tod erzeugte eine kaum aus- füllbare Lücke im kulturellen Leben Wiens. Denn Nikolaus Dumba, dessen Vater von Mazedonien nach Wien gekommen war, war nicht nur ein bedeutender Industrieller und Wirtschaftler, Geheimer Rat und Herrenhausmitgiied, sondern eine geradezu entscheidende Autorität in allen Fragen der Kunst. Er war es auf Grund seiner Persönlichkeit und nicht durch eine
Zur Zeit der Jahrhundertwende besuchte Kaiser Franz Joseph einmal eine Ausstellung der Sezession. An die Spitze dieser evolutionären Kunstbewegung aber war' der unverwüstliche Malerpatriarch Rudolf von Alt getreten. Auf eine Bemerkung des Kaisers, daß es ihn wundere, den fast Neunzigjährigen an der Spitze der Jungen zu sehen, antwortete dieser: „Majestät, ich bin zwar wirklich schon alt, fühle mich aber noch immer jung genug, um wieder von vorn anzufangen.“ Wo immer Rudolf von Alt einen Kerl witterte, war er dabei.Nun standen sich die zwei Alten gegenüber: der Künstler, der im Jahr
Noch zur Zeit der Erbauung des Palais Schwarzenberg kommt es im Jänner 1699 zum Frieden von Karlowitz, der den mit dem Entsatz von Wien begonnenen Kreuzzug wider die Osmanen beendete. Sechs Monate später stirbt der treue Begleiter der christlichen Heere, Pater Markus von Aviano, im Beisein des Kaiserpaares in einer Zelle des Kapuzinerklosters am Neuen Markt zu Wien. Es war, als hätte sich der Sinn seines Lebens mit der endgültigen Befreiung des Abendlandes vom türkischen Joch erfüllt. Zutiefst erschüttert und ehrlich verzweifelt küßte der Kaiser dem Verstorbenen immer wieder die
Die Verwischung der Grenzen zwischen „Schein“ und „Sein“ griff im Barock auf das ganze Leben über. Barockes Lebensgefühl und Theater gehörten wesenhaft zusammen. Alles wurde zu einem Theater: Gottesdienst und Staatsaktion, Hochzeit und Begräbnis, Unterhaltung und Spiel, Jagd, ja sogar der Krieg. Zu besonders schönen Belagerungen ergingen Einladungen. Jedes Zusammentreffen von Menschen wurde theatralisch gestaltet. Unaufhörlich zogen kilometerlange Aufzüge über die Plätze und Straßen, die von einer dichten, schaulustigen Menge erfüllt waren. Im Jubel der Statisterie des
Nicht nur für den Kaiser, sondern auch für die Ringstraße war das Jahr 1888 bedeutungsvoll: Brachte es ihr doch mit der Fertigstellung und Ausgestaltung des Maria- Theresien-Platzes und der endlichen Eröffnung des neuen Burgtheaters ihre eigentliche Vollendung. Beendeten Sic- cardsburg und van der Nüll die Frühzeit des Ringstraßenstiles, so eröffneten der Hamburger Semper und der Wiener Hasenauer dessen Spätzeit, die schon den Keim des nahenden Verfalles in sich trug. Und wie sich vor dem Ersterben alle Kräfte noch zu einer letzten Äußerung zusammenraffen, so reißen diese beiden
Der Tod Hans Makarts liegt gerade in der Mitte des Herrscherdaseins Kaiser Franz Josephs I. und am Beginn des letzten Drittels der Ringstraßenzeit. „Die Grenzen eines Zeitalters aber erhalten“ — wie Josef Nadler einmal sagt — „erst durch das, was in der Mitte geschieht, Sinn und aufeinander Bezug. Die beiden Erschütterungen, die von gestern und die von morgen, treffen nachwirkend und vorauseilend im Kern eines Zeitalters zusammen.“Dies gilt auch für die Zeit von 1884 bis 1899, die zwischen dem Tod von Hans Makart und von Johann Strauß eingebettet liegt. Kündigte der Hintritt
Der erste Weihnaclitsfeiertag des Jahres 1857 ist angebrochen.Noch liegt der Wiener in seinem Bett und zieht mit wohligem Behagen den himmlischen Geruch von Tannengrün und Kerzenwachs des Christbaums, der im Nebenzimmer steht, durch seine Nase. Dann läutet er und bekommt Frühstück und Zeitung. Und da liest er gleich am Beginn der ersten Seite:Seine k. k. Apostolische Majestät haben bezüglich der Erweiterung der inneren Stadt Wien nachstehendes Allerhöchstes Handschreiben an den Minister des Inneren zu erlassen geruht;Lieber Freiherr von Bach!Es ist Mein Wille, daß die Erweiterung der
Mitten im Toben des „totalen“ zweiten Weltkrieges sank am 30. Juni 1944 der eiserne Vorhang nach der letzten regulären Vorstellung des Hauses nieder. Man hatte Hebbels „Gyges und sein Ring“ gegeben. Neun Monate später, am 12. April 1945, ging das herrliche, liebe Haus in Flammen auf und machte damit einen Ausspruch seines Miterbauers Gottfried Semper wahr: „Jedes Theater muß nach 60 Jahren entweder umgebaut werden oder es brennt ab.“Sempers prophetischer Ausspruch erfüllte sich aber in einem doppelten Sinn. Denn unser Burgtheater brannte nicht nur ab, sondern wurde auch