Man hatte ja schon längere Zeit das Gefühl, daß nun endlich einmal etwas Neues, etwas ganz Neues getan werden müsse, um die dahinkriselnde Volkswirtschaft wieder auf Wohlstandstouren zu bringen. Aber was man da so unklar und undeutlich vermutete, machte einem erst die seit Monaten ersehnte Erklärung des Regierungschefs „Zur Lage des Bundeskanzlers“ vor der vollzählig angetretenen Inlands- und Auslandspresse klar und deutlich.Man wäre nun, so wurde vom „Alten“, wie man ihn respektvoll nannte, eingeleitet, in einer zwar durch diese Regierung nicht verschuldeten, aber
Die Zeiten wären schlecht, hatte Ida gemeint und mit Nachdruck hinzugefügt, daß sie wohl auch nicht besser würden. In nächster Zeit jedenfalls nicht. Und in so schlechten Zeiten wären Beziehungen wichtig wie nie zuvor. Wo aber könnte man solche schneller und unverdächtiger schließen als in Vereinen, Clubs oder was es immer an Zusammenschlüssen mit Statuten gäbe?Wer wollte solcher Logik widersprechen? Also machte ich mich auf die Suche nach einem geeigne-ten Verein, wo ich all die zukunftssichernden Kontakteschließen könnte. Parteien stellten mich vor unlösbare Auswahlprobleme,
Ein Weihnachtshase? Der Weihnachtshase ist die zurechtweisende Antwort auf die zeitgemäße Frage unserer treuen Leserin Maria Josefine A. aus B.: „Muß denn das uns so teure Weihnachtsfest immer noch teurer werden?"Liebe Frau A. aus B., wir verstehen ihre Not angesichts der ungeheuren Verführungssucht, die auch dieses Jahr aus den überraschenderweise immer noch warenstrotzenden Schaufenstern unserer gebeutelten Wirtschaftsbetriebe dräut.Was soll man auch den lieben Kinderchen heute noch schenken, wo sie doch im Laufe eines langen Schuljahres ohnedies schon alles Schenkbare erhalten
Ich saß in meinem ergonomisch gestalteten Textverarbeitungszentrum, sehnte mich nach einem Blick durch ein schlichtes Doppelfenster in einen ungestylten Herbstgarten und wartete auf den Musenkuß. Da die Eingebung ausblieb — nicht einmal Lyrik zeichnete sich ab! —, kam ich auf die Idee, mich bei meinem großzügigen Verleger nach dem Verbleib der vereinbarten Vorschuß-Abschlagszahlung zu erkundigen.Das war, mitten in meinem vollintegrierten Kommunikations-Cockpit, eine leichte Übung. Ich strich zärtlich über die Kontakttaste „Verleger" im Telefonfeld, und lautlos stellten
Es war Wahlzeit an der Reformuniversität, also nichts außergewöhnliches und sonderlich aufregendes. Die schmucken Sichtbetonwände waren über und über mit Schriftzeichen bedeckt: teils mittels umweltfreundlicherSprühdosen in krakeligen Zügen, teils durch Verpackung in meterlange beschriftete Papierbänder.Die Sprühdosenprodukte warben markig für „No future" und kündigten den anarchistischen „Gummiteufel" an, wurden aber von der Mehrzahl der Studenten bloß für mäßig originelle Einfälle der Hochschul-Innenarchitekten gehalten.Die papierenen Endlosschleifen hingegen
Beim Großcomputer E.R.I.C.H. 2001 hatte es geklingelt. Auf einem der 2464 Bildschirme, mit denen E.R.I.C.H. in die weite Welt der Datenverarbeitung hinaus tenta-kelte, meldete er sich beim Anrufer weiß auf grün: „Guten Morgen, hier ist E.R.I.C.H. 2001. Ich freue mich, daß Sie mich angewählt haben. Wenn Sie mit mir arbeiten wollen, geben Sie eine ,1' ein, wenn Sie mit mir spielen wollen, eine ,2'."Es kam eine „0".E.R.I.C.H. 2001 dachte blitzschnell nach, dann gab er die Verantwortung für da s Gespräch weiter: „Hallo, hier ist BFP 2001, das benutzerfreundliche
Sonntag nachmittags, Jause bei Wondrascheks. Im großen Zimmer versammelt: mehrere Generationen Eltern und Kinder, Onkel und Tanten bis in die Nebenseitenlinien, Spielzeug, Haustiere, Blumen, teils ortsfest, teils mobil, mehrere gedeckte Tische.Verena-Franziska, genannt Franzi, zupft ihre Mutter, die Gastgeberin, am Seidenkleid: „Mutti, Mutti kannst du mir helfen?”„Aber gerne, Franzilein, wobei denn?”„Ich habe die Hausaufgabe in Deutsch noch nicht fertig.”„Ja, aber jetzt ist doch wirklich nicht-”„Ich habe auch schon bei Dorli und Peter angerufen. Die haben die Aufgabe auch
Jetzt sprießen sie wieder: die grünen Halme, die gelben Schlüsselblumen und die vielen, vielen Festwochen, Kulturtage, Musikwochenenden, Literaturmatineen, Burgspiele, Schloßabende,Höhenlesungen — und was den Kulturbemühten sonst noch alles einfällt. Jetzt werden sie auch wieder vorbereitet: die zustimmenden Erklärungen, warum soviel Kultur für Volk und Raum wichtig ist, und die Widerworte, die vor einer schlimmen Inflation kultureller Werte warnen.Die Festspiel-Gegner hatten früher, als alle rundum voll beschäftigt waren, durchaus Gehör gefunden, heute geht es ihnen weniger gut.
Ich entdeckte mein schriftstellerisches Talent schon in der Unterstufe des Gymnasiums. Der Vorrat an meist aus dem Stegreif komponierten Entschuldigungs-Kurzgeschichten, mit denen ich beispielsweise mein Unvermögen, Hausaufgaben zu erfüllen, begründete, war so wenig erschöpf -lich und selbst für abgebrühte Pädagogen so bunt, daß sie sich regelmäßig an meine Eltern wendeten, um ihnen von der außerordentlichen dichterischen Begabung des Sprößlings zu berichten.Später wechselte ich die Themen meiner Ausrede-Novellen. Da lag die Latte für die dichterische Imagination schon höher:
Letztes Jahr, kurz nach Weihnachten, war es — zum soundsovielten Mal — soweit. Rita, rundum appetitlich mollige Mittdreißigerin, tänzelte verzweifelt vor dem Spiegel: „Kurt, schau doch mal her!" Kurt verfolgte unverwandt eine Wintersportveranstaltung im Fernsehen. „Kurt, glotz doch nicht immer in die Flimmerkiste. Sieh mich an!" Rita drehte sich stöhnend in Richtung Fernsehlehnstuhl: „Ich bin zu fett. So kann das nicht weitergehen. Wir machen eine Kur!"„Aber Liebling", widersprach Kurt zwar mutig, doch ohne rechten Optimismus, wobei er sich noch rasch zwei
Urkunde muß sein! Keine Frage: des Menschen Glück steht auf Urkunden. In vielen Fällen jedenfalls. Und das ist ja noch gar nicht alles: manches Menschen Glück liegt in derselben, in deren Erreichung, in deren Überreichung, möglichst feierlich und vor allem - öffentlich.Am Anfang war die Macht und deren glänzende Zeichen, von den großen bis zu den klitzekleinenKronen mit den vielen, vielen Spitzen. Dann gab es aus gutem Grund guten Grund und Boden, ebenfalls per Urkunde vermacht und mit dickem Siegel dran. Dann gab es davon nicht mehr genug, aber der Wunsch nach Anerkennung blieb. So
Der Meister hatte die Tischrunde geladen. Aber irgend etwas war da wohl daneben gelaufen. So saß der junge Poet, aller fortschrittlichen Literaturkritiker ständiger Enthusiasmus, allein vor einem Halbrund selbst und einsam leergetrunkener Weinkrügel und trieb von Schmerz über Resignation zu blanker Wut. Eifrige Schankgehilfinnen, denen man die Prominenz des einsamen Heurigenkonsumenten telefonisch angekündigt hatte, hielten den Tisch von Fremden frei, und sowurde, je mehr sich der Gastraum füllte, der junge Dichter umso einsamer.Der Poeta multilaureatus beugte sein Jungolypierhaupt
Der Sprachwolf, lupus metalli-cus linguisticus, ist keineswegs ein seltenes Tier. Dennoch sieht man ihn selten. Was man häufiger antrifft, sind seine Produkte, denn er ist allenthalben fleißig in Betrieb. An der Arbeit kann er nicht sein; er gehört nämlich zur Klasse der Maschinen, mit sinnreichen, mechanischen Vorrichtungen, von gefälligem Design und stabiler Ausführung.Doch erst zu seinen Produkten: Ihr, die Ihr von Berufs wegen oder aus Freizeitvergnügen lest und — genau - zuhört, kennt sie alle, die Erzeugnisse des Sprachwolfes. Möglicherweise habt Ihr noch nicht erkannt, woher
Wißt Ihr, was Tradition ist? Ganz genau? Man sollte vielleicht einen Engländer fragen, einen To- ry-Tommy oder gar einen Aristokraten mit wenn schon nicht nachgewiesener, so doch mindestens nicht offiziell dementierter Verbindung zum Buckingham- Palast. Aber, wo ist der nächste?Also, Tradition — das ist doch ganz einfach: Tradition ist die Begründung für etwas, das mart tut oder das man nicht tut, wovon man aber nicht weiß, warum man es tut — oder unterläßt. Einfach, nicht? Noch einfacher: Der Sinn der Tradition liegt in ihrer offensichtlichen Sinnlosigkeit.Ganz schön scharf und
Ich war ja schon länger unsicher, ob mein ordentliches Leben, das ich so naiv vor mich hin führte, tatsächlich so in Ordnung war. Immer dieses Aufstehen am frühen Morgen - so gegen neun. Und dann der tägliche Gang zum Waschbecken und unter die Dusche. Dann das Eincremen und Besprühen, Vermummen in chemisch bearbeitete Textilien. Und dann erst das Frühstück: die rie-sengroßen Eier mit der künstlich glatten, weißen Oberfläche, die knirschenden Brötchen aus unkritischen Grundstoffen, die lackglänzenden, riesengroßen Gelbäpfel, der nichtaromatisierte Tee und und und.Ja, und den
Letzten Monat, am Zwanzigsten, passierte es endgültig. Ich hatte ja schon längere Zeit damit gerechnet, aber es blieb immer noch die Hoffnung, daß sich das Unerwünschte ■ nicht einstellen würde. Dann passierte freilich das Unabwendbare doch, wer hätte auch etwas dagegen tun können: Am Donnerstag, dem Zwanzigsten des letzten Monats, brach mein Terminplanungssystem zu-sammen. Plötzlich, unwiderruflich, restlos.Für Termin-Fachleute kam das nicht unerwartet. Ich selbst hatte bis zuletzt gehofft; durch geschicktes Terminmanipulieren war es mir tatsächlich gelungen, terminlich über die
Wie man etwas — nein, nicht jemanden — anzeigt, wie man jemanden — nein, nicht etwas — einlädt, weiß man. Weiß man’s nicht, kann man es lernen oder nachle- sen. Da gibt es feste Regeln und je nach Gefühl und Geschmack, Bildung und Einbildung Rituale.Die einen lieben es byzanti-nisch-barock, die anderen schnoddrig-poppig — aber Formen und Formelngibt es allenthalben. Vor drei Wochen zeigte mir ein entfernter Bekannter an, daß es ihn nicht sonderlich störte, wenn wir bei ihm am soundsovielten des laufenden Monats vorbeikämen. Es gäbe dafür manchen Anlaß etc.etc.; Antwort
Der Interviewer brauchte sich gar nicht erst an seine üblichen Antwort-Kitzel-Tricks machen; sein Gegenüber war in überschwelliger Interview-Laune. Der Anlaß war aber auch allzu bedeutend. Da hatte in einer Zeit, in der, glaubt man den hier zuständigen Spezial-Wissenschaftlern auf’s ausgetüftelte Wort, allenthalben das Lesen verlernt wird, der bislang noch nicht sonderlich auffäl-lige Verleger Franz F.K. - der Name sei aus den sattsam bekannten Gründen hier wie üblich verstümmelt — seinen Umsatz an Druckprodukten vervielfacht.„Sie werden sich und mich sicherlich fragen, sehr
Chchchchch… ? Nein, so hört es sich nicht an, das verflixte Geräusch, das seit mehreren Wochen nicht mehr aus den Ohren gehen will. Vielleicht: krkrkrkrk? Nein, der widrige Lärm, der sich nun auch noch in meine unruhigen Träume geschlichen hat, hört sich anders an. Krchkrchkrch… oder so ähnlich. Nach gequetschtem, gerubbeltem Kautschuk hört es sich an. Unappetitlich schnarrend, schrecklich knarrend.
Früher liebte ich den Wassersport. Ich knüpfte als Heranwachsender an meine erfolgreichen Tätigkeiten als Entenwart und Plastikschiffreeder in der elterlichen Badewanne an. Da machte es dann auch nicht mehr so viel aus, wenn ich fest ins Wasser klatschte, was bei meinem etwas nervösen Herrn Papa gelegentlich assoziative Erziehungshandlungen mit vergleichbarer Geräuschentwicklung auslöste.Mitten in der Pubertät geriet meine Liebe zum Wassersport zurLeidenschaft. Stundenlangdurchschwamm ich Wasserarme in der damals noch schwimmbaren und noch nicht schiffbaren, fast völlig unbegradigten
Du kommst an mir nicht vorbei, Du Asphaltschnecke. Manche lernen’s eben nie. Du bist doch schon über zehn Kilometer hinter meinen Doppelrohr- Auspufftopf. Manche Sportwagen sind eben keine, und Dein Blechhybrid taugt nicht einmal zum Seifenkistenrennen.Also wissen Sie, was da so alles unsere teuren Autobahnen befahren darf. Der da hinter meinem Kofferraum, immer an der hinteren Stoßstange, zum Beispiel: einer von den ganz gefährlichen: Rallyestreifen muß er natürlich haben und Zusatzscheinwerfer und superbreite Felgen.Seit der vorletzten Autobahnabfahrt hat er geblinkt. Immer voll in
So eine kleine Krise ist doch etwas sehr Handliches, sagte sich Studiosus Winfried Müller, und geriet flugs in eine solche - knapp vor der Abschlußprüfung. Seine Krise hatte freilich gute Gründe und einen schönen Namen: Ruth hieß sie und beschäftigte Winfried genau in der Zeit, die er sich für das Auswendiglernen von mehreren Metern Prüfungsstoff reserviert hatte. So lernte er wesentliche Teile des Lebens, ein wenig auch von Ruth kennen, nur der Prüfungsstoff blieb ungelernt.Da Winfried allerdings, altmodisch, wie er war, mit seinen^Studienkosten und Lebenshaltungsausgaben den Eltern
Zu Beginn nahm man von ihnen nicht sonderlich Notiz, dann nahmen sie überhand: die Hausbesetzungen. Der Anfang war elitär und blieb solchermaßen und zu Recht weithin unbeachtet. Die Anfänge lassen sich bis in die Seminare sozialwissenschaftlicher Fakultäten unserer Hochschulen verfolgen. Grund genug, daß das öffentliche Echo ausblieb: Wer macht schon gerne gemeinsame Sache mit Studenten, noch dazu solchen der Soziologie und der - wie heißt das doch gleich?Die jüngeren Herrschaften der ersten Welle scharten sich um ihre strubbeihaarigen Lehrer, verkleideten sich als Film-Proletarier
Was, Sie haben noch keinen? Sie sind doch jemand, auf den man hört, von dem man liest, dem man etwas abnimmt. Sie halten doch Reden - oder wenigstens Ansprachen. Sie verkehren doch in den Kreisen, den politischen, den künstlerischen, den wissenschaftlichen? Nein, tun Sie nicht? Na, eben - weil er Ihnen fehlt, der Wortschieber. Ihrer Rede fehlt das gewisse Etwas, der gebildete Haut gout, der wissenschaftliche Touch.Schaffen Sie sich einen Wortschieber an und Ihr Problem ist gelöst. Mit einem Wortschieber verfügen Sie über ein einmaliges Fremdwort-Repertoire, so einmalig, daß es