Österreichische Alemannen und ungarische Haiducken bilden in diesen Tagen eine seltsame Gesinnungsgemeinschaft: in Vorarlberg wie im Komi tat Hajdu wollen die Lokalpatrioten von der geplanten Weltausstellung Wien-Budapest 1995 am liebsten nichts hören. Sie blicken auf die Landkarte, zählen die Kilometer und stellen fest, daß der ferne Westen beziehungsweise der ferne Osten auf die materiellen Segnungen der EXPO wohl werden verzichten müssen. Da wie dort hat das finanzielle Kalkül die Idee des schöpferischen Uni vers alismus verdrängt.Die Rechnungen sind freilich falsch. Die
Als „Helden" des Ungarn-Aufstandes von 1956 werden Imre Nagy und Gefährten heute, am 31. Jahrestag ihrer Hinrichtung, in Budapest feierlich beigesetzt. Ungarn kehrt damit zum Selbstverständnis eines freien, unabhängigen Staates zurück, das die 56er Generation so tief prägte.
Die ungarische Presse würdigte das Werk eines bedeutenden Bildhauers: die Österreichische Kulturwoche präsentierte Rudolf Kedls großformatige Plastiken in Budapest.
Literatur besteht nicht nur aus der Summe aller Gedichte, Prosastücke, Dramen und Essays; sondern auch aus einem schwer überschaubaren Netzwerk geistiger und — was die verlegerische Tätigkeit, den Buchhandel und bis zu einem gewissen Grade die Journale betrifft — ökonomisch wirksamer Wahlverwandtschaften und Gegnerschaften, die gemeinsam ein ebenso sensibles wie umfassendes Kraftfeld bilden. Seine Funktionsfähigkeit wird in nicht geringem Maße durch die Wechselbeziehungen zwischen einzelnen Autoren, Gesinnungsgemeinschaften und bunt zusammengewürfelten Gruppen bestimmt. Bereits die
Dieses Symposion hatte nicht die Aufgabe, Beschlüsse zu fassen. Man war zusammengekommen, um über die Einheit der Donauregion zu diskutieren, Historisches zu untersuchen, aus dem Bild der Gegenwart Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.Dann aber mehrten sich die Stimmen, diese drei Tage im Ko-lomanisaal des Stiftes Melk gewissermaßen zu perpetuieren. Der polnische Schriftsteller Andrzej Stojovski sprach es zum ersten Mal aus, der deutsche Germanist Jürgen H. Petersen schloß damit sein Referat, der ungarische Historiker Peter Hanäk griff die Idee auf, der polnische Literaturhistoriker
Das Donaufestival Niederösterreich, in diesen Tagen eröffnet, ist Spiegel unserer Zeit. Das wird im Vergleich mit anderen, seit Jahrzehnten bekannten Kulturfesten Europas erkennbar. In Bayreuth fand der Geniekult, die Traditions- und zugleich Zukunftssuche des neu erwachten Deutschtums einen Kristallisationspunkt im Werk Richard Wagners. Salzburg stand nach dem Willen von Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt im Zeichen jenes mit dem mediterranen Raum verbundenen christlichen Humanismus, den die Gründer des Festes in der Idee Österreichs verkörpert sahen. Die Biennale zu Venedig sollte
chen Winkeln der Vergangenheit liegen Argumente griffbereit. Mit ihnen können gegenwärtige Emotionen mit Kraft versorgt werden. Man sieht: es geht um Politik.Diese wird gerne durch Sprachgebrauch gelenkt. Begriffe, richtig gewählt, können nicht vorhandene Einheiten als Tatsachen der Vergangenheit suggerieren. Die Jüngeren wissen in diesem Falle nicht mehr, daß sie es mit einer (falschen) Kategorie, nicht aber mit der Wirklichkeit zu tun ha- 'ben. Für die Simplifizierer sind dadurch die Möglichkeiten der Schwarz-Weiß-Malerei gegeben. Der Nutzen ist augenscheinlich: der Feind erscheint
Die schwachen Charaktere unter den Literaten neigen dazu, sich an einer Fahnenstange festzuklammern; die starken kommen ohne Fahne aus. Sie stehen dem geistigen Kern der Schöpfung näher, fühlen sich deren ruhig wirkender Kraft angeschlossen, geben den ursprünglichen Strukturen menschlichen Lebens immer wieder Gestalt. Der Wechsel der Moden vollzieht sich außerhalb ihres Fühlens. Staimend vermerken sie die Farbenspiele der Oberfläche, doch bleiben sie, wo sie sind: außerhalb des Treibens, in einer Wirkliche keit des großen Zeitraums. Hier ist es still; der Schmerz wirkt tiefer, das
Der lange Winter war zuletzt eine Last. Die Menschen unserer Zeit haben sich ein künstliches Ersatzleben geschaffen, sie wähnen sich vom Wechsel der Jahreszeiten unbeeinflußt: Zu reißend ist die Flut der Nachrichten, zu vielfältig das Angebot derber Unterhaltung. Unregelmäßigkeiten im zyklischen Jahresablauf machen sich dennoch durch Störungen des Nervensystems bemerkbar. Die Seele duckt sich. Ängste, die nicht benannt werden können, trüben das Bewußtsein. Die Ratio flieht zur einfältigen Hoffnung, Ursachen der unverständlichen Beklemmung im sozialen Gefüge aufdecken zu
Düsseldorf, leichtes Schneetreiben. Der Flughafen ist zur frühen Stunde mäßig belebt. Vor dem Fließband, das das Reisegepäck — hier aus einem tiefer liegenden Schacht — zutagefördert, versammeln sich die Passagiere der österreichischen Maschine. Das Gespräch ist laut, einige junge Damen imd Herren unterhalten sich im lebensfrohen Dialekt ihrer Heimatstadt Wien. Ihre Heiterkeit wirkt übertrieben, die österreichische Klangfärbung forciert. So redet kein Wiener. Der Akt lautstarker Selbststili-sierung soll offenbar Eigenständigkeit erkennen lassen.Solche Demonstrationen des
Bedeutende Pläne wecken erheblichen Widerstand. Das ist nichts Neues. Der träge Körper will nicht bewegt, der ruhende Geist nicht gestört werden. Hoffnungen sind schön, aber unbequem: sie drängen zur Tat. Visionen sind noch schöner aber noch unbequemer: sie zwingen den gemütlich dahindämmefnden Schläfer, seinen Schlummer zu unterbrechen und seine Lage zu überdenken. Er müßte sich als Teil der Schöpfung, als historisches Wesen, als Mitglied einer Sozietät begreifen und zudem erkennen, daß er über einen freien Willen verfügt. Für so manchen ist das Erwachen zur Bewußtheit,
Was ist eine Stadt? Wie soll sie beschaffen sein? Unsere alten Städte befinden sich in einem Zustand des Umbruchs; neue Wohnsiedlungen und Satellitenstädte entstehen, zuweilen wird die Gründung neuer Städte geplant. Wie kann die Substanz des Urbanen Lebens bewahrt und erneuert werden?Jede Stadt ist, so scheint es, vor allem ein philosophisches Problem. Es gilt, auch in diesem Fall die beiden Komponenten menschlicher Existenz, das Naturhaft-Vegetative und das Rational-Vo-luntarische in Einklang zu bringen.Das naturhaft-vegetative Prinzip verlangt ein behutsames Ausgehen von der bereits
Auf einer Bühne in einem Renaissance-Schloß in Kärnten erreicht der österreichische Theatersommer seinen geistigen Höhepunkt. Ist das Beispiel Herbert Wochinz nachvollziehbar?
Wird der österreichische Rundfunk vom August dieses Jahres an zunehmend an geistiger Substanz verlieren? Müssen wir uns gefaßt machen, zukünftig im Fernsehen mehr schwachsinnigen Klamauk, im Hörfunk mehr seichte Plaudereien vorgesetzt zu bekommen? Wird sich der Wille der Regierenden stärker bemerkbar machen? Wird man uns mit Hinweis auf die Freiheit der Kunst verblendete politische Agitation oder Produkte eines aufgeblähten Unvermögens präsentieren?Die Fragen sind berechtigt, die Sorgen um die Zukunft des Rundfunks allgemein.Sie müssen auch Gerd Bacher bekannt sein. Das Grundmotiv
Hundert Jahre vor der Machtergreifung Adolf Hitlers schrieb Heinrich Heine über das Auftreten eines neuen Typs unter den deutschen Philosophen:Dieser wird „dadurch furchtbar sein,... daß er die dämonischen Kräfte des altgermanischen Pantheismus beschwören kann, und daß in ihm jene Kampfeslust erwacht, die wir bei den alten Deutschen finden, und die nicht kämpft, um zu zerstören, noch um zu siegen, sondern bloß um zu kämpfen.“Und er fährt fort: „Das Christentum — und das ist sein schönstes Verdienst — hat jene brutale, germanische Kampflust einigermaßen besänftigt,
1 Nachträglich recht behalten • zu haben: das Gefühl schmeichelt der Eitelkeit und macht zugleich traurig. Der Schmerz überwiegt. Die erbarmungslose Kraft und Wirkung der Fakten wird, wie im Lichte eines Blitzes, plötzlich erkennbar. Was versäumt worden ist, kann nicht in der ursprünglichen Form nachgeholt werden. Die Chronologie ist irreversibel. Für die Späteren bleibt immerhin die Möglichkeit offen, aus den weit zurückliegenden Fehlentscheidungen anderer zu lernen.Das setzt Lernfähigkeit voraus. Sie wird oft beeinträchtigt: nicht durch das Unvermögen, sondern durch
Es ist mein Beruf, sagte der Archäologe, alte Knochen, Mauerreste, Gerät ans Tageslicht zu befördern. Man braucht in diesem Fach, wie in jedem, Ausdauer, Spürsinn und Glück. Wir sind Handwerker und Träumer in einem. Wären wir keine Handwerker, könnten wir unsere Arbeit nicht verrichten; wären wir keine Träumer, brächten wir es nicht zustande, aufgrund des Fundmaterials die Träume früherer Zeiten zu rekonstruieren.In meinem Fall kommt etwas Persönliches hinzu. Meine Mutter war ununterbrochen tätig. Ihre ruhige Art, das Notwendige zu tun, hatte sich meinen Brüdern und mir
Aladin, Held eines orientalischen Märchens, beschäftigt Ernst Jünger seit langem. Schon in seinem Buch „Subtile Jagden“ taucht er auf: eine Figur, deren Wesen und Schicksal menschliches Glück und Leid gleichnishaft spiegelt.Solche Gestalten sind niemals eindeutig. Ihr Wesen ist die Schöpfung einer geduldigen, an ihrem Werk Jahrhunderte hindurch feilenden kollektiven Phantasie. Nicht ein einzelner, sondern eine ganze Gemeinschaft schafft sich ein Ebenbild; der Vielzahl der Märchenerzähler entspricht die Zahl der Bezüge, die den mythischen Helden als eigenes Kraftfeld
Es gibt Preise für den schönsten Pinscher, für den besten Rätselrater, für den schnellsten Läufer. Es gibt auch Preise für Musiker, für bildende Künstler und für Schriftsteller.Die Schönheit eines Pinschers ist, so behauptet man, meßbar. Die Form der Ohren, die Länge des Schweifes, die Farbe müssen ganz bestimmten Erwartungen entsprechen. Auch mit dem Rätselrater und dem Läufer gibt es keine Probleme, zumal die Rätsel etwa in den Quiz-Sendungen des Fernsehens gar keine Rätsel sind. Wenn der Rätselrater weiß, wo Goethe geboren ist, wenn der Läufer als erster im Ziel
Man merke sich die Zusammenhänge. Die Zusammenhänge sind wichtig. Denn einerseits wird durch die TV, das Radio, die weltweite Wirkung der großen Verlage die Literatur vereinheitlicht, andererseits aber regen sich plötzlich die Tal- schaften, die Dialekte, die bodenständigen Besonderheiten, die kleinen Regionen. Die Vereinheitlichung ist augenscheinlich. Die Verunein- heitlichung ebenfalls. Und wie hängen die beiden Strömungen nun zusammen?Die Frage klingt, ich gebe es zu, ein wenig abstrakt, aber bei näherer Betrach-tung entdeckt man auch in dieser literarischen Diskussion jenen wunden
Seltsam. Dieses grausame, vom Hochmut der Mächtigen und vom tiefen menschlichen Leid gezeichnete 20. Jahrhundert bietet an jeder Wegbiegung reichlich Stoff für Satire - aber wir haben keine großen Satiriker. Kann das Leid so heftig sein, daß es das bittere Lachen erstickt? Sind die Autoren ängstlich geworden? Ziehen sie sich lieber in den elfenbeinernen Turm der Selbstanalyse zurück? Oder ist alles ermattet, lustlos, gleichmütig, ideologisiert (und auch das geruhsame Verweilen im scheinbar abgesicherten System einer Ideologie ist meistens ein Zeichen von Ermattung)?Karl Kraus hat es in
Er hatte galante Feste gemalt und sanfte Schäferspiele, er hatte für elegante Feierlichkeiten zarte Wanddekorationen entworfen, er hatte die,Melancholie der Lust zum Ausdruck gebracht und in all der verfeinerten Lieblichkeit auch die Todesangst dargestellt, die seine Figuren wie ein kaum sichtbarer Schleier umgibt, aber zwei Jahre vor seinem Tod betrat der arme Jean-Antoine Watteau selbst die Bühne.Er war fünfunddreißig und schwächlich, und angesichts der allerhöchsten Auftraggeber und der Beschaffenheiten des Kunst-marktes immer noch nicht verwegen genug, sich selbst zu porträtieren.
Vor 150 Jahren ist Goethe gestorben, und die Erinnerung kehrt zu seinen Schriften und Taten zurück, doch werden die vielen Veranstaltungen des Goethe-Jahres von einem leisen, aber nicht überhörbaren Murren begleitet. Goethe, der Hehre und Holde — so raunt es am Rande der Feste — Goethe der Olympiker, wozu brauchen wir den noch? Was hat er uns Heutigen denn zu sagen? Was wollen sie in unserer Welt, diese Klassiker mit ihren Büsten und prächtig gebundenen Büchern?Die da so murmeln und grinsen, spöttisch stöhnen oder nach einer Gelegenheit suchen, eine kleine hübsche Beschimpfung des
In Schottland und in Siebenbürgen fanden die Forscher im letzten Jahrhundert die meisten Balladen. Sie schildern Tragödien, verknappen die Handlung, verdichten die Dialoge, wirken aufreizend, bestürzend, unerbittlich. Erinnerungen an historische Ereignisse, an Verbrechen, an die böse Folgerichtigkeit des Schicksals gewinnen in diesen von bäuerlichen Märchenerzählern und Sängern weitergegebenen Texten eine archaische Form.Vor mehr als drei Jahrzehnten wollte ein damals verhältnismäßig junger Autor in Ungarn eine dieser Balladen in ein Bühnenstück verwandeln. Er, Imre Sarkadi, ein
Die Tragödien am Rande der Weltgeschichte ereignen sich meistens im stillen. Ihre Helden sind verschämt, fühlen sich nicht als Helden, sind bloß Getriebene, Verzweifelte ohne Ausweg, haben das Bitten aufgegeben und das Beten verlernt, sammeln Kraft für die letzte, entscheidende Minute. Was wissen die Anführer politischer Kämpfe von den Folgen ihrer Taten?In einer Münchner Tageszeitung war unlängst unter den vermischten Lokalnachrichten an letzter Stelle folgendes zu lesen: „Aus einem Fenster im zehnten Stock des Hauses Elektra- straße 5 in Bogenhausen stürzte sich am Freitag früh
Journalismus ist kein Beruf, sondern eine unheilbare Krankheit. Andere Leute erlernen, je nach Neigung, nach Möglichkeit oder nach dem Maß ihrer Geldgier, irgend etwas Nützliches; sie erzeugen zum Beispiel Gegenstände, die möglichst lange halten, aber auch möglichst rasch zugrunde gehen1 sollen, oder sie kaufen irgendwelche Lebensmittel, tun mit ihnen nichts, erklären sie für „garantiert naturbelassen" und verlangen für die Unterlassung einen entsprechenden Preis. Der richtige, der unverfälschte, der geborene Journalist erlernt nichts, erzeugt nichts und kauft nichts. Er
Ist es leere Zeremonie? Nein, das gemeinsame Feiern ist ein kultischer, ein zutiefst sozialer Akt, in dem sich die Gemeinschaft ihrer selbst bewußt wird; sie träumt sich durch die eigene Entstehungsgeschichte und befreit sich von Neurosen, indem sie ihr Verhältnis zu ihren formenden Gestalten neu überdenkt; sie macht sich selbst, indem sie sich in ihrer Vergangenheit, besser kennenlernt, frei für die Zukunft. Wir brauchen die gemeinsamen Feste als Anlaß zur vergleichenden Büanz, getragen von Melancholie und Euphorie: Seht her, das sind wir gewesen, das sind wir, das könnten wir sein!
Diesmal steht die Literarische Rundschau im Zeichen des Kindes. Sämtliche Rezensionen befassen sich mit Büchern über die verschiedenartigen Fragen der Kindheit.
Mein Vater lebte noch. Es war im Sommer. Ich ging in die Wohnung der Eltern, um den Briefkasten zu öffnen und ihnen die Briefe und Postkarten der letzten Wochen nachzusenden. Da lagen nun all die Papiere auf der pastellfarben bestickten Tischdecke des kühlen Zimmers; ich sichtete, wählte aus, sah die Ansichtskarten an, las die Namen der Absender; eine gelbliche Postkarte fiel mir auf, die Schrift war mit einem Tintenbleistift hastig aufs Papier gekritzelt, die Briefmarke zeigte ein Gesicht aus der Tschechoslowakei. Die Tante meiner Mutter hatte geschrieben. Ihr Bericht war kurz. Ihr Neffe
Während ich diese Zeilen nieder sehr eibe, halten deutsche Terroristen vermutlich im Raum Frankfurt-Mainz ihren Landsmann Hanns Martin Schleyer gefangen; bis diese Zeilen gedruckt werden, ist Schleyer vielleicht bereits tot, vielleicht bereits frei; die Frage jedoch nach den Motiven von Opfern und Tätern bleibt bestehen, wird zum Problem der Massenpsychologie, entpuppt sich als eines der Kardinalprobleme unserer Zeit.
Alpbach soll krankgebetet werden. Seit Jahren und Jahrzehnten hat sich das Österreichische College im Alpendorf zu einem sonderbaren, sehr österreichischen Schnittpunkt geistiger Strömungen entwickelt: zum Kristallisationspunkt, zum Treffpunkt, zur Tribüne. Es gibt dort oben viele gescheite Leute und manche sind noch gescheiter als die anderen, und manche sind auch noch eitler. Oder vielleicht dieses eine Mal nicht recht in Form. Es gibt freilich auch Dumme und Böse. Und es gibt Besucher, die die Wärme der Welt an ihrer eigenen Kälte messen und sich also - für ihr eigenes Empfinden -
Ich möchte nichts anderes beschreiben als ein Gesicht Wir sehen dieses Gesicht meistens nur von der Seite her und nur für einige Sekunden, aber auch diese sehr kurze Zeitspanne genügt, um die Art und die Bedeutung der Physiognomie zu erfassen. Zudem sehen wir das Gesicht ziemlich oft, besonders auf der Autobahn, aber auch im Stadtverkehr das Gesicht jenes Autofahrers, der einen anderen Autofahrer oder gleich eine ganze Kolonne überholen will, mit zusammengebissenen Zähnen, um jeden Preis.Das Auffallendste an diesem Gesicht ist, daß es sich mit einer mühsam erkünstelten Konzentration
„Östlicher Golfstrom”, der Ausdruck wurde in den dreißiger Jahren von Läszlö Nėmeth in Ungarn geprägt. Er, der nachdenkliche Schriftsteller und zugleich Philosoph eines - wie sollen wir es wohl nennen? - eines bäuerlich-nationalen, um Fortschritt und Qualität ringenden Weltbildes, er, der einsame Europäer, hatte mit dem Ausdruck „östlicher Golfstrom” die Notwendigkeit gemeint, unseren Blickpunkt zu überprüfen. Man möge, so meinte er damals, nicht nur ständig gegen Westen blicken. Impulse einer kulturellen Erneuerung könnten auch aus dem Osten kommen: aus der indischen
Ein Diplomat verläßt Wien, tritt in den Ruhestand: die Nachricht klingt nach Alltag, nach Routine. Wir können sie aber auch anders formulieren. So: Ein Schriftsteller aus dem alten Österreich zieht sich in das Heilige Land zurück, um dort während der nächsten Jahre zwei Bücher zu schreiben. Einen Roman über Jerusalem und eine Darstellung der sowjetischen Politik mit psychologischen Mitteln, also gewis- _ sermaßen das Psychogramm eines Staates. Der Diplomat heißt Avig- dor Dagan. Er vertritt Israel in Wien. Doch früher einmal hat er ganz anders geheißen. Viktor Fischl. Und ist
(Unterwegs in den Orient.) Der heiße Frühsommertag hier am nördlichen Ufer des Neusiedler Sees läßt die Farben verblassen. Ein Dunstschleier oder aufgewirbelter Staub liegt in der Luft; längst sind die Umrisse der Häuser und der vollen Baumkronen weich wie im Nebel; sie scheinen an Konsistenz verloren zu haben und beben leicht, wie Gebilde in einem Traum. Menschenleer liegen die Straßen im gleißenden Licht. Wir fahren nach Halbtum, zur Ausstellung „Die Kunst des Islams”, versuchen unterwegs, einschlägige Erinnerungen aus dem Gedächtnis hervortreten zu lassen, doch will das
(Das Stift. Abstufungen des Lichtes.) Nördlich von Sankt Pölten ist die Ebene fruchtbar, da und dort von Baumgruppen bestanden; dicht ist das Laub; fett hegt der goldumrandete Schatten auf dem matt glänzenden Beton der Straßen. Außerhalb der Schattenflecke flimmert das volle Licht der hohen Frühlingszeit.In diesen steten Strahlen stehen Baukörper, große und noch größere, von Türmen und Dächern überragt, von wuchtigem Stein ummauert, doch ist der Eindruck nicht imperial und auch nicht eigentlich imposant. Was man sieht und was man bei diesem Anblick fühlt - wie soll man es nennen?
1. Lang sind die Tage während der Kindheit. Zwei freie Tage bieten einen Zeitraum fast ohne Ende, laden ein zur Vertiefung in einem Spiel, geben Gelegenheit, einBuch so richtig hingerissen zu Ende zu lesen, verleiten zu abenteuerlichen Ausflügen oder langen Spaziergängen, lassen die Süße d/es Nichtstuns erleben (diesen scheinbaren Müßiggang, der den ununterbrochenen Strom der halbbewußten Kontemplation umschließt), ja, zwei freie Tage können das Erlebnis der Gemeinsamkeit erwecken: in der Familie, im Freundeskreis, im Zusammensein mit einem Mädchen. Zwei freie Tage am Wochenende
„Erster Kongreß europäischer Schriftstellerorganisationen”, das klingt eigentlich recht erschreckend, ja absurd, denn: Schriftsteller sind ja meistens Einzelgänger, können die selbstgestellten Aufgaben am Schreibtisch nur allein lösen, und wenn sie sich dann nach Grüppchen und Cliquen von Gleichgesinnten sehnen, dann suchen sie entweder nach der lebensnotwendigen Wärme und Bestätigung, oder sie streben nach einer kämpferischen Allianz. Aber Gruppen und Cliquen sind nur selten regelrechte Organisationen mit Obmann, Schriftführer und Kassier mit Tagesordnung und so weiter. Man will
Rede anläßlich der Enthüllung einer Gedenktafel für A. P. Gütersloh in Baden bei Wien, Helenenstraße 100, am 30. Jänner 1977.In diesem Hause hat ein Mann gelebt, der frei war. Hinter den Mauern steht sein Arbeitstisch, steht seine Staffelei, steht sein Bett. Er ist anwesend in diesen Gegenständen und er ist gegenwärtig in unserem Gedächtnis: als eine bildhafte, sich immer wieder verflüchtigende Erscheinung, aus der Wirklichkeit gleichsam zur bleibenden Existenz destilliert, jedoch der verzerrenden Willkür unserer Subjektivität und Vergeßlichkeit unterworfen. So bewegt sich sein
Verhältnismäßig selten müssen lebendige Menschen aus einem Theaterstück erfahren, daß sie tot sind, und zwar bereits seit Jahrzehnten. Hin und wieder kann aber auch so etwas passieren. Seit einigen Monaten gibt es in den Budapester Buchhandlungen einen Band mit dem Titel zu kaufen: „Der Morgen ist mein Bruder.“ Er enthält fünf Bühnenstücke von Gyula Hernädi, einem Autor, der sich vor allem mit seinen Drehbüchern zu den Fümen des außergewöhnlichen, nach der Symbolsprache der Balladen suchenden Regisseurs Miklös Jancsö einen Namen gemacht hat. Gleich das erste Stück heißt
Wirklichkeit und Spiel vermischen sich. In der Zeitung steht: Die Entführer holten sich einen jungen Mann, schleppten ihn in einen verlassenen Bunker, ketteten ihn an die Mauer und ließen ihn verhungern. Ist es die TV- Kritik von gestern Abend? Ist es der Polizeibericht? Die Gangster holten sich einen jungen Mann, zwängten ihn in eine Kiste, zerquetschten ihm dabei die Lunge und brachen ihm zufällig die Wirbelsäule. Haben die Gangster so etwas im kleinen Kino an der Ecke gelernt oder sind die Filmemacher bei den Gangstern in die Schule gegangen? Die Räuber holten sich einen jungen Mann,