Nach einem offenbar unausrottbaren Vorurteil muß für die Zeitung Geschriebenes als „schurnalistisch“ abgetan, sogenannte Dichtkunst hingegen, in Buchform publiziert, höchst ehrfurchtsvoll behandelt werden. Für den Spießbürger ist der Schein wichtiger als die Substanz; der Snob will nicht denken, sondern schwärmen. Eine Misere des literarischen Lebens durch falsche Werturteile ist die Folge.Günter Zehm hat seine kurzen treffsicheren Essays für eine Tageszeitung verfaßt. Dort (in der „Welt“) waren und sind die pointierten Anmerkungen des Pankraz wöchentlich zu lesen.Dieser von
Was ist Wirklichkeit? Die meisten Denker und Künstler des 19. Jahrhunderts hielten sich an der Erfahrung fest; was sie beweisen, sehen, abbilden konnten, war wirklich. Erst im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg schien sich dieses beruhigende Lebensgefühl aufzulösen. Während sich die Politiker immer noch der Illusion hingaben, eine ganz und gar erkennbare Welt wäre mit Feuer und Eisen zu verändern, wußten manche Forscher und Künstler bereits wesentlich mehr.Die Abkehr von einem gleichsam gußeisernen Weltbild ging auf verschiedenen Gebieten vor sich. Durch Einstein erhielt die Physik
Im Jahre 1910 sah Emst Jünger, fünfzehnjährig, den Halleyschen Kometen; im Frühling 1986 fuhr er nach Malaysia, um ihn wiederzusehen. Der Standort war für die Beobachtung günstig; der Anblick selbst blieb ohne tiefe Wirkung. „Diesmal schien er mir etwas größer, doch ebenso wenig imponierend wie damals — schweiflos, diffus, etwa wie ein Garnknäuel“, lautet der Bericht.Der Reise verdanken wir ein Tagebuch, im April und Mai 1986 in Südostasien notiert. Das Denken des Autors richtet sich auf die wesentlichen Fragen der Zeit, damit auf das Menschliche schlechthin. Inmitten des
Ein aufschlußreiches und schönes Buch: Es zeigt die Volkskulturen des Balkan in ihrer archaischen Kraft, als Hervorbringung einer jahrtausendealten Entwicklung. Das Illyrische und das Thrakische durchziehen das vorherrschende slawische Element, doch machen sich auch die Erbschaft der griechischen Antike, Byzanz, die Türkenzeit und venezianischer Einfluß bemerkbar. Das Ergebnis ist faszinierend.Die Autoren Lida und Tomaš Miček, in Österreich beheimatet, haben in den letzten fünfzehn Jahren eindrucksvolle Bücher über Sizilien, Griechenland und die Alpen veröffentlicht. Die Autoren
Unter den guten, den geistreichen und sensitiven deutschen Autoren gehört Valentin Polcuch zu den besten. In seinem ersten autobiographischen Roman „Nach Verlassen der Steppe“ hatte er die Sehnsüchte und Irrwege der ersten Jahrzehnte beschrieben, die seltsame Geschichte eines jungen Mannes, der als Sohn eines deutschen Bauern und einer Kosakin 1911 in Rostow am Don geboren wurde, dann in Posen gelebt hat, schließlich heimgekehrt ist ins Reich und hinausgestoßen wurde in den Krieg. Die Fortsetzung heißt „Auf Santners Wiese“ und schildert die Nachkriegsjahre des Erzählers.Und
Am 5. September würde er seinen neunzigsten Geburtstag feiern, und vielleicht wäre er rüstig, durch die Stärke des Willens gegen das Altern gewappnet, bei guter Laune und also zu allerlei Schelmenspielen bereit.Wenn's so wäre, würden wir uns in seiner Wohnung in der Währingerstraße versammeln, Eisenreich wäre da, Tramin, Do-ra Zeeman (die dann ihr verbittertes Buch doch nicht geschrieben hätte), Schmidt-Dengler, einige mir unbekannte Herren, wahrscheinlich auch eine zur sanften Fülle neigende Dame unbestimmten Alters. Er, der Gefeierte, würde uns und sich selbst mit einem Monolog
ln seinem neuen Roman „Die Werke der Einsamkeit“ zeichnet der Autor ein zeitkritisches Panorama der Gesellschaft. Das umfangreiche Werk erscheint in diesem Herbst im Verlag Styria, Graz.
Zwei Künstler haben in den sechziger Jahren immer wieder gemeinsam den Wiener Prater besucht. Das Ergebnis dieser Ausflüge ist ein liebevoll ausgestattetes Buch, spontan und eigenwillig und sehr menschlich.Franz Hubmann hat 102 Pra-terszenen fotografiert, Helmut Qualtinger die Aufnahmen nicht mit eigenen Kommentaren, sondern mit wirklichen oder erfundenen Aussprüchen der Prater-besucher versehen. Hubmanns Bilder dringen in die Skurrilitä-ten und menschlichen Tiefen einer bereits halb versunkenen Welt, Qualtingers kurze Notizen erinnern in ihrem treffsicheren Stakkato an die kleinen
Er ist ein bedeutender Schauspieler, ein kluger Regisseur, ein liebenswürdiger Mensch. Hans Jaray feiert am 24. Juni seinen 80. Geburtstag.Sein Erscheinen auf der Bühne an der Seite Aslans, Bassermanns, der jungen Wessely ist glanzvolle Theatergeschichte. Seine Arbeit seither zielt auf Genauigkeit, auf formvollendete Dichte. Das Spiel gewinnt unter seiner Leitung klare, eindringliche Gestalt. Er weiß, daß Leichtigkeit und Grazie nur durch intellektuelle Arbeit erzielt werden können.Wenn er selbst auf der Bühne steht, ist er von einer Aura umgeben, die am ehesten mit den Worten Charme und
Viele Jahre hindurch war Friedrich Heer der FURCHE verbunden; noch in den letzten Wochen seines' Lebens schickte er kurze und leidenschaftlich formulierte Beiträge: vulkanische Ausbrüche, heroische Versuche, bis zum letzten Augenblick zu werken und zu wirken.Ergriffen blättern wir in der von Norbert Leser her-ausgegebenen „Jieer-Schau“. Die neunzehn Briefe, Erinnerungen, Studienzeichnen die lebendige Gestalt des Freundes, beleuchten Widersprüche und Zusammenhänge der österreichischen Kulturgeschichte, versuchen, die vielfältige Bedeutung des großen Lebenswerkes freizulegen.Es wird
Sobald sich der in den Kämpfen des Tages aufgewirbelte Staub gelegt hat, kann der Blick das Wesentliche und auch das Wesenhafte endlich erfassen. So ist es auch im Falle Ernst Jüngers und seines jüngeren Bruders Friedrich Georg.Ernst Jünger arbeitet im hohen Alter unverdrossen weiter. Friedrich Georg ist 1977, im neunundsiebzigsten Lebensjahr gestorben. Nun ist der erste Band seiner sämtlichen Gedichte und ein Bändchen seiner zuerst 1950 veröffentlichten Erzählungen erschienen. Die Bücher zeigen, daß es von den Zeitgenossen falsch war, die beiden dichtenden Brüder als eine einzige
Er ist ein Philosoph, der seine Thesen und Axiome nicht in gewichtigen Büchern, sondern in kurzen, geschliffenen Essays formuliert. Oft findet man sie in der Süddeutschen Zeitung“, zuweilen auch in der FURCHE. Wären sie nicht so tiefgründig, geistreich und originell, könnte man sie mit schlichten Kulturberichten verwechseln. Ihr Autor, Otto F. Beer, ist ein Meister der kleinen Form, was ihn freilich nicht daran hindern konnte, auch mit einem glänzenden Roman hervorzutre-ten. ,J.ch, Rodolfo, Magier“ heißt die vergnügliche Parabel.Man müßte sagen, Otto F. Beer feiert am 8.
Im kurzen (zweiten) Roman von Friedrich Ch. Zauner wird ein Maler mit den Worten charakterisiert: „Er geht von der Wirklichkeit aus, kein Zweifel, aber er hat die Wirklichkeit weit hinter sich gelassen, oder sie gerafft, sie geschält, zurückgeführt auf ihren Kern.” Genau das trifft auf den Autor des Romans zu. Er hat ein gutes Stück Prosa geschrieben und, wie nebenbei, gezeigt, daß nicht nur ein anglo-sächsischer, sondern auch ein deutschsprachiger Roman tiefsinnig, anspruchsvoll, zugleich aber auch lesbar sein kann.Einige Urlaubstage führen einen Münchner Galeriebesitzer auf die
Der kleine Roman, den Ernst Jünger vor einigen Monaten abschloß, ist das Buch eines Lebensgefühls. In ihm wird die müde Lüsternheit, die schwüle Morbidität, die in Samt und Seide eingehüllte Härte der Belle epo-que dargestellt. Die Schönheit einer Lebensform vermag die verborgenen Spannungen nicht zu verdrängen; Bedrohliches ballt sich in der Tiefe.Jünger hat sich den Spaß erlaubt, einen Kriminalroman zu schreiben. Der Mord in Paris, im Herbst des Jahres 1888, erscheint zunächst rätselhaft. Die Fahndung fördert nur Bruchstücke zutage. Nach und nach wird eine Verkettung von
Nur Worte. Und doch öffnet sich eine ferne Welt, unter der, kaum verschüttet, unsere eigene liegt. Dieser Kampf um Troja ist der Krieg schlechthin; Helden und Opfer'vereinigen sich im blutigen Ritual des Mordens; nur eine einzige Stimme erhebt sich gegen die Verblendung.Brigitte Antonius spielt im Theater in der Drachengasse in Wien die Kassandra. Sie hat die mißglückte Inszenierung der Premiere geändert und den Text von Christa Wolf zu einem packenden Monolog verdichtet. Minuten stiller Menschlichkeit wechseln mit Sekunden finsterer Dämonie. Die Klarsicht, die doch nichts verhindern
Aus dem Krieg, in den man ihn als sehr jungen Menschen geschickt hat, ist er verwundet heimgekehrt und das nicht nur physisch. Die innere Spannung, auch Spannungen der Nachkriegszeit gaben seiner rhythmisch dahinströmenden Prosa die Kraft; im Bild des Aufbruchs erschienen die Schatten eines künftigen A b-bruchs; Romane, Kurzgeschichten, Essays ergaben allmählich ein einziges, streng analytisches, die Dinge zunehmend im Geiste heiterer (oder bitterer) Skepsis darstellendes Werk.Herbert Eisenreich, von dem hier die Rede ist, gehört zu den Klassikern der Moderne. Es bleibt den Germanisten
Fünf Personen haben unlängst die Meinung geäußert, daß das Begießen nackter Männer und Frauen mit dem Blut frisch geschlachteter Tiere (mit einer kleinen Parodie der Kreuzigung Christi als Draufgabe) eine sinnvolle Betätigung, ja sogar Kunst sei.
„Es ändern sich nicht die Werte, wohl aber die Wertungen", steht auf Seite 211 des neuen Buches von Ernst Jünger zu lesen. Der Satz wirft ein Licht auf die Denkungsart dieses wohl größten Schriftstellers deutscher Zunge. Seine wortkargen Betrachtungen treffen die geistige Substanz. Sie sind vorurteilslos im Betrachten des Wandels, aber kompromißlos, wenn es darum geht, zwischen dem Menschlichen und dem Modischen zu unterscheiden.Die Sammlung kurzer Aufzeichnungen wirkt auf den ersten Blick aphoristisch. Aber Jünger will nicht durch frappante Kürzung beeindrucken. Er scheut die
Erst aus einiger Entfernung betrachtet klärt sich das Bild einer literarischen Landschaft. Eine Literaturgeschichte der Gegenwart zu schreiben ist blanker Unsinn; ein Werk dieser Art muß zur subjektiven Streitschrift werden oder zur langweiligen Kompilation. Auch die nähere Vergangenheit ist mutwilligen Vorurteilen ausgeliefert, aus persönlichen Aversionen entstanden, deren Ursachen uns meistens nichts angehen. Distanz fördert die Wahrheitsfindung.Gottfried Benn starb 1956. Er war siebzig. Seine Lyrik scheint mit der Zeit an Bedeutung zu gewinnen. Die selbstquälerische Kühle dieser
Der Sommer in Budapest war wolkenlos. Es gabt nun nachts öfter Fliegeralarm. Vom Balkon im vierten Stock sahen wir am Morgen den braunen Rauch über der Vorstadt. Fabriken brannten.Abends hörten die Eltern Radio London. Wir, Kinder, schlichen ins Zimmer und wurden nicht weggeschickt. Im verdunkelten Raum leuchteten die Lichter des Rundfunkgerätes und die Zigaretten.Die Eltern wollten, daß die Engländer siegten, sie sehnten diesen Sieg so leidenschaftlich, so innig herbei, daß wir ihre Gefühle teilten. Wir hörten das Wort „Invasion". Sobald diese begann, war am Sieg der
Welche fundamentalen Veränderungen führen zum allmählichen Verfall und letztlich zum Zusammenbruch eines Jahrhunderte hindurch erfolgreichen, die Mehrzahl der Menschen befriedigenden, ja triumphalen politischen Systems? Wird der Zusammenbruch von den Zeitgenossen tatsächlich wahrgenommen?Die Fragen haben heute für die meisten politisch denkenden Menschen eine bedrängende und beklemmende Aktualität. Das vorliegende Werk eines Professors für Alte Geschichte enthält eine umfangreich dokumentierte, umfassende, zudem auch geistreich formulierte Antwort. Alexander Demandts Buch ist ein Werk
Materialgerecht: die Forderung, zuerst von der neuen Architektur erhoben, bezieht sich auch auf die bildende Kunst. Die Veränderung der Stile zeigt in dieser Hinsicht tatsächlich eine Entwicklung.Den neuen Möglichkeiten, mit Metall zu arbeiten, wurden in Österreich vor allem zwei Bildhauer gerecht: Rudolf Kedl und Josef Schagerl. Kedl gestaltet dreidimensional und auf Relief tafeln die knospenden, eruptiven, in den leeren Raum vordringenden Formen einer ewigen Vitalität. Josef Schagerl, dessen großformatige Arbeiten gegenwärtig in der Hof-Galerie des Österreich-Hauses (Wien 1,
Was bleibt aus dem Lebenswerk eines Bühnenautors, Theaterkritikers und Külturjournalisten für die Nachwelt erhalten? Karl Maria Grimme, der nun nach kurzem Leiden in Wien gestorben ist, hinterläßt kein Buch. Sein Denken ist es, das, mit der Kulturgeschichte der letzten Jahrzehnte verwoben, weiter wirkt.Grimme, 1897 in Wien geboren, war zunächst Techniker. Als Diplomingenieur hätte er sich ein Leben lang mit den Fragen seines Faches befassen können, er aber begann nach dem Ersten Weltkrieg knappe und prägnante Betrachtungen über das kulturelle Leben zu publizieren. Erzählungen
Eine einfache Fabel, schmucklos, auf die Ereignisse des Alltagslebens konzentriert — und doch hat dieser zweite Roman von Peter Ebner einen seltsamen, düsteren Zauber. Man erliegt dieser Kraft und weiß zunächst nicht, wodurch diese Prosa derart stark wirkt.Ebner erzählt eine für die Gegenwart typische Geschichte. Eine hohl gewordene Ehe geht zu Ende; der Ehemann findet eine kluge, vieles verstehende Freundin; die beiden fast erwachsenen Kinder verlassen das elterliche Heim; Ehefrau und Freundin lernen einander kennen; beide halten den Mann für einen Egoisten; die beiden Frauen mieten
Sie leben ja noch, die jungen Männer des Jahres 1933, die damals im Mai die Bücherhaufen auf Deutschlands Plätzen umstanden. „Deutsche Studenten marschieren wider den undeutschen Geist”, so lautete ihre Parole. Schon brannte das Feuer. Man hatte die öffentlichen Bibliotheken durchgestöbert, hatte die Bücher unliebsam gewordener deutscher Autoren zusammengetragen, und nun verbrannte man sie, brüllte im Chor die Parolen des Tages, sang im Widerschein brennender Bü- cherberge Kampflieder über Deutschland.Menschen in den Verbrennungsöfen von Auschwitz, in den von Bomben getroffenen
Der Fall ist exemplarisch.Der tschechische Schriftsteller Vaclav Havel, aus politischen Gründen zu viereinhalbjähriger Haft verurteilt, wurde endlich in ein ziviles Prager Krankenhaus gebracht. Sein schweres Lungenleiden wird nun vielleicht doch mit einiger Sorgfalt behandelt. Vielleicht wird Havel wieder gesund.Und dann bringt man ihn in die Strafanstalt zurück? Werden die Proteste von Graham Greene und Günther Grass, von Dürrenmatt und Yves Montand, von Hans Weigel und Milo Dor einfach ignoriert?Der weltweite Protest der Literaten will vor allem das Leben eines bedeutenden
„Vom anderen Österreich soll die Rede sein. Vom einfachen Leben. Vom Volk." Mit diesen Worten umreißt Paul Kaufmann die Zielsetzungen eines Buches, das die Sitten und Bräuche, den Glauben und den Aberglauben „des Volkes" darstellen will.Der Autor hat sich als Verfasser ironischer Romane, als Generalsekretär des Steirischen Herbstes, als Politiker einen Namen gemacht. Nun kehrt er zu seinem erlernten Beruf zurück. Paul Kaufmann ist Volkskundler. Er schreibt anschaulich und witzig; sein Buch bietet eine umfassende und leicht lesbare, ja vergnügliche Zusammenfassung des
Er war nicht nur Heldendarsteller, sondern auch als Privatmann der Held eines farbigen, zuweilen allzufarbigen Lebens: Curd Jürgens, der in diesen Tagen in Wien an einem Herzleiden gestorben ist.Auf der Bühne, im Film und in seiner Lebensform verkörperte er einen Typus, geformt durch die Dichter der Romantik: männlich, siegreich, auch in den Stunden des Glücks wortkarg und einsam, eigenwillig, würdig und abenteuerlustig — ein Dandy aus der Schule Lord Byrons, Puschkins und des jüngeren Dumas.Die Legendenfigur überstrahlte den seriösen Schau-r Spieler, der im Burgtheater und auch im
Wir werden in diesem Sommer die geistigen Rosengärten Europas durchstreifen, und zwar nicht irgendwo in der Ferne, sondern gleichsam vor der Haustür. In der Minoritenkirche in Krems und in der Schallaburg werden bereits die Schätze gehortet: diese Schätze nicht der geizigen Gier, sondern der Abenteuerlust der Phantasie. Und wenn ich daran denke, was uns im Mai hinter altem Gemäuer erwartet, fühle ich jene sanfte Wonne der Sehn-' sucht, die wir als Kinder, als sehr junge Leute empfunden haben, wenn wir an ferne italienische Städte dachten oder an die wohlgeordnete Pracht der
Im Brauchtum findet das Instinktleben eine ritualisierte Symbolik. Sie gibt Aufschluß über das menschliche Streben, ein Lebensgefühl zum Ausdruck zu bringen.Auf diese Weise tritt, frei und vergnüglich, das Archetypische zutage. Die Atmosphäre des Spiels steigert die kreative Lust an der Darstellung und bildet einen Freiraum, in dem sich das Wunderliche, das Absonderliche, das Tolle festen Gesetzen horchend ereignet.Eines der üppigsten und launenhaftesten Beispiele für das freie, durch theatralische Darbietung verdichtete Treiben ist der Umzugs- und Maskenbrauch des Schleicherlauf ens in
Die Zeiten ändern sich und wir verändern uns mit ihnen-— die antike Weisheit ist an zahlreichen Beispielen zu studieren.Auch unsere Ministerin für Wissenschaft und Forschung hat sich verändert. Hertha Firnberg wirkt heute wie eine kapriziöse alte Dame, die ihre Lieblinge und Höflinge katzenhaft launisch fördert.Die zarten Bande, die nun die Bepublik mit dem deutschen Schokoladefabrikan-ten und Kunstsammler Peter Ludwig und seinem Hofstaat verbinden, sind von Hertha Firnberg geknüpft worden. Eine schwärmerische Laune der alten Dame gestattet es uns Steuerzahlern, den Import einer
Ein Feiertags-Abend. Arbeit an einem längeren Manuskript. Dann: Anruf des väterlichen Freundes. Man müsse sich den „Troubadour“ doch ansehen. Schnell noch die Flasche Rotwein, dann ins Auto, und nun saßen wir da, dem Fernsehgerät gegenüber. Ein wenig skeptisch? Gewiß. Viel zu lang wurde über die Produktion geredet. Vielleicht gehören Skandale zur großen Oper, aber uns lasse man gefälligst aus dem Spiel, wir wollen von den Zänkereien der Sänger gar nichts wissen. Und dann überhaupt: dieser „Troubadour“! Ein Schauermärchen mit geraubtem Kind und geschändeter Unschuld.
Ich bin Schriftsteller. Da ich mich mit der Gegenwart beschäftige, muß ich mich mit dem Archetypus befassen. Wenn ich die im kollektiven Unterbewußtsein enthaltenen Motive und die Art ihrer Wirkung nicht kenne, bleibt mir ein tieferes Verständnis der Gegenwart versagt: In Unkenntnis der wichtigsten treibenden Kräfte menschlichen Tuns muß ich mich mit dem bloßen Schein begnügen. Der Schriftsteller, der die Wirklichkeit begreifen will, sollte die Zeichen der historischen Anfange auf apollinischem oder auf dyonisischem Wege deuten können, das heißt: bewußt oder instinktiv.Die
Vorgestern am frühen Vormittag blätterte ich in einer deutschen Zeitung und sah auf raschelndem Papier den merkwürdigen Ausdruck „bürgerliche Familie“ abgedruckt. Ein trefflicher Schriftsteller und melancholisch milde waltender Familienvater zeigte sich in einem Artikel schriftlich erfreut darüber, daß ein Schauspiel die „bürgerliche Familie“ endlich als einen monströsen Unsinn entlarvt hat.Ich dachte nach, während der plötzlich angekommene weihnachtliche Föhn an den Fensterscheiben vorbeisurrte, dachte in zwei Richtungen.Was ist eine „bürgerliche Familie?“ so lautete
Manche sogenannte Politiker und sogenannte Ästhetiker wollen die Wirklichkeit partout nicht wahrhaben, die Wirklichkeit unserer europäischen Welt, hier und heute: die Tatsache nämlich, daß wir langsam, aber unaufhaltsam bei lebendigem Leibe vereisen.
D ie Kulturzeitschriften in Österreich haben es nicht leicht. Sie werden zwar vom Bund und von den Ländern zum Teilmit Subventionen versorgt, auch bietet eine besondere Kommission des Bundeskanzlers finanzielle Hilfe. Aber: die Herstellungspreise steigen ununterbrochen und die Verbreitung der Zeitschriften kann mit der Teuerung nicht Schritt halten. Jede Kulturzeitschrift ist Sache einer schreibenden und lesenden Minorität. Sie muß es sein, denn in der Zeitschrift wird experimentiert, über spezifische Fragen nachgedacht, über ein geographisch oder geistig abgrenzbares Gebiet berichtet -
Oft wurde die fortschreitende Demokratisierung der Bühnenhelden beschrieben: auf die persönlich auftretenden Gottheiten folgten säkularisierte Götterbilder; diese verwandelten sich allmählich in hehre Heroen; der Heros bekam dann einen individuellen Charakter und konnte zur Figur eines bürgerlichen Alltags gezähmt werden; bald redete der Bürger, wie ihm der Schnabel gewachsen war, der Bürger nahm kleinbürgerliche und dann auch proletarische Züge an; der Weg führte weiter: in die dargestellte Misere der Krankhaften und der Kranken, und in die karge Metaphorik der Figuren bei Samuel
Warum ist dieses Büchlein von Henry Miller so erfreulich und wichtig?Weil es — beginnen wir nun einmal damit — ganz ungeniert hingeschrieben worden ist, für Freunde und Bekannte: über Griechenland, über die Malerei (nämlich die eigene, denn Miller aquarelliert auch) über das Altem und über den Selbstmord eines japanischen Poeten. Dabei kommt aber Miller immer wieder auf sein wichtigstes Thema zurück: auf den Menschen, wie er wirklich ist, wie er da steht gegen Ende dieses 20. Jahrhunderts, von Einbildungen geblendet und von Ideen verführt. Diese Einbildungen und Ideen werden
Wir lesen gerührt über die geistigen Zirkel in den Kaffeehäusern früherer Zeiten, von Stammtischen, an denen neue Architektur entstand und neue Poesie, von Konfrontationen und von Verbrüderungen, vom Gründen einer Zeitung während langer nächtlicher Grübeleien, von Adolf Loos und Egon Friedeil. von Peter Altenberg und Anton Kuh, von jenem Kunstkritiker Lew Bronstein aus Russland, der dann unter dem Namen Trotzkij eine ganze Armee kommandierte — ja, wir denken mit Hochachtung, mit Sehnsucht und ein wenig auch neidisch an das legendäre Cafe Central. Auch heute versuchen da und dort junge und nicht mehr so junge Poeten, Maler, Genies und Möchtegerne, einen Stammtisch zu gründen, sich in einem Cafe zu sammeln, aber — seltsam — diese Versuche wollen nicht gelingen.
Wie steht es mit dem Schaffen eines Schauspielers? Er hat gespielt und man hat ihm zugeschaut, aber all die Worte und Gebärden sind mit dem Theaterabend verschwunden, sind zur Erinnerung geworden — und wenn wir drei Tage später über den denkwürdigen Abend diskutieren wollten, müßten wir uns auf das eigene Gedächtnis berufen. Ist es aber eine Instanz? Gleichwohl wirkt das Bühnenerlebnis weiter, formt Sprache, Stil, Stimmung, vermag auch in jenen Prozeß hineinzuwirken, den man Erkennen und Begreifen nennt. Das heißt: Die Vergänglichkeit der schauspielerischen Tat ist in einer schwer
T(2J-J höre, die Minister sind sich über die Einführung des Bibliotheksgroschens nicht einig. Die Minister Sinowatz und Broda möchten die Kranken- und Altersversicherung der freien Schriftsteller sichern, der Minister Androsch jedoch hat Bedenken. Und zwar nicht wegen der Summe von acht Millionen Schilling, die man uns freien Schriftstellern zugesichert und die man bereits auch im Budget berücksichtigt hat, sondern aus prinzipiellen Gründen.Und nun also könnte es geschehen, daß das Parlament in die Ferien geht, ohne das Gesetz zu verabschieden, und daß wir dann wieder auf den Herbst
Lieber Fritz Hochwälder Du bist also fünfundsechzig geworden und hast tatsächlich den Hitler überlebt und die Misere der Emigration in der Schweiz und zuletzt die kleine Herzattacke auch noch, und eigentlich müßte ich nun weiteres langes Überleben wünschen, erstens, weil Du Geburtstag hast, zweitens, weil wir von Dir noch viele neue Stücke haben und uns an Deiner Gesellschaft noch lange erfreuen wollen, und drittens, weil Du kein besseres Mittel hast, um die Scharlatane und Karrieremacher, die Schreibtischmörder und Ignoranten zu ärgern als sie alle lachend zu überleben.Aber Du
J^JJ lese, daß der Unterrichtsminister in Deutschland auf die Frage eines Neugierigen mitgeteilt hat, er glaube nicht, daß die Reform der deutschen Rechtschreibung noch in diesem Jahrzehnt beschlossen werden könnte. Welche Reform? Der Fragende in Deutschland hatte wohl die „kleinschreiber“-Initiative gemeint und nicht jene Korrektur, die etwa das ß durch ss ersetzen möchte. Denn gerade an den großen Anfangsbuchstaben der Hauptwörter scheiden sich die Geister.Ich teile die Skepsis des Doktor Sinowatz. Wir, Menschen des mittleren Europa, haben in diesen Jahren fürwahr wichtigeres zu
An einem der letzten Tage bat er um Papier und Schreibzeug. Jetzt, so meinte er, jetzt, im Spital, würde er endlich Zeit genug haben, die skizzenhaft längst vorhandene Geschichte niederzuschreiben. Es warteten kleinere Auftragsarbeiten, wartete Kleinkram, wartete auch die geplante sechzehnte Nummer der „Pestsäule“, all das mochte nun warten; im Spital war es still, und wenn es dann mit der Gesundheit wieder besser gehen sollte, dann konnte man vielleicht auch die nächste Geschichte in aller Ruhe beenden.Die Zeit, die fürchterliche Zeit, sie jagte davon: der ganz junge Schriftsteller
Er mag die Lüge nicht, da er zwischen der Dämonie der Bilder des Mythos und der Unmenschlichkeit der Kniffe und Täuschungen zu unterscheiden weiß. Seine Aufrichtigkeit entspringt also nicht irgendwelchen Geboten der Moral, sondern dem Wesen der künstlerischen Arbeit. Er hat eine Abneigung gegenüber dem Naturalismus, da er in der Oberflächlichkeit der photographischen Abbildung die Falschheit wittert: eine beruhigende Übereinstimmung mit dem Beiwerk, die Unterschlagung der Substanz. Auch dieser Standort entspricht mehr dem Charakter der Theaterpraxis als einem gekünstelt runden