Religion ist nicht - wie wir seit der Aufklärung meinen - ein spezifisches „Teilsystem” für Bedürfnisse, die mit Sinn, Jenseits, Transzendenz et cetera zu tun haben, sondern die Leben und Tod bestimmende Bindung des Menschen, die sich Ausdruck verschafft in Riten, Institutionen und (heiligen) Texten. Innerhalb der von Religion bestimmten Lebensbedingungen haben Konflikte einen keineswegs zentralen Stellenwert. Sie gelten als Störung vorgegebener Harmonie, über die dafür Zuständige wachen. Frieden, Einheit, „Glückseligkeit”, Ewigkeit, das gute Leben sind erstrebenswert.Mit der
"Historische Bestimmung des Menschen ist es, die Gottesidee zu Ende zu führen", so Emile Cioran. Kein Zweifel, daß Kirche und Revolution das Szenario dieser Bestimmung des Menschen sind. Das Geheimnis dieses Szenarios sind Passion \md Auferstehung. Hans Blumenberg hat sie in seinem an Johann S. Bach orientierten Buch "Matthäuspassion" zu jener Würde gebracht, den ihr theologisches Bes-serwissenwoUen seit langem genommen hat.Daseben ist das Zeichen der Stunde: die offensichtUche Inkompetenz von Ideologie und Kirche angesichts der Größe, die im Geschehen der Passion den Menschen über sich
Die Koalition der Unzufriedenen reicht von Herbert Gruhl bis Daniel Cohn-Bendit und Rudi Dutschke. Das ist nicht mehr nur eine abenteuerliche Vorstellung oder eine ad hoc-Kampfgemeinschaft, sondern Parteiplanung. Aus der Bundesrepublik Deutschland hört man, daß die bislang unabhängig agierenden „Grünen“ sich zentral organisieren werden. Dem Mangel an Koordination soll nun begegnet werden.Was die Anhänger der „Grünen“ von den Etablierten unterscheidet, ist ein Minimalkonsens, der mit den vier Stichworten ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei formuliert wird. Daher
Die dritte Anselm-Tagung, die kürzlich in Canterbury aus Anlaß des 900. Gedenktages an Anselms erste Ankunft in England stattfand, hat wieder den engen Zusammenhang von intellektuellem Diskurs und spiritueller Grundhaltung deutlich gemacht. Die Anselm-Tagungen führen Theologen, Philosophen, Historiker und Philologen zu ganz speziellen Themen zusammen. Aber die Einstellung, in der die Themen behandelt werden, ist nicht vom kulturzerstörenden Spezialistentum unserer Tage bestimmt.Klar begrenzte Fragestellung ist nicht notwendig an ein Desinteresse für die großen Zusammenhänge gekoppelt.
Immer wieder wurde bemerkt, daß Frankreich kein fruchtbarer Boden für den Marxismus sei. Wenn jetzt die KPF-Führung gestärkt aus der innerparteilichen Debatte hervorgeht, die 1978 so heftig von EUeinstein auf der einen, von Alt-husser auf der anderen Seite geführt wurde, zeigt sich dies wieder einmal. Die KP ist nicht ein Forum inteüek-tueUer Diskussion, sondern der Apparat einer straffen Organisation.Die inteüektueUe Diskussion in Paris hat sich im Grunde längst von Themen des Marxismus wegentwik-kelt, und man erinnert sich, daß der Mai 1968 mit seiner Parole „Phantasie an die
Der 16. Weltkongreß für Philosophie in Düsseldorf hat gezeigt, daß es schwer ist, die Sache der Philosophie gegen die naive Faszination durch die moderne Technologie zu setzen. Daß es nicht gelingt, Technologie in unre-flektierter Weise für das Heil der Menschen zu halten. Er hat auch gezeigt, daß für die Solidarität der Philosophen heute kaum philosophische Gesichtspunkte maßgebend sind, sondern die Differenzen der politischen Systeme, die Unterschiede in der Stellung zur Technik - und daß die Konflikte zwischen den philosophischen Richtungen sich in psychologische
In den Vorlesungen an der Yale Uni-versity geht Kolakowski der Frage Husserls, des Begründers der phänomenologischen Forschung in der Philosophie, nach: Ist objektive Gewißheit der Erkenntnis möglich, obwohl der Erkenntnisakt und seine Inhalte in biologischer und historischer Hinsicht analysiert werden können? Oder: Gibt es eine Kontinuität, die sich jenseits der einzelwissenschaftlichen Forschungsergebnisse durchhält?Diese Grundfrage der Philosophie hat längst ihre Unschuldigkeit eingebüßt. Sie ist geradezu i zur Existenzfrage für die Philosophie geworden. Nicht mehr geht es darum,
Vaclav Havel hat in einem Essay, betitelt „Der Prozeß“ (in der Zeitschrift L 76 des vergangenen Jahres), jene Atmosphäre geschildert, die er bei Prozessen gegen mißliebige Künstler in seiner Heimat miterlebt hat. Eindrucksvoll zeichnet er nach, wie „die Welt der Hintertür“ in den großen Streit um den Sinn des Lebens hineingezogen wird. An Stelle gewohnter Umgangsformen und vorsichtiger Zurückhaltung tritt deutlich das gemeinsame Anliegen der Menschen im Auditorium, und was sonst kaum einer zu denken wagt, wird völlig Unbekannten offen mitgeteiltKurz vor seinem Tod am 13. März
Die internationale politische Lage ist von Denkstrukturen bestimmt, die zwangsläufig zu den bekannten Problemen führen. Sie wird allgemein von der Allzuständigkeit technischer Rationalität bestimmt, unabhängig von politischer Orientierung und Blockzugehörigkeit. Gegenüber dieser Stellung der technischen Rationalität erscheinen Denkansätze, die die Politik anders denn als möglichst perfekte Beherrschung von Sachen und Menschen im Bürokratiestil ansehen, in hoffnungsloser geschichtlicher Defensive.Robert Spaemann formuliert „rationale Einwände gegen die abstrakte Utopie
Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels wurde am 16. Oktober in Frankfurt dem polnischen, im Exil lebenden Philosophen Leszek Kolakowski verliehen.Nicht erst die „neuen Philosophen” in Paris, die vor kurzem mit ihrem spektakulären Abschied vom Marxismus auf sich aufmerksam machten, haben das Thema einer Überwindung des Marxismus gestellt. Mit Aufmerksamkeit kann rechnen, wer über den Marxismus hinausgeht, ohne Antimarxist gewesen zu sein. Leszek Kolakowski hat seit den vielen Jahren, in denen sein Werk im deutschen Sprachraum bekannt ist, die Frage nach Sinn und Wert gestellt - eine
Die „Ideologiedebatte“ steht im Zeichen des permanenten Legitimationsdefizits der modernen Industriegesellschaft. Die technologischer Automatisierung folgenden „Systemzwänge“, nach Schelsky „Sachgesetzlichkei- ten“, werden weitgehend als illegitim empfunden, von einigen Managern und Technologen abgesehen. Wir kennen diese Sachzwänge aus der Einführung des Computers, der Automatisierung von Serviceleistungen, der Kernenergie-Diskussion. Die Verunsicherung ist zunächst lediglich ein Zeichen dafür, daß unsere Lebensbedingungen, - unser Verhalten - tatsäch-’ lieh unserem
Sagen wir es rundheraus: Die Diskussion in der Sowjetunion über Fragen der Ethik hat grundsätzliche Bedeutung dafür, ob es im Bereich des Denkens Möglichkeiten gibt, das Modell des Produktionsbetriebes für alle zwischenmenschlichen Beziehungen zu verabsolutieren. Da in der Sowjetunion offiziell gelehrte Marxismus-Leninismus ist nämlich die konsequente Ausarbeitung der These, daß die Gesellschaft eine „Fabriksbelegschaft“ sei. Die Menschen stehen also grundsätzlich und ausschließlich in solchen Beziehungen zueinander, wie sie in einer Fabrik gegeben sind. Das bedeutet, daß die Verhaltensweisen der Menschen sich an den Erfordernissen der Zusammenarbeit in einer Belegschaft zu orientieren haben.
Gegenwärtig kann mit Recht von einem ideenpolitischen Interregnum gesprochen werden. Die politische Entwicklung scheint unter keinen auf eine Formel zu bringenden Ideen zu stehen. Nach Jahren, in denen einerseits verschiedene Konzeptionen des demokratischen Sozialimus im Mittelpunkt der Diskussion standen, die auch zu der Dialogphase zwischen Christentum und Marxismus führten, anderseits die Erfahrungen der geringen praktisch-politischen Relevanz dieser Konzeptionen mit den Ereignissen in Prag 1968 und in Chile 1973 gemacht wurden, zudem die Studentenrevolte kläglich zusammenbrach, weil