In diesem Sommer, am Rande der "Obamania" in Europa, diskutiert man wieder darüber, warum unsere Politiker nicht solche Anziehungskraft wie Barack Obama besitzen. In diesem Zusammenhang kommt auch die Rolle des Charismas ins Spiel. Eigentlich sollten wir nach den schrecklichen Erfahrungen mit totalitären Systemen kein Charisma mehr brauchen: Es hat etwas Gefährliches, Irrationales. Trotzdem sieht man, wie sehr Menschen mit einer Vision, mit Persönlichkeit und menschlicher Wärme immer noch gefragt sind.Charisma pur konnte ich bei Johannes Paul II. und Kardinal König spüren. Eine große
Die Schule von morgen: Der Pisa-Test macht das Thema europaweit zum Thema Nummer eins. Gestern sagte mir die Gründerin einer katholischen Schule in Warschau, dass sie seit neuestem ihre Lehrerkandidaten eher in Kleinstädten sucht. In diesen kleinen Orten sei es einfacher, "echte Berufung" unter den Kandidaten zu finden."Berufung" - ein altmodischer Begriff. Nach der Phase der Faszination von E-Learning, Teamwork und neuen Lernmethoden steht in fast allen Ländern Europas der Lehrer wieder im Mittelpunkt der Debatte. Er kehrt aber in eine andere Welt zurück: die des Internet und noch mehr
Die erste Nachricht über die Katastrophe kam für mich mitten in einer Radiosendung. Die heiteren Kommentare verstummten binnen einer Sekunde. Es wurde still, lange wagte niemand etwas zu sagen: die Perspektive des Todes des Staatspräsidenten und 95 anderer Personen, noch dazu bei Katy´n. Dieser Ort steht symbolisch für den Massenmord an 22.000 polnischen Offizieren im Zweiten Weltkrieg durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD; es überstieg die Vorstellungskraft, dass es gerade dort passiert war.Erst viel später habe ich wirklich verstanden, wie viele Menschen, darunter etliche, die ich
Was wird wichtig in den nächsten Jahren für die Zukunft Europas? Für welche Zukunft bilden wir eigentlich die Studenten von heute aus?Es gibt schon im individuellen Schicksal, in der Erfahrung der Familien Elemente, die man immer noch als Einzelfall und nicht als Regel betrachtet. Oft beklagt man, dass die Absolventen von heute immer schwerer einen langfristigen Arbeitsplatz finden. Zwei, drei Jahre, ein Projekt, eine Stelle auf Zeit – und man sucht weiter.Vielleicht spürt man das in Österreich noch nicht so, aber in Spanien, Italien, auch in Polen und in Deutschland ist der Trend klar.
Wie kann man präzise messen, ob ein Volk verhältnismäßig glücklich ist? BIP-Niveau? Selbstmordrate? Übergewichtsrate? Emigrationshäufigkeit? Die theoretische Debatte dauert und wird gerade – krisenbedingt – heftiger.In Polen ist es einfacher. Kein Eurobarometer ist notwendig, um beispielsweise die Gefühle in puncto Freiheit zu messen. Man geht am Sonntag in die Kirche und hört zu. Am Ende wird – an besonderen Festtagen – ein Kirchenlied gesungen mit der Endstrophe: „Unser freies Vaterland segne, o Herr!“ Wenn es aber schlimm wird, singt das Kirchenvolk: „Unser freies
Als vor Jahren Polen für die Nennung der christlichen Wurzeln in der EU-Verfassung kämpfte, fand es praktisch keine Unterstützung, auch nicht unter den Christdemokraten Europas. Man erklärte damals dem EU-Neuling, dass eine solche Formel überflüssig sei – schlimmer noch: provozierend gegenüber anderen Religionen. Ein polnischer Formulierungsvorschlag berücksichtigte genau dies und würdigte ausdrücklich auch die anderen Religionen. Es sollte aber gezeigt werden, dass Europa überwiegend christliche Wurzeln hat. Diese Formel wäre – wie eine Erinnerung an die gemeinsame Geschichte
Es war ein netter Herr, offensichtlich suchte er einen Gesprächspartner fürs Mittagessen. Auch wenn ich mich in dieses österreichische Ferienhotel eigentlich zurückgezogen hatte, um etwas in Ruhe fertigzuschreiben, wäre es unhöflich gewesen, ihn abzuweisen. Herr P. wollte wissen, was während der deutschen Besatzung von 1939–45 in Polen passierte. Seine Generation, so sagte er, hatte dies in der Schule nie gelernt. Vom Holocaust wusste er – aber sonst nur sehr wenig. Ich verstummte. Was sollte ich erzählen? Was wäre repräsentativ oder anschaulich? Ich entschied mich, nur vom
Der Flug aus Dublin ist ausgebucht. Junge Menschen, sehr müde, wollen das Wochenende zu Hause verbringen; die meisten schlafen sofort ein. Die Nachbarin kann nicht schlafen – zu groß ist die Vorfreude auf das Wiedersehen mit den Eltern. Die haben so viel ins Studium der Tochter investiert und sind jetzt traurig, dass diese, ungeachtet ihrer Ausbildung, in einem Altenheim in Irland arbeiten muss. Sie selbst aber ist tapfer – Hauptsache, es gibt Arbeit. Nein, die Arbeit ist nicht zu schwer, die Kollegen sind o. k. Was ist am schlimmsten? Dass sie ständig die armen Menschen belügen muss.
Die Menschen in ihrer Entwicklung suchen oft nach Vorbildern - in der Familie, unter Lehrern (leider immer seltener), oder aber unter Popstars. Länder und Völker, die mit ihrer Lage historisch nicht ganz glücklich sind, suchen als Vorbilder andere Länder. Sehr lange spielte der Mythos "Amerika" diese Rolle. Aus historischen Gründen wurden konkrete Länder in der politischen Geschichte Polens oft als Synthese oder Symbol eines politischen Programms verstanden - eine wunderbare Verkürzung! Im 19. Jahrhundert spielte Frankreich als Freiheitssymbol und Zufluchtsort diese Rolle.In den Zeiten
Die Wahlen zum EU-Parlament fallen diesmal mitten in eine globale Krise. Bekanntlich sind Europa-Wahlen immer noch eher eine innenpolitische Kraftprobe zwischen Koalition und Opposition als eine ganz neue Art von Wahlen - für Europa, für die EU. Auch Polen ist hier keine Ausnahme. Die größten politischen Parteien verstehen die innenpolitischen Folgen der Ergebnisse gut.Unter allen Kandidaten liegt laut Umfragen der polnische Exministerpräsident Jerzy Buzek in puncto Popularität weit voran. Selbstverständlich könnte man sagen, dass er durch seine ständige Präsenz und sein großes
In Krisenzeiten gilt die Stimmung in der Bevölkerung als wichtiges Kriterium. Entsprechende Analysen und Prognosen beherrschen die Medienlandschaft. Optimismus und Pessimismus der Konsumenten werden minutiös untersucht; wer heute einen Kühlschrank kauft, hilft ja "heroisch" der armen Wirtschaft, heißt es.Diese Stimmung ist bei uns in Polen nicht schlecht. Zwar spürt die Wirtschaft selbstverständlich die Krise. Die Industrieproduktion sank im Februar um ca. 14 Prozent, zusätzlich wächst die Sorge hinsichtlich einer Spekulationsattacke auf die Währung Zloty, wie sie einst George Soros
Jeder Abgeordnete kennt die Kategorie der Stammgäste, die immer wieder sein Büro im Wahlkreis besuchen - von Weltverbesserern über Alkoholiker aus Justiz oder Verwaltung bis zum tatsächlich schlecht behandelten Unglücklichen: die ganze Bandbreite an Menschenschicksalen. In meinem Büro begegnet die Leiterin, Frau Alexandra, allen mit gutem Tee und unendlicher Geduld im Gespräch.Ein Obdachloser ist ihr besonders aufgefallen - weder Alkoholiker noch Drogenabhängiger, immer höflich, doch sonderbar. Seine Geschichte war einfach traurig. Die Mutter hatte sehr unter politischer Verfolgung
In diesen Tagen habe ich ein Buch von Wojciech Cejrowski über Amazonien gelesen. Die skurrilen politischen Ansichten des Autors, der unter anderem gerade erklärt hat, dass er wegen unserer Steuerpolitik nach Ecuador emigriert ist, teile ich nicht, aber die Reisebücher sind interessant. Der Autor berichtet von verschiedenen Formen des Respekts gegenüber dem Alter: Anerkennung für Erfahrung und Weisheit, aber auch Angst vor den Alten, welche die gefährlichen großen "Verbündeten" - Geister aus dem Jenseits - holen können, wie es in Afrika manchmal geglaubt wird. In anderen Regionen der
Wie sieht die Lage in Polen in diesen stürmischen Tagen aus? Erstaunlich ruhig - erstaunlich nicht für uns, sondern für die westlichen und östlichen Beobachter, die gerade jetzt im Herbst nach Polen kommen. Die Gründe dafür sind sehr komplex: "Unsere" Banken - auch wenn ihre Zentralen oft weit weg sind - sind in der Kreditpolitik sehr konservativ gewesen, die Zahl der "faulen" Kredite ist eher gering. Die Hauptsorge betrifft die Währung, in der die Kredite genommen wurden: meistens - wegen der damals niedrigen Zinsen - in Schweizer Franken statt in Zloty. Der Zloty ist nun schwächer
In unseren unsicheren Zeiten wird die Sehnsucht nach Sicherheit so stark wie noch nie. "Sichere Anlagen" gibt es plötzlich nicht mehr, die politisch-ökonomischen Prognosen werden jetzt unsicher, wir alle sind entsprechend verunsichert. Nur die Wetterprognosen werden immer genauer, sind aber auch manchmal leider düster.Die Europäische Union hat viele Dimensionen - aber die Suche nach Sicherheit in allen Bereichen ist in diesem Verbund besonders ausgeprägt. Lebensmittelsicherheit, Energiesicherheit, innere Sicherheit, technische Sicherheit - diese Ziele sind Anlass genug gewesen, um eine
In diesem Sommer, am Rande der "Obamania" in Europa, diskutiert man wieder darüber, warum unsere Politiker nicht solche Anziehungskraft wie Barack Obama besitzen. In diesem Zusammenhang kommt auch die Rolle des Charismas ins Spiel. Eigentlich sollten wir nach den schrecklichen Erfahrungen mit totalitären Systemen kein Charisma mehr brauchen: Es hat etwas Gefährliches, Irrationales. Trotzdem sieht man, wie sehr Menschen mit einer Vision, mit Persönlichkeit und menschlicher Wärme immer noch gefragt sind.Charisma pur konnte ich bei Johannes Paul II. und Kardinal König spüren. Eine große
Kein Wort scheint so oft in der Sommerwerbung benutzt zu werden wie "Traum": Traumferien, Traumschiffe, Trauminseln - und sogar die dafür notwendigen "Traumbedingungen" für die Kreditnehmer sind überall präsent. Einen Traum zu haben ist also wichtig und sehr nobel. Die Kraft, an einem Lebenstraum über die Jahre festzuhalten und ihn auch zu verwirklichen, ist selten. Aber man liest das gerne in Illustrierten als Happy-End-Story.Dazu zwei Geschichten der letzten Monate, die ich gehört habe - und die leise Frage, ob es beim Traumberuf nicht eher um unsere vergrabenen Talente im biblischen
Die Regionen in Polen gewinnen mit jedem Jahr an Bedeutung. Für die Zentralisten stets suspekt, in kommunistischen Zeiten fast unsichtbar, mussten sie lange um ihre Kompetenzen kämpfen. Auch die Verwaltungsreform von 1998 konnte die polnischen Regionen nicht so stärken, wie wir als Refomer das wollten.Jetzt kommt die Vollendung der Reform: Die größten Städte werden eine neue Rolle übernehmen und können ein echtes Zentrum der jeweiligen Region werden. Regionen wie Katalonien oder Schottland werden immer aktiver, kaum jemand hätte eine solche Regionalismuswelle erwartet. Wird das auch
Das war einer der Punkte im berühmten Fragebogen des inzwischen eingestellten FAZ-Magazins. Vielleicht gibt es sie noch - die Helden, meine ich. Oder ist nur noch der Heldenplatz und eine imposante und heldenhafte Herkulesstatue im Treppenhaus des Kunsthistorischen Museums geblieben?Während meines letzten Besuchs in Wien habe ich einen Helden in der Webgasse im 6. Bezirk getroffen. Ruhig, schlank, höflich und mit einer enormen Ausstrahlung - ein Gentleman in hohem Alter. Fünf Jahre im KZ Gusen (bei Mauthausen). Ein Ingenieur aus einer evangelischen Warschauer Familie. Ein Überlebender des
Ich fahre die Strecke Krakau-Katowice-Wien, was zum ersten Mal seit hundert Jahren wieder ohne jegliche Grenz- oder Zollkontrollen möglich geworden ist. Das Wetter ist angenehm, der Zug halb leer (denn Fliegen ist inzwischen oft billiger als Zugfahren). In Erinnerung habe ich noch andere Reisen in diese Richtung, aber auch zurück …Im Jahr 1981, als ein tschechischer Grenzbeamter auf meiner Reise nach Brünn polnische Tageszeitungen konfisziert, die als suspekt gelten. Der Beamte versucht auch forschend das Manuskript meiner Doktorarbeit zu lesen.Im Jahr 1984, als ich als Stipendiatin mit
Wenn man jahrelang in einer kleinen Wohnung wohnte und später eine große Villa baut oder gar erbt, lebt man oft noch wochen- oder monatelang eigentlich nur in einem kleinen Teil dieser Villa. Und das, obwohl das ganze Haus bereits voll möbliert ist.Seit einigen Wochen ist nun die "Grenze" zwischen alten und neuen EU-Mitgliedsländern abgeschafft. Aber unsere Mitbürger haben bereits davor entdeckt, dass das Haus Europa viel größer geworden ist, und sie haben gelernt, davon Gebrauch zu machen.Als Europäer sucht man heutzutage häufig - wenn man jung und "dynamisch" ist - eine gut
Die Schule von morgen: Der Pisa-Test macht das Thema europaweit zum Thema Nummer eins. Gestern sagte mir die Gründerin einer katholischen Schule in Warschau, dass sie seit neuestem ihre Lehrerkandidaten eher in Kleinstädten sucht. In diesen kleinen Orten sei es einfacher, "echte Berufung" unter den Kandidaten zu finden."Berufung" - ein altmodischer Begriff. Nach der Phase der Faszination von E-Learning, Teamwork und neuen Lernmethoden steht in fast allen Ländern Europas der Lehrer wieder im Mittelpunkt der Debatte. Er kehrt aber in eine andere Welt zurück: die des Internet und noch mehr
"Frohe Weihnachten!" Man schreibt und liest das jetzt so oft. Viel seltener sind "Gesegnete Weihnachten" als Wunsch geworden. Wenn man aber gerade einsam, krank oder traurig ist, bereiten solche Wünsche eher Schmerz als Freude - so denkt man.Darf man dann diese besondere Freude wünschen, die von Schicksalsschlägen unabhängig ist? Wie tröstet man Menschen, die verbittert am Weihnachtsabend sagen: alles ist vorbei und alles umsonst, meine Kinder sind erwachsen und eher distanziert, meine Familie ist weit weg von hier, meine Firma, in die ich meine ganze Energie investiert habe, hat mich
Die letzten Wochen in Polens politischem Leben sind faszinierend gewesen. Der düsteren Herbstmelancholie zum Trotz wurde plötzlich alles schneller und dynamischer - einfacher gesagt: optimistisch. Dabei waren die tiefsinnigen und schwermütigen Prognosen einer populistischen Offensive in Osteuropa und einer gefährlichen Demokratieermüdung doch erst ein paar Wochen alt …Doch als meine Studenten ganz stolz aus Berlin anriefen, um mir mitzuteilen, dass sie schon drei Stunden in der Wahlschlange vor der Botschaft stünden, um ihre Stimme abzugeben, wusste ich, dass man aufatmen kann: Die
.. nicht verloren. - Perspektiven für einen müden Kontinent.Das Europa von heute ändert sich und wächst sehr rasch zusammen. Die alten historischen Wunden verheilen langsam - dennoch bleiben die Narben der gemeinsamen Geschichte klar erkennbar. Wir sind alle froh über diesen Heilungsprozess, man hat ihn auch erwartet - er wird vor allem durch die EU-Erweiterung beschleunigt. Was man manchmal nicht zur Kenntnis genommen hat, ist die Tatsache, wie schmerzhaft komplexe Heilungsprozesse in der Regel sind. Versuchen wir die Elemente dieses Heilungsprozesses aufzuzeigen und allfällige Gefahren