Viele Namen knüpfen sich an Bestrebungen zur Selbstfindung der christlichen Sozialreform, die im deutschsprachigen Österreich vor hundert Jahren einsetzten. Zur Kennzeichnung der beherrschenden Stellung des Liberalismus vor hundert Jahren sei daran erinnert, daß, als durch die Gewerbenovelle von 1883 der Arbeitstag in den Fabriken auf höchstens 11 Stunden eingeschränkt wurde, dies als epochaler Erfolg der dafür arbeitenden christlichen Abgeordneten gewertet wurde. Die vom Liberalismus durchgesetzte Wucherfreiheit hatte die ungeheure Verschuldung des Gewerbes und der Bauern zur Folge gehabt mit Zinsen für Hypothekardarlehen bis zu 15 Prozent und das Doppelte. Von liberaler Seite wurde in den Reichsrat, damals die gesetzgebende Körperschaft der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, als mit Berufung auf die christliche Idee vom Menschen ein Mindestmaß von Sozialgesetzgebung gefordert wurde, gerufen: „Mit Bibelsprüchen baut man keine Eisenbahnen!“ Aus dem Kreis von Katholiken, die damals den Kampf gegen den Liberalismus führten, seien besonders Karl Freiherr von Vogelsang, Alois Prinz von und zu Liechtenstein und Franz Schindler genannt, der 1887, vierzigjährig, als Professor der Moraltheologie nach Wien kam. Von diesem gingen die entscheidenden Anstöße zur Selbstfindung der christlichen Sozialreform durch Klärung ihrer grundsätzlichen Positionen aus.
Daß es „den“ Marxismus nicht gibt, weiß heute jeder. Schon in den Zwanzigerjahren schrieb ein so bedeutender Marxist wie der nachmalige österreichische Bundespräsident Karl Renner (1870—1950), daß die Berufung auf Karl Marx verwirrend und nicht aufklärend, spaltend und nicht vereinigend wirke. Das ist seither um ein Vielfaches ärger geworden. In dieser Situation wird heute behauptet, die kirchliche Soziallehre habe in der Enzyklika „Quadragesimo anno“ (QA, 1931) den Wahrheitsgehalt der Marxschen Lehre von der Klassengesellschaft und vom Klassenkampf übernommen. Das schien mir so unvereinbar mit der kirchlichen Soziallehre, daß ich in einem Artikel in den „Gesellschaftspolitischen Kommentaren“ (Bonn, 15. 6. 1974) dagegen Stellung nahm. Nun wurde anfangs dieses Jahres von der Katholischen Sozialakademie Österreichs (KSÖ) in Wien an die Bischöfe Österreichs eine Gegenschrift verschickt, worin durch die Nebeneinanderstellung von Texten aus Marx und aus „Quadragesimo anno“ (QA) gezeigt werden soll, „daß in den entscheidenden Punkten der Diagnose der Gesellschaftsverhältnisse (nicht aber in den Vorschlägen zur Therapie) die Ansichten von Marx und Pius XI. übereinstimmen“. Ich wollte gar nicht erwidern, bin aber gemahnt worden, es doch zu tun.
Zu Beginn unseres Jahrhunderts konnte noch von ernsten Forschern bezweifelt werden, daß es wirklich Atome gebe. Mit der Relativitätstheorie, der Quantentheorie, der Atomtheorie, der Erforschung der Elektronen und sonstigen Elementarteilchen sind Physik und Chemie zu einer ' großen Einheitswissenschaft von der Materie geworden, die neue ungeahnte Erkenntnisse der Astronomie, der Geologie, der Biologie, der Genetik erschlossen hat. Da es nach der Quantenphysik echte Indeterminiertheit im Naturgeschehen gibt, ist es jetzt logisch möglich geworden, sagt der Schüler und Mitarbeiter von Max
In erstaunlich rascher Folge legt Anton Burghardt nach seiner „Allgemeinen Soziologie”, die außergewöhnlich starke Beachtung gefunden hat, eine „Allgemeine Wirtschaftsso- zioiogie” vor. Sicher wird sie nicht weniger gefragt sein als die erstere. Das Buch bietet eine Fülle von Information über einen Lebensbereich, von dem heute mehr denn ja gilt, „Wirtschaft ist Schicksal”, der abęr als Gesamtprozeß beim größten Teil der Menschen nur insoweit Beachtung findet, als das unmittelbare Eigeninteresse berührt wird, vor allem hinsichtlich der Einkommens- entwicklung. Vielen
Wenn einer der Großen im Reich des Geistes plötzlich aus unserer Mitte gerissen wird, kann man in Zeilen des Gedenkens ein Zweifaches tun. Man kann den Lebensweg des Verstorbenen nachzeichnen und einen Überblick über sein geistiges Erbe bieten. Man kann aber auch das zusammenfassen, worin er seine Botschaft an die Gesellschaft erblickte, deren Zukunft er zutiefst durch den Pluralismus der Interessenmächte bedroht sah. Goetz Briefs hätte sicher das Gedenken an seine Sorge um die verfehlte Weichenstellung in der Entwicklung der freiheitlichen Demokratie und um das Schicksal der wachsenden Arbeitnehmermassen vorgezogen.
In Graz ist der Rechtswissenschaftler Gustav E. Kafka verstorben. Die Geschichte dieses Jahrhunderts hat ihm tiefe Wunden zugefügt, ohne seinen Glauben, seine Großzügigkeit, ja auch nur seine Lebensfreude zerstören zu können. 1907 in München geboren, wurde Kafka nach juristischen und volkswirtschaftlichen Studien in Leipzig, München und Kiel durch den Aufstieg des Nationalsozialismus an einer Karriere im Justizdienst gehindert. Zuerst abgedrängt in die Privatwirtschaft, erfolgte schließlich 1940 seine Verhaftung. Gesundheitlich schwer geschädigt, mußte sich der Vater von vier
Während der Unruhen in den bundesdeutschen Universitäten ist die Soziologie zur meistgenannten Wissenschaft geworden. Soziologen von Rang protestierten gegen den Versuch, einen Zusammenhang ihrer Wissenschaft mit jenen Unruhen herzustellen, und sahen in der Berufung auf sie einfach Ignoranz hinsichtlich dessen, was die Soziologie wirklich ist und zu bieten vermag. Immer noch besteht weithin die Ansicht, Soziologie sei eine Universalwissenschaft, der eine alle übrigen Sozialwissenschaften überragende, ja ihre Kompetenz absteckende Autorität zukomme. Noch mehr als schon immer, wird man
Wie sich die Problemstellungen änderW Auf ‘dem Höhepunkt der Entwicklung des Kapitalismus wurde von Nationalökonomen (führend W. Endemann) der Nachweis versucht, daß das kirchliche Zinsverbot den schwersten Hemmschuh der Entwicklung der modernen Volkswirtschaft bildete. Katholischerseits sah man sich daher genötigt, darzutun, daß das nicht der Fall war, ja es gelang der Nachweis (Fr. Keller, Unternehmung und Mehrwert), daß die Moraltheologen des 14. Jahrhunderts bereits die Untemehmerfunk- tion entdeckt, ihre Bedeutung für das volkswirtschaftliche Gemeinwohl erkannt und damit die
Fast alles, was bis vor kurzem unwidersprochen zum Bestand des Wahrheits- und Wertkosmos des Christentums gehörte, wird heute, gewiß nur von einer kleinen Minderheit, als liquidationsreif, als überholt angesehen. Wie könnte es anders sein, als daß auch die christliche Soziallehre in diese angebliche Liquidationsmasse einbezogen wird.
Unzählige sehen ihre Aufgabe darin, im Christentum und in der Kirche Tabus aufzufinden und auszuräumen. Nicht ihr geringster Erfolg besteht darin, daß ihnen eine Bewußtseinsmanipulation gelungen ist, die nicht weniger als die Sinngebung christlichen Lebens betrifft und überraschend weite katholische Kreise in ihren Bann zieht. An dieser Bewußtseinsmanipulation wirkte die hemmungslose Kritik an Positionen des Wahrheitskosmos des Glaubens mit, vor allem aber die überlaute Kritik an kirchlichen „Strukturen“, den angeb lichen und tatsächlichen Organisations- und Funktionsmängeln des kirchlichen Lebens. Mit diesen an den Strukturen haftenden Auseinandersetzungen wurde der Blick von der Tatsache abgelenkt, daß das Kommen des Reiches zu allererst Sache der inneren Erneuerung ist, der vom Christen stets neu geforderten inneren Umkehr, der Metanoia. Die Bewußtseinsmanipulation reicht von der Abwertung des Gebetslebens bis zur ausschließlichen Verweisung der Gottesliebe in eine diesseitig orientierte Menschenliebe.
Zur 80-Jahr-Feier der Veröffentlichung der Enzyklika Herum novarum am 14. Mai, richtete Papst Paul VI. ein „Apostolisches Schreiben“ an Kardinal Maurice Roy (Amerikaner), den Präsidenten des Laienrates und der päpstlichen Kommission „Justitia et Pax“ (Gerechtigkeit und Frieden). Seit Monaten war die päpstliche „Kommission für Gerechtigkeit und Frieden“ Gegenstand von Gerüchten. Überraschenderweise war die Zahl ihrer Mitglieder von mehr als siebzig auf sechs beschränkt worden. Eine Kursänderung wurde als Grund vermutet, weil zwei freiwillig ausscheidende Mitglieder auf die Möglichkeit größerer Freiheit für ihre Arbeit außerhalb der Kommission hinwiesen. Für die Beschränkung der Mitgliederzahl dürfte die Überlegung maßgebend gewesen sein, daß ein mehr als siebzigköpfiges Gremium infolge vielfältig divergierender ideologischer Einstellungen zu einem Diskussionsklub werden muß, während für die Lösung der brennenden Sozialproblematik zweckdienliche Wege zu ßnden sind. Die vorliegende päpstliche Kundgebung läßt keine Kursänderung erkennen, doch werden neue Probleme und Aufgaben behandelt, früher schon erörterte Fragen und Antworten näher präzisiert.
Seit einigen Wochen gehen alarmierende Berichte über die Gefährdung des Menschen durch die Zerstörung der für sein Leben notwendigen Umweltbedingungen durch alle Länder. Sie müßten auch dem sich starr gegen das „konservative“ Prinzip Sperrenden die Frage nahelegen, was es mit dem damit gemeinten „Bewahrenden“ auf sich hat. In Frage stehen die biologischen Voraussetzungen des Überlebens der Menschheit, aber nicht weniger die geistigen, weil die Umweltzerstörung durch die technologische Entwicklung aus dem geistigen Bereich stammt. Aus geistiger Desorientierung stammt der
Nach Jahrzehnten innerer Schwäche und äußerer Angriffe konnte zu Anfang des 19:- Jahrhunderts der Eindruck entstehen, daß sich die Hoffnungen der Aufklärung auf ein nahes Ende der katholischen Kirche erfüllen würden. So konnte Stendhal im Jahre 1828 schreiben, die katholische Kirche Frankreichs könne höchstens auf 25 Jahre ihres weiteren Bestehens rechnen. Hundert Jahre später und heute noch nennt der große Nachfahre und bedeutendste heutige Vertreter aufklärerischer Geistigkeit, der der Welt als Friedensvorkämpfer bekannte englische Philosoph Bertrand Russell, die katholische Kirche den Menschheitsfeind Nr. 1, und hegt die Hoffnung, daß der Fortschritt des wissenschaftlichen Denkens in aller Welt der Kirche den Boden entziehen werde.
Zwischen den Erklärungen des Konzils zur Judenfrage und der Erklärung zur Religionsfreiheit soll ein Zusammenhang bestehen? Nicht wenige werden über den Gedanken überrascht sein. Die Erklärung zur Judenfnage ist bekanntlich Teil der Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen: Weder dürfe das ganze jüdische Volk von damals oder heute für den Tod Christi verantwortlich gemacht werden noch seien Äußerungen des Antisemitismus mit dem Geiste des Evangeliums vereinbar. Das Recht der Religionsfreiheit erscheint in der darauf bezüglichen Erklärung als
Die in ganz verlassenem Elend nach Gott zu rufen vermögen, um ihm ihre Verlassenheit zu klagen, wissen sich immer noch wie von einer unsichtbaren Hand gehalten.Was muß es aber sein, wenn ein Herz ohne Ende umdrängt wird von Not und Kummer und Qual und Angst, ohne daß ihm einmal Erleichterung würde und es für einen Augenblick freier atmen könnte; und wenn es dann zu ermüden beginnt und ihm wieder Neues und Schwereres aufgeladen wird und wenn es vergebens wartet, daß ihm eine Hoffnung werde, bis es schließlich zermartert seine Qual dem Schöpfer ins Angesicht schreit?Oder, was muß das