Nicht in der Schule lernte ich lesen, sondern im Cafe Ra-detzky auf der Prager Kleinseite. Mein Vater pflegte es eine Zeitlang zu besuchen, obwohl es von unserer Wohnung entlegen war, gute drei viertel Stunden Weges durch die ganze Altstadt und über die Karlsbrücke. Aber mein Vater lieble Bewegung, und da er Witwer war und die löbliche Einrichtung von Babysittern im Prag von 1900 noch nicht bestand, nahm er mich in das Cafe Radetzky mit. Man bereitete dort den schlechtesten Kaffee der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder, der aus ewigem „Loger“ aufgekocht war. Das Wort
Kinder lesen, was sie erfreut, junge Menschen, was sie begeistert, Erwachsene, was ihnen frommt, Hochbejahrte das, was sie eben noch mitbetrifft. Dies scheinen mir vier Grundarten des Lesens, die einander allerdings in Wirklichkeit fast immer überschneiden. Denn was einen erfreut, liest man wohl auch später noch gerne, was einen begeistert hat, daran prüft man sich von Zeit zu Zeit immer wieder, und was einen angeht, liest man meistens auch schon, bevor man ins Abrahamsalter eingetreten ist. Die gleichzeitigen Antriebe zum Lesen sind, ganz abgesehen von Berufsinteressen und Lebenssphären,
Der Mensch ist mit allem in der Welt, besonders aber mit dem Menschen, durch Fragen verbunden und von allem durch Fragen getrennt. Insoweit es Antworten gibt, dienen sie meist bloß dazu dem Frager den Atem abzuschneiden oder ihn auf leidliche Art loszuwerden. Die Jugenderziehung besteht in der Regel aus eilfertigen Fragebeantwortungen, die in Wahrheit keine sind und an deren Abbau aus dem Winkelwerk des Geistes- und Seelengebäudes der Mensch zeitlebens die größte Mühe setzen muß. Die Bollwerke von Vorurteilen auf dem Schauplatz der menschlichen Tragödie sind auf beflissenen
An einem Frühlingsvormittag 1939, kaum zwei Wochen, bevor ich meine Prager Heimatstadt für immer verließ, begegnete ich in einem der vielen Winkel der alten Theingasse einem Mann mittlerer Jahre, der mit einem Stelzfuß über das Pflastęr hinklapperre und eine Zigarrenschachtel mit Streichhölzern und Schnürsenkeln vor sich hertrug. Dieser Mensch spielte in meinem Leben eine merkwürdige und, wie sich zeigen sollte, sehr wichtige Rolle.Ich kannte ihn aus den Tagen meiner Kindheit. Er hieß Svatopluk Janda und hatte mit mir in der Volksschule auf der gleichen Bank gesessen. Bei