Der österreichische PEN-Klub versammelte in Wien acht namhafte Wissenschaftler und Schriftsteller, die sich (als gründliche Kenner) in ihren Vorträgen mit Werk und Leben des Dichters unter dem Motto Hermann Broch — heute, auseinandersetzten. Die Univ.-Prof. Dr. J. Strelka (Albany), Dr. H. Steinecke (Paderborn), Dr. P. M. Lützeler (Saint Louis) und Dr. M. Durzak (Montreal) boten Einblicke in das Werk in all seiner komplexen Differenziertheit. Ausgegangen wurde von Brochs Bemühungen um neue Möglichkeiten des Romans, in die er auch phitasophischa Reflexion und wissenschaftliche
Vor einem Jahr wurden die sterblichen Überreste Franz “Werfeis vom kalifornischen Beverley Hills nach Wien gebracht und auf dem Zentralfriedhof beigesetzt. Anläßlich der Enthüllung des von Frau Anna Mah-ler-Werfel geschaffenen Denkmals am Grabe veranstaltete die österreichische Gesellschaft für Literatur ein mehrtägiges Symposion, das dem Leben und Werk Franz Werfeis gewidmet war. Persönliche Erinnerungen boten Conrad H. Lester, Milan Dubrovic und Friedrich Torberg, zwei Literaturwissenschaftler sprachen über Zeit und Werk des Dichters: Roger Bauer, Paris/München, Eduard
Genau zwei Jahre ist es her, daß Alexander Solschenizyn aus seinem Haus in Moskau geholt wurde; Eine Staatsmacht reagierte. Solschenizyn, mittlerweile Nobelpreisträger und berühmtester Dichter seines Landes, wurde zusammengepackt und wie ein Stück Frachtgut über die Grenze nach dem Westen abgeschoben. Haben sich die Sowjets damals eines Riesen entledigt oder — an der Macht des Staates gemessen — eines widerspenstigen Zwerges? Und das ist der eigentliche Kern der Causa Solschenizyn: Wie groß war und ist wirklich der Einfluß eines Schriftstellers, der den Sinn seines Lebens darin sieht, um jeden Preis die offiziell unterdrückte Wahrheit zu sagen? Solschenizyns Ansehen innerhalb der Sowjetunion beruhte auf seiner moralischen Autorität, verstärkt durch den internationalen Widerhall und den Rang seines literarischen Werkes. Nicht seine politischen Ansichten, wie man sie eher als die eines weltfremden Moralisten abschätzen wollte, sondern seine moralische Lauterkeit und seine unerschütterliche Autorität erscheinen bis heute den Machthabem als die größte Gefahr, als Quelle „moralischer Ansteckung“, als der eigentliche Infektionsherd des Nonkonformismus. Inmitten der Niederlage der Ausweisung war es dennoch ein Sieg Solschenizyns.
Hinterher verleugnete er die Stadt, „das schwüle, schlecht gelüftete Prag“, das so gar kein „brauchbares Heimatbewußtsein“ aufkommen ließ, schämte er sich seiner frühen Gedichte und Gechichten, die „in keiner Weise den Anfang meiner Arbeit, vielmehr das höchst private Ende meiner kindlichen und jugendlichen Ratlosigkeit“ waren. Rilkes Selbstauslegungen sind ein Thema für sich, und ein sehr schwieriges. Am liebsten hätte er die 21 Jahre von der mitternächtigen Frühgeburt des 4. Dezember 1875 bis 1896, das Jahr seiner Flucht nach München, vergessen lassen. Aber mehr als er je zugegeben hat, weisen sein Leben und Werk zum Ursprung zurück, waren die Rückwirkung auf die Herausforderung von Ort und Zeit seiner Herkunft. Sieht man dieses Leben und dieses Werk als ein Ganzes an, so kann man auf den Anfang nicht verzichten.
Er, der sich nach eigenen Worten schlecht zum Parteigänger, zum Streiter für eine Sache, schon gar nicht zum Märtyrer eignete, sah sich nahezu ständig zur Parteinahme gezwungen. Immer wieder stand er im Mittelpunkt erbitterter Auseinandersetzungen, von Bewunderern und Hassern umgeben wie kein anderer, Heinrich Heine ausgenommen. Es ging dabei viel seltener um literarische Gegensätze, als vor allem um politische Konflikte. Die Figur des Ausgleichs und der Versöhnung, die er so gern dargestellt hätte, ist Thomas Mann nie gewesen. Wenn er sich auch durch „goethisch-repräsentative Überlieferungselemente“ bestimmt gesehen hat — seinem Wesen entsprach viel eher die ironische Distanz zur Welt, ein elementares Bedürfnis nach Ungebundenheit und Spielerfreiheit, die er nicht ohne Lust an öffentlicher Irritation pflegte. „Auf jeden Fall hat es einen Reiz und Nutzen“, schrieb er, „in Protest und in Ironie gegen seine Umgebung zu leben: das erhöht das Lebensgefühl, man lebt eigentümlicher und selbstbewußter unter diesen Umständen.“
H. G. Adler (einst Prag, jetzt London), ein temperamentvoller, weißhaariger Herr, erging sich kürzlich in der österreichischen Gesellschaft für Literatur in Erinnerungen an „Franz Kafka und die deutschsprachige Literatur in Prag“. Es hätte gar nicht seiner vielen Entschuldigungen bedurft, daß er in seinem Rückblick nur Fragmentarisches bieten könne über diese son derbare Kleinstadt von rund 30.000 Menschen in Prag, wo es von Literaturtalenten (zur größeren Hälfte Juden, zur kleineren Christen), nur so gewimmelt hat wife in Wien oder Berlin. Ein Versuch, das Phänomen dieser
Diese Wiener Retrospektive gilt dem Leben und Wirken des bedeutenden Theatermannes und Schriftstellers. In seinen fünf letzten Lebensjahren, 1949 bis 1953, entstanden jene dreizehn Meisterinszenierungen am Burgtheater (im Ronacher) und im Akademietheater, die nicht nur zu unvergessenen Höhepunkten seiner Regietätigkeit, sondern des Wiener Nachkriegstheaters überhaupt führten.
Daß diese zarte und verlegene Gestalt von einem geistigen Umfang war, darin sich die ganze Welt begegnen konnte, wird immer erstaunlicher, je mehr Zeit uns von seinem Leben und seinem elenden Sterben trennt. Sein Werk scheint einer ganzen Epoche die Rätsel aufgegeben zu haben“, nach denen es sie verlangte und in denen sie sich, ohne sie lösen zu können, widergespiegelt sah.
Erinnerungsvermögen wird klein geschrieben in dieser Zeit. Zu rasch fällt der Vergessenheit anheim, was immer noch in Spuren lebendig ist. Nicht bloß an beziehungsvollen Geburts- und Todestagen soll jener gedacht werden, deren Leben und Werk mehr als einer Erinnerung wert ist. Wir beginnen unsere zwanglose Folge mit Egon Friedell.
Bert Brecht wäre in diesen Tagen 75 geworden. Aus einer angesehenen Augsburger Bürgerfamilie stammend, hing er seiner Vaterstadt zeitlebens in „dankbarer Gehässigkeit" an. Seine Jugendeindrücke hielt er sich lebendig; Lebenshaltung des puritanischen, durchaus verständigen Elternhauses, Lebensformen der engeren Umwelt bestimmten ihn weitgehend. Der Vater hat die schriftstellerischen Versuche des Sohnes großzügig unterstützt, indem er Schreibmaschinen und Sekretärinnen der Papierfabriken,deren Direktor er war, zur Herstellung der Manuskripte bereitstellte. Wenn man bedenkt, daß es sich dabei um stellenweise skandalöse Texte gehandelt hat, die einer Sekretärin zu diktieren sich der junge Brecht selbst geniert habe, so wird man die väterliche Großzügigkeit nicht geringschätzen dürfen. Die so oft geäußerte Vermutung, Brechts „fanatischer Haß auf die Bourgeoisie" habe „seine bestimmte Ursache im Elternhaus" gehabt, bleibt somit unbegründet und muß ad acta gelegt werden.
Vor etlichen Wochen erst gab es wieder Streit um Heine. Im Hin und Her der Meinungen konnte man sich nicht einigen, ob die Universität in Düsseldorf künftighin Heinrich-Heine-Universität heißen sollte. Vielzitiert wurde das Wort eines weißhaarigen Herrn, der beim Düsseldorfer Heine-Hearing erregt aufsprang und rief: „Ja wissen Sie denn nicht, wer Heine ist?“ Eine mehr als symptomatische Frage. — Es scheint, daß Liebe und Haß. Hochmut und Borniertheit, Mißtrauen und Mißverständnis, unentwirrbar ineinander verstrickt, eine Tzwischen Heine und den Deutschen errichtet haben. Hundert Jahre lang hat man ihn mit schlechtem Gewissen gepriesen oder mit nicht besserem geschmäht. Zwölf Jahre lang hat man dann versucht, ihn totzuschweigen. Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren redet man wieder über ihn, mit schlechtem Gewissen und manchmal peinlicher Beflissenheit; doch das Gerede hat ihn nicht zu neuem Leben erweckt. Heine liegt den Deutschen nicht, denn er ist unbequem und anstrengend. Er ist Literat und Artist zugleich.
Die Schriftstellerin Carson McCullers (1917—1967) aus dem amerikanischen Süden begann ihre Laufbahn als ein rechtes „Wunderkind“. Mit ihrem ersten Roman, der Kleinstadt-Elegie Das Herz ist ein einsamer Jäger, wurde die Zweiundzwanzig-jährige zum Idol des literarischen Amerika. Die weiteren Romane und Erzählungen mehrten nur den Ruhm. Ihr Hintergrund war die Südstaatenlandschaft und -mentalität mit allen Uberresten des Rassenwahns, des gescheiterten Bürgerkriegs und der wirtschaftlichen Fragwürdigkeiten. Im Leben der Autorin überwogen zunächst die lichten Seiten: Freude an der
Ich bin ihr vor nicht allzulanger Zeit begegnet — es könnte gestern gewesen sein, so sehr hielt die Betroffenheit an. Wir saßen, allein im Wohnraum, einander gegenüber, aber ich war nur einer von Tausenden, die ihr Gesicht auf dem Bildschirm wahrnahmen und ihre Stimme aus dem Lautsprecher hörten. Auf die „scheue Poetin“ gefaßt — der grausame Bericht über ihre Poetikvorlesung damals in Frankfurt vor einer enttäuschten, weil auf flinke Rhetorik und handfestes Wissen eingestellten Studentenschaft war noch in Erinnerung —, wirkte sie doch ganz anders, bestimmter, selbstbewußter.
Innerhalb der Reihe „Wiener Geschichtsbücher'“, die vom Verlag Paul Zsolnay in Wien in überaus dankenswerter Weise herausgegeben werden, ist ein neuer Band erschienen, der den Graben zum Gegenstand hat. Diese Prachtstraße Wiens, die eigentlich ein langgezogeer Platz ist, wie man ihn höchstens in böhmischen Städten, aber nicht in Österreich findet, hat es wahrlich verdient, endlich eine Monographie zu erhalten. Wie der Name besagt, war der Graben ursprünglich ein echter Festungsgraben, der die Grenze des römischen Militärlagers bildete und auch noch im frühen Mittelalter als
Kaum ein anderer Dichter und Philosoph Amerikas wurde so geliebt wie Henry David Thoreau, geboren 1817, gestorben 1862. (Die Kinder seiner Vaterstadt Concord im Staate Massachusetts haben am Todestag „ihres Klassikers“ schulfrei.) Er wirkte und wirkt nachhaltig auf die Literatur seines Landes (etwa Dreiser, Steinbeck, Hemingway, Wolfe, McCarthy und andere), auf einen Teil der amerikanischen Jugend, und das weit tiefer als der Hermann-Hesse-Kult mit seinem „Steppenwolf“. Europäer und Asiaten nutzten sein Werk und ließen sich von ihm beeinflussen. Thoreau sah das Zeitalter der Massen,
„Er ist fast immer einer der unsrigen“, sagte Nietzsche im Todesjahr Grillparzers, und dieses einschränkende „fast“ von damals gilt auch für alles heutige Feiern und Rühmen, das eher dem wohlgemeinten Anlaß zum 100. Todestag als einer nahen Wahlverwandtschaft entsprang. Wohl blieben ihm dabei Rang und Würde als Österreichs größter Tragiker, als unvergleichlicher Szeniker, Existentialist des Biedermeiers, Prophet und Warner, Vorausahner und Gestalter modernen Weltgefühls und Menschenbildes, oder wie man es sonst nannte — wohl blieb ihm das alles unbestritten. Denn daß sich das Berliner Schillertheater zu einer Festmatinee Hans Weigel holte, der Grillparzer als gescheiterten Dramatiker „feierte“, weil er die Sprache nicht bewältigt und außer einer einzigen Tragödie (nämlich seiner eigenen) „nichts Wirkliches produziert“ habe, war ebenso originell abwegig, wie daß man in der Grillparzer-Feier des Burgtheaters den steirischen Jungdramatiker Franz Buchrieser („Hanserl“) die Laudatio halten ließ, in der er sich nachdrücklich von Grillparzer distanzierte. Doch die Stimmen, die ihn verschmähten, waren in der Minderheit.
Unter den zahlreichen Büchern zum olympischen Münchner Jahr nimmt der Band des Leiters der Monacensia-Sammlung der Münchner Stadtbibliothek einen Sonderplatz ein. Ein Urmünchner und hervorragender Sachkenner erzählt da kurzweilig und launig von den Bürgerhäusern, den Bauwerken, Straßen, Plätzen, Gärten, bevölkert sie mit unzähligen Gestalten und belebt sie mit anekdotischen Histörchen. Fast an die tausend Namen (laut Personenregister) bringt er in den76 Kapiteln des gar nicht dickleibigen Bandes unter. Die Buchreise beginnt mit der Siedlung „Munichen“ (das heißt „bei den
Am 30. Oktober 1821 wurde Fjodor Michailowitsch als Sohn eines Armenarztes in Moskau geboren. Er war achtzehn, als er die Nachricht von der Ermordung seines Vaters erfuhr, der auf seinem Gut das Leben eines Wüstlings, Trunkenbolds und Tyrannen geführt hatte und von seinen mißhandelten Leibeigenen erschlagen wurde. Als Dreiundzwanzigjähriger nahm er im Raiįg eines Oberleutnants jähen Abschied von der Armee, weil er nicht länger dienen, nicht länger seine besten Jahre verlieren wollte. In einem Brief ist die Grundmelodie angeschlagen, die sein Leben bis zum Ende begleiten sollte: Geldnot und Ablehnung jeden Kompromisses. „Am schlimmsten aber ist, daß ich einen schlechten und übertrieben leidenschaftlichen Charakter habe. In allen Dingen gehe ich bis an die äußersten Grenzen; mein Leben lang habe ich nie maßhalten können.“
Es beginnt spannend und erweckt Neugier. Der Klappentext verheißt: „Noch einmal leuchtet in diesem Buch der ganze hinfällige Glanz der Donaumonarchie mit ihrer sorglos der Liebe und dem Genuß lebenden Gesellschaft auf… Doch schon kündigt sich in der rätselhaften Tat eines Einzelgängers die große Katastrophe an, die all das hinwegfegen wird. Gemeint ist die Giftmordaffäre Hofrichter, eines aktiven Oberleutnants aus Linz, der in der zweiten Novemberhälfte 1909 zehn mit Zyankali gefüllte Oblatenkapselri, diskret als Aphrodisiakum empfohlen, an zehn ledige junge Hauptleute des
Die österreichische Literatur ist zur Zeit im deutschsprachigen Ausland und darüber hinaus durch drei Namen über die Maßen erfolgreich vertreten: den „Publikumsbeschimpfer“ Peter Handke, den Bühnenallrounder Wolfgang Bauer und H. C. Artmann, Lyriker, Verfasser von Prosatexten und Kurzkomödien, gerühmter Übersetzer mit enormem Spachwissen. (Die Liste der Sprachen, die man ihm zu sprechen oder zumindest zu lesen nachsagt, soll weit mehr als zwei Dutzend umfassen, darunter auch Ottakringerisch; für den Autor der makabren Dialektgedichte „med ana schwoazzn dintn" durchaus legitim).
Man hatte gesagt, er beherrsche nur die kleine Form, bis Siegfried Lenz mit den 560 Seiten seiner „Deutschstunde“ vom Gegenteil überzeugte, Im Gesamtwerk des Vierundvierzigjährigen stehen — neben her szenischen Werken und einem Band Essays — sechs Romane sechs Büchern Erzählungen gegenüber. Sieht man von dem ganz ungewöhnlichen Erfolg der „Deutschstunde“ ab, so läßt doch der Querschnitt des vorliegenden gewichtigen Bandes mit 37 Erzählungen aus den Jahren 1949 bis 1964 den Schluß zu, daß Lenz sich primär als Geschichtenerzähler erweist.
Das internationale Festival des Puppentheaters im Rahmen der Wiener Festwochen mag eine Frage klären helfen: ob volltönende Klassikerverse, moderne Bonmots, Derbheiten und doppelbödige Zeitkritik das Puppentheater noch zur Weltkomödie gedeihen lassen können; oder ob die Leistungsschau mit Perfektion der Marionettenmechanik, mit illusionären Bühnenbildern und unerschöpflich bunten Lichtreserven es nur noch auf das traditionelle Konservierungsunternehmen für Evergreens im Repertoire beschränkt. In Wien vegetiert das Puppenspiel eher im Untergrund oder erfreut sich als Spielreservat ausschließlich kindlicher Einfalt und Begeisterung. Dabei ist es doch noch gar nicht so arg lange her, da hausten in Wien drei echte und berühmte Zauberer: Richard Teschner mit seinem magischen Figurenspiel im Jugendstil, Max Florian, der jahrelang an seiner übergroßen Marionettenbühne baute, und der leibgewaltige, grotesk-philosophisch extemporierende Wladimir von Sas-Zaloziecky mit seinen köstlichen Handpuppen. Nichts davon lebt mehr, es sei denn, daß einige der zauberhaften kleinen Kunstgeschöpfe als Schauobjekte in musealen Vitrinen schlummern.
Worum es Curt Riess in seinem Theaterbuch geht, signalisiert der auf dem Schutzumschlag abgedurckte markante Satz Boleslav Barlogs, Direktor des Berliner Schillertheaters: „Endlich findet jemand den Mut, gegen die Phalanx der modernistischen Schreier und Macher anzugehen.”So knüppeldick, so undifferenziert ficht Riess, der sich für einen „altmodischen Mann” konservativer Prägung hält, nun freilich nicht. Er ist gegen vieles: gegen Jurymitglieder, die Stücke nicht nach künstlerischen, sondern nach politischen Gesichtspunkten auswählen; gegen das Gros der Theaterkritiker, die am
Wie könnte man seiner besser gedenken, als daß man zunächst die Erinnerung an einen der Abende im überfüllten Saal des Palais Pälffy wachruft. Er las damals seine Erzählung Die Rippe der Großmutter, ein Stück Autobiographie, in der das Versinken des alten österreichisch- böhmischen und das Heraufdäm- mem des neuen republikanischen Prag zu einer Tragikomödie voll köstlicher Skurilität verdichtet war und in eine ergreifende Parabel der Weisheit mündete. In der ersten Reihe saß Heimito v. Doderer und bot das einzigartige Schauspiel, wie sich das Gelesene im Gesicht des gespannt
Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der, zum Tode verurteilt, im Gefängnis auf seine Hinrichtung wartet. Sein Verbrechen ist unbestimmter Natur: die Gesellschaft scheint ihn ausgestoßen zu haben, weil er in einer Welt ndchtdenken- der, gefühlloser Lemuren eines phantastisch nachtechnischen Zeitalters („die Materie war müde, die Zeit döste sanft“) ein humaner Mensch bleiben wollte. Schon durch sein Außeres provozierend, bereitet ihm die Umwelt in ihrer Roheit und Dummheit unerträgliche Qualen. Ihre minuziöse Beschreibung füllt das Buch. Nabokov verwahrt sich im Vorwort, von
In Wien lief kürzlich der französische Film „Das Geständnis", dem die Memoiren des ehemaligen stellvertretenden Außenministers Artur London zugrunde liegen. London war einer der drei Überlebenden im Prager Slänsky-Prozeß. 1956 rehabilitiert, schrieb er in Frankreich seinen Erlebnisbericht, dessen tschechische Ausgabe in Prag durch den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten vereitelt wurde. Der überaus packende Horrorfilm schildert die ans Unwahrscheinliche grenzenden, den Traditionen des Landes eigentlich völlig fremden Grausamkeiten gegen tschechische und slowakische Führungsmitglieder in den Schauprozessen der frühen fünfziger Jahre. Was sich im Film, trotz hoher künstlerischer Ambitionen, wie unglaubwürdige Knalleffekte eines Schundromans der Wirklichkeit ausnimmt, erweist sich nach der Lektüre der hier angezeigten Bücher als eine geradezu authentisch rekonstruierte Dokumentation.
FOLGE IHM DURCHS TAL. Von Marek Hlasko. Aus dem Polnischen von Janusz von Pilecki. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln — Berlin. 278 Seiten. DM 22.—.Das Experiment, das die osteuropäischen Völker nach 1945 begonnen hatten, verhieß ihnen nach allen Regeln der Logik die schönsten Aussichten und nach allen Sprüngen der Dialektik die glücklichsten Ergebnisse. Das erklärte den heißen Enthusiasmus zunächst für das kommunistische Regime und später für die Hoffnung während der Tauwetterrevolte, als sich eine Chance der Menschlichkeit bot; es erklärt aber auch den hohen Grad von
ERINNERUNGEN: PRAGER JUGENDJAHRE. Von Fritz Mauth-ner. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main. 336 Seiten. DM 18.20.Fritz Mauthner (1849 bis 1923) ist zu Unrecht völlig vergessen. Noch verständlich, wenn es um seine Parodien, Satiren, Erzählungen oder die von nationalem Chauvinismus triefenden Romane geht. Aber sein eigentliches Lebenswerk - galt der Idee einer Erkenntniskritik der Sprache (worin er Wittgenstein vorwegnahm). Seine dreibändigen „Beiträge zu einer Kritik der Sprache“ und das dreibändige „Wörterbuch der Philosophie“ münden in tiefgründigem Kritizismus, seine
AUS DEM TAGEBUCH EINES KONTERREVOLUTIONÄRS. Von Pavel Kohout. Mit 24 Graphiken von Pravoslav S ov äk. Verlag C. J. Bucher, Luzern-Frankfurt/M. 295 Seiten. DM 25. — 3 THEATERSTÜCKE mit Prolog, Epilog und Intermezzi. (So eine Liebe. Reise um die Erde in 10 Tagen. August August, August). Von Pavel Kohout. Verlag C. J. Bucher, Luzern-Frankfurt/M. 304 Seiten. DM 14.80.In der Geschichte der Tschechen und Slowaken sprachen ihre Dichter, ihre Schriftsteller — wenn die Politiker zum Schweigen gebracht wurden oder das Vertrauen der Menschen enttäuscht hatten — im Namen des Volkes, als Gewissen
EIN NARR FÜR JEDE STADT. Roman von Ota Filip. Aus dem Tschechischen von Josefine Spitzer. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, 249 Seiten, DM 18.—.Dieses Buch hat nur mittelbar mit jenen aktuellen Geschehnissen in der Tschechoslowakei zu tun, wie sie in einer Unzahl von Tatsachenberichten festgehalten wurden. Büchern wie diesem ist gemeinsam, daß sie Privates mit dem übermächtig Geschichtlichen konfrontieren; daß sie das Recht des einzelnen auf sein eigenes Leben verteidigen, auf seine Irrtümer und Träume, seine Trauer und Resignation, seinen Egoismus und seinen Horror vor dem
Man hat ihn auf die Bank der Schelme neben Sancho Pansa, Eulenspiegel und Münchhausen gesetzt und eine satirische Weltfigur aus ihm gemacht. Vielleicht ist er nicht so tapfer und geistreich wie die großen Schalksnarren. Aber dieser Rundkopf mit der Knollennase, dem ein amtsärztliches Zeugnis notorische Blödheit bescheinigt hat, bewältigt den Irrsinn der Welt durch seine verschmitzte Idiotie. In normalen Zeiten und normalen Lagen würde man sie als gesunden Menschenverstand bezeichnen. Das Wort blöd ist wurzelverwandt mit dem französischen „ėblouir“, blenden, düpieren, durch Ungewohntes verwirren. Wer den Zusammenhang überdenk kommt dem Wesen Schwejks nahe.
Die jungen polnischen Schriftsteller und Publizisten, die nach dem Oktoberumschwung 1957 verwegen genug waren, nach Wahrheit zu streben und eine große Umwertung der Begriffe zu fordern, wurden von einigen „Realpolitikern“ in Erinnerung an die enrages unter den Jakobinern der französischen Revolution die „Rabiaten“ genannt. Da es den Schriftstellern aufgegeben ist, die moralische und nicht die politische Haltung des Menschen zu festigen, setzten sie sich für die moralische Aufwertung der durch den Stalinismus entarteten sozialistischen Konzeptionen ein. Zu denen, die es unternahmen, die marxistische Ideologie zu enttotalisieren und ihres Mythos zu entledigen, gehörte auch der begabteste unter den jungen Philosophen Leszek Kolakowski. Die relativ große Meinungsfreiheit, die eine Zeitlang in Polen herrschte, war ganz und gar das Verdienst der „Rabiaten“.
Daß unsere Wirklichkeiten ungleich und unbeständig sind, wird kaum noch angezweifelt, denn Tatsachen bedeuten längst nicht mehr soviel wie einst. Die Fakten, mit denen wir förmlich zugedeckt werden, schüren nur unser Mißtrauen gegen sie, provozieren Fragen. Je genauer und handgreiflicher ein Bericht, desto unklarer die Ursachen, die zu den Tatsachen geführt haben mögen. Was fesselt, sind die Perspektiven. Welches Bewußtsein reagiert, auf was, wie es reagiert, was wirklich geschehen ist, wenn etwas geschehen ist. Mit Beschreibung kann da nur wenig erreicht werden, selbst wenn, wie in diesem Buch, Erinnern, Besinnen zu einer Energie des Erinnerns wird, zu andauernder Bewegung, entwerfend, ändernd, widerrufend. „Laß mich in Ruhe mit Protokollen“, heißt es denn auch an einer Stelle. „Die Form muß schwanken, alles muß schwanken...“ Und da der Bericht schon weit über die Hälfte gediehen ist, gesteht der sich Erinnernde: „Ich merke nur, daß nichts zu Ende geht, nichts aufhört, ich möchte alles noch einmal erzählen, anders... zuviel wartet noch.“
Auf jenem denkwürdigen 4. Schriftstellerkongreß in Prag verlas der tschechische Dramatiker Pavel Kohut vor 500 Teilnehmern im geschlossenen Saal einen „offenen Brief“ des russischen Schriftstellers Alexander Sol-schenizyn, worin dieser aufs schärfste gegen die Zensur, „die militante Primitivität kontrollierender Instanzen“ in der Sowjetunion protestierte. Der insgeheim unter den Kongreßteilnehmern zirkulierende Brief war im Mai 1967 an den Unionskongreß der Sowjetschriftsteller gerichtet und enthielt unter anderem den Satz: „Eine Literatur, die sich nur zwischen den Kategorien .erlaubt' und .verboten' bewegen darf, kann sich nicht entwickeln. Eine Literatur, die nicht wiederzugeben vermag, was die Gesellschaft beunruhigt und woran sie leidet, die nicht rechtzeitig vor den moralischen und sozialen Gefahren zu warnen imstande ist, verdient nicht den Namen Literatur; sie kann nur als Fälschung bezeichnet werden. Eine solche Literatur verliert das Vertrauen ihres Volkes.“ Der Brief schloß mit der Versicherung: „Niemand kann den Weg zur Wahrheit versperren — für diese Entwicklung bin ich auch zu sterben bereit.“ Je mehr man seinen Namen in den offiziellen Verlautbarungen ignorierte, um so mehr ist Alexander Solschenizyn in der Sowjetunion und im gesamten Ostblock zum Inbegriff einer bestimmten Geisteshaltung, zum Symbol für künstlerische Freiheit, für schonungslose und restlose Uberwindung des Stalinismus geworden.
Aggressoren“ als Anklage gegen Ost und West. Gegen die Amerikaner wegen ihres schmutzigen Krieges in Vietnam, gegen die Kommunisten wegen ihres Beistandes zu einer Politik, deren Ziel es ist, ein Volk auszurotten und einen Staat zu liquidieren.
DREI HUMORISTISCHE ROMANE. (Onkel- chens Traum, Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner, Der ewige Gatte). Von F. M. Dostojewski. Verlag R. Piper & Co 591 Selten. 7 Seiten Nachwort von Friedrich Hitzer. DM 25.—.
PHILLIS UND PHILANDER. Gereymter Venus-Spihgei im baroquischen Geschmakk von einem ohngenannten, aber nicht ohn- bekannten AUTORE. Herauss geben und mit so gelahrten als nuzzbaren Anmerckungen versehen durch Herrn Peter Squentz. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart. 10 Seiten. Preis 20.— DM.
GESPRÄCH AN DER MOLDAU. Von Antonin J. Li ehm. Verlag Fritz Molden, Wien- München-Zürich. 352 Selten. S 108.—. SCHICKSALSTAGE EINER NATION. Von Klaus Otto Skibovkl. Econ-Verlag, Düsseldorf-Wien. 215 Seiten und 32 Seiten Abbildungen. DM 8.-. CSSR IM UMBRUCH. Herausgegeben von Leopold Grünwald. Europa-Verlag, Wien-Frankfurt- Zürich. 160 Seiten. S 62.—. MIT BLOSSEN HÄNDEN. Von Erich B e r 11 e f t. 224 Selten und 16 Bildseiten. S 6.—. VIVA DUBCEK. Von Christian Schmidt-Häuer und Adolf Müller. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln-Berlin. 191 Seiten.DM 7.80.Weder der Überfall auf
REQUIEM EUR HABSBURG. Erzählungen Ton Miroslav K r 1 e ± a. Aus dem Serbokroatischen. Band 166 der Reihe „Die Bücher der Neunzehn“. R. Piper & Co., München. 373 Seiten. DM 12.84.
EINLADUNG NACH PRAG. Herausgegeben und elngeleitet von Traugott Krschke. Verlag Albert Langen-Georg Müller, München-Wien. 346 Seiten. — GESCHICHTE DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK 1918 bis 1965. Von Jörg K. Hoensch. Urban- Bücher Nr. 96. W.-Kohlhammer-Verlar. Stuttgart. 180 Selten. DM 4.80.
ESSAIS I, WERKE 2. Von T. S. Ellot. Suhrkamp-Verlag:, Frankfurt. 488 S. DM 82.—.Thomas Stearns Eliot (sein äußerer Ruhm hatte 1948 durch die Verleihung des Nobelpreises seinen Höhepunkt erreicht) galt lange Zeit als der bedeutendste Dichter der angelsächsischen Welt. Wirkung und Ruhm reichten weit über das Abendland hinaus bis nach Ostasiien. Als Eliot Anfang Jänner 1965 im Alter von 76 Jahren starb, bestätigte die Flut von bewundernden Nachrufen nur seinen Rang. Ehrendoktor von 23 Universitäten, wider Willen Anreger zu weit mehr als 200 Interpretationen seines monumentalen Gedichtes
BRIEFE AN FELICE. Von Franz Kafka. Herausgegeben von Erich Heller und Jürgen Born. Mit einer Einleitung von Erich Heller. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt. 7 4 Seiten.
Erschütternd, wie das Weltgeschehen der letzten Wochen zwei dieser kleinen Bändchen der fast immer ausgezeichneten Edition des Suhrkamp-Verlages inhaltlich einander angenähert und in brennende Aktualität gerückt hat. Weil eines dieser „boshaften, unpersönlichen, abstrakten Staatsungeheuer“ (Dürrenmatt), die einander mit Atombomben in Schach halten und weltum Angst verbreiten, indirekt in Aktion getreten ist. Weil es wie ein Blitz in die Verse der deutsch-jüdischen Dichterin Nelly Sachs fuhr, die — Zeit und Raum durchbrechend — noch den „brennenden Sinaisand mit Kehlen von
DAS SCHLOSS IM „CORNET“ VON RAINER MARIA RILKE. Von Hugo Rokyta. Mit 40 Bildbeilagen und einer Karte. Bergland-Verlag, Wien. Österreich-Reihe Band 323/325. S 30.-.
So wie dieser Sommer kein richtiger Sommer, so ist „Der vielgeliebte Herr Brotonneau“ von Robert de Flers (ehemaligem Mitglied der Acadėmie Franęaise) und Gaston Arman de Caillavet keine richtige Komödie. Aber Rohmaterial für einen großen Komiker. Monsieur Brotonneau, Bankprokurist und treuer Diener seiner Herren, dessen Geschäftsgeist und Pünktlichkeit das Unternehmen . seit Jahren florieren läßt, gerät in eine Dreiecksituation, die längst zu einer Art Warenzeichen für die französische Komödie geworden ist. Boulevardkomödien beziehen nun einmal ihre Verwicklungen mit
Die Wiener Festwochen sind vor- bei, es geht dem Ende zu. DasFazit der Saison wind noch zu zidhen sein. Das Akademietheater stellte sich (reichlich spat, aber immerhin noch fruher als sein gro- Ber Bruder, das Burgtheater, das noch zwei Tage vor TorschluB eine Raimund-Premiere brachte) mit einem Nestroy-Abend ein. Er kop- pelt zwei selten aiufgefiihrte, recht ungleiche Possen und laflt wieder einrnal so recht bewuBt werden, wie selten man in Wien Nestroy spielt und wenn, dann immer nur das- selbe halbe Dutzend von den 83 Stricken. Wo denn aber als in Wien muBte man immer wieder bei-
Seit 1959 schlägt das Wiener Pawlatschentheater alljährlich seine Bretter auf, um den Theaterbeflissenen aus dem In- und Ausland etwas spezifisch Wienerisches vorzusetzen: eine jener Parodien aus der Maria-Thereisianischen Zeit oder dem Vormärz, liebenswürdige Gaben der Votksmiuse, wie sie bei den waschechten Wienern und Wienerinnen so beliebt waren. Diesmal spielt man im Rettschulhof neben der Schönbrunner Wagenburg, des Hofkanzlisten Franz Xaver Gewey (1764 bis 1819) Parodien in Knittelversen „Pigmalion oder die Musen bei der Prüfung“, bearbeitet von Ruth Kerry, mit Musik nach
Im Mai 1951 ha e der Direk or des Burg hea ers in einem Vor rag erklär , er werde Brech ers dann spielen, wenn einmal vom „Poli iker“ Ber Brech nich mehr die Rede und dami die Gewähr gegeben is , daß Brech nur seines dich erischen Gehal es wegen ohne poli ischen Applaus gespiel werden kann. Bis Mai 1966 schien diese Gewähr nich gegeben, denn das Burg hea er führ nunmehr „Die Plebejer proben den Aufs and" von Gün her Grass auf. Dieses „deu sche rauerspiel“, wie es im Un er i el heiß , is das Drama des „Dich ers und In ellek uellen, der die poli ische Wirklichkei , die er so
Direktor Leon Epp nannte in seiner Ansprache vor der 100. Premiere die Gastspiele des Volkstheaters in den Außenbezirken eine „in der Welt einzig dastehende Aktion“. Seit 1953 konnte einem breiten Publikum, das kaum einen Weg in die im Innern Wiens gelegenen Theater findet, ein repräsentativer Querschnitt durch österreichische und die ernste und heitere Weltdramatik geboten werden. Für die Jubiläumsinszenierung fiel die Wahl auf „Kapitän Brassbounds Bekehrung“ von Bernard Shaw. Eigentlich erweckt dieses nur in jahrzehntelangen Abständen auf die Bühne gelangende
In der ,,Glasmenagerie“ sohuf Tennessee Williams zart und behut- sam die Tragodie einer enttauschten Madchenseele. In ,,Endstation Sehn- sucht" schuf er realistisch und uner- bittlich die Tragodie einer enttauschten Frauenseele. — 1945 bis 1947 entstanden, gait dieses Drama ein- mal als Musterbeispiel fiir den modernen psychologischen Realismus der Amerikaner, und zugleich als ein Stuck Kritik an Amerika, an der Auseinandersetzung zwischen vitaler Kraft und verfeinerter Kultur, die hier am Beispiel einer degenerierten Familie der franzdsischen Aristokra- tie und den brutalen genormten
Nirgends in der „Italienischen Reise“ ist so viel vom Theater die Rede wie hier vom venezianischen, nirgends so ausführlich von einem Theaterstück wie von Goldonis „Le Baruffe Chizzotte“, das Goethe im Oktober 1786 zu sehen bekam, „Rauf- und Schreihändel von Chiozza“ übersetzte er den Titel der Komödie, weit anschaulicher als das nüchterne moderne „Skandal in Chioggia“. „Ein Gelächter und Ge- jauchze von Anfang bis zum Ende“ notierte er als Wirkung der Aufführung auf das Publikum in Venedig. Eine Komödie ist dieses so gut wie unübersetzbare Volksstück aus dem
Fėlcien Marceau,der das Romanschreiben längst aufgegeben hat, ist in Wien als Autor der bitterbösen und doch komödiantischen Gesellschaftssatire „Das Ei“ und des harmloseren, aber mit gewohnter szenischer Virtuosität verfaßten Stückes „Der Manager“ bekannt. Weltanschaulich neigt er dem Zynismus zu, doch gerät ihm bei der Verarbeitung europäischer Dramenproblematik von Strindberg bis Kafka alles ins Heitere. („Ich könnte ein Stück über die Hölle schreiben, es würde ja doch nur komisch werden.“) Nur daß er — der das billigeBoulevardtheater verachtet — laut eigenen
Ionesco sollte nicht mehr behaupten, daß Luigi Pirandello„überholt sei, und Nachplapperer sollten nk mehr vom „skeptischen Nihilismus des Sizilianers reden dürfen. Weil ei jenen halsbrecherischen Seiltan: zwischen Sein und Schein vollführte an der Existenz oder jedenfalls ar der Erkennbarkeit einer objektiv gültigen Wirklichkeit zu zweifeln unč darum immer wieder die Masken des Scheins zu lüften wagte, ist er noch lang kein Nihilist. Das beweisen auch die zwei Einakter (aus einem Sizilien um 1920), die das Theater in der Josefstadt unter der beispielhaften Regie von Franz Messner im
Schiller brauchte ein Dutzend Briefe über „Don Carlos“, um sich durchzuringen zu dramaturgischer Klarheit für den kühnen Entwurf, politisches Drama und menschliche Leidenschaft, Eros und Weltrevolution sich aneinander steigern zu lassen. In diesen Selbstkommentaren leistete Schiller gleichsam ins unreine jene „Riesenarbeit der Idealisierung“ nach, die den Regisseuren immer von neuem aufgegeben bleibt. Gustav Manker hielt sich in seiner Bearbeitung für die Neuinszenierung im Theater in der Josefstadt („der Intimität und Begrenzung dieses Theaters nachgebend“) an Schillers
Der Verein der Freunde des humanistischen Gymnasiums veranstaltete im Auditorium maximum der Universität Wien eine Leseaufführung der „Medea” von Jean Anouilh. Univ.-Prof. Dr. Albin Lesky umriß in seiner kurzen, prägnanten Einleitung den Gestaltwandel dieser halb göttlichen, halb menschlichen Heroine. War die Tragödie des Äschylos noch ein ständiges Gespräch zwischen Mensch und Gott, so verlegte Euripides, an der entscheidenden Wende des griechischen und darüber hinaus des abendländischen Dramas, die beiden Pole des unaufhebbaren tragischen Gegensatzes in die menschliche Seele.
„Ich bin ein idealistischer Deutscher, und Sie sind ein idealistischer Jude”, sagt Eichmann zu Joel Brand in dem gleichnamigen Schauspiel von Heinar Kipphardt. Die Geschichte ist aktenkundig. Eine Million Juden, „Blut gegen Ware”, bot im Frühsommer 1944 Eichmann in Budapest an, wenn dafür 10.000 Militärlastwagen geliefert würden. Joel Brand, Vertreter jüdischer Organisationen, dem plötzlich die Verantwortung für eine Million Menschen aufgeladen war, flog nach Istanbul, um mit Zionisten und den Alliierten das Tauschgeschäft auszuhandeln. Aber niemand wollte oder konnte den
In seinem Einakter „Eine wundersame Nacht“ (in der „Kleinen Josef - stadt“) hat Slawomir Mrozek das abgenutzte Sprichwort in einen leicht avantgardistischen Schwank verpackt. Denn was die beiden Industrieexperten, die zufällig eine Nacht gemeinsam in einem Hotelzimmer verbringen müssen und dort von einer Traumfee heimgesucht werden, träumen, ist einigermaßen „wundersam“. Lustig die gegenseitige „Anpassung“ der beiden Übernachtenden, weniger der Traum selbst mit seiner phantastischen Identitätssuche. (Träume ich Sie oder träumen Sie mich?) Langweilig auch die ziemlich
Schon anläßlich der Uraufführung seines ersten Stückes, „Das Nest”, hatte Johann A. Boeck beteuert, daß er beim Schreiben keinerlei Tendenzen verfolge, nur den dramatischen Gesetzen gehorche und keinen anderen Auftraggeber habe als die Vernunft und das Herz des Menschen. Das sei festgehalten und anerkannt. In dem klugen und für Boeck sehr charakteristischen Aufsatz „Von der Dramaturgie der Kollektive” im Programmheft ist von „neuen Dramaturgien” die Rede, die von der „Ihdividualistenbühne ins Theater der Kollektive hinüberzuwechseln” helfen sollen, damit „die Bühne
Sicherlich ist Bancbanus in Grillparzers Trauerspiel „Ein treuer Diener seines Herrn” der aus Einsicht wie Gehorsam „unheldischeste Held”, der je in ein tragisches Geschick verstrickt wurde. Aber er ist weder ein serviler noch ein lächerlicher Vasall seines Königs; denn am Ende erweist er sich in seiner höheren Welt des Duldens und Erdul- dens als der Stärkere, der Sieger — auch über den hemmungslosen, gefühlskranken Wüstling, den Herzog von Meran. Um Bancban ist etwas wie eine an Rembrandt gemahnende Leuchtkraft. Nicht ein Zerrbild des vormärzlichen Beamtentums, sondern
Vor 175 Jahren, am 15. Janner 1791, wurde Franz Grillparzer geboren. Grund genug, daß ihn Burgtheater und Akademietheater durch Aufführungen seiner Werke feiern. Den offiziellen Auftakt gab der Festakt im Burgtheater, der sich fast zu einem Staatsakt mit Ministern und Exzellenzen in der vordersten Reihe und der Bundeshymne zum Abschluß entfaltete.Burgtheaterdirektor Haeussermann erinnerte in seiner Eröffnungsansprache daran, daß Grillparzers Geburtstag nahe bei dem des Burgtheaters liege. Grillparzer selbst werde heute weniger denn je zuvor als „Klassiker” angesehen. Sein Werk, das
Grillparzer soll die Geschichte gefaßt haben, und doch hörte er nie iiuf, in ihr zu leben, und las dauernd n Chroniken, deren einer er die Jnterlagen für sein Trauerspiel König Ottokars Glück und Ende” ntnommen hat. Den Umriß lieferten lie eigene Vision und die von wei- em an Sheakespeare gemahnende Historische Situation des Böhmen- :önis. Ein zielbewußter, tatkröfti- ;er Emporkömmling, lechzt er auf Lern Gipfel seines allzu mühelosen llücks nach Macht. Der Untergang st in seinem zwiespältigen Wesen gründet, „in dem ein Zug gewalt- amen Willens, unbändiger, über jeles
„Maria Stuart“ ist das dramaturgisch geschlossenste, makelloseste Drama Schillers. In strenger Architektonik und sorgfältig ausgewogenen Akten entfaltet sich in kürzestem Zeitraum eine fast kriminalistische Handlung, erfüllt sich die Notwendigkeit des Geschehens wie ein zwischen Verurteilung und Hinrichtung ablaufendes Uhrwerk. Ein dunkler Sensationsprozeß der Geschichte wird zur tragischen Fabel um die Verflochtenheit von Menschlichem und Politischem verdichtet. Aber schon in einem Brief an Goethe hatte Schiller angekündigt, daß „Neigung und Bedürfnis“ ihn zu „einem bloß
In „Peer Gynt“, seinem letzten Versdrama, hielt Henrik Ibsen Abrechnung mit der zur schalen Schwärmerei entarteten Romantik, die sich einen Reichtum des Lebens vorlügt. Der Phantast und Tagedieb Peer Gynt, zufrieden mit den unverbindlichen Scheingebilden seiner Selbstsucht, flüchtet aus der konkreten Endlichkeit seiner Umwelt, deren Grenze er durch verantwortliches Handeln erweitern sollte, in die vage Unendlichkeit seines Ichs. Der Grundsatz des prahlerisch-vitalen Peer „Sei ganz du selbst“ wandelt sich in der Höhle des Dovrealten unmerklich in den ähnlich klingenden, puren
Alfred Jarrys (1873 bis 1907) Meister- und Musterstück „König Ubu“ ist als großes Ereignis in die französische Theatergeschichte eingegangen. Darin wird das Absurde von heute mit dem Absurd-grotesken von gestern konfrontiert. Jarry wollte das Theater von der Clownerie her erneuern. Sein „Ubu“ ist ein ungeheuerlicher Hanswurst, ein wahrhafter Gargantua an Gemeinheit, Feigheit, Duckmäuserei, Faulheit und Grausamkeit. In unersättlicher Gier verschlingt er alles, was ihm über den Weg läuft, zertritt er alles, was ihn stören könnte. Mit dem Fassungsvermögen bestenfalls eines
Erstaunlich bleibt an der Komödie „Der Menschenfeind“ (Le Misan-thrope) von Moliere die frühe Entstehung (1662). Da hat sich ein denkender Privatmann, also ein Intellektueller, in einer uniformen Gesellschaft am Aiisgang der Feudalität (diesen historischen Moment markiert Molieres Werk) eine halbwegs gesicherte Stellung erkämpft, und statt nun auf der Höhe des sozialen und mondänen Erfolges die neue Macht mitzugenießen — sagt er der ganzen Menschheit seine Feindschaft an. Alceste ist nämlich ein enttäuschter, beleidigter Idealist, ein unnachgiebiger Wahrheitsfanatiker und
Entweder war die Inszenierung (Edwin Zbonek) auf der Miniaturbühne im Kleinen Theater der Josefstadt im Konzerthaus des Märchens „Himmelwärts von ödön von Horvath unzulänglich oder es handelt sich um ein schwächeres Stück des Autors der unvergessenen (leider viel zu selten gespielten) „Geschichten aus dem Wienerwald, von „Kasimir und Karoline und „Der Jüngste Tag. Anscheinend trifft beides zu. Horvaths Stimme, geformt aus Pessimismus, sarkastischem Idealismus und dem Glauben an eine bessere Zukunft, verdient gehört zu werden. Sie verkündete Menschlichkeit, Wahrheit und
Seit John Osborne 1956 in Jimmy Porter des „Blick zurück im Zorn“ zum erstenmal die Enttäuschung der Jugend nach dem zweiten Weltkrieg verkörperte, galt er als der dramatische Wortführer, als die Stimme einer zornigen Generation von Zwanzig- bis Dreißigjährigen. Es war ihm bitterernst mit seiner Zeitkritik, seiner Abrechnung mit dem England von heute. Auch der Anti-held in seinem jüngsten Stück, „Inadmissible Evidence“ („Unzulänglicher Beweis“, in der deutschen Fassung „Richter in eigener Sache“), der Scheidungsanwalt Maitland, scheint ein naher Verwandter des zornigen
Seit Strindberg als unmittelbarer Vorläufer der literarisch so entwickelten Existenzangst, eines modernen Verfolgungswahnes aus dem Bodenlosen, gilt, hat sich die Einstellung zu seinen Werken gewandelt. Man begegnet ihnen mit einem günstigen Vorurteil. Selbst in einem so sehr der naturalistischen Tradition verhafteten Stück wie „Der Vater“, dem Drama des irrsinnigen Geschlechterkampfes, gleitet das Geschehen aus dem alltäglich Zufälligen bisweilen ins bedrückend Überwirkliche. Jenseits des Individuellen wird der alte Widerstreit zwischen patriarchalischer Geistherrschaft und
Als Pamphletist weltberühmt wurde G. B. Shaw durch seinen im November 1914 im „New Statesman“ veröffentlichten Aufsatz „Der gesunde Menschenverstand im Kriege“. Im selben Jahr begann er „Heart-breakhouse“, seine „zornige Komödie“, zu schreiben, die er während des Krieges vollendete, aber erst nach dem Krieg veröffentlichte. Wer hatte damals schon Lust, dem gesunden Menschenverstand zu trauen? „Hous Herzenstod“ heißt es in der bedeutsamen Vorrede zu dem Stück, „ist nicht bloß der Name des Dramas, das dieser Vorrede folgt, es ist das verfeinerte, müßige Europa vor
Das Teatro Narodowy aus War-ichau gastierte an zwei Abenden im Burgtheater. Der erste Abend brachte „Die Historie von der glorreichen Auferstehung des Herrn. Nach den heiligen Evangelisten zusammengestellt und von Mikolaj aus Wilkowiecko, dem Mönch aus Czestochowa in Vers gesetzt und niedergeschrieben. Bearbeitet und mit besseren Freunden als die des Bacchus undder Venus von Kazimierz Dejmek vorgeführt.“ Der umständliche Titel besagt schon, auf welche ungewöhnliche Weise Dejmek, Leiter und Chefregisseur des polnischen Nationaltheaters, das naive Mysterienspiel des Paulaner Probstes aus
„Wie komisch Nestroy auch zuweilen wird — er kann das Unheimliche nicht verdrängen, welches den Zuschauer beschleicht“, notierte ein zeitgenössischer Bericht. Dieses „Unheimliche“ müßte auch hinter der Posse gegen Dünkel und Vorurteil „ßfer Talisman“ spürbar werden. Denn die roten Haare des Barbiergesellen Titus Feuerfuchs, deret-wegen er ständig mit „Fahrst ab, rote Ruabn“ angesprochen wird, und die des „ihm verwandten Wesen“, der Gänseliesl Salome Pockerl, trüben den Blick der Menschen, welche zu jeder Zeit etwas finden, sei's die Haarfarbe, sei's die
In der Komödie „Dos Gartenfest“ des Prägers Vaclav Havel (Jahrgang 1936) ist Hugo Pludek, zunächst schüchterner Sprößling einer Familie des gesunden Mittelstandes, wie Vater Pludek bis zum Überdruß oft feststellt, ein leidenschaftlicher Schachspieler. Er spielt mit sich selbst, bald links, bald rechts, prädestinierter Typ des standpunktlosen Opportunisten des Ja und Nein, des Sowohl als Auch. Auf das Drängen der besorgten Eltern, wie er sich denn seine Zukunft vorstelle, weiß er keine Antwort. Als der vorsorglich eingeladene Protektionsmanager ausbleibt, besucht Hugo das vom Amt
„Die Situationen in ,Arsen und alte Spitzen' sind so völlig idiotisch, daß es praktisch unmöglich ist, sich über sie aufzuregen“, hieß es vor etwa 15 Jahren in einem Programmheft über die Gruselkomödie von Joseph Kesselring. Damals nahm man nämlich die beiden gütigen alten Tanten, die aus purer Gutherzigkeit zwölf Männer mit Arsenik vergiftet und im Keller bestattet hatten, weil sie damit einsame Menschen von ihrer Einsamkeit befreien wollten, ernst. Aber „es ist ein altes Theatergesetz“, hieß es schon damals aufklärend, „daß ein Toter, vielleicht auch zwei Tote,
Da sitzen sie nun wieder an den Stätten der gewerbsmäßigen Täuschung, nachdem sie ein paar Wochen lang Wald-, See- oder Meeresluft geatmet und verdrossen diesen Sommer der vielen Tiefs und Zwischenhochs über sich haben ergehen lassen, sitzen im verdunkelten Zuschauerraum, bereit, sich ergreifen und verzaubern zu lassen. Nach der langen Ferienpause ist mehr Theaterkraft denn je dazu nötig; die Sinne sind geschärfter, die Erwartungen größer: Laßt sehen, was ihr uns bereitet habt!Vom Thema her wäre das Schauspiel „Der Tag es Zorns“ des Polen Roman Brandstaetter, eines zum
Es muiei uns neuie merewuraig an, daß Goethe einmal Heinrich Leopold Wagner, den betriebsamen Mitläufer der Stürmer und Dränger, des Plagiats beschuldigt hatte, weil in dessen «echsaktigem Trauerspiel „Die Kindermörderin“ (1776) Motive aus dem ein Jahr zuvor erschienenen „Urfaust“ zu finden waren. Wie Gretchen bringt Evchen Humbrecht am Ende ihr Kind um, wie Gret-chens Mutter wird auch Evchens Mutter zuvor durch einen Trunk eingeschläfert und das verführte Mädchen schließlich seinem Elend überlassen. Der leichtfertige Verführer ist hier freilich kein Faust, sondern ein
Wie füllt man ein Theater im Sommer, wenn die Großstadt Urlaub macht, das Wetter zwischen Regen und Schwüle wechselt, Fest- und Freilichtspiele landauf, landab grassieren und die Schauspieler schließlich auch einmal ihre Ruhe haben wollen? Die „Sommerstücke“, die für diese theaterlose Zeit zur Verfügung stehen, sind meist recht nichtssagend und locken keine Maus ins Haus. Das weiß man natürlich auch in der „Josefstadt“, versicherte sich daher Johannes Heesters für die Kamrnerspiete, wo man ihn den Zahnarzt Dr. Stegmann in der Komödie (Komödie?) „Vater einer Tochter“ von
Weil der Abschluß der Saison in das allgemeine Jubeljahr einmündete, weil sich aus den Feiern zum 600. Geburtstag der Wiener Alma mater, zur 20jährigen Selbständigkeit und zur 10jährigen Unabhängigkeit Österreichs mit fortschreitendem Mai die Wiener Festwochen entwickelten, beginnt unser Rückblick auf das verflossene Theaterjahr vom Ende her. Nach den Intentionen des neuen Intendanten der Festspiele sollten die Amerikaner, Engländer Franzosen und Sowjets dem diesjährigen „Vienna Festival“ als einem „kulturellem Unikum“ das Motto liefern. Im Zeichen eines „allgemein
Das Erlebnis des Abends war — trotz allem — Anna Magnani, die berühmte Tragödin des italienischen Films, für deren Rückkehr zur Bühne nach zwanzig Jahren Fronco Zeffirelli das Volksstück „La Lupo“ von Giovanni Verga inszeniert hat. Verga (1840 bis 1922), Zeitgenosse Zoläs und im Alleingang den italienischen Naturalismus oder Verismus schaffend, schrieb meisterliche Novellen, die er, wie zum Beispiel „Cav8|leria rusticana“, zu mittelmäßigen Operlibretti verarbeitet hat. „La Lupa“, die Wölfin, fand keinen Komponisten, und so wurde ein unbedeutendes Theaterstück mit
Mit zwei großen Abenden im Burgtheater von je vierstündiger Spieldauer endeten die heurigen Festspiele der Wiener Sprechbühnen. Walter Liebleins (Jahrgang 1890) ur-aufgeführte Dramatisierung von Do-stojewskijs gewaltigem Prosaepos „Die Brüder Karamasow“ läßt ungeachtet einiger merkwürdiger Ereignisse — zurückgelegte Regie, fremde Eingriffe in das Dramenoriginal, Verärgerung des Autors — daran erinnern, daß Dostojewskij die Frage, ob man seine Romane dramatisieren könne, kategorisch verneint hat. Seine Romane — schon Thomas Mann nannte sie „kolossale Dramen“ — sind
James Baldwin (Jahrgang 1924, Sohn eines Negergeistlichen aus Har-lem) gehört als Romancier, Essayist, Lyriker und Dramatiker zu den führenden Negerschriftstellern Amerikas. Musterfall des schwarzen Intellektuellen, hat er sich die literarische Kultur des Weißen einverleibt und in bedeutende Mittel des Ausdrucks umgewandelt, die im Werk in jähem Wechsel zwischen dem Glanz ungestümer Poesie und matten Banalitäten schwanken. Aber alles, was er schreibt, ist Spiegel des Amerikas der Neger, vermag die Not von Hartem nicht abzuschütteln. Sein Standpunkt: „Ich mag die Leute nicht, die mich
Schon die Form, die Arthur Miller dem Schauspiel „Incident at Vichy“ („Zunscherv/all in Vichy“) gegeben hat, ein pausenlos durchgespielter zweistündiger Einakter, ist ungewöhnlich. An einem Septembertag 1942 werden in dem von den Deutschen besetzten Vichy zehn Menschen aufgegriffen. Sie warten im Vorraum der Polizeistation auf das Verhör und lüften nach vorsichtigen Tastgesprächen allmählich ihre Identität, ohne den Namen zu nennen. Der Autor hat seine Gestalten nur als Typen gedacht: der Aristokrat (ein österreichischer Prinz, der vor der „Vulgarität“ der Nazis aus
An drei Gastspielabenden führte das von den ehemaligen Mitgliedern der „Comedie Frangaise“ Jean-Louis Barrault und Madeleine Renaud geleitete Theätre de France einen klassischen, und^znsoai! moderntDra-matikerw.jm Theater.t--cm dem-nWien auf. Zum erstenmal hörte man die Komödie des Beaumarchais „Le Mariage de Figaro“ (Urbild zu Mozarts „Figaros Hochzeit“) im Original. Wenn Hofmannsthal das Französische als eine „weltlichere Sprache als die unsere“ rühmte, „aus der man deutlich auch vergangene weltliche Dinge reden“ höre, so war es gerade die Sinn und Wahrheit
Es häufen sich die Versuche, Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ nicht mehr als romantisches Spiel duftiger, hochgespannter Grazie in „mondbeglänzter Zaubernacht“, sondern als ein Pandämo-nium, als traumhaften Spuk zu begreifen, worin dänionische Elemen-tarkräfte erst aufgerufen und dann gezähmt werden. Dem entspricht, daß die schöne und elegante Musik, die der 18jährdge Mendelssohn zum „Sommernachtstraum“ geschrieben hat, durch die Musik von Carl Orff ersetzt wird, die mehr das Geisterhafte, Koböldische, Untergründige heraufbeschwört. Nach jahrzehntelangen Bemühungen
In den locker gefügten Szenen des .Urfaust“ werden mehr innere als ußere Momente dargestellt; ein in lohem Maße geistiges Drama um die nenschlichen Urmöglichkeiten und Jrgrenzen, dessen äußeres Geschehen von Goethe noch weitgehend ausgespart worden ist. Erst n der vollendeten Tragödie weiten ich die Stationen eines Überschaukaren Daseins zum Welttheater, 'ragme.nt bleibt Fragment, auch venn es Goethe mit genialer Dra naturie geschaffen und mit dem türmischen Atem seiner Sprache usgestattet hat. Spielt man den Entwurf, muß die Aufführung von ich aus so zwingend wirken, daß das
„A Far Country“ nannte der amerikanische Dramatiker Henry Denker sein Schauspiel, in dem er den jungen Sigmund Freud als ersten in das weite Land der Seele (wie es der — schon früher von Arthur Schnitzler im selben Sinn verwendete — Originaltitel andeutet) aufbrechen läßt. In der französischen Fassung von Pol Quentin „Le Fil rouge“ ist es (symbolhaft) der rote Faden der Ariadne, an dem sich der Erkundende in das Labyrinth der Erinnerungen und der unterbewußten Schuldgefühle vortastet. Ein Freudscher Privatfall (nach authentischen Aufzeichnungen), die Heilung einer unter
Arthur Schnitzler hat zu seinem 1912 entstandenen, in Berlin urauf-geführten, in Wien von der Zensur verbotenen „Professor Bernhardi“, einer „österreichischen Komödie“, in seinem Brief an den Historiker Richard Charmatz einen ausführlichen Kommentar geliefert. „Ich habe eine Charakterkomödie geschrieben“, heißt es darin, „die in ärztlichen und zum Teil in politischen Kreisen spielt, kein Tendenzstück, das den Konflikt zwischen Wissenschaft und Kirche oder gar den Streit zwischen zwei Religionen darzustellen oder am Ende in irgendeiner Richtung zu entscheiden sucht.“ Das
Der Italiener Aldo Nicola) ist eine Art Hausdichter des Theater in der Josefstadt geworden. Nun sieht man von ihm nach den Ehegeschichten „Die Zwiebel“ und „Das Pendel“ bereits die dritte Uraufführung, das zweiaktige Schauspiel: „Schwarz wie ein Kanarienvogel.“ Gemeint ist der Smog in der Industriestadt Cavamo einer vielleicht nicht mehr allzu fernen Roboterzukunft, der die gelben Kanarienvögel schwarz färbt, weshalb man Singvögel durch Plastikimitationen (mit Nylonfedern und eingebauter Singautomatik) ersetzt und auch Bäume, Sträucher, Blumen serienweise aus Plastik
Raimund spielen, stellt immer die Frage, wie man diese heiteren, jenseits aller abstrakten Anstrengung tiefsinnigen, komisch bitteren Zauberspiele im Zusammenwirken von Schauspieler, Maschinist und Dichter dem heutigen Publikumi nahebringt. Hat es überhaupt noch ein Verlangen nach diesem märchenhaften Theatrum Mundi? Oder findet es gerade in dieser Gegenwart der scharfen Spaltungen und bedrohlichen Fernsichten etwas wie vergnüglichen Trost an dem warmen Menschtum Raimunds umd seiner mit rein szenischen Mitteln aus dem Theater geschaffenen Dichtung? In das romantisch-komische Zauberspiel
Thornton Wilder ist so etwas wie ein „Poeta doctus“. Dieser immens gebildete, dem europäischen Geist so nahe amerikanische Dichter kann ebenso gelehrt und fesselnd ein Kolleg über Größe und Zerfall des Theaters halten wie als Dramatiker verblüffend bedenkenlos allen gelehrten Plunder beiseiteschieben, um in dem Schauspiel „Unsere kleine Stadt“ (Our town), in einem Mosaik von Alltäglichkeiten einer amerikanischen Kleinstadt um 1900, das Schicksal der Familien Gibbs und Webb stellvertretend für das Lebensdrama der Menschheit zu jeder Zeit, in jedem Jahrhundert zu gestalten. In
Das Faszinierende an dem Zeitstück „In der Sache J. Robert Oppenheimer“, dessen Quelle die 3000 Protokollseiten des Unter-sucfaungsverfahrens der amerikanischen Atomenergiekommission gegen den „Vater der Atombombe“ bildet, liegt im Thema, in der Erwartung, hinter die neue und unheimliche Verflechtung von Moral, Verantwortung und Politik zu kommen. Der Autor Heinar Kipphardt rekonstruiert in seinem szenischen Bericht drei Stunden lang die Untersuchung, die im April/Mai 1954 gegen den Atomphysiker Oppenheimer in Washington geführt wurde, weil man ihn für ein „Sicherheitsrjliko“,
KOMÖDIEN I. 8. Auflage. 35 Seiten. Preis 18.80 sFr. — KOMÖDIEN II UND FRÜHE STÜCKE. 429 Seiten. Preis 19.80 sFr. Von Friedrich Dürrenmatt. — HERKULES UND DER STALL DES AUGIAS. Eine Komödie. Von Friedrich Durrenmatt. 88 Seiten. Preis 7.80 sFr. — FRIEDRICH DÜRRENMATT. Stationen seines Werkes. Von Elisabeth Brock-S u 1 z e r. 371 Seiten. Preis 14.80 sFr. Alle im Verlag Die Arche, Zürich, 1964. — DER UNBEQUEME DÜRRENMATT. Mit Beiträgen von Gottfried B e n n, Elisabeth Brock-Sul-i e r, Fritz Biiri, Reinhold Grimm, Hans Mayer, Werner O b e r 1 e. 136 Seiten. Preis 13.80 sFr. — SINN ODER UNSINN? Das Groteske im modernen Drama bei Adamov, Bek-kett. Block, Brecht, Chlarelli, Durrenmatt, Genet, Grass, Ionesco, Pinter, Valentin u. a. Mit Beiträgen von Martin E s s 1 i n, Reinhold Grimm, Hans Bernd Härder und Klaus Völker. Band 3 und 4 der Buchreihe „Theater unserer Zeit“. Verlag Basilius Presse, Basel und Stuttgart. 170 Seiten. Preis 13.80 sFr. — MODERNES SCHWEIZER THEATER. Einakter und Szenen. Herausgegeben von Hans Rudolf H i 11 y und Max Schmid. Clou-Verlag, Egnach, 1964. 344 Seiten.
„Spiel der Erinnerung“ nennt Tennessee Williams seine amerikanische Elegie „Glasmenagerie“. Es ist Tom, der Sohn (in dem der Dichter selber auftritt), der hier als Ansager und Betroffener verklärenden Rückblick hält auf die Jahre der Jugend, seine Flucht aus der Enge der mütterlichen Wohnung in die Ferne der farbigen Abenteuer. Es geschieht so gut wie nichts in diesem Stück, und es kann auch gar nichts geschehen. Mutter, Sohn und Tochter sind eingesponnen in ihre Träume; denn die Zeit ist ihnen abhanden gekommen, wie sie der Zeit abhanden gekommen sind. Höchste Steigerung ist
Dem Volkstheater ist für seine Aufführungen in den Außenbezirken die Entdeckung eines in Wien so gut wie unbekannten Goldoni gelungen. Der Venezianer bezeichnete in seinen Memoiren die Komödie „La donna di garbo“, die in der deutschen Ubersetzung den Titel „Die Kunst, es jedem recht zu machen“ erhielt, als sein Lieblingsstück. Vielleicht weil die Zofe Rosaura mit ihren blitzenden und reschen Reden eine so appetitliche Person ist, eine Rolle, die Goldoni für eine Lieblingsschauspielerin geschrieben hat. Indem Rosaura in einer recht anrüchigen, geldgierigen Familie allen nach dem
Der Titel des selten gespielten, neun-aktigen Schauspiels „Seltsames Zwischen-spiel“ (Strange Interlude) von Eugene O'Neill ist eine Metapher für das Leben selbst. Das unruhige Leben, erfüllt von Trieb und Eros, von der Angst und vom Suchen nach dem Höheren. Was ist das Leben? „Ein seltsames Zwischenspiel“, antwortet Nina, die Heldin im Drama, „worin wir Vergangenheit und Zukunft als Zeugen anrufen, um zu wissen, daß wir leben...“ In deutlicher Absicht erhebt der Dichter die Banalität des Lebens zum Schicksalsmotiv. In der Spannung zwischen Zufall und Unentrinnbarkeit werden
In der Not der Nachkriegszeit, als in den Gesichtern noch Spuren der Entbehrung und Mutlosigkeit standen, hatte uns Jean-Paul Sartres Erstlingsdrama „Die Fliegen“ (Les mouches) betroffen und aufgewühlt. In der Verneinung weckte es durch den Widerspruch die positiven Zeichen der Zeit. Aus dem Geist der Resistance entstanden, sollte es damals seinen Landsleuten nach dem Zusammenbruch im Zustand selbstmörderischer Depression Vertrauen zu sich selbst geben. Aber der tragische Urstoff der Atriden-Tragödie, Orests Rache für den Mord, den seine Mutter Klytämnestra und ihr Liebhaber Ägist an
Der Grazer Werner Schneyder (Jahrgang 1937), zur Zeit Dramaturg des Linzer Landestheaters, hatte im Vorjahr mit seinem in Salzburg uraufgeführten Stück „Till, bevor er hing“ bemerkenswerten Erfolg. Nun brachte das Kleine Theater der Josefstadt im Konzerthaus Schneyders Szenenfolge „Unsinn bei leiser Musik“, zu Unrecht Komödie genannt, zur Uraufführung. Acht junge Menschen, ohne wahre Sorgen, spielen jenes beliebte Gesellschaftsspiel „Wer mit wem?“, wobei hinter dem oberflächlichen erotischen Geplänkel mit allem modischen Drum und Dran von fern auch einiges von der echten Not