Die schönste Krippe Roms ist das ganze Jahr zu besichtigen, doch man verfehlt sie leicht. Nicht die Kirche, in der sie ausgestellt ist, die ist eine der berühmtesten auf dem Forum Romanum, aber die kleine, ganz im Dunkel liegende Pforte rechter Hand, an der der Strom der Besucher vorbeidrängt, denn vor ihnen zeigt sich schon der Kerzenglanz des Hauptschiffs von SS. Cosma e Damiano - und ist man dort eingetreten, bleibt kein Gedanke mehr für anderes.Selbst die kostbare barocke Dekoration, die das Mauerwerk des alten Templum Sacrae Urbis verkleidet, selbst die herrlichen Gemälde über den
Eine schweigende Runde auf den Besucherstühlen: die Hausmeisterin, der Buchhalter, der Arzt, die Hofrätin, die Angestellte. Die Hofrätin ist so lebendig, wie man es über Siebzig noch sein kann. Sie trägt einen verschossenen Hausmantel mit Blumenmuster. Die Angestellte hat sich etwas zurechtgemacht, eine Frau nicht mehr ganz Mitte zwanzig, der man es ansieht, daß sie sich überall unbehaglich fühlt . Der Sekretär sitzt auf dem Stuhl seines Chefs hinter dem Schreibtisch und bewacht des zusammengeschlagene Tuch mit den Scherben des Krugs.Hausmeisterin (halblaut): Wie er da wieder hinter
Ich habe die Augen der Welt gesehen. Nun bin ich ruhig. Seit zwanzig Jahren verfolgten mich die Augen der Welt. Zum erstenmal stieß ich auf sie in einem Bericht über eine Schiffskatastrophe. Einundneunzig Tote. Die Augen der Welt waren auf sie gerichtet. Während des Krieges durften wir keine Schwäche zeigen, denn wir hungerten, froren und metzelten unter den Augen der Welt. Die Augen der Welt verfolgen die Kohlen- und Stahlproduktion mit Besorgnis. Sie reichen bis in den Himmel, bis in den letzten Hüttenwinkel am Jangtsekiang.Obwohl ich sie niemals sah, fühlte ich mich von ihnen
Ich war sehr unzufrieden mit der Sonne. Kaum weckte sie mich gegen dreizehn Uhr, war sie nach kurzer Zeit in der Richtung des Abends vom Himmel verschwunden. Die Tage wurden mir zu kurz.Es müßte gelingen, das Licht der Sonne früher auf die Erde zu lenken, dachte ich. Ich begann zu experimentieren. Ich stellte über dem Kopfende meines Bettes eine Weckeruhr auf — eins von den alten Modellen, die während des Schrillens zentimeterhoch springen und mit unsichtbaren Fäusten um sich schlagen. Das Läutwerk, auf zwölf Uhr eingestellt, rasselte pünktlich. Bei geschlossenen Augen dachte ich
Die Stadt We im Tal der fruchttragenden Berge war so reich geworden, daß jeder ihrer Bewohner mindestens fünf Goldzähne hatte und alle, aus Zufriedenheit mit sich selbst, nur noch durch die Nase sprachen. In dieser Zeit des unverdienten Wohlstandes ereignete sich das unfaßliche Schauspiel einer Meinungsverschiedenheit der beiden staatstragenden Parteien. Jahrelang hatten die Führer der „Volksfreunde“ (die dem Himmel vertrauten) und die Obmänner der „Menschenfreunde“ (die der Erde vertrauten) so gut wie vergessen, daß sie unvereinbare Weltanschauungen vertraten. Plötzlich lebte
Nichts strahlte die übergroße Menschlichkeit „Papa Ron- callis“ heller aus als seine Extemporalien, seine Stegreifreden, seine Aphorismen. Wenn Johannes XXIII. vom Text seiner offiziellen Ansprachen und Reden abwich, wenn er die gütigen, aber auch scharfbeobachtenden Augen über den Brillenrand hob, spitzten im wahrsten Sinne des Wortes alle Zuhörer, die des Italienischen mächtig sind, die Ohren. Man konnte sicher sein, daß etwas Sympathisches voller Humor, aber auch voller Demut und innerer Größe zugleich über seine Lippen sprang. In der Tat, es sprudelte dann lustig und
Wenig sinnvoll wäre es, Ressentiments aufzurühren, dem Theater nochmals und nochmals vorzuwerfen, daß es die jungen Dramatiker vernachlässige, um damit die Antwort zu provozieren: „Schreibt besser, schreibt theatergerechter, dann werden wir euch öfter spielen.“ Ebenso unnütz ist es, anzumerken, daß diese löbliche Mahnung, die Qualität zu steigern und sich den Theaterbedürfnissen anzupassen, fragwürdig ist, solange die Dramaturgen und Kritiker quer durchs deutsche Sprachgebiet hurtig jeder für sich ihre eigene PrivatdTamaturgie erfinden, nach der sie wählen und beurteilen,
Diese Schritte kommen mit bekannt vor. Sie haben nordlichen Klang. Sie sind rasch, aber nicht behende. Sie sind ,,gut gelaunt", aber nicht beflugelt. Kein Italiener wurde so uber eine Treppe gehen. Dieser Mann muB feste Schuhe tragen, Reiseschuhe, die vor dem Staub schiitzen, doch bald unter den FiiBen zu gluh,en beginnen, wenn die Kraft der Sonne wachst und die Schatten Versiegen. Er hat Gliick. Noch ist es morgetidlich kiihl, und letzte Nacht hat es sogar geregnet. Ein laues Spriihen. Immerhin, es genugte, den Pflanzen und den StraBen eine fliichtige Frische zu geben.Ich kann das Gesicht des
Es gibt Stichwörter der minderen und gehobenen Umgangssprache, die sofort eine süßsaure Reaktion auslösen: Geld natürlich hat auch der zuwenig, der nie genug bekommen kann, Steuer wie kommt man dazu, daß sie immer dazukommt?, Proporz pro? pro patria etwa?, Staatsbürgerschaft selbstverständlich ist immer jene die beste, die man gerade nicht besitzt und Koexistenz die manche als K.-o.-Exi- stenz verstehen wollen.Ein solches Stichwort ist im Theaterleben der Titel: Dramaturgie. Ein Schauspieler ist meist davon überzeugt, sie sei ein superintellektuelles Hirngespinst; ein Dramatiker, sie
Kurt Klinger (Jahrgang 1928), der erfolgreiche junge österreichische Dramatiker und Publizist, steht wie alle, die er in seinen zeitkritischen Essays anspricht, zwischen drei Generationstypen: zwischen jenen — heute so vorsorglich Getarnten —, die, sei es durch Verführung, sei es durch Unterlassung, das heraufbeschworen haben, was wir alle vor zwei Jahrzehnten erlebten, jenen, die aus der Katastrophe an Leib und Seele lädiert herausgingen und offenbar zu verbraucht waren, um bisher ihrem Willen, etwas Neues, Besseres zu schaffen, die Tat folgen zu lassen — und schließlich jenen, die von der jüngsten Vergangenheit kaum noch etwas wissen und daher auch ihren Folgen keinen rechten Widerstand entgegensetzen können. Kurt Klinger einzureihen, ist — wenn man von geläufigen Pauschaldefinitionen absehen will — nicht leicht. Von Natur aus ist er Humanist, vom Geiste intellektueller Streiter, im Herzen Dichter — und somit, bei aller seiner Fähigkeit, klar zu sehen, konsequent zu denken und scharf zu pointieren, in erster Linie Künstler. Das macht ihn auch so sympathisch und gibt ihm nebenbei das Fundament des Rechts in seinem Hader mit der Welt.
Die kleine „Galerie Fuchs” hat sich sommersüber weder von Hitzewellen noch vom irregulären Frösteln bewegen lassen, ihre Läden zu schließen. Ein Jahr lang besteht sie jetzt — das verpflichtet. Sie selbst zu anhaltenden ‘Beweisen ihrer Vitalität, das Publikum aber zum Entschluß, den Weg durch die Millöckergasse nicht länger als einen Umweg zu empfinden. Die jetzige Ausstellung druckgraphischer Blätter aus England nämlich, hat nicht über besonders regen Besuch zu klagen. Das ausgelegte Schulheft, seltsamer Ersatz eines Gästebuches, enthält nicht viel mehr als 100 Namen
Zwischen den beiden Sälen der „Sezession" hängt ein Schild mit der großgemalten Bitte, die Besucher möchten die ausgestellten Bilder nicht berühren. Dieser Appell hilft wenig. Da es sich um Bilder Alberto Burris handelt, regt sich sofort die Neugier der Fingerspitzen. Man wartet ab, bis die beaufsichtigende Dame beschäftigt ist und streicht dann schnell über die rauhen, aufgeworfenen, verbeulten und scharfen Flächen Die Hände zucken auf das Material zu. Es bedeutet eine Minderung des Kunst- . genusses, durch angeordnete und übliche Sittsamkeit dazu verpflichtet zu sein, bloß mit
Der Oesterreichische Rundfunk sendete als Leihgabe des Studios Baden-Baden eine H ö r f i 1 m-fassung des Films „Die Brücke am Kwai“. Hörfilm? Ein Widerspruch in sich, ebenso fragwürdig wie etwa eine konzertant aufgeführte Oper. Denn zu sehen ist im Hörfilm selbstverständlich nichts. Und zu hören ist lediglich eine Montage aus den Synchronbändern, ergänzt durch zusätzliche Aufnahmen mit Paul Klinger, Ernst Wilhelm Borchert, Wolfgang Lukschi und Werner Peters, aus der Originalmusik und den Originalgeräuschen. Gegenüber dem Film ergibt sich eine Kürzung der Spieldauer von 166
Junge ungarische Künstler, die an der Wiener „Akademie der bildenden Künste“ ihre Ausbildung fortsetzen, stellen in den Räumen der Ungarischen Studentenschaft (Gumpendorfer Straße Nr. 63 E) neue Arbeiten aus. Die Einladung spricht von einer „Geste der Dankbarkeit“ und davon, daß es den jungen Bildnern ein Bedürfnis sei, der freien Welt zu beweisen, daß sie auch in der Emigration für die „höchsten Menschheitsideale“ einstehen wollen.Nun wird aber der Besucher nicht, wie er vielleicht erwartet haben mochte, mit Entsetzensbildern aus der Revolutionszeit überfallen. Es
Wir verdanken Friedrich Dürrenmatt eine Ehrenrettung des deutschsprachigen Dramas (das allein er neben Max Frisch unter den Lebenden repräsentativ vertritt), verdanken ihm den Entwurf einer Wege weisenden Dramaturgie, etwas abseits von seinen Hochleistungen auch die Rettung des literarischen Kriminalromans und nun einen beispielgebenden Impuls für unsere Film„kunst“. — „Es geschah am hellichten Tag“ (nach dem Roman „Das Versprechen“) ist in seiner Art vollendet, da das selbstgesetzte Maß erfüllt ist: ein technisch perfekter, moralisch klarer, in Story und Dialog
Das Bundesministerium für Unterricht hat über die Filme „Das nackte Gesicht“ und„Schmutziger Engel“ das Jugendverbot verhängt. Mit Recht. Denn die Auseinandersetzung mit solchen „filmisch“ auf Happy-End zurechtgemachten Jugendproblemen brächte junge Menschen, die ihren Standort und ein lebenswertes Verhältnis zur Umwelt suchen, nur Einbuße an Aufrichtigkeit.Im amerikanischen RKO-Film stimmt wenigstens der Ansatz: Der Bruch des Vertrauens zwischen Kind und Eltern treibt den temperamentvollen, aber im Grunde simplen und anständigen Hai Ditmar zu handgreiflichen Protesten, die
Eine Weile hat es so ausgesehen, als könnte Wien zwischen 1950 und 1960 ein Zentrum deutschsprachiger Avantgardeliteratur werden, ähnlich dem Berlin der zwanziger Jahre. In keiner anderen Stadt kam es nach dem Krieg zu einer ebenso spontanen und üppigen Kreation einer jungen Literatur, genährt durch steten Zustrom an Kräften und Talenten aus den Rändern. Eine erste Welle war von jenen Autoren getragen, die den Krieg schon mit Bewußtsein und einiger Reife durchlebt "hatten, eine zweite von jenen, deren Entwicklung sthon in den Frieden fiel, wiewohl in ihnen noch Erschütterungen
Als Beitrag zu den Wiener Festwochen präsentiert das „Theater der Courage" Emile Zolas pränaturalistische „Therese Raqui n“, die angeblich noch immer aktuell sein soll. Die Aufführung überzeugte vom Gegenteil. Gewiß, die Fabel trägt ein Stück und ist im einzelnen durchaus glaubwürdig, wird aber von Zola, dem es nicht um Verlebendigung, sondern um Analyse, wie sie „Chirurgen bei Leichnamen machen", ging, so exakt und mit so offensichtlicher Logik vorgeführt, daß die handelnden Personen nicht ihrem Impuls, sondern der Hand eines übermächtigen Schicksals — alias Emile Zola
Es ist ein großes Abenteuer, Herr,Das du uns arme Menschen zwingst zu tun: Im Schlaf zu leben, ohne auszuruhn.Du brennst in uns als großes Feuer, Herr.Ich weiß nicht, wer die Kraft uns geben soll, AW die Gefahren siegreich zu besteh'n Und in den Gang der Sterne aufzugeh'n. Du weißt, wie man bei Sternen leben soll.Du bist so fern. Der Tod steht zwischen dir Und unsrer schwachen, menschlichen Begier. Wir träumen nur von deinem Weltbeginnen.Was hilft uns Sprache, Melodie und Wort. Was wir auch tun, wir werden hier und dort Wie Wasser leicht durch deine Hände rinnen.FÜR EINE SIECHEGewinne