1956, im Jahr von Nikita Chruschtschows Demontage des Stalin-Kults, erschien Susanne Leonhards „Gestohlenes Leben“ mit dem Untertitel „Schicksal einer politischen Emigrantin in der Sowjetunion“. Wolfgang Leonhard, ihr Sohn, war im Jahr davor mit seinem Erinnerungsbuch „Die Revolution entläßt ihre Kinder“ an die Öffentlichkeit getreten. Die Aufklärungsliteratur über Stalins Despotie und den Gu-lag verband sich damals — nicht nur bei Ex-Kommunisten - mit der Hoffnung auf eine Erneuerung durch den „Kreml ohneStalin“, so der Titel von Wolf gang Leonhards zweitem
Autor und Verlag haben einen so provozierenden wie mißverständlichen Titel für eine Untersuchung gewählt, die ein heikles Terrain der Totalitarismus-forschung erschließt. „Konfessionsrituale“ — das weist auf christliche Beicht- und Bußpraktiken zurück, und tatsächlich geht Riegel von einer souveränen Literaturkenntnis der für die Durchsetzung und Ausbreitung des frühen Christentums elementar wirksamen Entsühnungspraxis und ihrer Herausbildung aus; „im Marxismus-Leninismus“ soll besagen, daß scheinbar analoge Bekenntnisrituale exemplarisch vorgeführt werden, wie sie aus
Assen Ignatow ist ein zwar in Köln lebender, überwiegend aber in französischer Sprache publizierender Osteuropa-Kenner, der aus seiner bulgarischen Heimat persönliche Erfahrungen und konkrete Kenntnisse mitbringt. Seine deutsch vorliegende Studie über „Apo-rien der marxistischen Ideologielehre“ (München 1984) hat ihn als scharfsinnigen Kritiker von Wesenselementen des Marxismus ausgewiesen. Seine neueste Veröffentlichung über die „Psychologie des Kommunismus“ (Studien zur Mentalität der herrsehenden Schicht im kommunistischen Machtbereich. Johannes Berchmans Verlag, München
Italienische Zeitungen nennen ihn sogar „Rußlands John Kennedy“. Der Medienkult um den neuen KPdSU-Chef Michail Gorbatschow wird in Ost und West gepflegt.
Norbert Leser hat den Justizmord an Thomas Morus vor 450 Jahren zum Anlaß genommen, diese unvergleichliche Persönlichkeit in Erinnerung zu rufen, als einen Heiligen auch für die Gegenwart zu porträtieren.
Die Konjunktur der Bekehrungsfahrten ins erste Arbeiterund Bauern-Paradies ist vorbei. Ach, waren das Zeiten, als Protest-Intellektuelle und andere Publicity-Profis Moskau zum Mekka der Welterneuerung verklärten und sich von Lenin, dann von Stalin und Chruschtschow zu Sendboten von Lug und Trüg verführen ließen.Die Enttäuschung, das Reuebekenntnis kam auch manchmal, hinterher. Ist Andre Gide vergessen, wärmt's Ives Montand auf. Die Pügerliteratur, auch ihre wissenschaftliche Aufarbeitung, scheint zurzeit erdrückt zu sein von der Masse der Distanzie-rungsliteratur, der Berichte von
Der Tod des italienischen KP-Führers Enrico Berlin-guers hat über die Medien ein Schlagwort, ein obskures Phänomen der siebziger Jahre wieder in Erinnerung gebracht: den „Eu-ro"-Kommunismus.
Boris Meissner, bekannt als einer der führenden deutschen Osteuropa-Fachleute, hat seine laufende Berichterstattung über die Sowjetunion in einem Bändchen der erfolgreichen Edition Inter-from zusammengefaßt. Die Broschüre enthält die Hauptdaten des Geschehens im Ostblock seit Chruschtschows Sturz im Oktober 1964 bis zur Installierung Tschernenkos als neuen Kremlchef.Die Darstellung hält sich an die ersten Männer der KPdSU, an ihre Verlautbarungen und an die äußerlichen Veränderungen in den hierarchischen Strukturen des Regimes. Die Wechselwirkungen im Verhältnis zur übrigen Welt
Es scheint fast schon wieder vergessen zu sein, daß im Frühjahr 1983 eine Zeitlang die Hoffnung bestand, Andrej Sacharow würde aus seiner — Verbannung genannten — Isolierhaft in Gorki entlassen werden und mit seiner Frau, Elena Bonner, in den Westen ausreisen können. Bekanntlich hat man sich darum auch nachhaltig in Wien bemüht, so auch die Universität.
Interpretiv - kein Druckfehler, der Karikaturist mit „profil” hat es vor der Kamera zweimal ins Mikrophon genuschelt. Stimula-z-tiv nannte der Korrespondent in Belgrad, was man dort für Wirtschaftspolitik hält. Angezogen werden könnten diese Herren — denn wer würde noch sagen: zitiert? — von einem anderen Wort-Schneider, einem der Sprach-Häcksler, hinter deren Prokru-stes-Fratze der Zeitgeist mit Vorliebe schlüpft. Ist man doch einen Tag lang mit einer neuen Sprachverhunzung allen anderen voraus. Morgen wird sie allerorten nachgeplappert. Wer möchte schon für altvordern
Unsäglichkeiten werden thematisiert, Peinlichkeiten ausdiskutiert. Im Raum stehen Richtigkeiten, werden sie nicht abgeblockt. Auf Machbarkeiten wäre abzustellen, müßten zuvor nicht Befindlichkeiten abgeklärt werden. Abheben auf Begrifflichkeiten? Warum nicht, es könnte Schrecklichkeiten einbringen. Schließlich sind Gebrechlichkeiten so wenig einzubremsen oder abzustoppen wie Lästigkeiten.Damit wären, im Plural, mit zur Zeit nicht minder grassierenden Verben, attraktive Nummern abgeliefert; wo fänden sich dawider Zuständigkeiten? Das würde Beamtetheit voraussetzen; dann aber wären
In Zeiten wie diesen” hat es auch die marxistisch-leninistische Theorie schwer. Wo ist sie, außer in Tirana, noch ihrer selbst gewiß und unangefochten? Antwortet sie denn angemessen auf die globalen Krisen? Wie steht es um das einstige Nah- und jetzige Fernziel Kommunismus angesichts der Grenzen des Wachstums?Auf dem 26. Parteitag der KPdSU im Februar/März 1981 hat Breschnew die Revision des visionären Programms von 1961 verfügt. Da liegt es nahe, sich des Beginns zu vergewissern, der großen Heldenzeit und ihrer göttergleichen Recken.Wolf gang Leonhard hat sich an die Arbeit gemacht;
Der Tod der Wörter durch das eilige Konkurrenz-Gedränge in den Medien, das epidemische Sterben aller noch und noch so aufgeputzten Ich-Signale treibt immer neue Wucherungen in fahler Monotonie hervor.Mit dem Zwang zur Kürze kam die Hauptwörterinflation; wer darüber hinaus will, hochstapeln möchte, ersetzt die Sache durch eine Neubildung nach der Art des Begriffs für die Theorie, die Lehre, die Methode, und schon kann es kaum einer lassen:In wenigen Wochen vermehren sich quer durch die elektronischen und die Print-Medien, durch die Verlage und die Redaktionen neben Moralistik und
Dem Großen Duden („maßgebend in allen Zweifelsfällen“) zufolge haben wir hinzunehmen, d. h. aber auch bei jeder unpassenden Gelegenheit zu lesen und zu hören, deren angeberische Manier bedarf: Dramatik, Egozentrik, Esoterik, Exotik, Gestik, Idyllik, Problematik, Programmatik und Thematik, Dominanz, Relevanz und Repräsentanz — und ivas sich sonst noch aus der heutigen Kürzelsprache „auflisten“ ließe.Nichts ist offenbar leichter als der Einstieg — was sonst? — ins Hochgestochene, hat man mit einem Literaturkritiker eingesehen, jdaß Delinquenz eine Grundeigenschaft unseres
Was Dissidenz sei, haben Sie längst hinterfragt, nicht wahr? Daß die Militanz Ehrensache von Pazifisten, nicht nur von schreibenden, ist, wir haben es erfahren. Die Wortschöpfung Imposanz ist einem Träger des Österreichischen Staatspreises für Kulturpublizistik zu verdanken - wen wundert ’s in imposanten Zeiten?Die Alternanz einzubringen in den Medienjargon, es ist vollbracht; hätte da einer noch die Markanz einbremsen mögen? Die Kulinarik will’s, der Penetranz soil’s frommen.Wer es nicht lesen will, nicht schluk- ken und verdauen kann, lasse ab von Geschriebenem in
Wer je in die dürftige Moskauer Wohnung Andrej Sacharows Einblick hatte (das Fernsehen machte es möglich), sah im Kreis der Zufluchtsuchenden als überragende Gegenfigur zur unauffälligen, leisen Persönlichkeit des Gelehrten ein riesenhaftes, zeusartiges Mannsbild, bärtig, mit blitzenden Augen: einen Bogatyr, eine Bilderbuchgestalt aus sagengrauer Zeit:Wer Solschenizyns „Höllen“- Epos gelesen hat, weiß, daß derselbe Mann ihm auch dort, in der Gestalt Rubins, aufs Eindrucksvollste begegnet ist.Lew Kopelew - Jungkommunist, Sowjetoffizier, Lagerhäftling,
Bei offiziellen Anlässen kommunistischer Regime und Parteien 'blicken Marx und Engels, neben Lenin und einer Auswahl wechselnder Genossen, immer noch ernst, würdig und vollbärtig, wie es sich für hoffnungsvolle Jungmänner auch heute wieder gehört, von Großporträts oder mitgeschleppten Plakat-Ikonen und Postern auf ihre so uneinigen Gefolgschaften herab. Damit sie nicht gänzlich zu fernen Götzen erstarren, „unnahbar euren Schritten", werden ihre von den „Proletariern" un-gelesenen Werke in den amtlichen Monopolverlagen der Regime wie ein sich selbst fortzeugender
Zwischen Hamburg, Berlin und Bonn haben innenpolitische Frustration und Ranküne als eine der jüngeren Polit-Mythen die Unterstellung hervorgebracht, daß eine starke selbstbewußte DDR ein wünschenswerter Partner Bonns und ein wesentlicher Entspannungsfaktor sei, denn das führe „drüben zu einer Stabilisierung - und damit historisch gesetzmäßig auch zu einer Differenzierung politischer Herrschaft”. Auch das französische Sonderinteresse spinnt ja an dem Faden, daß eine Sowjetunion, der man wirtschaftlich entgegenkomme, sich im Innern eher auflok- kere. Bonn soll mit der Fabel dazu bewegt werden, die andere Seite nicht ungebührlich auf das nächste Nachgeben und andere Fehler warten zu lassen (daß sie warten, was anscheinend ihr Privileg ist, versichert Herbert Wehner). Schön wäre es, wenn die Geschichte der Sowjetunion, ihr Aufstieg zur Imperialmacht, die Wunschformel aus der Märchenwelt in die Wirklichkeit versetzt hätte.
Wer die Pensionsreife der Oktoberrevolution in passender Verbundenheit würdigen möchte, wird die richtige Einstimmung so recht nicht finden, wenn er nur ein wenig von dem wiederliest, was zum 50. Jubiläum des Roten Oktober mehr an Jubel- als an kritischen Bekundungen geschrieben worden ist und sich bald nur noch mit Tonnen verbrauchten Papiers qualifizieren ließ. Vor zehn Jahren mochte es so scheinen, daß die neuen Männer im Kreml nach der Abhalfte- rung von „knock-about” Chruschtschow und nach dem Debakel der Araber im Sechstagekrieg innen- und außenpolitisch auf Konsolidierung, Beständigkeit und Vertrauenswürdigkeit aus seien - mit erneuerter Repression zwar, den ersten Schriftstellerprozessen, aber doch „koexistenz”-willig, mit Orientierung auf das Know-how und andere Entwicklungshilfen des Westens.
Wolfgang Leonhard trägt in seinem neuen Werk der Müdigkeit oder dem Überdruß gegenüber dem so wichtigen wie wenig anziehenden Gegenstand, der kommunistischen Ideologie, dadurch Rechnung, daß er seine Kenntnisse im Dialog, in Antwort auf Fragen von Hans-Wolfgang Krohn vom Sender Freies Berlin mitteilt (Basis des Buches ist einė Sendereihe), in der Art eines Katechismus oder kurzen Lehrgangs, mit dem das Nötige knapp und allgemein verständlich abgehandelt wird. Das Thema ist weit gefächert. Auf einen historischen Abriß (von Marx und Engels über Lenin, Stalin, Chruschtschow bis
In den Medien hat sich das bequeme Kürzel „Eurokommunismus” rasch durchgesetzt. Seit dem Frühsommer 1976 ist es im Umlauf. Der Schwenk der KPF auf ihrem 22. Parteitag im Februar 1976 hatte die autonomisti- sche Politik der KPI bekräftigt und Moskaus Unbehagen deutlich verstärkt. S. Carrillos Auftreten auf der Ostberliner KP-Konferenz Ende Juni1976, seine erfolgreiche Etablierung in Spanien nach Franco und seine direkte Herausforderung des Kreml im April 1977 durch sein Buch „Eurokommunismus und der Staat” schienen die Entwicklung unaufhaltsam zu steigern, den Bruch mit der KPdSU
In der Sowjetunion und im Einflußbereich Moskaus lernen die Schüler, daß Alexander Radischtschew, ein Protegė der großen Katharina, nach einem mehljährigen Studienaufenthalt im Westen 1790 den Versuch gewagt habe, mit seiner „Reise von St. Petersburg nach Moskau” die Ideen seiner Zeit, Aufklärung und Libertät, im Reich der autokratischen Herrscherin zu verbreiten. Seinem Reisenden kam dabei zu Hilfe, unterwegs, sozusagen zufällig, ein Verfassungsprojekt aufzulesen und dem geneigten Leser mitzuteilen. Dieser Versuch bekam Rußlands erstem „Radikalen” nicht: Das Buch wurde