Brody, eine Stadt, deren Bewohnerzahl zwischen zehn-und zwanzigtausend schwankte, genoß vor dem ersten Weltkrieg den wohlbegründeten Ruf, drei Eigenschaften in sich zu vereinen: sie war das wichtigste Schmugglernest an der damaligen russisch-österreichischen Grenze; sie besaß den stärksten Prozentsatz an Juden und sie bildete einen vorgeschobenen Posten deutscher Sprache und Kultur. Die beiden zunächst genannten Vorzüge bedürfen keiner Erläuterung. Was dagegen die Rolle der wolhynischen Handelsmetropole als Feste des Deutschtums betrifft, so sind einige Anmerkungen dringend nötig.
Dieser Artikel erschien zum sechzigjährigen Berufsjubiläum Dr. Friedrich Funders im Haus Herold am 9. Mai 1956. Er erschien anonym, heute darf der Name seines Verfassers, der inzwischen gestorben ist, verraten werden: Otto Forst de Battaglia. Eine brilionte Feder schrieb über eine brillante Feder, ein Polyhistor über einen leidenschaftlichen Journalisten und bekenntnisfrohen Österreicher.Irgendwo unter den zahllosen geistreichen Formeln, mit denen die Franzosen alles und nichts, viel und wenig zu sagen verstehen, findet sich auch die von der Literatur als der durch dais Prisma eines
Es war höchste Zeit, daß die Befreier kamen. Starhemberg hielt in Wien straffe Zucht. Mit eiserner Strenge, die nicht davor zurückschreckte, des Verrats überwiesene Kinder hinzurichten, wurde der Kampfgeist der Verteidiger vor Erschütterung behütet. Doch der stahlharte Kommandant wußte gar wohl, daß auch die größte Tapferkeit nicht endlos die drei Feinde abwehren konnte, die Wien heimsuchten: die Türken, die Seuchen und den Hunger. Vom 8. August an schickte Starhemberg Briefe an Jan III. und an Lothringen; immer dringender klangen die Notrufe. Es war ein Glück, daß wagemutige
Karl Kraus wurde am 28. April 1874 in Jicin geboren, als Sohn eines sehr wohlhabenden jüdischen Fabrikanten und einer Arztenstochter. Als Kleinkind kam er nach Wien, behielt aber zeitlebens gefühlsmäßige Bindung an sein böhmisches Ursprungsland, wo er später besondere Schätzung genoß. Masaryk wie die hervorragendsten tschechischen Schriftsteller haben das bezeigt. In Wien, wo er Volksschule, Gymnasium und die Universität besuchte, trat er, gleich Hofmannsthal, schon früh mit der „jungen" Literatur in Berührung. Das Fachstudium, dem er sich widmen wollte — Germanistik — sagte
DAS SCHICKSAL- WOLLTE, daß bereits Lev Tolstoj als Knabe von sehr starken und schmerzlichen Erlebnissen heimgesucht wurde. Die Mutter war gestorben, ehe das Kind sein zweites Jahr vollendet hatte, und sie hinterließ ihm nur ein hauchzartes Andenken, das aus den Erinnerungen älterer Geschwister sprach. Den Verlust des Vaters aber fühlte der Neunjährige sehr heftig. Vorzeitig reifend, wagte der Knabe schon damals seine ersten lyrischen Versuche. Eine Tante trachtete dem Verwaisten das Elternhaus zu ersetzen, ohne das zu können. Hin und her geworfen, ohne festen Halt, erfuhr der Elfjährige
DIE SCHWEIZER, gewohnt an ragende Gipfel, lieben es dennoch nicht, wenn einer aus.ihrer Mitte zu hoch über eben diese, sehr “anständige, Mitte hinausstrebt, und am wenigsten, wenn er ihnen zu spüren gibt, daß er den meisten Eidgenossen um die Länge eines an — den hergebrachten Urteilen widersprechenden — Gedanken reichen Hauptes voraus ist. Besonders denen wird von der öffentlichen Meinung übel mitgespielt, die mit ihren Anschauungen in der Vergangenheit allzu tief wurzeln und die dabei, ohne daß es die Zeitgenossen ahnten, weit eher der Nachwelt etwas bedeuten als Politiker,
KRASINSKIS ERDENWALLEN gleicht einer klassischen Symphonie, die, von wilden Stürmen erfüllt, letztlich zu ihrem Ausgangspunkt und zur Ruhe im ewigen Gesetz zurückfindet. In Paris, unter dem Ersten Kaiserreich — am 19. Fe- bruar 1812 — geboren, ist er dort während der Regierung Napoleons III. gestorben. Im Gegensatz zu den beiden anderen großen polnischen Romantikern, Mickiewicz und Slowacki, sehr freiwillig im Exil, das er jederzeit mit dem Aufenthalt in Warschau oder auf einem seiner polnischen Güter hätte vertauschen können. Er mied aber die Heimat, nicht nur, weil er mit deren
Ein altes Weib mit langen, beiderseits des feisten, undurchdringlichen Antlitzes gescheitelten Haaren, gehüllt in ein blaues Baumwollkleid; sie ist mittelgroß und auf den ersten Blick weckte an ihr nichts Aufmerksamkeit, nichts unterschiede sie von Millionen ihr ähnlicher Gestalten in der großen Chinesischen Volksrepublik, wären nicht die feinen Hände und die verschleierten, durchdringenden, dunklen Augen. An diesem Weibe wirkt allerdings noch etwas anderes merkwürdig, und am merkwürdigsten: daß sie nämlich ein Mann ist, ein Staatsmann, ein Staatenschöpfer, dessen Namen Unzählige
Die beiden ersten Bände dieses Monumentalwerkes hatten uns bis mitten ins Zeitalter der Romantik geführt. Der dritte Band reicht bis zu Nietzsche, der vierte bis in die Gegenwart, zum Mitleiter der gescheiterten Erhebung gegen Hitler, General Ludwig Beck, lieber die vielen Vorzüge und über einige kleinere Schwächen des großartigen Unternehmens haben wir schon bei der Anzeige früherer Teile das Nötige gesagt. Der hohe Rang dieses biographischen Ehrenmals einer Sprachgemeinschaft wird nun. da es grundsätzlich beendet ist, auf das schönste bestätigt. Das Bedenken, das sich gegen die
In Oesterreich hatten keltische und slawische Wesenheit, oder schreiben wir lieber, auf die Gefahr hin, unliebsame Erinnerungen an die „rassische" Wissenschaft zu wecken: das Bluterbe weslischer, miitelmeerischer und dinarischer Ahnen eine Seelenlage der Bewohner geschaffen, die der eines nordisch-ostisch-fatarischen Konglomerats von der Art des preußischen und großrussischen Volkskerns gar nicht glich. Ob wir die schlamperte Grazie, die Verbindlichkeit und Unverbindlichkeit des Oesterreichers, seinen Hang zum Kompromiß, seine Scheu vor schroffen Entscheiden, seine runden Formen, seine