Eine Politik neoliberaler Prägung hat der Wirtschaft jene Instrumente in die Hand gegeben, die nun zu einer Gefahr für das gesamte System geworden sind. Analyse eines Soziologen.Mit dem überzeugenden Argument, ein Staat müsse schlank sein, wurde lange vor der Finanz- und Wirtschaftskrise Schritt für Schritt eine neue Bewusstseinslage hergestellt. So konnte man ins Schwärmen geraten, nicht mehr der Staat habe den Bereich der Ökonomie zu ordnen, sondern der Markt sei das bessere, weil objektive Instrument. Die Rolle des Marktes gewann in allen Debatten eine Bedeutung, die man bislang
Alle Jahre wieder erleben wir einen organisierten Konsumrausch zur individuellen Erfüllung eines zwanghaften Geltungsbedürfnisses. Die Wirkung gleicht einem Danaergeschenk. Ein Essay.Wirtschaftshistoriker, Brauchtumsspezialisten und profunde Kenner des Konsumverhaltens stehen im Dezember regelmäßig vor unlösbaren Rätseln: Wenn auf öffentlichen Plätzen Nadelbäume aufgestellt werden, in Geschäften Kerzen brennen und in Auslagen goldene Kugeln und Engel zu sehen sind, befällt weite Kreise der Bevölkerung eine erstaunliche Kaufwut.Das Phänomen ist nicht neu, seit Jahren bekannt und
Die Angst wurde seit jeher von Mächtigen instrumentalisiert, um Herrschaft zu sichern. Eine kleine Kulturgeschichte der Angst und ihrer Profiteure.Kaum war der „Kuckuck-Ruf“ im Radio zu hören, eilten alle Hausbewohner in den Keller. Dort warteten sie ergeben bei flackerndem Licht auf das, was seit dem Herbst 1944 zum Alltag zählte: der Anflug eines alliierten Bomberverbands. Die Kellerinsassen hatten schnell zu beten begonnen. Einige Male schrie eine ältere Frau auf, lieber auf der Straße von den Bomben zerrissen als hier herunten im Keller lebendig begraben zu werden. Die Angst war
Einfache Antworten auf komplexe Fragen: Gedanken zum Populismus vor Neuwahlen.Die Wiederkehr eines politischen Schlagworts kann jene ängstigen, die auf ein schlechtes politisches Klima noch immer sensibel reagieren – wie es eben bei Föhn Wetterfühligen nicht gut geht. Noch vor zwei Jahrzehnten hätte man der Meinung sein können, dass Populismus als propagandistische Waffe nur in geringem Maß wirksam ist. Es war bereits damals ein Irrtum. So viele Merkmale gesellschaftlichen Lebens hatten soeben die angeblich ehrende wie schmückende Vorsilbe „pop“ erhalten, was nicht nur in der
"Gestiegener Umsatz" heißt die weihnachtliche Frohbotschaft heute, und ihr passendes Symbol ist der Weihnachtsmann.Da spricht man von der stillsten Zeit des Jahres. Darunter verstand man Advent und Weihnachtsfest. Inzwischen ist es die lauteste Zeit des Jahres, nicht nur in Warenhäusern. Würde man einmal als Fremder dieser sonderbaren Kultur nach Wien kommen, es kann auch Düsseldorf, Marseille oder Mailand sein, käme man bei nur geringfügiger ökonomischer Ausbildung zu der Einsicht, es muss einmal eine sozialpartnerschaftliche Regelung gegeben haben, um diese Zeit des wirtschaftlichen
Bemessenen Schritts betreten sie den Saal. Sie geben nicht sich, sondern dem Ereignis die Ehre ihres pünktlichen Erscheinens. Die Plätze sind ihnen seit Jahren bekannt. Da brauchen sie nicht einmal eine Karte vorzuweisen. Wer es wagt, von ihnen eine Eintrittskarte zu verlangen, brüskiert sie. Ins Konzert am Sonntagvormittag gehen sie seit Jahrzehnten, da waren die meisten Billeteure noch in den Kinderschuhen. Man hat sie zu kennen. Das Programm kennen sie in- und auswendig, dennoch kaufen sie es. Es dient der Lektüre während des Musizierens. Zu hören und gleichzeitig vom Komponisten zu
In der Tradition der Schule war das Ergebnis des Konkordats deutlich erkennbar gewesen: Selbst politische Wechselfälle hatten den Religionsunterricht nicht beendet. Mit der Realisierung eines „Polytheismus der Werte", wie ihn Max Weber vorausgesehen hatte, war vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten ein Wandel eingetreten, der allein daran zu erkennen war, daß nicht einmal mehr dieser Polytheismus sittliche oder Handlungsnormen verbindlich vermittelte.Die Entbindungsphähomene von der Gesellschaft hatten nicht nur die Kirchen betroffen, sondern auch in gleicher Weise
Alle Jahre wieder: Glitzerschmuck und Kerzenschein, ein kommerzialisiertes Christkind und zur Gewohnheit verkommene Bräuche verdecken den zutiefst heidnischen Zug in der christlichen Tradition.
Als Eugene Delacroix um 1830 das große Erinnerungsbild an die Französische Revolution gemalt hatte - „Die Freiheit führt das Volk“ —, war unter anderem auch klar geworden, daß die alte Verwandtschaft von Kunst und Kirche zu Ende gegangen ist. Wie in Tiepolos Kirchenfresken steigt ein hübsches Mädchen auf die Barrikaden, weist über die Toten auf vermeintliche Gegner, die auf seiten der Betrachter stehen müßten; ihr folgt ein pistolenschwingender Knabe, ein Cupido der Revolution, während zur anderen Seite ein eleganter Bürger verdutzt zuschaut, im Gebrauch der Flinte noch
Politiker sind arm. Wer es nicht glaubt, kann darüber in den Tageszeitungen lesen. Ihre aufreibende Tätigkeit läßt ihnen auch keine Zeit für Steuererklärungen und schon gar nicht für umständliche Fragen, woher und warum sie nun ihre Entschädigungen bekommen. Wahrscheinlich steckt ihnen knapp vor anstrengenden Sitzungen irgendein verantwortungsloser Kassier mehrere Banknoten in die Rocktasche, und zu ihrem Erstaunen bemerken sie erst in der ,JEden“, einige Tausen-der zu besitzen, über deren Herkunft sie im unklaren sind.Und wirklich, würden sie in die andere Rocktasche greifen,
Die Feiertage sind längst nicht mehr der Ruhepunkt, für den sie gehalten werden. Weihnachten und Neujahr markieren nicht nur einen Erschöpfungszustand nach hektischen Vorbereitungen, um dann atemlos vor einem Christbaum zu sitzen, sondern weisen die Beteiligten in die Unmittelbarkeit der Familie ein, in der es gerade in diesen Tagen zu brodeln beginnt.Einerseits darf man nicht einmal die Zimmer der Kinder betreten, die wegen der weihnachtlichen Bastelarbeiten schon vorzeitige Bescherungen anrichten, andererseits wird man wegen derSchmückung von Christbäumen, Gestecken und anderer Arbeiten
Stadtplanungen sind ehrgeizige Konzepte, die sichf über Jahrzehnte erstrecken und Stück für Stück aus Skizzen und Entwürfen in architektonische Wirklichkeit treten. In schöner Regelmäßigkeit legt auch die Stadt Wien seit gut 25 Jahren Stadtentwicklungspläne auf, die zum Erstaunen der Bewohner die große Perspektive veranschaulichen.Mit Ehrgeiz wurden Siedlungen in den letzten Jahrzehnten errichtet, die nur böse Zungen kritisieren: Per Albin Hansson-Siedlung, die Bebauung des Laaerberges, der Hugo Breitner-Hof bis zur Großfeldsiedlung sind Monumente des Wiederaufbaus und der
Vorwurfsvoll richten höchste Funktionäre des Staates in ihren Berichten die Rede ans Volk, wenn sie davon sprechen, wie viele Österreicher straffällig waren, verurteilt wurden und einsitzen müssen. Ausnahmsweise sind wir nicht stolz darauf, Europas Durchschnitt weit zu übertreffen. Und wenn sich von der Ministerbank des Parlaments ein höchster Politiker an die Stellvertreter des Volkes wendet, dann mit dem Unmut, daß sein Staat so viel Geld für so viele Strafgefangene aufwenden muß. Daher lag die Absicht auf der Hand, allein schon aus Gründen der Sparsamkeit, das Strafrecht zu
Uber nichts läßt sich so trefflieh streiten wie über Geschmack. Speziell in Wien lebt man schon viele Jahre in der Einbildung, in Geschmacksfragen heikel zu sein. Obwohl man es der in den letzten Jahren geschaffenen Architektur nicht ansieht, soll sie nach dem Wortlaut der Fremdenverkehrs-Prospekte vorbildlich und Ausdruck eines ungebrochenen Kunstwollens der Stadtväter und -planer sein.Und dennoch muß sich in die behördlichen Planungsstuben ein Mißtrauen eingeschlichen haben. In den Bus-Fahrten für Wien-Liebhaber wird an erster Stelle das berühmte Hundertwasser-Haus im dritten Bezirk
In früheren Ansichten sieht man im Hintergrund der alten Hauptstadt die Donau schimmern. Die Donau hinterließ ihre Spuren und büdete zahlreiche Stadtränder aus, zuerst am heutigen Franz-Josefs-Kai, hinter der Leopoldstadt und zuletzt — wo? Mit den Flußregulierungen und mit der jüngsten Domestikation der Donau zu einer Art Binnengewässer in zwei endlosen Wasch-trögen aus Beton hatte sich Wien kostspielig und mühsam von der Donau losgesagt.Die Behandlung der Donau sagt wohl deutlich genug, daß Wien in Wirklichkeit nie eine Brücke zwischen Ost und West war, da man sich des
'Der Vortrag von Kardinal Joseph Ratzinger in Wien (FURCHE 49/1987) hatte unmißverständliche Akzente gesetzt. Wahrscheinlich ist es der routinierten Gleichgültigkeit des Wiener Milieus zuzuschreiben, daß die Rede des Kardinals ohne Folgen bei jenen blieb, die daraus zu lernen gehabt hätten.Gewiß stimmte man dem Kardinal zu, daß die Lust an der Negation das Merkmal unserer Zeit ist. Sicher folgt man ihm beim Gedanken, daß der verbreitete Drogenkonsum ein verfehlter Protest gegen die Tatsachen und ein Ersatz für Askese ist; ebenso wird man die Analyse teüen, daß der Terrorismus
Die Wiener Volkspartei unter Erhard Busek ist mit dem Experiment einer offenen Partei offenbar gescheitert. Ein Intellektueller versucht eine Antwort auf das Warum.
Das Florieren von Lotto, Toto, Casinos und Spielautomaten jeder Art hat dem Staat und der Glücksspielmonopol-Verwaltung eine der wenigen gewinnträchtigen Wirtschaftssparten eröffnet. Zwar muß der Chef der Casino AG stets gegen angebliche Widerstände ankämpfen, will er gerade den Tätigkeitsbereich seines Unternehmens ausdehnen, doch letzten Endes siegt doch die Vernunft in der Bürokratie: Warum sollte man kein Spielchen wagen?Die Ursache für die Ausweitung der Glücksspiele in der Republik ist wohl die gleiche wie im vor-josephinischen Staat: Die Minderung der Entwicklungs-Chancen
Eine schwierige Schularbeit oder ein drohender Einberufungsbefehl zum Militär veranlassen ängstliche Menschen immer wieder, entweder eine Krankheit zu fingieren oder zu simulieren. Sie legen sich ins Bett, spielen die Kranken und geben vor, entweder Fieber zu haben oder gar eine ernsthaftere Erkrankung.Der Unterschied zwischen fingierter und simulierter Krankheit liegt darin, daß die fingierten Leiden gespielt sind, ohne daß Symptome erkannt werden können,während die simulierte Krankheit eindeutige Symptome vorgeben muß.In ähnlicher Weise müssen sich die Menschen gegenüber den Medien
Inmitten konservativer Blütezeit — Anfang Februar 1967 — schüttelte die SPÖ eine schwere Krise. Ein Wechsel im Parteivorsitz sollte den Konflikt zwischen Bruno Pittermann und Franz Olah beilegen, der 1966 die SPÖ aus der Mitregierung geworfen hatte. Der aussichtsreichste Kandidat war Hans Czettel. Zu aller Uberra-schung gewann am 1. Februar 1967 aber Bruno Kreisky am Parteitag die Mehrheit.Noch konnte man nicht wissen — sogar Gerd Bacher vom Reform-ORF unterschätzte es -, daß Kreisky 1970 Josef Klaus als Bundeskanzler ablösen werde.Bis dahin hatte Kreisky der Öffentlichkeit
Bundespräsidenten- und Nationalratswahl, neue „Sterne“ am Politikerhimmel und endlich der langersehnte Bischof für die Erzdiözese Wien: Zwölf Monate ohne Ende.
Die beiden Großparteien wollen das Schiff der Republik gemeinsam wieder flottmachen. Darf der Staatsbürger jetzt nur mehr seine Abdankungsurkunde unterzeichnen?
Praxis und Gestaltung heutiger Sonntagsgottesdien-ste erstarren vielfach zur bloßen Routine. Eine vertiefte Aufmerksamkeit im Hören und Lesen der biblischen Texte tut not.
Die Wahlentscheidung vom 8. Juni für eine Wende zu halten, ist ebenso übertrieben, wie man vor Jahren meinte, Österreich sei schlechthin eine Probe für die Welt. - Der „kranke Mann am Bosporus“ erholt sich. Offen wird heute über Beschränkung für Gewerkschaften und Universitäten, über Kurden, Zypern und die NATO gesprochen.
„Selbstbefreiung“ oder bloßes Geschäft, welches Bild prägen die Massenmedien vom menschlichen Körper? Modelle und Mannequins bestimmen die „Ideale“ unserer Zeit.
Ein A usspruch, der Bruno Kreiskys Vorgänger Bruno Pittermann zugeschrieben wird, hat einem Buch über Österreich unter und nach Kreisky den Titel gegeben: Das Ende wird furchtbar sein. Der Autor Walter Jambor, Direktor des Buchklubs der Jugend, versucht darin eine kritische Analyse des Kreisky-Jahrzehnts, im besonderen des Widerspruchs zwischen Programmtheorie und Politpraxis, sowie der Entwicklung christdemokratischer Alternativen. Reinhold Knoll, 1975 Organisator kritischer Wähler für Kreisky, hat das Buch „mit gemischten Gefühlen“ gelesen.
Die guten Geschichten der Großmutter begannen: Es war einmal.. .Also damals war noch Optimismus. Das war 1975. Heute stehen wir vor anderen Konstellationen. Diese Tatsache hat nicht bloß wirtschaftliche oder energiepolitische Ursachen. Uns treffen ökonomische Wachstumsprobleme. Sie lassen unsere Gesellschaftsstruktur wieder deutlicher hervortreten. Fatal ist, daß daher gesellschaftspolitische Fragen weiter unbeantwortet bleiben können.Vor vier Jahren konnte man der Ansicht sein, nur eine papierdünne Wand trennt uns vor dem Angehen wichtiger Veränderun-gen. Das war keine blanke