Gleichmäßig rollt der Wagen im 90-Kilometer-Tempo gegen Westen. Polens große Landstraßen sind ein Paradies für mitteleuropäische Automobilisten. Zumindest am hellichten Tag. Nur alle heiligen Zeiten — einmal ist sogar eine geschlagene Dreiviertelstunde vergangen — begegnet man einem Kraftfahrzeug. Weniger sympathisch sind die gerne mitten auf der Fahrbahn trabenden Pferde der Bauernwägelchen. In der Nacht können sie sogar lebensgefährlich werden, Schlußlichter sind nämlich eine Glückssache. Bei der alten, noch aus der Zarenzeit stammenden Festung Modlin hatten wir am frühen Morgen von Warschau kommend die Weichsel zum erstenmal überschritten. Ihrem Lauf am nördlichen Steilufer folgend, durchquerten wir das kleine, von den Strahlen der letzten Herbstsonne vergoldete Flußstädtchen Plock. Die mächtigen roten Türme der in nordischer Backsteingotik erbauten Marien- und Johannes kirche kündigten das alte Thorn (Thorun) an. Hier hieß es Abschied von der Weichsel nehmen, die in nördlicher Richtung der gar nicht mehr allzuweiten Ostsee zustrebt. Knapp vor Gnesen (Gniesno) fiel die Dämmerung rasch ein. Als wir in dem Dom dieser alten Bischofsstadt, der von geübten Restauratoren soeben auf seine ursprünglichen gotischen Formen zurückgeführt wird, vor dem Schrein des heiligen Adalbert — eines. der beiden polnischen Landespatrone — standen, dunkelte es bereits sehr. Eine Stunde später, als die ersten Lichter den Stadtrand von Posen (Poznan) verrieten, war es bereits Nacht. Posen war das erste Tagesziel einer Reise, die uns mit einem „kleinen Umweg“, der bis zu den beiden Schicksalsflüssen Oder und Neiße und durch Schlesien führte, nach Hause bringen sollte.