Was den Familien kürzlich als Kompromißfähigkeit der Regierung in Sachen Familienbesteuerung verkauft wurde, hat mit dem Auftrag der Höchstrichter nicht das geringste zu tun.
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes über die Berücksichtigung der Kinderkosten im Steuerrecht wird auf sehr unterschiedlichem Niveau über Kinderkosten, Steuertarif und Familienpolitik diskutiert. Die SPÖ wollte in einer ersten Zornreaktion am liebsten gleich die Verfassung ändern, die ÖVP vergißt vor lauter großkoalitionä-rem Konsensdrang auf ihre Kernwähler, die Freiheitlichen verweisen zögernd auf ihr Splittingmodell.
Nach über 20 Jahren Umverteilung in die falsche Richtung haben zwei Staatsbürger gegen die kinder- und familienfeindliche Besteuerung der Einkommen rebelliert und vom Verfassungsgerichtshof Recht erhalten.
SP-Familiensprecherin Ga-brielle Traxler wirft der ÖVP vor, mit der Mehrkinderstaffelung (FURCHE 31/1989) bei der Kinderbeihilfe „Bevölkerungspolitik“ machen zu wollen.
Eine „familienpolitische Offensive“ kündigte Finanzminister Ferdinand Lacina gemeinsam mit Staatssekretärin Johanna Dohnal kürzlich an.Nun ist es an sich erfreulich, daß sich der größere Koalitionspartner endlich der Familien erinnert. Schließlich leben heute im wohlhabendsten Österreich, das es je gab, 200.000 Familien unter der Armutsgrenze. Mehrkinderfamilien sind fast schon zu einer aussterbenden Spezies geworden.Einer der wesentlichsten materiellen Gründe für die rückläufige Geburtenrate ist das Steuersystem: Seit 1973 die Haushalts- durch die Individualbesteuerung ersetzt
Die Mehrkinderfamilie müsse stärker als bisher gefördert werden, sagte kürzlich Finanzmini-ster Ferdinand Lacina. Zu diesem • Zweck soll ein Teil der Beiträge in den Familienlastenausgleich-fonds direkt, also über Steuerer-mäßigvmgen, an die Familienerhalter weitergegeben werden. Das Opfer soll die Besteuerung des 13. imd 14. Gehaltes sein.Dazu ist folgendes zu sagen:• Es ist völlig richtig, daß die steuerliche Diskriminierung der Mehrkinderfamilie beseitigt werden muß. Die Erhalter großer Familien werden sowohl bei der Mehrwertsteuer wie auch bei der Einkommensteuer
Diesen Befund präsentierte kürzlich das Statistische Zentralamt (FURCHE 39/1988). Demnach befinden sich die Paare mit einem Kind laut Statistik „durchwegs in einer relativ günstigen Einkommenssituation“. Auch in Familien mit zwei Kindern hält sich der Einkommensnachteil laut Zentralamt im Vergleich mit dem Durchschnittseinkommen „mit einem Einkommensminus mit weniger als zehn Prozent in Grenzen“.
Im „Wirtschaftsmanifest“ der OVP heißt es: „Im Familienbereich kommt es zu massiven Entlastungen, insbesondere bei einkommenschwachen Mehrkinderfamilien.“Dieser Satz verdient — bei aller Anerkennung der Leistung der Volkspartei um die Schaffung eines modernen, investitions- und leistungsfreundlichen Steuersystems — eine nähere Analyse. Denn Österreichs Mehrkinderfamilien, die nicht nur mit dem höchsten Mehrwertsteuersatz Europas zur Kasse gebeten werden, sondern auch kaum einen Lohn- und Einkommensteuerrabatt gegenüber Kinderlosen genießen, können derartige Ankündigungen
Die Steuerreform ist lei-stungs-, investitions- und arbeitsplatzfreundlich, heißt es. Für familienpolitische Akzente war da offensichtlich kein Platz mehr.
Weniger Geburten, mehr Arbeitslose und eine längere Lebenserwartung: Unser Sozialversicherungssystem gerät ins Schleudern. Werden jetzt die richtigen politischen Weichen gestellt?
In Österreich steigen Kleinverdiener besser aus. Familienerhaltern mit höheren Einkommen bleibt in der BRD mehr. Dazu ein Vergleich mit dem ÖVP-Steuerkonzept.