Nach der vorzeitigen Auflösung des Nationalrates und dem baldigen Ende der Minderheitsregierung ist es notwendig, festzuh’alten, welche Veränderung der Kreiskysche Coup d’etat, wie ihn die Gegner, oder der Coup de maitre, wie ihn die Anhänger des Bundeskanzlers bewerten, in Österreichs innenpolitischer Landschaft herbeigeführt hat Fassen wir zunächst kurz zusammen: Mit Hilfe des Bundespräsidenten bildete Kreisky im Frühjahr 1970 eine Minderheitsregierung. Das war taktisch zweifellos ein Meisterstreich, der noch dazu für alle politischen Kenner imerwartet kam und deshalb eine
In Strebersdorf, auf dem Grundstück Pragerstraße-Mayer- weckstraße, ließ die Erzdiözese Wien mit einem Kostenaufwand von mehr als hundert Millionen Schilling eine Pädagogische Akademie erbauen. Die ausländische Expertengruppe, die den Bau besichtigte, reihte die Schule an die erste Stelle unter den Schulbauten Österreichs. Selbst wenn man mit der Verwendung des Superlativs sparsam umgehen soll, gebühren der vom Architekten Prof. Wilhelm Hubatsch errichteten Schule Höchstnoten.
Am 17. Juni jährt sich zum 18. Male der Tag, an dem in der DDR die Arbeiter den Aufstand probten, der jedoch im Feuer sowjetischer Panzer zum Erliegen kam. Es war übrigens die Geburtsstunde des Panzerkommunismus. Dieser Tag wurde jahrzehntelang in der deutschen Bundesrepublik mit Gedenfeiem begangen als Zeichen dafür, daß man die Bewohner des anderen Teils Deutschlands nicht vergessen hat. Doch die Erinnerung verblaßt, und das Vergessen ist eine unmenschliche Eigenschaft. Heute bedeutet der 17. Juni der deutschen Bundesregierung eine große Verlegenheit. Als Feiertag kann sie ihn nicht
Edgar Traugott ist Chefredakteur der „Nürnberger Zeitung“, und nur wenige Journalisten dürften so kompetent sein wie er, die Herrschaft der Meinung einer kritischen Analyse zu unterziehen. Traugott besitzt nämlich die notwendige Distanz zu den Massenmedien, vielleicht oder gerade deshalb, weil er selbst in ihnen arbeitet, und er ist ein philosophisch geschulter Kopf — eine Rarität im heutigen Zeitungs- wesien —, was ihn befähigt, den Kern der Dinge bloßzulegen. Trau- gotts Sorge ist es, daß sich in dem vor sich gehenden Wandei von der streng repräsentativ-parlamentarischen zur
Die Schlacht ist geschlagen und der Sieger heißt Dr. Schlein- zer. Es war eine Schlacht, wenn auch nur eine Redeschlacht. Gefährlicher waren die der Wahl vorangegangenen versteckten Angriffe gegen Schleinzer, deren Initiatoren größtenteils aus dem eigenen Funktionärsstab stammten. Aus dem Hinterhalt schießt man bekanntlich am besten.
Die Erkrankung Dr. Kreiskys verhinderte ein doppeltes Treffen der Regierungschefs von Westdeutschland und Österreich. Vor dem geplanten und nun abgesagten offiziellen Besuch von Bundeskanzler Brandt in dieser Woche wollten beide am Wörthersee während der Pfingstfeiertage privat Zusammenkommen, um den Gedankenaustausch, der schon in Finnland anläßlich der Tagung der Sozialistischen Internationale begonnen hatte, fortzusetzen. Zweifellos wäre dieser Gedankenaustauch für beide Kanzler von großem Nutzen gewesen, um so mehr, als Kreisky in eine Lage zu geraten droht, in der sich Brandt bereits befindet. Nichts charakterisiert den gegenwärtigen politischen Zustand in der deutschen Bundesrepublik mehr, als der Ausspruch Brandts nach der Entscheidung seiner Regierung in der Wäh- rungsfraige und dem Rücktritt des deutschen Finanzministers Möller: Wir machen nun einmal eine Pause.
Das grüne Licht, das Frankreich in der Vorwoche für den Beitritt Englands in die EWG gab, brachte zweifellos erfreuliche gesamteuropäische Aspekte. Die schroffe antibritische Haltung de Gaulles ist vergessen, und das offizielle Frankreich feiert die iranzösisch-britische Freundschaft in den höchsten Tönen, ^übrigens auch die einstige Waffenbrüderschaft. Hier aber steigt ein leiser Schatten auf, denn bei aller Freude über die veränderte französische Haltung England gegenüber, ist die gleichzeitige Abkühlung des deutsch-französischen Verhältnisses nicht zu übersehen.
Bringt die Ablöse Walter Ulbrichts vom Posten des Ersten Sekretärs dw Politbüro» der SED durch Erich Honecker eine neue Variante der sowjetischen Deutschlandpolitik? In Bonn rätselt man darüber um so mehr, als zur gleichen Zeit der neüernannte sowjetische Botschafter in Bonn, Falin, seine Tätigkeit auf nahm.
In Österreich setzt man den Begriff Reform fast immer mit Personenwechsel gleich. Neue Führungskräfte bedeuten hierzulande auch schon Reform. Diese Vorstellung ist falsch und entspricht auch nicht demokratischer Denkungsart. Sie hat sich vielmehr bei uns eingebürgert, dank der parteipolitischen Herrschaft auf nahezu allen Gebieten des Lebens. Löst Rot Schwarz ab (oder umgekehrt), dann bedeutet Reform, daß ein Roter an Stelle eines Schwarzen (oder umgekehrt) tritt..
Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein war, obwohl es sich nur um 1,8 Millionen Wähler handelte, die vielleicht wichtigste bundesrepublikanische Landtagswahl in der Ära der Regierung Brandt-Scheel: Niemals noch wurde der Kampf zwischen CDU und SPD mit solcher Erbitterung geführt, niemals noch war die Presse ein derartiges Engagement eingegangen.
Nach der Wahl des Bundespräsidenten am kommenden Sonntag beginnt wieder der politische Alltag, der trübe genug ist. Die aus wahltaktischen Gründen zurückgehaltene Preislawine kommt nun auf uns zu und trifft infolge der bevorstehenden Preiserhöhungen von Milch, Butter, Käse, Mehlwaren, Zucker und Fleisch insbesondere die ärmeren Schichten der Bevölkerung.Aber auch Benzin, Diesel- und Heizöl, Kfz-Haftpflichtprämien sowie Waren verschiedenster Art werden teurer, und Lohnforderungen werden dafür sorgen, daß das Preisrad unaufhörlich weitergedreht wird., Der Sparer aber sieht nicht nur
Die drei Konzerte, die Karajan mit den Berliner Philharmonikern im Rahmen der Salzburger Osterfestspiele gab, wurden von seiten des Publikums mit stürmischer Begeisterung aufgenommen. Man muß diese Feststellung treffen, weil die meisten Kritiken über diese Konzerte auch nicht im entferntesten diese Stimmung wiedergeben, sondern eher den Eindruck erwecken, als seien die Konzerte teilweise ein Mißerfolg gewesen. Es wäre zu billig, zu behaupt- ten, das Publikum bestünde aus lauter Karajan-Fans, lasse jede kritische Stellungnahme vermissen und sei seiner inneren Einstellung nach konservativ,
Es war die dritte „Fidelio“-Inszenierung innerhalb eines Jahres und im Rahmen österreichischer Festspiele. Ihre „Notwendigkeit“ ergab sich, weil auch Karajan seinen, obschon verspäteten Beitrag zum Beethoven-Jahr leisten wollte. Vom künstlerischen Standpunkt war sie allerdings nicht notwendig, obwohl die rein musikalische Interpretation durch die Berliner Philharmoniker unter Karajans Leitung die ln Wien durch Bernstein und die bei den Sommerfestspielen in Salzburg durch Böhm übertraf.
Die Wähler spielen nicht immer das Spiel, das ihnen Meinungsmacher und Meinungsinstitute zuweisen möchten. Vergleicht man beispielsweise das Ergebnis der Berliner Wahlen mit dem von Rheinland- Pfalz, so gibt es wenigstens auf den ersten Blick kaum gemeinsame Berührungspunkte. Seinerzeit, bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und im Saarland zeichnete sich der Trend zum Zweiparteienstaat ab, der aber bei den nachfolgenden Wahlen in Hessen und Bayern gestoppt zu sein schien. Jetzt, bei den sonntägigen Wahlen in Rheinland-Pfalz, trat er wieder zutage.Vergleichen wir zunächst die
Am kammeiniden Sonntag wählt die Bevödkerung West-Berüns ihr Stadtparlament. Dde Wahl ist jedoch mehr als ein Lokaleredgnis. Sie entscheidet bis zu einem gewissen Ausmaß über die OstpoMtik der Bonner Regierungskoalition. Hier, an der verwundbansten Stelle der westlichen Welt in Europa, hemrsdit gleidisam Frontstimmoing. Bin Erfolg der SPD würde bedeuten, daß die am stärksten von der West-Ost-Auseinandersetzung betroffene Bevölkemimg mit großer Mehnheit die Ostpolitik Brandts gutheißt und mit Jhr Hoffnungen auf politisdie Entspannung und ein vernünftiges Nebeneinanderleben von
Seit der Gründung der Republik waren die Landeshauptleute die „Kaiser" in Osterreich. Das hat sich nicht immer zum Vorteil des Gesamtstaates ausgewirkt, und Bundeskanzler Doktor Seipel stimmte oftmals ein Klagelied darüber an. Nun ist diese föderative Struktur der ÖVP nach dem zweiten Weltkrieg durch die Bündekonstruktion »war verwässert worden, doch starke Landeshauptleute geben der OVP auch weiterhin das Gepräge. Von den Landeshauptleuten gingen auch sämtliche Reformbestrebungen innerhalb der ÖVP nach 1945 aus. Von den Ländern — das heißt, vom Westen und Süden Österreichs, weil Niederösterreich stets als Hort des Konservativismus gewertet wurde.
Vor einiger Zeit wurde in der „Presse" von der Bun-deswirtschafts-kammer die Meldung über engere Kontakte zwischen Bundeskanzler Dr. Kreisky und führendea Männern der Industrie lanciert. Verschiedene Details wurden zwar berichtigt, doch der Kern der Meldung entspricht zweifellos den Tatsachen. Wer Kreisky kenTit, wird darüber auch nicht überrascht sein. Sein Vorbild ist Schweden, wo sich eine Art Idealzustand für die de’mokratischen Sozialisten herausgebildet hat, der immer mehr seine faszinierende Wirkung auszuüben beginnt: eine sozialistische Regierung aiuf der einen und eine nach
Was sich seit Dezember vergangenen Jahres an der polnischen Nordseeküste ereignet, ist mehr als die durch Streiks und Demonstrationen sichtbar gewordene Empörung der Arbeiter wegen zu geringer Löhne, wegen schlechten Arbeitsklimas und unzumutbarer hygienischer Einrichtungen — es ist im Grunde das Debakel sozialistischer Wirtschaftspolitik schlechthin. Selbst wenn sich die Wogen wieder beruhigen werden, sei es, weil Konzessionen von Seiten der Partei die Arbeiter milder stimmen, sei es, weil der Druck der Macht über den Freiheitswillen obsiegt, läßt sich das grundsätzliche Desaster des kommunistischen Systems nicht mehr aus der Welt schaffen. Da helfen weder die Warnungen vor einer Wiederholung des Prager Frühlings in Polen, wie sie in den letzten Tagen von kommunistischen Parteiorganen erhoben wurden, noch der Hinweis, daß für die Mißstände das sozictiistische System als solches nicht verantwortlich gemacht werden könne.
Die Bundestheater sind wieder im Gespräch, allerdings nicht deshalb, weil die Aufführungen so aufregend wären, sondern weil einige Leute Interesse daran haben, den Königsmacher zu spielen. Da die Direktoren der einzelnen Häuser bereits ernannt sind, gibt es nur mehr einen attraktiven Posten, und zwar den des Leiters der Bundestheaterverwaltung, um den es geht Es war zweifellos ein Versäumnis der ÖVP, daß sie in der Zeit ihrer Alleinregierung die Reform der Bundesteater nicht durchgeführt hat Es gab zwar ein Konzept doch was es nicht gab, das war ,diaEiasic,ht, daß die beste
Vor hundert Jahren, am 18. Jänner 1871, wurde im Spiegelsaal von Versailles das deutsche Kaiserreich gegründet. Die 500 Teilnehmer an dieser denkwürdigen Zeremonie setzten sich fast zur Gänze aus Militärs und Diplomaten zusammen. Nur 30 Delegierte des Deutschen Bundes deuteten an, daß es sich um eine Staatsgründung handelte. Eine Krankenschwester, die zufällig eine Tür auf machte, war die einzige Vertreterin des Volkes. Das neue Reich begann im Zuge eines siegreichen Krieges gegen Frankreich und endete im Zuge eines verlorenen Krieges gegen Frankreich und dessen Verbündete. Gleichfalls in Versailles wurde 1919 der Friedensvertrag geschlossen, der die Weimarer Republik, die das Kaiserreich abgelöst hatte, geistig und materiell so schwer belastete, daß sie schon 15 Jahre später dem Dritten Reich Adolf Hitlers weichen mußte. Dieses war zwar das gewaltigste Reich, das die Deutschen je ihr eigen nannten, doch endete es mit der größten Katastrophe der deutschen Geschichte.
Allein schon die Fragestellung, die als Titel eines Buches des französischen Kommunisten Garaudy aufscheint, ist ein Zeichen dafür, daß es mit der inneren Sicherheit, die die Mitglieder der kommunistischen Partei Jahrzehnte hindurch zur Schau stellten, endgültig vorbei ist. Sie war eigentlich schon vorbei, als Chruschtschow am XX. Parteitag der KPdSU im Jahre 1956 Stalins Verbrechen offenlegte und damit zugleich das Dogma zertrümmerte, daß die Parteiführung immer den richtigen Weg geht, gewissermaßen unfehlbar ist. Mit dem Überfall der Sowjetunion auf die Tschechoslowakei im August 1968 aber wurde noch ein weiterer Schritt getan. Bewies der XX. Parteitag, daß die Parteiführung dem Irrtum ebenso unterworfen ist, wie alle anderen menschlichen Einrichtungen es sind, so wurde durch den Überfall auf die Tschechoslowakei der sowjetische Kommunismus als solcher für eine Fehlentwicklung angesehen und als Panzerkommunismus von den Kritikern der Sowjets an den Pranger gestellt. Der Kommunismus ist nur zu retten, so urteilen die kommunistischen Intellektuellen des Westens, wenn er sich der wissenschaftlichen Entwicklung anpaßt und vor allem ein menschliches Antlitz erhält.
Ein Bach Ober Gott wird Immer Leser finden. Ob der Autor nun Gott als tot erklärt oder ob er ihn am Leben läßt, immer wird im Menschen ein Gefühl angesprochen, dem er sich nicht ganz entziehen kann, es sei denn, er weicht der letzten Frage aus und lebt in den Tag hinein. Der protestantische Theologe Heinz Zähmt versucht, den Menschen der Gegenwart den Begriff Gott nahezubringen. Ob ihm dies gelingt, ist schwer zu beantworten, weil Gott letztlich eine Frage des Glaubens und somit des persönlichen Engagements ist.
Als die „Furche“ gegründet wurde, stand das deutsch-österreichische Verhältnis auf seinem Tiefpunkt. Die Erfahrungen des Hitler-Regimes und die katastrophale Niederlage erzeugten bei Vielen Österreichern den Wunsch, für immer von den Deutschen getrennt zu bleiben. Nicht das Gemeinsame in der Geschichte, sondern das Trennende wurde gesucht. Das Anderssein erschien wie eine Entdeckung, nachdem die anfangs rauschhafte, dann immer monotoner werdende Heilsformel „Ein Volk, ein Reich, ein Führer!“ den Ohren ein Graus geworden war. Daß Hitler aus Österreich stammte, deutete man als eine Strafe Gottes, daß Hitler-Truppen im März 1938 jubelnd begrüßt wurden, galt als eine Goebbelsche Propagandaübertreibung, und daß mehr als 99 Prozent mit Ja für den Anschluß stimmten, schrieb man dem nationalsozialistischen Terror zu.
Die bayerischen Landtagswahlen brachten ' ein erwartetes Ergebnis. Daß die CSU ihre Vormachtstellung halten werde, stand für politisch Informierte fest Nicht einmal die hohen Gewinne der CSU überraschten besonders. Neugierig stimmte eigentlich nur das Abschneiden der FDP, die vor zwei Wochen eher überraschend zehn Prozent der Stimmen in Hessen erringen kannte. . Die Frage war nun, ob sie sich auch in Bayern behaupten, beziehungsweise, ob sie wieder kommen wird, da sie in den letzten vier Jahren im bayerischen Landtag keinen Vertreter besaß. Es ging also darum, ob die FDP in einem der
An diesem Mittwoch haben der, deutsche Außenminister Walter Scheel und sein polnischer Kollege Stefan Jedrychowski den deutsch-polnischen Vertrag paraphiert. Zur Unterschrift selbst wird der deutsche Bundeskanzler Brandt voraussichtlich Mitte Dezember persönlich nach Warschau reisen, um sich, wie schon seinerzeit beim deutsch-sowjetischen Vertrag in Moskau, von der deutschen Presse als großen Staatsmann feiern zu lassen. Nun muß man die bisherige Vorstellung von staatsmännischer Größe ins Gegenteil kehren, um das publizistische Lob über Brandts und Scheels staatsmännische Größe verstehen zu können. Bisher galt der Staatsmann als groß, der für sein Land Vorteile, sei es Gebietsgewinn, militärische Bündnisse oder wirtschaftliche Gewinne, aus Verhandlungen holen konnte. Brandts und Scheels Größe aber liegt in ihrem Mut, zu verzichten, wobei die eventuell zu erwartenden Vorteile in einer unbestimmten Zukunft liegen.
In den nächsten Wochen wird,' falls die Zeitungsmeldungen stimmen, Unterrichtsminister Gratz einen neuen Burgtheater-Direktor ernennen. Die Namen von Gustav Manker, Heinrich Kraus, Boy Gobert und Kurt Klingenberg werden am häufigsten genannt, doch könnte es auch ein anderer, ein „Progressiverer“, sein. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, daß der derzeitige Direktor bis zum Ende seiner Vertragszeit (1973/74) bleibt. Die geheime Befragung der Ensemblemitglieder, wen sie sich als kommenden Direktor wünschen, hat offensichtlich zu keinem zwingenden Vorschlag geführt.
Nachdem schon 1956 die Dichtungen Berthold Viertels von Ernst Ginsberg veröffentlicht wurden, bringt nun der Kösel-Verlag München auch die „Schriften zum Theater“ aus Viertels Nachlaß heraus. Das Geleitwort schrieb Herbert Ihering, der Viertel bereits seit 1914 kannte, als dieser als Dramaturg und Regisseur an der Volksbühne in Wien seine künstlerische Laufbahn begann. Im Anhang schneidet Gert Heidenreich das Problem an, warum Viertel nicht zu den offensichtlichen Repräsentanten der drei Jahrzehnte zwischen 1914 und 1933 zählt, wie etwa Max Reinhardt oder Leopold Jessner, der
Die Debatte über den ORF im Parlament drängte die Auseinandersetzung über das Budget in den Hintergrund. Begreiflich, denn das Budget wird nach einigem Theaterdonner über die Bühne gehen, während sich das Problem des ORF ähnlich dem des Bundesheeres immer mehr zuspitzt. Dies hängt mit Terminen zusammen. Die Dienstzeitverkürzung von neun auf sechs Monate soll nach Kreiskys Versprechen ab Jänner 1971 eintreten, und der Vertrag des derzeitigen Generalintendanten des ORF läuft im Frühjahr 1971 aus. Nun geht das Problem des Bundesheeres einem großen Teil der Österreicher, wenigstens
Es sei demokratisch, hören und lesen wir, daß ein jeder im Theater seine Gefühle laut zum Ausdruck bringen dürfe. Er kann' brüllen, klatschen, pfeifen, buhen, „Bravo!“ oder „Pfui!“ rufen. Dagegen ist nichts zu sagen, wenn zwei Momente beachtet werden: Die Gefühlsäußerungen müssen spontan erfolgen und dürfen nicht der Ausdruck einer Animosität gegen einzelne Künstler sein. Wenn jedoch von vornherein Aktionen gegen Mitwirkende geplant werden und wenn die persönliche Animosität sogar in Haß umschlägt, hat dies mit der freien demokratischen Meinungsäußerung nichts zu tun. Im Gegenteil.
Die FDP in der deutschen Dundesrepublik ist einer Zerreißprobe ausgesetzt wie noch nie seit ihrem Bestehen. Die Hoffnung ihres Parteiführers Walter Scheel, daß eine Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten der FDP eine eigenständigere Politik und damit auch eine anziehendere Profilierung für den Wähler verschaffen werde, hat sich nicht erfüllt Das Gegenteil ist eingetreten. Die Partei zerfiel alsbald in zwei Teile, was bedeutet, daß sich jeder Teil der jeweiligen ihr nahestehenden Großpartei noch mehr als früher anpassen muß.
Otto Schulmeister hat viel gelesen und viel nachgedacht und daraus Ist das Buch entstanden: „Die Welt, die wir verlassen.“ Schon der Titel kündet an, daß es sich um ein pessimistisches Buch handelt, weil es ja um ein Verlassen, um ein Abschiednehmen .geht. Doch ganz so pessimistisch ist das Buch nun auch wieder nicht. Wenn nämlich der Autor zehn Kapitel hindurch den Leser durch den Wolf des Pessimismus gedreht, ihn gewissermaßen geistig faschiert hat, kündet er unsere Befreiung an, daß nämlich unter der Kruste der Traditionen die Tradition selbst wieder zutage tritt und die historische Verfremdung weicht.
Der Besuch des französischen Staatspräsidenten Pompldou In der Sowjetunion nährt weiterhin die Befürchtung vieler westlicher Politiker, daß seit dem Abschluß des deutsch-sowjetischen Vertrages eine Art Wettlauf zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland um die Gunst Moskaus beginnen werde. Wenn auch die offizielle Politik in den USA und in Frankreich den Moskau-Vertrag als einen Fortschritt auf dem Weg zur polltischen Entspannung in Europa gutheißt, so ist doch die Sorge nicht zu überhören, die in der öffentlichen Meinung der westlichen Mächte Immer wieder durchklingt. Was soll aus der europäischen Zusammenarbeit werden, was aus Europas Verteidigungswillen, wenn die Gefahr aus dem Osten als Schimäre hingestellt wird?
Im ersten Artikel über das Huma-nismusgespräch in Salzburg brachten wir die Stellungnahme von Max Horkheimer und Ernst Bloch. Der eine will an die Stelle Gottes die Sehnsucht nach dem Absoluten setzen, der andere klammert sich an die Hoffnung, daß die Humanisierung der Gesellschaft das Satanische in der Welt überwinden werde. Völlig im Gegensatz zu diesen beiden verfocht der Heidelberger Philosoph Karl Löwith die einmalige Sendung Jesu Christi and wies auf den radikalen Widerspruch zwischen Christentum und moderner Welt hin. Christentum ist Verheißung, aber nicht auf das Diesseits bezogen, sondern auf das Jenseits.
Die Wahlen am vergangenen Sonntag galten als Testwahlen. Was sollten sie testen? Ob der Trend nach links anhält? Ob die Bevölkerung in der ÖVP-Politik eine Alternative zur SPÖ-Minder-heitsregierung erblickt? Ob die Politik der Freiheitlichen nach dem 1. März von deren Wählern akzeptiert wurde?
Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Bainer Bärzel, wird nach mehreren Aussprachen mit der Bundesregierung über die im Zusammenhang mit dem deutsch-sowjetischen Vertrag stehenden Probleme klären, ob seine Fraktion dem Vertragswerk im Bundestag zustimmen kann. Die Entscheidung hängt in erster Linie von der Lösung des Berlin-Problems ab, weil sich hier zeigen wird, ob die Sowjetunion das Prinzip des Status quo auch für die andere Seite anerkennt, das heißt, die gewachsenen Bindungen zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin zur Kenntnis nimmt. Das würde bedeuten, daß die außenpolitische Vertretung Berlins über die Delegierung durch die Westmächte der deutschen Bundesregierung zufällt, und somit Berlin in die ibternationalen Verträge der Bundesrepublik einbezogen wird.
Mit Entsetzen und Empörung reagierte die Weltöffentlichkeit gegen das Festhalten von hunderten Flugpassagieren auf dem Wüstenflugplatz Zerka bei Amman durch Angehörige der linksradikalen arabischen Guerillaorganisation „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP). Bei den Leidtragenden handelte es sich um Männer, Frauen und Kinder, die insgesamt überhaupt in keinem Zusammenhang stehen mit den Ereignissen, die sich in Vorderasien zwischen Israel und den arabischen Staaten abspielen. Gegenüber der Sorge, was mit den Passagieren geschehen wird, wog die Sprengung der drei entführten Flugzeuge gerine.
Jean-Jacques Servan-Schreiber ist seit 1953 Herausgeber der französischen Wochenzeitung „L'Express“. Im Jahre 1968 kam sein Buch „Die amerikanische Herausforderung“ auf den Markt und machte den Autor über Nacht berühmt. Das Buch war ein Aufruf an die Europäer, alte Vorstellungen fallenzulassen und gemeinsam die wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Anforderungen zu bewältigen, damit Europa nicht zur amerikanischen Kolonie herabsinkt.
Die Entscheidung, wer die Nachfolge Dr. Withalms als Klubobmann antreten soll, wurde dem Parlamentsklub der ÖVP überlassen. Nicht die Tatsache als solche stimmt bedenklich, denn es ist absolut in Ordnung, daß der Klub selbst seinen Obmann wählt. Bedenklich hingegen stimmen die Randerscheinungen. Da war zunächst der abrupte Rücktritt Doktor Withalms als Klubobmann, der eine Reihe von Fragen auslöste, die sich vor der Landtagswahl in Tirol und der Nachwahl für den Nationalrat in Wien nicht gerade vorteilhaft für die ÖVP auswirken werden. Und da war die Tatsache, daß sich die
Bertram D. Wolfe, Professor an der Stanford-Universität in Kalifornien, ist ein profunder Kenner der sowjetischen Geschichte und Literatur, was schon seine bisherigen Bücher bewiesen, vor allem das 1951 erschienene Werk über Lenin, Trotzki und Stalin unter dem Titel „Drei Männer, die die Welt erschütterten“. Im vorliegenden Buch „Brücke und Abgrund“ beschreibt Wolfe die Freundschaft zwischen Maxim Gorki und Lenin und erhärtet die These, daß in einer Diktatur die Künstler, vor allem die Dichter und Schriftsteller, dauernd gefährdet sind: physisch, psychisch und charakterlich.
Im Beethoven-Jahr kann Salzburg nicht umhin, die einzige Oper des Komponisten aufzuführen. Nun ist unser Land seiner konservativen Einstellung wegen bekannt, doch beschert es dafür auch besondere Reize. So hat beispielsweise der Österreicher, genügend Geldmittel vorausgesetzt, die Möglichkeit, im Laufe eines Jahres in Wien und Salzburg drei verschiedene Inszenierungen von Beethovens „Fidelio“ zu erleben und noch dazu unter drei der berühmtesten Dirigenten der Gegenwart, unter Leonard Bernstein, Karl Böhm und Herbert von Karajan. Die Karajansche Interpretation steht uns erst zu den Osterspielen 1971 bevor.Freilich, von Nietzsches Satz: „Genießen macht gemein“ sind wir schon längst abgerückt. Eine Generation, die ständig von Angstträumen geplagt wird, irgendein Irrtum oder Verbrechen könnte die Atombombe zur Erpressung oder zur Menschheitsvernichtung verwenden, mag das Recht des Genießens für sich in Anspruch nehmen, auch wenn der Gegensatz von Armut und Reichtum, Unterdrückung und Freiheit noch niemals so kraß in Erscheinimg trat. Und so ist auch „Fidelio“, von Beethoven als Protest gegen Terror und als Freiheitsfanal konzipiert, in erster Linie ein Stilproblem geworden.
Am 26. JuM begannen die Salzburger Festspiele mit Aufführungen von „Jedermann“ und „Fidelio“. 50 Jahre Salzburger Festspiele und die 200. Wiederkehr von Beethovens Geburtsjahr. Jubiläum um Jubiläum. Nun ist es immerhin ein Zeichen von Lebenskraft, wenn Festspiele ein halbes Jahrhundert überdauern. Ausgenommen im Jahre 1944, als sie aus kriegstechnischen Gründen nicht stattfanden, blieb die Kontinuität der Salzburger Festspiele bewahrt. Auch behaupten sie, wenn man von den völlig anders gearteten Bayreuther Festspielen absieht, den Spitzenplatz in dem von Jahr zu Jahr wachsenden
Am 26. Juli wird der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Walter Scheel, mit dem größten Gefolge, das je einen deutschen Außenminister begleitet hat, nach Moskau reisen, um hier mit seinem sowjetischen Kollegen Gromyko über das Gewaltverzichtsabkommen zu verhandeln. Dieses Abkommen aber ist zum größten Zankapfel der deutschen Innenpolitik geworden und scheint den Bürgern in der Bundesrepublik nach einem verlorenen Weltkrieg und der Zertrümmerung der deutschen Einheit nun neuerlich eine nationale Krise größten Ausmaßes zu bescheren.Während es allgemein zur Regel in der Außenpolitik gehört, an diffizile Fragen mit äußerster Behutsamkeit heranzugehen, machte die Regierung Brandt die schwierigste außenpolitische Frage überhaupt, das deutsch-sowjetische Verhältnis, zu einer innerpolitischen Kampffrage.
Nach dem Ende der Frühjahrs-Session des Parlaments erklärte der Obmann der ÖVP, Dr. Withalm, in einer Pressekonferenz, daß er die Minderheitsregierung als ein Unglück für die demokratische Entwicklung in Österreich erachte. Zweifellos ist diese Formulierung zu hart. Außerdem trägt die ÖVP einen Teil der Schuld, daß es zu dieser Regierung kam; ja noch mehr, sie zeigte sich in den vergangenen Monaten keineswegs als eine geschlossene Partei, deren Führung zielbewußt ihren Weg geht und eine echte Alternative zur Minderheitsregierung anbietet. Vielmehr hat der neutrale Beobachter das
Die Wiener Tagespresse befindet sich seit langem in einer Krise. Von den neun Tageszeitungen werden sieben subventioniert, was keines weiteren Kommentars bedarf. Was aber noch bedenklicher stimmt, ist die Tatsache, daß von den vier Boulevardzeitungen gleichfalls zwei subventioniert werden müssen, was im Grunde ein Unfug ist, weil Boulevardzeitungen nach rein kommerziellen Überlegungen gestaltet werden. Defizitäre Boulevardzeitungen besitzen deshalb keine Daseinsberechtigung.Doch nicht die Boulevardzeitungen sind die eigentliche Crux der Wiener Tageszeitungen. Sie gehören einfach in das
Im Jahre 1632 brach im bayerischen Oberammergau die Pest aus. Um ihrem Wüten Einhalt zu gebieten, gelobte der Rat der Gemeinde, alle zehn Jahre ein Passionsspiel aufzuführen. Zu jener Zeit hielt die Bevölkerung die Pest für eine Gottesgeißel und glaubte deshalb, mit einem derartigen Gelöbnis Gottes Zorn zu besänftigen. Tatsächlich, so berichtet die Chronik, hörte das Wüten der Seuche auf, und Oberammer-gaus Bürger konnten schon 1634 zum erstenmal ihr Gelübde einlösen. Im Jahre 1674 beschloß die Gemeinde, das nächste Spiel auf das Jahr 1680 vorzuverlegen, um von diesem Zeitpunkt
Vergangene Woche hat der Oberste Gerichtshof die Nichtigkeitsbeschwerde des Wiener Landtagsab-geordneten Franz Olah verworfen, womit das im Vorjahr gefällte Urteil von einem Jahr Kerker wegen Betrugs rechtskräftig wurde. Der Fall Olah ist kein Justizirrtum, wohl aber eine menschliche Tragödie. Und politisch wird keiner, der sich mit dem Fall beschäftigt, ein gewisses Unbehagen los.Jeder im Lande, auch der Richter, weiß, wie finanzielle Transaktionen auf dem Gebiet der Politik hierzulande, aber auch anderswo durchgeführt werden. Wenn der Vertreter des Obersten Gerichtshofes von „einem
Die Art, wie das Rundfunkgesetz im Jahre 1967 zustande kam, ist die Ursache, weshalb die SPÖ eine so mißtrauische Haltung gegenüber dem ORF einnimmt, obwohl sie in diesen vier Jahren der Rundfunkreform wenig Grund besitzt, auf den ORF böse zu sein. Das RundfunkVolksbegehren wurde in erster Linie von den unabhängigen Zeitungen propagiert, und diese Zeitungen nahmen auch einen wesentlichen Einfluß auf die Gestaltung des Gesetzes und vor allem auf die Besetzung der Position des Generalintendanten.
Der SPÖ-Parteitag in Wien ging ohne äußere Sensation vor sich. Es gab keine schwerwiegenden Auseinandersetrungen, kein Problem, das in den Vordergrund gestellt wurde, keine Kampfansage größeren Ausmaßes. Es war ein Parteitag des Establishments und unterschied sich nicht allzusehr von einem Parteitag der ÖVP. Darin aber lag die eigentliche Bedeutung des SPÖ-Partei-tages.Es begann schon am Mittwoch bei der Eröffnungszeremonie, als die Wiener Philharmoniker mit und unter Leonard Bernstein das erste Klavierkonzert und die Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 von Beethoven spielten. Schon damit wurde
Es gibt mehrere Vorschläge zur Reform der Bundestheater. Bis zum 1. März 1970 besaß das Konzept der „Aktion 20“ die größte Chance, verwirklicht zu werden. Etwas allzu siegessicher berief der letzte Unterrichtsminister der ÖVP-Alleinregie-gierung, Dr. Mock, sechs Wochen vor den Wahlen Dr. Heindl zum Leiter der Bundestheaterverwaltung. Er sollte die Bundestheater im Sinne der Vorschläge der „Aktion 20“ reformieren. Gegen diese Vorschläge werden viele Einwände erhoben, doch im wesentlichen geht es um die Frage, ob die volle Autonomie der Theater oder eine Generalintendanz
Auf dem 13. außerordentlichen Bundesparteitag der ÖVP erfolgte die Wachablöse. Dr. Hermann Withalm wurde mit 321 von 355 gültigen Stimmen (90,4 Prozent) zum Bundesobmann, Dr. Karl Schleinzer mit 309 von 349 gültigen Stimmen (88,5 Prozent) zum Generalsekretär gewählt. Die Stimmung war ein wenig müde, obwohl über drei Stunden von zahlreichen Rednern diskutiert wurde. Die einzige kleine Revolte von seiten junger Delegierter erfolgte wegen der „Manipulation“ der Tagesordnung. Sie wollten die programmatischen Erklärungen des designierten Generalsekretärs vor der Wahl hören. Es kam jedoch zu einer Kompromißlösung. Schleinzer gab als erster Diskussionsredner nach Withalms Rechenschaftsbericht einige programmatische Erklärungen ab. Damit waren die Zornigen beschwichtigt, und der Parteitag lief ohne Zwischenfall ab. Niemand hatte etwas anderes erwartet. Jeder abweichende Vorgang wäre ein Wunder gewesen, doch wer sollte noch an Wunder glauben, nachdem Österreichs Wunderteam 1966 schwungvoll startete und 1970 geschlagen und mit hängenden Köpfen vom Felde zog? Kanp also schon jetzt der Aufschwung kommen?
Grillparzer machte als erster von den vielen Dramatikern, die den „Medea“-Stoft behandelten, ans diesem ein Seelendrama. Aus seinen persönlichen Tagebuchaufzeichnungen wissen wir, daß er kein gutes Gefühl nach der Vollendung des Werkes hatte. Er hielt es zum Teil für mißlungen, vor allem, weil er glaubte, am Riesenstoff, den seine Trilogie „Das goldene Vlies“, deren Abschluß und Krönung „Medea“ bildet, gescheitert zu sein. Das Drama „Medea“ selbst ist problemüberladen: Auf der einen Seite der Zusammenprall zweier Rassen, Kulturen und Lebensstile, auf der anderen Seite die gekränkte, gedemütigte, verlassene und verzweifelte Frau.
Vor dem 1. März, dem Tag der Nationalratswahlen, gab es vier Varianten einer Begierungsbildung nach den Wahlen: eine monochrome Regierung der ÖVP oder SPÖ auf Grund der absoluten Mandatsmehrheit einer dieser Parteien, eine große Koalition und eine kleine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ. Eine andere Kombinationsmöglichkeit sah keiner. Die Chance der kleinen Koalition ÖVP-FPÖ wäre praktisch nur dann gegeben gewesen, wenn die ÖVP die relative Mehrheit errungen und die FPÖ mindestens zwei zusätzliche Mandate gewonnen hätten. In jedem anderen Fall besäße eine Koalition ÖVP-FPÖ eine zu schmale Basis. Sie hätte nicht nur mit der erbittertsten Opposition der SPÖ im Parlament zu rechnen, sondern auch mit einer starken außerparlamentarischen Opposition. Deshalb hatten bisher alle Bundespräsidenten Kombinationen in dieser Bichtung abgelehnt. Im Jahre 1953 beispielsweise Bundespräsident Körner. Damals lautete die Verteilung: 76 ÖVP-, 75 SPÖ- und 14 VDU (Verband der TJnabhängigen)-Man-date. Als Baab, um sich den Bücken gegenüber der SPÖ zu stärken, den VDU zu Verhandlungen einlud und eine Dreier-Koalition ÖVP-SPÖ-VDU in Erwägung zog, erklärte der Bundespräsident, der VDU müßte erst beweisen, daß er eine österreichische und demokratische Partei sei.
Als 1962 die ÖVP um fünf Mandate mehr errang als die SPÖ, forderte sie bei den Verhandlungen zur Bildung einer großen Koalition das Außenministerium zurück, das sie der SPÖ 1959 abzutreten gezwungen war. Die Verhandlungen zogen sich damals monatelang hin, weil Bundespräsident Dr. Schärf unter allen Umständen die große Koalition wünschte. Die Verteilung lautete damals: ÖVP: 81, SPÖ: 76, und FPÖ 8 Mandate. Da sich auf Grund der Haltung des Bundespräsidenten die SPÖ auch damals schon stark machte, begnügte sich die ÖVP mit einigen Kompetenzabtretungen und einem zusätzlichen
Es war das erste Mal in der Geschichte der Zweiten Republik, daß im Osterreichischen Nationalrat Kritik am Staatsoberhaupt geübt wurde, und zwar von Sprechern beider Oppositionsparteien, die zusammen die Mehrheit im Parlament bilden und fast 52 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen. Darüber hinaus wurde der Bundespräsident nicht, \vie üblich, rnit Beifall begrüßt, als er die Präsidentenloge des Parlaments betrat. Das Haus nahm sein Erscheinen nicht zur Kenntnis. Auch dies geschah zum ersten Mal in der Geschichte der Republik.
Die Regierungserklärung Dr. Kreis-kys hätte bei nur wenigen Abänderungen einzelner Punkte und Sprachregelungen auch die Erklärung einer Koalitionsregierung sein können. Daß ein sozialistischer Regierungschef eine akzentuierte Betonung auf die Sozial- und Humanpolitik, auf eine verstärkte Mitbestimmung der Betriebsvertretung und auf die Verbesserung der Ar-r beitsbestimmungen legt, ist naheliegend. Das Ziel, jährlich 5000 Wohnungen mehr zu bauen, wird kaum bei einer anderen parlamentarischen Partei auf Widerstand stoßen. Wie aber die Realisierung dieses Wunsches vor sich gehen soll,
Trotz parteilicher Absprachen, Fairneß im Wahlkampf zu bewahren, wird es der nächste Wahlkampf „in sich“ haben. Und zwar deshalb, weil er, wie fast jeder Wahlkampf in Österreich, ein Kampf auf Leben und Tod sein wird. Jede Partei wird an den Wähler appellieren, daß er sie unter allen Umständen dieses Mal wählen müsse, weil die Freiheit des Landes auf dem Spiel stehe. Nicht das bessere Team, nicht die besseren Argumente oder Programme werden den Ausschlag geben, sondern das geschickteste Aufspüren unterschwelliger Gefühle.
50 Jahre sind seit dem Abschluß des Vertrages von St-Germain vergangen, und allzu viele haben vergessen, welch ein Unglücksdatum in der europäischen Geschichte jener Vertrag vom 10. September 1919 bedeutet. Sicherlich, Europa hat sich in den vergangenen fünf Dekaden so grundlegend verändert, daß uns die Pariser Vororteverträge von 1919 und 1920, die von den Siegermächten mit den besiegten Staaten Deutschland, Österreich und Ungarn abgeschlossen wurden, wie ein fernes, uns kaum mehr berührendes historisches Geschehen anmuten. Ist doch der Staat Österreich, der nach dem Zusammenbruch der Doppelmonarchie als Europas Lazarus dastand, dem fast niemand echte Uberlebenschancen einräumte, und den die Entente- Mächte aus dem Rest des habsburgischen Länderkomplexes nur deshalb schufen, um Deutschland durch den Anschluß der deutschen Gebiete nicht zu stark aus dem verlorenen Krieg hervorgehen zu lassen, nun Traumland jener Völker geworden, deren einstige Führer entscheidend dazu beigetragen haben, daß die habsburgische Staatsschöpfung zertrümmert wurde. So geht die Geschichte ihre eigenen Wege, gleichsam spottend jener politischen Schöpfungen von Menschen, die sich von Haß und nationalen Leidenschaften leiten lassen und mit Blindheit für geschichtliche und gesellschaftliche Entwicklungen geschlagen sind.
Wenn Männer, die Geschichte machten, öder, was des öfteren der Fall ist, eine bedeutende Position in einem geschichtsträchtigen Zeitabschnitt innehaben, auch Geschichte schreiben, so kann das Buch ein dreifaches Interesse erwecken: Es enthält neues Quellenmaterial und trägt damit zur Aufhellung der Ereignisse bei; oder es bringt die Aussage eines großen Staats mannes und bereichert die Menschheit mit neuen Gedanken; oder aber es ist als Aussage eines Menschen interessant, der zwar im Brennpunkt des Geschehens stand, doch nicht schob, sondern selbst geschoben wurde und nicht eigentlich als Akteur, sondern vielmehr als Opfer der tragischen Ereignisse angesehen werden muß