Wie ein Regierungschef sprach KPI-Chef Enrico Berlinguer zwei Stunden lang’im Zentralkomitee seiner Partgi. De£, Kommunistenfül^rer richtete das Augenmerk .auf Italien und seine Probleme, die nach wie vor nur mit tatkräftiger Hilfe der KPI gelöst werden könnten: „Vieles ist in diesem Sinn geleistet worden, mehr noch bleibt zu tun”.Nach Berlinguers Auffassung hätte dem Ausbruch der letzten Regierungskrise zu Beginn dieses Jahres die Aufnahme der KPI als regelrechte Regierungspartei folgen sollen. Auf Grund der Widerstände der Christdemokraten und Sozialdemokraten blieb es
Kein Tag vergeht, da nicht eine italienische Partei oder Zeitung zum „Fall Bucharin“ Stellung bezieht. Vor 40 Jahren ist der bedeutende kommunistische Ideologe Nikolaj Bucharin einer stalinistischen Säuberung zum Opfer gefallen, doch jetzt stellt sich die Frage, ob man im Sog der Vergangenheitsbewältigung nicht auch dem Gedenken dieses Mannes Gerechtigkeit widerfahren lassen müsse.'Anlaß zu einer entsprechenden Rehabilitierung bietet das Bittschreiben des Sohnes - Yuri Larin Bucharin - an die Adresse westlicher kommunistischer Parteien, sie möchten das versäumte nachholen. Mehrere
Leones Demission - ein halbes Jahr vor Ablauf seiner siebenjährigen Amtszeit - beweist einmal mehr, daß außerordentliche Situationen außerordentliche Lösungen erfordern. Italien befindet sich im labüen Gleichgewicht eines neuartigen Herrschaftssystems, dem nach außen hin eine christdemokratische Regierung, nach innen hingegen eine sie in Schach haltende kommunistische Partei vorsteht. In einem solchen DC-Regime von KPI-Gnaden kann von allen Seiten her Druck auf die Machtträger -nicht zuletzt auf das Staatspräsidium -ausgeübt werden. Dies ist jetzt Giovanni Leone zum Verhängnis
Italien ist das einzige Land Westeuropas und der lateinischen Welt mit einer schwergewichtigen und bestens organisierten kommunistischen Partei und einer verhältnismäßig kleinen und wenig schlagkräftigen sozialistischen Partei. Seit den fünfziger Jahren ist die KPI mehr und mehr zum Sammelbek-ken der italienischen Linkskräfte, überhaupt der „Intelligentsia“ geworden. PSI (Partito Socialista Italiano) sah sich von der KPI zusehends ins Eck gedrängt, bis der sozialistische Stimmenanteü mit 9,6 Prozent bei den letzten Parlamentswahlen vor zwei Jahren weniger als ein Drittel des
In Italien hat in den letzten zwei Jahren die Kommunistische Partei den Weg an die Machtbeteiligung im Zeichen des Eurokommunismus verfolgt. Seit dem denkwürdigen 16. März, als Aldo Moro entführt wurde, ist die KPI regelrechte Koalitionspartei: Würden die Kommunisten dem vierten Kabinett Andreotti das damals ausgesprochene Vertrauen entziehen, so würde die Regierung ihres wichtigsten Rückhaltes entbehren und müßte zurücktreten. Niemand darf behaupten, die KPI hätte zur Erreichung dieses Zieles - bisher der bloßen Machtbeteiligung - physische Gewalt angewendet. Freilich sind von
Die Botschaft Nr. 8 der Roten Brigaden hat einen jähen Strich unter weitverbreitete italienische Hoffnungen der letzten Tage und Stunden gezogen. Indem die Terroristen für Moros Entlassung aus dem sogenannten Volksgefängnis die Befreiung von nicht weniger als 12 Leidensgenossen aus verschiedenen Strafanstalten verlangen, unter ihnen auch den gefürchteten Rotbrigadistenführer Renato Curcio, haben sie zunächst Papst Pauls Appell zu einer bedingungslosen Freilassung des DC-Präsidenten in den Wind geschlagen. Noch schwerer wiegt - zumindest für den italienischen Staat -die Forderung der
Der „Tagesbefehl“ der Roten Brigaden -mit dem Moro-Photo der Römer Zeitung „II Messaggero“ zur Verfügung gestellt - verdient in vollem Umfang veröffentlicht, wenigstens genau analysiert zu werden. Er bietet die Handhabe für das Verständnis eines großen Teils des heutigen Terrorismus und weitverbreiteten Verbrechertums. Lange ist es her, daß ein Sträfling aus der Reihe der Kriminellen auf den das Regina-Coeli-Gefängnis besuchenden Johannes XXIII. zuging und den Papst fragte: „Heiligkeit, ich bin ein Mörder, habe auch ich Aussicht, in den Himmel zu kommen?“ Papst Johannes XXIH. umarmte daraufhin den Mörder und bekundete mit seiner großen Geste, wie groß das Verzeihen gegenüber der Reue sein kann. Was aber dann, wenn sich der Mensch eine gottähnliche Stellung anmaßt und richtet, nachdem er bereits gerichtet hat?
Der 4. März 1978 dürfte als historischer Tag in die Geschichte des italienischen Staates eingehen. Denn an diesem denkwürdigen Tag ist die Kommunistische Partei Italiens nach neunundzwanzigjähriger Opposition und zweijähriger Stimmenthaltung gegenüber 33 von Christdemokraten geführten Regierungen wiederum Koalitionspartei geworden. Die KPI wird also das vierte Kabinett Andreotti neben Sozialisten, Sozialdemokraten, Republikanern und Christdemokraten im Parlament unterstützen, vorderhand aber noch keine Minister stellen.Millionen Menschen in Ost und West haben jetzt allen Grund, sich zu
Viele in Südtirol lebende Italiener bereuen es jetzt, in der Schule beim obligatorischen Deutschunterricht nicht aufgepaßt zu haben oder gar mit des Lehrers Blick zum Himmel oder seinem Augenzwinkern der Deutschklasse ferngeblieben zu sein. Die schrittweise Anwendung des sogenannten „Paketes der Zugeständnisse“ Roms an die Südtiroler Bevölkerung ist bereits dort angelangt, wo die geringen Kenntnisse der zweiten Sprache sich verhängnisvoll auswirken können.Jahrzehntelang haben die deutschsprachigen Südtiroler um ihre Autonomierechte gerungen. Unter Mussolini waren sie auf verlorenem
Politisch interessierte Italiener fragen sich nach den jüngsten Ereignissen, ob das beste Argument der Eurokommunisten noch aufrechterhalten werden kann: Bekanntlich war die KPI von Kriegsende bis Mai 1947 Regierungspartei und ist nachher vom christdemokratischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi in die Opposition abgedrängt worden. Wenn 30 Jahre später hartgesottene Antikom-munisten behaupten, die KPI-Macht-beteiligung sei eine Einbahnstraße und die Kommunisten würden sich, einmal mit Ministern in der Regierung, nicht mehr ausmanövrieren beziehungsweise abwählen lassen, konnten
Das jetzige Ringen der italienischen Parteien, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Massenmedien und anderer Pressure Groups um eine neue Regierung kann mit dem Treiben auf irgendeinem Marktplatz des Stiefellandes verglichen werden: Wo kein Preis für voll genommen werden muß und alles im Blick auf Kauf und Verkauf der Ware zur Diskussion gestellt werden kann und eine Rolle spielt.
In Rom gilt es als Gemeinplatz, daß die am 16. Jänner ausgebrochene Regierungskrise alles andere als eine Kürzschlußhandlung gewesen sei. Zwar haben die drei großen Linksgewerkschaften auf Mitte Jänner einen Generalstreik angekündigt, und vor neun Jahren reichte eine solche Ankündigung bereits aus, daß der damalige christlichdemokratische Ministerpräsident Mariano Rumor kurzerhand seinen Hut genommen hatte. Der jetzige Kabinettssturz schien aber von langer Hand vorbereitet gewesen zu sein: Der Republikanerführer La Malva hatte die Krise bereits vor vier Monaten als politisches
Nach seinem großen Sieg“ hält es Diktator Pinochet nicht mehr für erforderlich, vor 1988 neue Wahlen durchzuführen. Die demokratische Welt protestiert geschlossen gegen die Anfang des Jahres durchgeführten manipulierten Wahlen, davon dürften die betroffenen Chilenen jedoch kaum etwas erfahren haben.Italien scheint nicht nur geographisch, sondern auch ideologisch-politisch auf der anderen Seite der Erdkugel und des politischen Machtkampfes zu liegen. In Rom re-gierte Andreotti auf Gnaden der KPI und wird alles Faschistische als Inbegriff des Teuflischen hingestellt. Das geht soweit,
Die bedeutendste katholische Zeitung in Italien ist natürlich „Osserva- tore Romano“. Das Sprachrohr des Vatikans wird zwar im Kirchenstaat redigiert und gedruckt, hat jedoch seine größte Verbreitung im umliegenden Italien. Wer über die Vorgänge im Vatikan Bescheid wissen möchte, muß diese Zeitung Tag für Tag konsultieren, aber auch zwischen den Zeilen zu lesen verstehen.Nicht so populär und trotzdem viel beachtet ist die katholische Zeitung „Awenire“. Richtet „Osservatore Romano“ sein Augenmerk auf die Buchhaltung des kürzlich Geschehenen, so befaßt sich diese seit 1968
Drei Ereignisse haben - unabhängig voneinander - die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung Italiens, auf sich gezogen und machen noch immer Schlagzeilen in der Tagespresse: In Turin schossen linksextreme Terroristen auf die Beine eines Journalisten der kommunistischen Zeitung „L’Uni- tä”. Ungefähr zur gleichen Zeit bot KPI-Chef Berlinguer in der großen Massenkundgebung zum Abschluß des „Festival de L’Unitä” in Modena den bürgerlichen Parteien seinen „Historischen Kompromiß” an. In Rom begab sich Ministerpräsident Julio Andreotti zu Staatspräsident Leone, um ihm den
Seit dem Zweiten Weltkrieg weist Italien zahlreiche Merkmale eines Zweiparteiensystems auf. Besser würde man allerdings von einem „Zweiblocksystem” oder einer Bipo- larität der politischen Kräfte sprechen. Die Vielzahl der Parteien kann letztlich auf zwei große Blöcke, einen bürgerlichen um die Democrazia Cri- stiana und einen Linksblock um die KPI zurückgeführt werden. Diesen beiden Blöcken steht die „Italienische Soziale Bewegung” (Movimento Sociale Italiano) als Sammelbecken der Rechtsextremen gegenüber. Italiens Zweiblocksystem war bisher insofern „unvollkommen”, als
Bis zum 12. April 1977 sind seit dem Jahre 1955 in Italien 327 Personen entführt worden. Nach Bezahlung eines mehr oder minder gewichtigen Lösegeldes wurden 296 Entführte wieder befreit. Diese Statistik stammt aus dem Innenministerium, das seit 12 Jahren über Menschenraub Buch führt und dabei gewisse Tendenzen festhält: Zunächst handelte es sich um ein sardisches Phänomen mit fast folk- loristischen Aspekten, die den einen und den anderen Romanschriftsteller und Filmregisseur zur Bearbeitung dieses Sujets animierten.22 Jahre nach der Verschleppung des Großgrundbesitzers Pierino Cra-
„Vom ökonomischen Standpunkt aus gesehen, sind die italienischen Gemeinden nichts als Unternehmen, die errichtet wurden, um Verluste zu erleiden.” Der so sprach, ist kein Witzbold, auch kein „Schmähtandler”, sondern der stellvertretende Bürgermeister von Palermo, Salvatore Gua- dagno. Er wollte kein Bonmot prägen. Er sagte es mit todernstem Gesicht- so ernst, wie ein Italiener nur in die Welt blicken kann. Und für seinen kategorischen Satz bot er auch eine stichhaltige Begründung: „Rom, das heißt, der italienische Staat, delegiert an die Gemeinden so viele Aufgaben, die diese
Das Schöne und Festliche einer Italien-Berichterstattung besteht darin, daß das meiste nicht greifbar ist und das, was greifbar ist, zu irrigen Annahmen und Schlußfolgerungen verleitet. Das Bild des Eisberges drängt sich auf: sichtbar ist nur ein Sechstel dessen, was unter der Oberfläche verborgen ist, das aber den ganzen gefrorenen Riesen trägt.Schön ist die Italien-Berichterstattung, weü sie den Korrespondenten dazu anhält, nach dem Wesentlichen Ausschäu zu halten, nach dem, was dieDinge zusammenhält. Festlich ist sie, weil eine solche „Erforschung der Urgründe“ die
Die von echten und unechten Studenten zwei Wochen lang besetzte und schließlich aufgegebene Universitätsstadt Roms bietet ein trostloses Bild: Hörsäle sind verwüstet, Wände sind mit Aufschriften gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung und die „feudalistischen Barone” - gemeint sind damit die Ordinarien - beschmiert, da und dort fehlt ein Katheder, den man auf die Straße geworfen und dem Feuer übergeben hat. Ein Laboratorium ist um 50 Mikroskope im Wert von insgesamt 50 Millionen Lire erleichtert worden.Der angerichtete Schaden wird auf eine halbe Milliarde Lire geschätzt.
Ihre stimmenthaltung im Parlament kommt die KPI immer teurer zu stehen. Sie hat größte Mühe, die Arbeiter bei der Stange zu halten und dürfte die meisten Studenten und Mittelschüler bereits verloren haben. Jeder kann sich an den Fingern abzählen, daß die Regierung Andreotti von der wohlwollenden Stimmenthaltung der kommunistischen Parlamentarier lebt. Wer nicht mehr an die organische Universitätsreform glaubt und vergeblich auf eine Revolution durch die KPI wartet, der verschreibt sich leicht einer der extremistischen Links- oder Rechtsparteien, der Partei der Proletarischen Einheit
ln Mailands Volksschulen ist neues didaktisches Material eingetroffen. Es bereitet die Kinder von Anfang an auf den Klassenkampf vor und beginnt - ivie könnte es auch anders sein? - beim Alphabet. Die Zeiten sind vorüber, in denen es naiv und idyllisch heißen durfte: „a” wie ape (Biene), „b” wie barca (Schiff), „z” wie zio (Onkel). Die lombardische Stadt hat jetzt bewiesen, daß sie nicht umsonst eine kommunistisch-linkssozialistische Verwaltung besitzt. Jetzt heißt es da: „z” wie zapata (Revolutionär), „l” wie Luther King (der Neger- Märtyrer, nicht Martin Luther,
Wir besitzen noch nicht den zeitlichen Abstand, um 1976 mit Fug und Recht als Schicksalsjahr Italiens bezeichnen ‘ zu können. Einerseits hat sich zwar sehr viel ereignet, das die. Zukunft maßgebend bestimmen und Geschichte machen könnte, anderseits sind gerade im Sommer 1976 durch den Ausgang der vorgezogenen Parlamentswahlen manche linke Hoffnungen auf eine totale Umwälzung und einen Regimewechsel betrogen worden. Die besonders von den Linkssozialisten propagierte Alternative einer Ablösung der diesjährigen christ- demokratischen Vorherrschaft konnte nicht verwirklicht werden. Einmal
Italien ist im Begriff, eine Parteiherrschaft (Partitocrazia) durch eine Parlamentsherrschaft (Parlamentocrazia) zu ersetzen. Lange Jahre hindurch machten die Regierungsparteien, allen voran die Democrazia Cristiana, das gute und schlechte Wetter. Kabinette wurden nach Lust und Laune der Parteileitungen eingesetzt und abberufen. Sie konnten es tun, weil die Regierungsparteien im Abgeordnetenhaus und im Senat über parlamentarische Mehrheiten verfügten, die auf Parteiparolen hin Dekrete und Gesetze guthießen, Kabinette über Wasser hielten oder in die Wüste schickten. Gelegentlich gingen „franchi tiratori“ (Heckenschützen) ihre eigenen Wege, doch das waren nur Schönheitsfehler der sonst wenigstens formell gut funktionierenden parlamentarischen Demokratie.
Seit Jahren verbraucht sich Italien in der Totalität zweier Parteien. Man hat ausgerechnet, daß die christdemokratischen Machthaber seit 1958 mehr Zeit verwenden, auf die Einwirkungen der kommunistischen Opposition zu reagieren, als das Land wirklich zu regieren. Aus Angst, mit den ihr benachbarten Parteien die Mehrheit“ im Parlament zu verlieren, ließ sich die christdemokratische Partei zu allerlei Zugeständnissen an Linkssozialisten und Kommunisten verleiten. So wurde die KPI, gleichsam durch die Hintertür, längst zu einer Art von inoffizieller Regierungspartei.
Halten die meisten Jugendlichen in Italien ein mehr oder minder verdautes marxistisches Gedankengut hoch, so heißt dies keineswegs, daß sie allesamt auf Seiten der KPI stünden und sich dieser Partei mit Haut und Haar verschrieben hätten. Die Vielzahl der Linksparteien in diesem Lande bringt es mit sich, daß zahlreiche 15- bis 25jährige sich von einer anderen Gruppierung zur Linken oder zur Rechten der KPI besser vertreten sehen.
Am 20. und 21. Juni werden 41,8 Millionen Italiener und Italienerinnen an die Urnen gerufen werden, um ihre Parlamentsvertreter zu wählen. Viel spricht dafür, daß diese Auseinandersetzung in einen Zweikampf zwischen Christdemokraten und Kommunisten ausarten und die KPI an Stelle der Demo-crazia Cristiana als stärkste Partei aus den baldigen Wahlen hervorgehen wird. Gelingt es der KPI, im Verein mit den ihr zuneigenden Linkssozialisten, mehr als die Hälfte der Stimmen, vielleicht sogar 55 Prozent, zu gewinnen, so wäre eine Volksfront-Regierung unumgänglich, meinen viele Italiener und sehen die Stunde eines grundlegenden Regime-Wechsels nahen. Andere Beobachter verweisen auf die bisherige Stabilität des italienischen Elektorates, das selbst unter veränderten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen seine Vorlieben nur wenig, jedenfalls nie sprungartig geändert hat und deshalb der KPI höchstens nach Jahren, über mehrere Urnengänge die Chance zu einer „friedlichen“ Machtergreifung durch den Wahlzettel einräumen könnte.
In seinen „Welthistorischen Betrachtungen“ hat der Basler Historiker Jakob Burckhardt vor 100 Jahren die Unterscheidung zwischen beschleunigten und ruhigen Perioden getroffen. Manchmal geschieht in wenigen Monaten und Jahren weit mehr als in Jahrzehnten und Jahrhunderten. In der Französischen Revolution wurde 1789 fast über Nacht eine feudalistisch-absolutistische Gesellsohafts- und Staatsordnung weggefegt, die in ihrer Art, der Vorherrschaft des Adels, mehr als tausend Jashre bestanden hatte.Heute stellt sich die Frage, ob der Italienische Staat wiederum, genau das dritte Mal seit
„Nach der Welterschaffung besichtigte der liebe Gott sein Werk, auch die Apenninenhalb-insel, und fand, daß sie allzu viele Vorzüge auf sich vereinigte. So korrigierte der Allgerechte die Schöpfung und erschuf die Italiener.“ So die „Italienische Wochenschau“ im September 75.
Während die Christdemokraten nicht recht wissen, ob sie die KPI in die Regierungskoalition aufnehmen sollen und wie eine solche Zusammenarbeit erfolgen könnte, ohne die demokratischen Staatseinrichtungen in Frage zu stellen, sprach sich Ministerpräsident Moro in einer Rede zur Eröffnung der Levante-Industriemesse in Bari für eine vorsichtige totale Linksöffnung aus. Fortan soll die Regierungspolitik nicht nur mit den Gewerkschaften, sondern auch mit der kommunistischen Partei abgesprochen werden. Nur so könne ein abermals heißer Herbst verhütet und könnten die Verhandlungen mit den
Italiens Gemeinde-, - Provinz- und Regionalverwaltungen heißen Grünte. Sie sind das, «was die Spanier „Juntas“ nennen. Seit den Wahlen vom 15. Juni sinddie Italiener“ mit der Bildung ihrer Behörden in der Peripherie beschäftigt. Dabei zeichnen sich zwei Tendenzen ab: nämlich Seitensprünge nach links zu machen, die d,en Parteizentralen in der Hauptstadt gar nicht in den Kram passen, und die Genugtuung der Angehörigen kleiner Linksparteien, an Seiten der KPI die Democräzia Cri-stiana in die Opposition zu versetzen.. Die Abklärung dieser beiden Tendenzen ist eine halbe Wissenschaft. Ja, Geheimwissenschaft, die sogenannte „Giuntologia“. Sachverständige der „Giuntologia“ sind heute wichtiger als die Spezialisten der „Gorren-tologie“, der hohen Wissenschaft der Parteiströmungen.
Italien hat sich' vorn Schock eines erheblichen Stimmenzuwachses der KPI den Regional-, Provinz- und Gemeindewahlen vom 15. Juni noch nicht erholt. Bei den linksextremen Parteien herrscht ttochstinimung und nicht' wenige Genossen wittern Morgenluffc,, Jp^idiich, so könnte man in ihrer Mitte meinen, sind dife Kommunisten an der Reihe, die Geschicke des Landes zu bestimmen, und zwar nicht mehr auf die indirekte Weise, durch hartnäckige Opposition, sondern gleichsam im Vorzimmer der Macht, durch direkte Einflußnahme imd .baldige Übernahme von Regierungsverantwortung.
Seit dem 12. Mai 1974, als sie — zu ihrer eigenen Überraschung — im Referendum den Kampf um die Beibehaltung der Ehescheidung mit 60 Prozent der Stimmbürger im Rücken gewannen, wittern die kirchlich nicht-gebundenen Parteien Italiens Morgenluft. Prominente Vertreter dieser sogenannten Laienparteien sind überzeugt, daß der Hegemonie der Democrazia Cristiana im italienischen Staat die Stunde geschlagen habe und daß mit einer Art von Laienblock die christdemokratische Vorherrschaft bald gebrochen werden könne.
1974 wird wahrscheinlich als „Jahr geplanter, dann aber in letzter Minute verschobener Staatstreiche” in die italienische Geschichte eingehen. Bereits in der Nacht vom 7. zum 8. Dezember 1970 hieß es, hätten ein paar Stürmer und Dränger um den Fürsten Valerio Borghese, Ex-Chef der „X-mas”-Schlägertruppe, den Viminale-Palast besetzt gehalten, dann aber vergeblich auf den Alarm zur allgemeinen Volkserhebung gewartet.
In der Geschichte jedes Volkes gibt es Episoden, die seinen Charakter in gleichsam konzentrierter Form zum Ausdruck bringen. Von einem solchen Vorfall berichtet Indro Montanelli, Italiens berühmtestes „böses Maul”, in einem Buch, das er vorsorglich nicht in seiner Muttersprache veröffentlichte: Nach der Landung alliierter Truppen an der sizilianischen Küste wollte ein englischer Offizier die Übergabe eines deutsch-italienischen Vorpostens besprechen. Der deutsche Korporal weigerte sich, den Feind zu empfangen; sein italienischer Kollege meinte hingegen, man müsse erst hören, was dieser zu sagen habe. Darauf erwiderte der Deutsche: „Wir haben den Befehl, zu kämpfen bis zum Tode.” Und der Italiener: „Ja, genau bis zum Tode, doch diesen ausgenommen.”
Italien bietet in diesen Tagen ein widersprüchliches Bild: Während alle Verantwortlichen, vom Staatspräsidenten bis zum letzten Kommentator einer Provinzzeitung, das Wort vom „Staatsbankrott“ im Munde führen und Guido Carlis Denkerstirn wegen des 5,5-MHliarden-Defizits in seiner letzten Zahlungsbilanz von tiefen Sorgenfalten durchfurcht ist, interessiert sich der Mann auf der Straße im allgemeinen weit mehr für Fußballweltmeisterschaften als für die wirtschaftliche Misere.
Geschlossene Tankstellen, kein Benzin für tausende Touristen und eine ernste Gefährdung des Ferragosta — des traditionellen italienischen Ferienbeginns: so präsentiert sich das Sonnenland am Apennin mitten in diesem Sommer.
Italiens neue Mitte-Links-Regierung ist wahrhaftig nicht zu beneiden. Denn dem Druck der Tankstellenunternehmer steht auf der anderen Seite der sozialen Barrikade eine immer mißmutiger werdende Arbeitnehmerschaft gegenüber, die unter der Inflation am stärksten leidet. Diesem Druck von links und rechts, von oben und unten, von Unternehmern und Gewerkschaften versucht die Regierung mit massiven und demonstrativen Aktionen zu begegnen; ob sie sich durchsetzen kann, wird über ihr Schicksal bestimmen — aber auch über die Chance der demokratischen Kräfte. Kommunisten und Rechtsextremisten stehen bereit.
Der Beschluß des zweiten Kabinetts Andreotti, die Mehrwertsteuer am 1. Jänner 1973 in Kraft treten zu lassen und damit endlich dem Beispiel der übrigen Länder des Gemeinsamen Marktes zu folgen, hat in Italien viele Gegner und einige Befürworter gefunden. Zahlreiche Sachverständige geben zu bedenken, daß diese neue Steuer, wenn sie die bisherige Umsatzsteuer ablösen soll, für die italienische Wirtschaft eine zusätzliche Belastung darstellt, die sie lediglich mit großer Mühe verkraften kann.Nur wenige sehen die „economia“ bereits über den Berg der dreijährigen Krise, wenn auch
Die aus den Ferien zurückgekehrten Italiener finden in diesen Tagen besonders in den Großstädten die Lebensmittelpreise dermaßen erhöht, daß die jüngsten Erinnerungen vom am Meeresstrand oder in den Bergen verbrachten Urlaub bald vergessen sind. Seit Ende Juli sind zahlreiche Produkte um 5 bis 15 Prozent kostspieliger geworden. War die Teuerung vorher beträchtlich, so konnte sie seit Beginn des Ferragosto-Ferien-monats als galoppierend bezeichnet werden. Brot, Fleisch und Früchte kosten heute 30 Prozent, Schinken, Käse, Milch 15 bis 20 Prozent, öl, Wein, Kleider 10 Prozent mehr als vor Jahresfrist.
Ohne ein einziges Mal von kommunistischer oder neofasohistischer Seite unterbrochen zu werdein, verlas Ministerpräsident Giulio Andreotti während 50 Minuten das Regierungsprogramm seines zweiten Kabinetts. Umringt von seinen 26 Ministern und 56 Unterstaatssekretären, betonte der Regierungschef eingangs, daß ein Ministerium danach beurteilt werden wolle, was es wirklich tut, und nicht nach irgendwelchen ihm unterschobenen Vorstellungen. Und dann präsentierte er ein Programm, das jeder Halto-linksregierung hätte zur Ehre gereichen können. Das aus Liberalen, Christdemokraten und
Die Vermutungen der letzten Tage, der letzte Ministerpräsident der fünften Legislatur, Giulio Andreotti, werde der erste Regierungschef der sechsten Legislatur sein und damit sein eigener Nachfolger werden, haben sich bewahrheitet.
Mit gemischten Gefühlen haben die Italiener die Veröffentlichung des 1262 Seiten starken Untersuchungsberichtes der parlamentarischen Kommission zur Bekämpfung der Mafia auf Sizilien zur Kenntnis genommen. Daß diese Publikation der 1968 eingesetzten sogenannten „AntiMafia-Kommission“ so lange auf sich warten ließ und ausgerechnet nach den Parlamentswahlen erfolgte, gibt zu denken. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die Ergebnisse dieses Rechenschaftsberichtes schon seit langem vorlagen, die Kommissionsmitglieder — fast ausnahmslos Politiker — aber ihre Gründe hatten, sie erst
Welche Regierung wird das am 25. Mai zusammentretende neue Parlament bestellen? Andreottis Minderheitenkabinett sah sich Anfang Februar lediglich auf Abruf in den Sattel gehoben. Das christdemokratische Ministerium hatte nur die laufenden Geschäfte zu versehen und im übrigen für einen ruhigen Verlauf des Wahlkampfes zur Abhaltung des vorzeitigen sechsten großen Urnenganges der Nachkriegszeit zu sorgen.
Vier Wochen vor dem großen Urnengang erregt der Kampf um die 945 Sitze im romischen Parlament von Tag zu Tag mehr Aufsehen und erfaßt nun auch die Wähler und Wählerinnen in der Provinz. Geht es am 7. Mai in ganz Italien um die Frage, ob auf Grund des Wahlausganges der Regierungskurs links von der Mitte (centro sinistra) fortgesetzt werden kann oder aber eine Umstrukturierung nach der Mitte, nach rechts oder links ausweichen muß, so sind es in den einzelnen Regionen noch Sonderfragen, die vermehrtes Interesse beanspruchen. In der Hauptstadt Südtirols sieht sich die Südtiroler Volkspartei (SVP) als alleinige Vertretung der deutschsprachigen Bevölkerung zum erstenmal ernstlich in Frage gestellt. Eines der fünf Mandate könnte sie am 7. Mai einbüßen.
Millionen Italiener beschäftigen sich mit der Frage, ob Berlinguers aufsehenerregendes Angebot einer Zusammenarbeit der Kommunistischen Partei Italiens (KP!) mit der Democrazia Cristiana auf Regierungsebene ernstzunehmen sei. Während rechtsstehende Christlichdemokraten und die im nationalen Rechtsblock zusammengefaßten Neofaschi-sten und Monarchisten sie lediglich als Lockruf des Wolfs im Schafspelz abtun, sind weniger profilierte Politiker und das Heer der Unentschlossenen — sie haben seit 24 Jahren bei jedem Urnengang den Ausschlag gegeben! — offenbar durchaus bereit, das von
In Italien erhitzen sich die Gemüter über ein Urteil, das in Visp in der Schweiz gesprochen wurde. Es ging um Schuld oder Unschuld am Tod von 88 Bauarbeitern, vorwiegend italienischen Gastarbeitern, die am 30. August 1965 mit ihren Baracken und all ihren Geräten unter eineinhalb Millionen Kubikmetern Eis vom Allalingletscher begraben wurden. Der für das Lager der an einem Kraftwerksbau beschäftigten Gastarbeiter gewählte Platz zwischen zwei Gletschermoränen hatte als absolut lawinensicher gegolten, und das war er auch — man hatte allerdings nur an Lawinen, also abgehende Schneemassen,
Das Geschick der Italiener, auch in hoffnungslosen Situationen allem Wehklagen und Geschrei zum Trotz — den Kopf nicht zu verlieren und auf die Füße zu fallen, hat sich auch in diesen Tagen und Wochen bewährt.Vergeblich bemühten sich zunächst Colombo, dann Andreotti, seit dem 15. Jänner irgendeine parlamentarische Regierung links oder rechts von der Mitte zu finden, um von der fünften Legislatur, die normalerweise bis zum Frühjahr 1973 gedauert hätte, zu retten, was zu retten ist. Alle Bemühungen scheiterten am Widerstand der einen oder andern Partei und nicht zuletzt an jenem des
Das Treffen der Führer der OGIL, CISL und UIL-Gewerkschaften in Florenz hat in Italien gemischte Gefühle hinterlassen. Ob bereits am 21. September 1972 jede dieser drei größten italienischen Gewerkschaften den sogenannten Einheitskongreß bestellen und durchführen kann, wie er jetzt beschlossen wurde, ist noch keine ausgemachte Sache. Und ob es im Februar 1973 zur Einberufung der konstituierenden Versammlung der italienischen Einheitsgewerkschaft kommen wird, hängt nach Ansicht der meisten Sachverständigen noch von vielen andern, nidit zuletzt politischen, Faktoren ab.Während die
Nie mehr seit 1957 herrschte in Rom eine solche Europabegeisterung wie anläßlich der Begegnung des Ministerrates der sechs EWG-Länder im Farnesina-Palast und — einen Tag später — im erweiterten Kreise der zehn Mitgliedstaaten des Gemeinsamen Marktes von morgen im Waffensaal des Odes- calchi-Schlosses von Bracciano. Im Bewußtsein des historischen Augenblicks, da die „Vereinigten Staaten von Europa“ gleichsam aus der Taufe gehoben wurden, war mancher Vertreter der europäischen Staaten sichtlich bewegt. Das Odescalchi-Schloß über dem herrlichen vulkanischen See gab den würdigen Rahmen für das Geschehen — vielleicht für einen Markstein in der Geschichte Europas — ab.
War 1961 diesseits und jenseits des Brenners das Jahr der Attentate, wobei in der Herz-Jesu-Nacht Bergfeuer das Zeichen zum „Los- von-Rom“ gaben, so spricht vieles dafür, daß 1971 als Jahr der Beilegung des 53 jährigen Konfliktes zwischen Österreich und Italien in die Geschichte eingehen wird. Mit der Annahme des Verfassungsgesetzes über das sogenannte Paket der italienischen Zugeständnisse an die deutschsprachigen und rätoromanischen Südtiroler durch den römischen Senat ist der Weg für eine wirkliche Freundschaft zwischen den beiden benachbarten Staaten geebnet.Daß das
Der auf den 9. Dezember festgesetzte Beginn der Präsidentschaftwahlen im Montecitorio-Parlaments- gebäude hat nicht die einhellige Zustimmung der Politiker gefunden. Viele hätten einen früheren Zeitpunkt gewünscht, um die Wahl des sechsten Präsidenten der italienischen Republik noch vor den Weihnachtsferien sicherzustellen. Das scheidende Staatsoberhaupt Giuseppe Sarragat ist bekanntlich erst am 28. Dezember 1964, nach 22 vergeblichen Wahlgängen (auch jenem am Heiligen Abend), zum Zuge gekommen. Der Montecitorio- Palast bot damals oft das Schauspiel eines Jahrmarktes. Neben den Namen
Kaum war der traditionelle italienische Ferienmonat Ferragosto zu Ende, und schon hatten die Richter der vierten Abteilung der römischen Strafkammer ein Urteil gefällt, das wahrscheinlich noch lange von sich reden machen wird. Drei Studenten sehen sich zu mehr als einem Jahr Gefängnis verurteilt, weil sie im vergangenen Mai während eines Streiks Arbeitnehmer der römischen Fiat-Filiale mit Gewalt daran gehindert haben, sich an ihren Arbeitsplatz zu begeben. Als die Polizei den Streikbrechern den freien Zugang zu ihrer Arbeitsstätte gewährleisten wollte, kam es zu stundenlangen Schlägereien zwischen fünfzig Studenten und ungefähr gleich vielen Uniformierten.
Das je nach politischem Standpunkt Befürchtete oder Erwartete ist eingetreten: die Democrazia Cri- stiana hat bei den letzte Woche durchgeführten Regional-, Provinzial- und Kommunalwahlen eine empfindliche Niederlage erlitten. Auf der Insel Sizilien erreichten die Verluste der Christlichdemokraten sieben Prozent, auf dem Festland im Schnitt zwei bis vier Prozent. Die Tendenz ist unverkennbar, da auch bei diesem Urnengang das Elektorat im Süden größere Abweichungen als im Norden verzeichnete, also, seinem andersgearteten Temperament und der größeren Unzufriedenheit entsprechend, heftiger
Zehn kommunistische Abgeordnete reichten den beiden Häusern des Parlamentes eine Motion „für die wirksame Bekämpfung der überhandnehmenden Kriminalität“ ein. Zur Abhilfe schlagen die KPI- Vertreter die Reorganisation der Polizei, die Schaffung einer Justizpolizei, erhöhte Löhne und bessere Erziehung der Polizisten vor.Anders der Vorstoß von 130 prominenten Christdemokraten. In einer eigenen Eingabe bezeichnen sie als Gründe der um sich greifenden Kriminalität:• Rasche Verbreitung des Wohlstandes und hektische Suche danach;• Veröffentlichung unzüchtiger Schriften und
Wenn von Italien die Rede ist, schütteln seit geraumer Zeit die Leute unwirsch ihre Köpfe und sagen einander: „Ach, diese ewige Streikerei, sie wird das Land am Ende noch zugrunde richten.“ Die Überzeugung ist weit verbreitet, daß die zu Ausständen auffordernden Gewerkschaften die einzige Schuld für die soziale Unrast in Italien trifft. Als ob es nicht tieferliegende Ursachen für diesen Sachverhalt gäbe, die von den Arbeit- nehmerverbändem lediglich ausgenützt, kaum hingegen hervorgerufen werden.
Die berechtigte Aufregung über den faschistischen Mummenschanz des Fürsten Borghese ließ einige sehr vitale Probleme der italienischen Wirtschaft und des Sozialsystems in den Hintergrund treten. Während nach wie vor Massenarbeitslosigkeit droht und die reiche Oberschicht in ihrer reformfeindlichen Haltung beharrt, gewinnen die Gewerkschaften immer mehr Einfluß auf die Regierung.
Während Marschall Tito Rom einen offiziellen Besuch abstattete, um einer langjährigen engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit durch seine Präsenz die Krone aufzusetzen und die Scharte seiner plötzlich abgesagten Reise vom 10. Dezember auszuwetzen, schickt sich das italienische Parlament auf dem Monte- citorio an, die Frage einer Abänderung des 1929 zwischen Italien und Pius XI. abgeschlossenen Konkordats zu prüfen. Sechs der neun über das ganze Land verbreiteten Parteien reichten der Kammer ihre Vorschläge zur Konkord tsrevision ein.Diese Frage zu lösen, ist allerdings nicht einfach. Es
Die italienische Demokratie war in schwerer Gefahr und gerade die Tatsache, daß diese Gefahr so heftig unterspielt wurde, ist ein Indiz dafür, daß sie keineswegs gebannt ist. Italien ist heute wieder so weit, daß der Kopf Mussolinis unangefochten plakatiert werden kann und der Putschversuch des Fürsten Borghese mag zwar operetterihaft gewesen sein, aber aus Operettenputschen wurde schon oft genug blutige Wirklichkeit. Auch die Linke formiert sich, nicht nur politisch, sondern auch gewerkschaftlich, nun in schlagkräftiger Form. Die Polarisierung schreitet fort, nur Naive halten die Entstehung einer weiteren Diktatur südlich des Brenners für ausgeschlossen. Was dann käme, wären schlechte Zeiten für Demokraten, schlechte Zeiten für Pluralisten.
Colombos Politik der kleinen Schritte sieht sich von Erfolg gekrönt: Die Parteien links von der Mitte billigten seinen Vorschlag, zunächst das Vertrauen des Parlamentes einzuholen und erst nachher das Kabinett umzubilden. Die Vertrauensdebatte in Abgeordnetenhaus und Senat konnte sich nicht an der Frage der Nomination der drei demissionierenden republikanischen Regierungsmitglieder entzünden. Nach halbjähriger gemeinsamer Herrschaft unter Colombos Schutz und Schirm besannen sich die vier Regierungsparteien auf die Vorteile eines Fortbestandes der im August gebildeten Regierung.
In zehn Monaten w’ird Saragats Naehfodger gewählt, doch machen sich Fanfani und Moro schon jetzt die Kandidatur streitig. Erst Anfarag Dezember 1971 erlisdit’das ::siiebe»-jährige Mandat des Staatspräsdden-teh, das Giuseppe Sä>rä>geK niSch 18 vergeblichen Anläufen 1964 er-rungen hat, aber seit einiger Zeit findet hinter deh Kulissen ein zähes Ringen um das höchste Amt der italienischen Republik statt. Drei Kandidaten — Fanfani, Moro und de Martino — bewerben sich mehr oder wendiger offen darum und versuchen sich seit Monaten eine günstige Auagangspositicm für den Einstieg in
Das Ultimatum des stellvertretenden Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Italiens, Berlinguer, an die Adresse der Regierung Colombo, „zur Verteidigung der demokratischen Ordnung einzugreifen, widrigenfalls die antifaschistisdien Kräfte des Volkes nach dem Rechten sehen würden”, ließ Italiens politische öfEentlichkeit aufhorchen. Handelte es sich abermals nur um einen propagandistischen Akt, geht es dem ungekrönten König der KPI wirklich um die Hafenstadt am Stiefelabsatz der Apenninenhalb-insel, oder, darüber hinaus, um das ganze Land?Jähes ErwachenSeit vielen Tagen ist
Viele Anzeichen sprechen dafür, daß nach einem politisch temperierten Herbst Italien einem „heißen Winter“ entgegengeht, vergleichbar dem streiküberladenen „heißen Herbst“ von 1969, als der Wirtschaft 360 Millionen Arbeitsstunden verlorengingen. Kürzlich fand in 11 von 15 Regionen ein vierstündiger Generalstreik statt. Anschließend versuchten die drei großen sozial-kommunistischen, sozialdemokratischen und christlichdemokratischen Gewerkschaften diesen „Generalstreik in Pillenform“ — wie er von seinen Gegnern verächtlich genannt wird — noch in anderen Regionen
Der Beschluß des italienischen Ministerrates, spätestens Anfang Juli 1971 die Haftpflichtversicherung zum Obligatorium für alle Automobilisten zu erklären, stieß lediglich bei einem Teil der Sachverständigen auf eitel Freude. Jene, die ihre Pappenheimer kennen, verweisen auf die paradoxe Tatsache, daß bisher die italienischen Straßen und Autobahnen gerade deshalb verhältnismäßig sicher waren, weil keiner wußte, ob der andere auch versichert sei und dm Falle eines Zusammenstoßes für den Schaden aufkommen könne...Ein gutes Drittel der italienischen Automobilisten, unter ihnen
Bei Tag errichtete und während der Nacht von den Polizeikräften demolierte Barrikaden, mehr oder minder blutige Zusammenstöße zwischen Uniformierten und Demonstranten mit Dutzenden von Verletzten, örtliche Generalstreiks als Protestaktionen gegen die Präsenz tausender Carabinieri — dieser Kleinkrieg von Reggio-Calabria hält die Italiener seit Mltt Juli in Atem. Kein Tag vergeht, an dem die Auseinandersetzung nicht gleichsam eine neue Dimension erhält. Zunächst schien es Reggio-Calabria nur um die Ehre zu gehen, Hauptstadt der am 7. Juni durch Regionalwahlen gebildeten neuen Region
Der italienische Senat hat am 9. Oktober mit 164 gegen 150 Stimmen die Gesetzesvorlage zur Einführung der zivilrechtlichen Ehescheidung angenommen. Elf Monate vorher hatte bereits das Abgeordnetenhaus dieses Gesetz, das der sozialistische Abgeordnete Loris Fortuna eingebracht hatte, angenommen. Für die Scheidung stimmten im Abgeordnetenhaus wie im Senat Sozialisten, Republikaner, Liberale, Kommunisten und Sozialproletarier. Christ-Demokraten, Neo-Faschisten und Monarchisten waren dagegen. Die vom Senat verabschiedete Vorlage unterscheidet sich von dem im Abgeordnetenhaus angenommenen Entwurf
Präsident Nixons zweitägiger Aufenthalt in Rom und Neapel ist der fünfte Besuch eines amerikanischen Präsidenten in Italien. Merkwürdigerweise blieb lediglich Eisenhowers Visite vor elf Jahren ohne nennenswerten kommunistischen Protest. Togliatti sah in „Ike“ weniger den Amerikaner, der auf dem Rücken der damals noch deutlich rechtsstehenden republikanischen Partei ins Weiße Haus gelangte, auch nicht den Exponenten des kalten Krieges auf Seiten der sogenannten freien Welt, sondern den Helden des zweiten Weltkrieges und den Befreier Europas, nicht zuletzt auch Italiens. Im Jahre
Drei Gründe und ein Fragezeichen: Beteiligung am 23. Internationalen Historikerkongreß, verbesserter Start für die Präsidentschaftswahlen, Dank für indirekte Unterstützung „seines“ Regierungskurses. Seit ihrer Bekanntgabe stand die Reise des italienischen Senatspräsidenten Fanfani nach Moskau, wenige Tage nach Außenminister Scheels und Bundeskanzler Brandts Abschluß und feierlicher Unterzeichnung des Gewaltverzichtsvertrages, im Mittelpunkt des politischen Interesses in Italien — soweit die Hitze überhaupt noch ein anderes Interesse als das eigene Wohlbefinden aufkommen
Mit der zahlenmäßig stärksten Regierung decr Nachkriegszeit ist Emilio Colombo vor das Abgeordnetenhaus und den Senat getreten, um noch vor dem Höhepunkt des Feragosto, dem Feste Maria Himmelfahrt (15. August), das Vertrauer der beiden Kammern zu erhalten. Wird der Sitzanteil im Parlament zum Maßstab genommen, so sind die kleineren Parteien der Linkssozialisten, Sozialdemokraten und Republikaner in der Regierung stark übervertreten, die größere Democrazia Chrnstiana hingegen erheblich untervertreten. Die Democrazia Christiana bezahlt also personell die Rechnung für die
Nach Pescara ist es jetzt Reggio di Calabria, die Hafenstadt am Stiefelabsatz der Apenninenhalbinsel, die ein chaotisches Bild der Zerstörung bietet. Und während es in der Adria-Stadt bei den Zusammenstößen zwischen Uniformierten und Demonstranten „nur“ zu Dutzenden von Verletzten und wenigen Verhaftungen kam, sind in Kalabrien jetzt ein Toter, zahlreiche Verhaftungen und Sachschaden von Milliarden Lire zu beklagen.Der Anlaß der kleinen Revolution von Reggio bot, wie in Pescara, die voraussichtliche Einrichtung der Regdonalämter in seiner altehrwür-ddgen Binnenstadt, die hofft, das
Da die Schweizer Garde in Rom auf einen Mindestbestand zusammengeschrumpft ist, sah sich der Kommandant, der Luzerner Oberst Nünlist, genötigt, den Opfersinn seiner Truppe nicht mehr länger auf die Probe zu stellen und mit Unterstützung des vatikanischen Staatssekretariats für Abhilfe zu sorgen. Bestimmend war die Tatsache, daß sich auch andere Organisationen, die nur Schweizer Bürger beschäftigen dürfen, zum Beispiel die Schweizerischen Bundesbahnen, die Schweizer Post und das Grenzwachtcorps seit Jahr und Tag großen Personalproblemen gegenübergestellt sehen, die sie zum Teil mit
Wer vor sieben Monaten, nach Annahme des Gesetzesentwurfes Baslini-Fortuna durch eine kleine Mehrheit des Abgeordnetenhauses, meinte, die Einführung der Ehescheidung ins italienische Zivilrecht sei nur noch eine Sache von Tagen und Wochen, sah sich bald eines besseren belehrt. Wenige Tage vor Ausbruch der Regierungskrise sickerte die Meldung durch, der Vatikan habe bereits 1966 gegen diesen Vorstoß Stellung bezogen und ihn als Verletzung des 1929 zwischen Mussolini und Pius XI. abgeschlossenen Konkordates bezeichnet. Zu Beginn der Debatte über das Ehescheidungsgesetz fanden die italienischen Senatoren ein ölscitiges Elaborat vor, das sämtliche diplomatischen Noten enthält, die seit vier Jahren zwischen der Farnesina, dem Sitz des italienischen Außenministeriums, und dem Heiligen Stuhl ausgetauscht worden sind.
Der vorzeitige Abbruch zahlreicher befristeter und unbefristeter Streiks durch die Gewerkschaften, „um den ruhigen Verlauf der nach dem 7. Juni angesetzten Regionalwahlen zu gewährleisten“, beschert Italien einen 16tägigen Arbeitsfrieden auf Abruf.
Noch ehe das italienische Parlament den Gesetzesentwurf zur Finanzierung der am 7. Juni neu zu bildenden Regionalverwaltungen gutgeheißen hat, ist der Kampf um die damit verbundenen neuen Ämter in vollem Gange. Offenbar wird die Annahme dieses Gesetzesentwurfs von Seiten der Koalitionspartner des linken Zentrums als Selbstverständlichkeit betrachtet und einer allfälligen Obstruktion der Rechtspartei, die sich von Anfang an gegen einen die Zentralgewalt schwächenden Regionalstab ausgesprochen hat, keine Beachtung geschenkt.
Nach Verabschiedung der Ministerlisten und Bestellung der 56 Staatssekretäre konzentrieren sich Mariano Rumors Anstrengungen auf die Programmpunkte seines dritten Kabinetts: die neuen Regionalverwaltungen, die Wirtschaftspolitik, die Strafprozeß-, Fürsorge-, Schul- und Städtebaureform, Südtirol, das Arbeiterstatut, die Amnestie und das Ehescheidungsproblem.Die schon lange in Aussicht gestellten Regionalwahlen werden am 7. Juni über die Bühne gehen. Ihnen erwächst der Beamtenstaat, der sich binnen zweier Jahre aller jener Aufgabenbereiche anzunehmen hat, die kraft Verfassung nach langem