Als Hagen auf den bereits niedergestreckten Siegfried noch zweimal einstach, störten einige Pfui-Rufe die Aufführung, als sei Karl Ridderbusch für die Ideen seines Regisseurs verantwortlich. Aber die vier „Ring”-Abende in Bayreuth bestätigten die Lebensfähigkeit der Inszenierung Patrice Chė- reaus aus dem Vorjahr. Der Regisseur und sein Bühnenbildner haben sie im zweiten Jahr verbessert und intensiviert. Manches wurde weggelassen, das Wagner durch allzu wö rtliche Auslegung des Textes oder der Szenenvorschriften ironisierte. Es gab ein neues Walhall. Statt der gewollt
Die Bayreuther „Ring“-Schlacht ist geschlagen. Drei Tage lang war das Schlachtenglück dem mutigen und hochbegabten französischen Regisseur Patrice Chereau hold gewesen, um sich bei der „Götterdämmerung“ abrupt gegen ihn zu wenden. Brillanter Gedanklichkeit stand plötzlich miserable Realisation gegenüber, es gab zum Schluß mehr Rätsel als Einsichten, was nicht gerade der Sinn eines „Ring“-Finales ist. Der Chereau-f eindliche Publikumsteil hatte sich im Laufe der vier Abende völlig und über Gebühr auf den Regisseur eingeschossen, brachte — zum Gebrauch fest entschlossen — die Trillerpfeife mit, und am Tag nach der „Götterdämmerung“ wandelte eine Gruppe von Demonstranten ums Festspielhaus, bewaffnet mit Transparenten: „Verflucht sei dieser Ring!“ — „Opera buffa oder Gesamtkunstwerk“ — „Disneyland auf dem Grünen Hügel“.
Eingefleischte Wagnerianer blicken dieser Tage nicht voll Ehrfurcht nach Bayreuth. Sie tun's eher mit banger Sorge. Das Festspiel] ubiläum bringt statt Weihrauch Bratwurstdunst, statt hehren Glaubens an die unabdingbaren Werte überkommener Wagner-Dramaturgie einen demontierten „Ring“. Demontiert insoweit, als der junge französische Regisseur Patrice Chereau gewillt ist (und fähig zu sein scheint), eine neue, kritische Sicht auf das Nibelungendrama freizulegen.
Die Opernsaison in Covent Garden wurde mit Götz Friedrichs „Siegfried“, der dritten Station seiner Londoner „Ring“-Inszenierung, eröffnet. Das überwiegend konservative Publikum zollte viel Beifall, obwohl die Szene keinesfalls Gewohntes oder Gefälliges zeigte. Aber das schlüssige Konzept, überraschende, durchwegs motivierte Effekte und die grandiosen Bildwirkungen des dritten Akts hatten offenbar auch zunächst enttäuschte Erwartungen wieder versöhnt.
Unter der Schirmherrschaft von Jean Sibefius trafen sich im Sommer des Jahres 1950 etwa 200 junge Leute zum „Internationalen Musikstudententreffen“ in Bayreuth, im Dunstkreis Wagners und der Festspiele. Das war der von Herbert Barth initiierte Start eines Unternehmens, das an Ausmaß und Bedeutung ständig wuchs, sich verselbständigte und als Internationales Jugendfestspieltreffen heute nicht nur den zweiten großen Akzent der Wagnerstadt setzt, sondern die maßgebliche Begegnungsstätte des künstlerischen Nachwuchses aus Ost und West geworden ist. Dieses Jugendfestspieltreffen feierte
Der Iran strebt politisch und wirtschaftlich nach dem Westen. Es bestehen bedeutsame Allianzen mit europäischen Wirtschaftspartnern; der Name Persien ist aus dem politischen Vokabular gestrichen. Das Kaiserreich bemüht sich aber auch um einen Platz im internationalen Festspielreigen. Hier ist das Wort „Persien” wieder zugkräftiger, weil es an das kulturelle Kapital gemahnt, das Erbe der Achämeniden, Parther und Sassaniden, an die Historie eines machtvollen Reichs unter Dareios, Xerxes, Artaxerxes. Kaiserin Farah Diba ist die moderne Schirmherrin der Künste; sie hat vor acht .Jahren das Festival of Arts in Shiraz und Persepolis ins Leben gerufen, bei dem sich Orient und Okzident künstlerisch die Hand reichen. Das Festspiel ist zunächst ein Instrument der Repräsentation, es zeugt vom Bemühen, gegenüber Europa aufzuholen, verschlingt viel Geld und hat in seiner jungen Tradition noch nicht die gewünschte Effektivität erreicht. Das konzeptionelle Experimentieren hält noch an.
Die Programmstruktur glich äußerlich den Vorjahren; Wagner-Seminar, Arbeitskreise für Chor, Orchester, Kammermusik, Schlagzeug, Diskussionen. Aber inhaltlich waltete ein glücklicher Stern über dem diesjährigen Internationalen Jugend- festspieltreifen in Bayreuth, wo sich wieder rund 400 Jugendliche aus 24 Nationen (stark vertreten erneut der Ostblock) im Schatten Wagners zu gemeinsamer künstlerischer Arbeit versammelt hatten. Die künstlerische Potenz der einzelnen Teilnehmer schien durchweg stärker als in den Vorjahren, das Leistungsniveau von Chor und Orchester war in den Schlußkonzerten bestechend.
Dem am strengsten gehüteten Geheimnis der Bayreuther Festspielvorbereitungen entschlüpfte keine Sensation. August Everding hatte recht, als er wenige Stunden vor der Premiere sagte, es sei ebenso schwer, nach Wieland-Wagner in Bayreuth einen „Tristan“ zu inszenieren wie hier 197<i den „Ring“ zu machen. Es sind tatsächlich Hypotheken abzutragen: Der Regisseur hat gegen Wieland anzutreten, der Dirigent gegen Karl Böhm, Tristan gegen Wolf gang Windgassen, Isolde gegen die Nilsson. Die Künstler konnten nicht unbefangen ans Werk.
Ohne großen Premierenglanz gingen Auffahrt, Pausenritual sowie die Vorstellungen der „Meistersinger“, des „Tannhäuser“, „Parsifal“ und des „Ring“ in Bayreuth vorüber. Es fehlte nicht nur die Zugkraft einer Neuinszenierung, auch in den Wiederaufnahmen herrschte vielfach gehobenes Stadttheaterniveau, und zu guter Letzt waltete auch noch ein Unstern über den Premieren, der, mit Ausnahme der „Walküre“, in allen Werken Umbesetzun-gen notwendig machte.