Bedenklich für eine weitere Laufbahn (Helmut; red.) Kohls mag vor allem der Triumph von Gerhard Stoltenberg (1928-2001, unter Bundeskanzler Kohl zunächst Finanz-, später Verteidigungsminister; red.) gewesen sein, der als stellvertretender Parteivorsitzender 557 Stimmen erhielt. Hier könnte sich eine Polarisierung andeuten, die bei der Wahl des Kanzlerkandidaten Spannungen auslöst. Noch ist der Zeitpunkt nicht gekommen, und noch betont Kohl, daß es ihm jetzt ausschließlich darum gehe, ein guter Vorsitzender zu sein. Über die Kanzlerkandidatur könne man sich später unterhalten.Auf
Wer einst nach der Festnahme des Kerns der Baader-Meinhof-Bande geglaubt hatte, die Hydra des Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland sei durch die Inhaftierung ihrer wesentlichen Köpfe lahmgelegt, muß heute feststellen, daß ihn seine Hoffnungen getrogen haben. Das wurde deutlich, als die Urteilsverkündung im Baader-Meinhof-Prozeß von Stammheim schon wieder von Meldungen über neue terroristische Greueltaten und Pläne überschattet wurde. Der Hydra des Terrbrismus sind neue Köpfe gewachsen und selbst die alten, vermeintlich unschädlich gemachten, sind noch am Werk. Aus den
Stolz nannte sich die SPD immer eine „Partei der Basis“, und für die Union hatten die Sozialdemokraten nur das abfällige Wort vom „Kanzlerwahlverein“. Wenn diese Selbsteinschätzung stimmt, so kann nach der Kommunalwahl von Hessen nur noch gesagt werden, daß die SPD eine Partei der brüchigen Basis ist. Für uneinnehmbar gehaltene „rote Rathäuser“ fielen nahezu von selbst in die Hände der CDU. Ein Erdrutsch, wie ihn selbst Pessimisten in der SPD nicht für möglich gehalten hatten, "ist eingetreten. Hessen machte deutlich, daß sich in der SPD die Verhältnisse umzukehren
Eine neue Vokabel nistet sich im politischen Vokabular der Bundesrepublik Deutschland ein - die „Staatsverdrossenheit”. Hinter diesem Wort steckt eine Entwicklung, die zunehmend von den Politikern aller Schattierungen registriert wird, auf die sie besorgt, aber uneffektiv reagieren und die sich fortgesetzt ausbreitet. Es ist eine schweigende Abkehr von diesem Staat, der seinen Bürgern durch Jahrzehnte Verbesserungen und Fortschritt in einem Maße bescherte, wie kaum ein anderes Land. Es ist aber vor allem die Abkehr von einem Staat, der all das, was seine in der Nachkriegszeit so viel
Die Trennung, die sich unter dem rasch gefundenen Titel „Scheidung auf bayerisch“ zwischen den Unionsparteien CDU und CSU vollzog, ist\ weit mehr als es dieses mehr die lokalen Umstände der Trennung umreißende Schlagwort ausdrückt. Weniger das, was sich in den Tagen nach der Sitzung der CSU-Landesgruppe vordergründig kontrovers abspielte, beansprucht das Interesse, sondern die damit vollzogene Weichenstellung für eine der führenden konservativen politischen Kräfte in Westeuropa, für das, was man vor der Trennung noch als „die Union“ bezeichnen konnte. Mit der Entscheidung der
Ein gelegentlich klägliches, auf jeden Fall seltenes Schauspiel bieten die Unionsparteien seit der bundesdeutschen Bundestagswahl. Nachdem sie sich noch am Wahlabend als Sieger gebärde-ten und aggressive Zuversicht ausstrahlten, liegen sie jetzt gebeutelt am Boden. Nicht der politische Gegner hat sie dahin gebracht, sondern ein Akt jener beinahe schon klassischen Selbst-zerfleischung, der die letzten Jahre der Union immer wieder bestimmt hat.
Frost im August — mit diesen Worten läßt sich beischreiben, was während dieses Sommers in Deutschland geschehen ist. Eine Reihe von Zwischenfällen an der Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR ließen über die deutsch-deutschen Beziehungen dicken Rauhreif fallen. Die Beziehungen zwischen Bonn und Ost-Berlin — einem geflügelten Wort zufolge ohnedies schlecht, aber besser als vor dem Grundvertrag, als es nämlich gar keine Kontakte gab — diese deutsch-deutschen Beziehungen sind wieder einmal aufs äußerste belastet worden.
Die Weichen für den bundesdeutschen Bundestagswahlkampf 1976 sind offenbar endgültig gestellt. CDU, SPD und FDP haben ihre Wahlprogramme vorgelegt, und CDU und FDP haben auch schon ihren'Wahlparteitag hinter sich. Danach und nach einer Generaldebatte im Bonner Bundestag können sich die Wähler zwischen Boden-und Nordsee darauf einstellen, was bis Oktober an Verlockungen und Parolen über sie dahinprasseln wird.
Der Streik der Drucker brachte für die Bundesrepublik mehr als ein paar zeitungslose Tage. Der Arbeitskampf in der Druckindustrie warf eine ganze Reihe von grundsätzlichen Fragen auf, ja er wurde zu einer Belastungsprobe für den hejßer-sehnten und nun langsam deutlicher werdenden wirtschaftlichen Aufschwung.
Der Polit-Thriller, der in Bonn jetzt unter dem Titel „Polen-Vereinbarungen“ lief, endete mit einem den dramatischen Vorspielen entsprechend überraschenden Ergebnis: Alle Bundesländer, auch sämtliche von den Unionspärteien regierten, gaben ihre Zustimmung im Bundesrat. Das von CDU/CSU zunächst heftig attackierte Vertragswert fand nach einem tagelang sich zuspitzenden Kampf innerhalb der Unionsparteien wie auch zwischen diesen und den Vertretern der sozialliberalen Koalition doch die nicht für möglich gehaltene allgemeine Unterstützung.
Selbst im Erfolg scheinen die bundesdeutschen Unionsparteien in jüngster Zeit nicht vom Glück verfolgt zu sein. Nun stellen sie glücklich in Niedersachsen den Ministerpräsidenten und haben damit endlich nach ihrer Niederlage im Jahr 1969 wieder ein Stück Macht erobert, da treten auch schon massive Probleme auf, wird die Union durch ihren eigenen Erfolg kräftig gebeutelt und durch ihn vor eine Zerreißprobe gestellt. Denn die Haltung der Union zu den Polen-Verträgen wird durch die veränderten Verhältnisse aufs neue einer Belastungsprobe unterzogen.
Provinzpasse oder Staatsaktion? SO lautet die Frage, nachdem in Hannover die dortige bisher mit einer Stimme Mehrheit regierende sozialliberale Koalition an der Aulgabe scheiterte, einen Ministerpräsidenten aus ihren Reihen zu wählen und mit dieser Niederlage das SPD-FDP-Bündnis überhaupt und vor allem in Bonn in Frage stellt. Politische Beobachter rätseln herum, ob die völlig überraschende Wahl des CDU-Kandidaten Albrecht zum niedersächsischen Ministerpräsidenten nur das Werk eines mißgelaunten Einzelkämpfers gegen die Koalition von SPD und FDP war, oder einen ersten, ernsthaften
Ein Jahr vor den nächsten Bundestagswahlen hat sich die SPD ins Gerede gebracht, haben Teile der Sozialdemokraten für eine Erschütterung des sozialliberalen Bündnisses am Rhein gesorgt. Bezirksparteitage in Westfalen und Schleswig-Holstein haben nämlich erneut Forderungen nach staatlichen Investitionslenkungen erhoben und damit nicht nur in den Augen der Opposition und beim Koalitionspartner FDP, sondern sogar in Kreisen der Sozialdemokraten selbst den nachhaltigen Eindruck aufkommen lassen, das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft solle nachhaltig durchbrochen werden.
Wenn eine Regierung ungefähr ein Jahr vor Parlamentswahlen beträchtliche Steuererhöhungen verkündet, so scheint dies ein Zeichen beachtlichen Muts zu sein. In Bonn demonstrierten Sozial- und Freidemokraten jetzt allerdings, daß ein solcher Schritt, der eher nach einem politischen Harakiri aussieht, relativ ungefährlich sein kann, ja vielleicht noch den Fortbestand der sozialliberalen Koalition sichert: Schmidt und Genscher, beziehungsweise ihre Wirtschafts- und Finanzminister Friederichs (FDP) und Apel (SPD), sprachen zwar offen den Beschluß zur Steuererhöhung aus — die
Den wenig populären Schlußstein zu der von Willy Brandt mit Vehemenz vorangetriebenen deutsch-polnischen Aussöhnung mußte jetzt Brandts Nachfolger als Bundeskanzler, Helmut Schmidt, setzen. Ihm fiel jetzt in Helsinki, am Rand desKSZEnSchlußakts, die Aufgabe zu, mit Polens Parteichef Gierek über die finanzielle Seite dieser Aussöhnung handelseinig zu werden.Denn der von Brandt unterzeichnete deutsch-polnische Vertrag hatte zwar die Frage der ehemaligen deutschen Ostgebiete im Sinne eines Verzichts der Bundesrepublik geregelt, hatte die Aufnahme von normalen Beziehungen zwischen den
Mit einem Parteitag des Triumphes für Helmut Kohl, den nunmehr endgültig nominierten Kanzlerkandidaten, übertünchten die Unionsparteien CDU und CSU in Mannheim eine der kritischsten Phasen ihrer jüngsten Parteigeschichte. Denn etwas mehr als ein Jahr vor der entscheidenden Bundestagswahl von 1976 befinden sich die Unionsparteien in einem kläglichen inneren Zustand. Selbst wohlgesonnene Kommentatoren kommen zu dem Schluß, daß es bei diesem Zustand der Unionsparteien schon eines sehr schlechten Jahres für die Regierungskoalition be dürfe, damit diese die Bundestagswahl verliere.
„Den Aufschwung wählen.“ — Mit diesem Slogan hatten vor den Landtagswahlen von Nordrhein-Westfalen Plakate der SPD die Wähler am Rhein aufgefordert, den Sozialdemokraten ihre Stimmen zu geben. Ein unerwartet hoher Anteil von Wählern hatte dann auch tatsächlich die SPD gewählt, aber der versprochene Aufschwung stellte sich weder in Nordrhein-Westfalen noch in einem anderen Land der Bundesrepublik Deutschland ein. Im Gegenteil. Nach den für sie einigermaßen glimpflich verlaufenen Landtagswahlen bekennt nun auch die sozialliberale Koalition, daß der wirtschaftliche Aufschwung, seit Monaten als unmittelbar bevorstehend prophezeit, auf sich warten läßt.
Im Organ der bundesdeutschen Sozialdemokraten, dem „Vorwärts“, wurde jetzt lakonisch konstatiert, die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und SPD seien vom Nullpunkt nicht mehr weit entfernt. Das Parteiblatt stellte damit fest, was in den Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und im Saarland bereits allerorts zu merken gewesen war, was aber aus wahltaktischen Gründen nicht erwähnt wurde. Denn in der Tat hat die Beziehung zwischen der SPD und der katholischen Kirche eine Entwicklung genommen, die mit „Entfremdung“ noch relativ freundlich umschrieben ist.
Ein Urteil über die SPD/FDP-Regierung unter Bundeskanzler Schmidt und eine wichtige Vorentscheidung über deren weiteres Schicksal werden die Landtagswahlen von Nordrhein-Westfalen und im Saarland bringen, die am 4. Mai stattfinden. Der Urnengang im volkreichsten Bundesland an Rhein und Ruhr und in einem der kleinsten Bundesländer, jenem an der Saar, bedeuten eine gewichtige Entscheidung.
Zur gleichen Zeit, da erstmals seit acht Monaten in der Bundesrepublik Deutschland die Zahl der Arbeitslosen wieder etwas zurückging und einen schwachen Lichtschimmer am düsteren Wirtschaftshorizont signalisierte, zog in Form von bevorstehenden Massenentlassungen beim Volkswagenwerk eine düstere Wolke auf. Denn diese Entlassungen bei der ehemaligen Nummer Eins der deutschen Wirtschaft, über die Mitte und Ende April endgültig entschieden wird, sind nicht weniger als die größte Entlassungswelle in der deutschen Wirtschaftsgeschichte überhaupt. Das rund 135.000 Mitarbeiter zählende VW-Werk will sich um etwa 25.000 Mitarbeiter gesundschrumpfen. Damit beginnt eine spezielle Strukturkrise der bundesdeutschen Wirtschaft zusätzlich zu den allgemeinen Schwierigkeiten wegen der weltweiten Rezession nahezu katastrophale Ausmaße anzunehmen.
Die Entführung des Westberliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz durch die Anarchistengruppe „Bewegung 2. Juni“ hat auf die Verantwortlichen in der Politik, aber auch auf die gesamte Öffentlichkeit in der Bundesrepublik und in Westberlin wie ein Schock gewirkt. Ein Schock, der zunächst ein fieberhaftes, an der Befreiung von Peter Lorenz orientiertes Tun auslöste; aber mit Sicherheit das wahre Ausmaß des Schadens für die Bundesrepublik erst in den kommenden Tagen und Wochen zeigen wird. Die zahlreichen Ansatzpunkte für die politischen Konflikte, die der Fall Lorenz in sich birgt, wurden
Mit einer Reform der Lohn- und Einkommensteuer, die eigentlich ein großer Wahlschlager hätte werden sollen, hat sich die sozialliberale Koalition in Bonn gleich zu Anfang eines Jahres mit sechs Landtägs- wahlen ins Abseits manövriert. Jahrelang bastelte die SPD-FDP-Re- gierung, die mit dem Versprechen, einschneidende Reformen zu realisieren, angetreten war, an der Steuerreform herum und mußte sich dabei von der CDU-CSU-Opposition noch kräftig ins Handwerk pfuschen lassen. Sie versprach den Steuerzahlern, als das Gesetz schließlich beschlossen wurde, Steuemachlässe in Höhe von rund 14
Die spektakulären Verkäufe von Daimler-Aktien durch die Familien Quandt und Flick, bei denen das eine Mal ein Ölstaat (Kuwait) der Käufer und das andere Mal ein Ölstaat (Iran) Interessenft war, haben in der Bundesrepublik Deutschland vehement eine Diskussion aufflammen lassen, die erstmals akut geworden war, als sich der Schah von Persien bei den Krupp-Hüttenwerken eingekauft hatte. Bei Krupp wie bei Daimler war es um Unternehmen gegangen, die schon dem Namen nach Herzstücke deutscher Wirt- schaftsmadht darstellen. Was bei Persiens Krupp-Engagement noch begrüßt wurde — der
Als Franz Josef Strauß vor rund zehn Tagen zu einer Reise in die Volksrepublik China auf brach, blieb diese Fahrt des CDU- Vor sitz enden zwar keineswegs unbeachtet, aber ein einmaliges politisches Ereignis vermochte darin niemand zu sehen.
Die Bonner Koalition, unter dem Schlagwort „sozialliberaf* einige Jahre hindurch scheinbar unverrückbares Faktum, ist in eine ernste Krise geraten. Das Zerwürfnis zwischen den politischen Ehepartnern SPD und FDP ist unübersehbar, der Krach der bereits via Fernsehen ausgetragenen Koalitionsstreitigkeiten für jeden Wähler unüberhörbar. Jüngste Erklärungen des FDP- Generalsekretärs Martin Bangemann und eine knappe Unterstützung seines baden-württembergischen Landesverbandes in der Ablehnung des Koalitionskompromisses sind daher aktuelle Auswirkungen eines bereits länger andauernden Konflikts. Und der Beschluß der FDP, in Rheinland-Pfalz nach den nächsten Wahlen mit der CDU zu koalieren, macht die neue Linip deutlich-
Eine Kirche geriet in eine ernsthafte Krise und ihr Bischof ins Zwielicht. Auf diesen kurzen Nenner läßt sich die jüngste Entwicklung in Her Westberliner evangelischen Kirche bringen, nachdem Bischof Kurt Scharf und einige kirchliche Mitarbeiter in den Strudel dcjiEreignisse rund um das jüngste Wiederaufleben vöh AkiivitafJn der Baader-lejnhof-Gruppe geraten sind. Anlaß für dein Konflikt, der die evangelische Kirche dfer’Teilstadt bis in ihre Grundfesten erschütterte, sind ein Besuch Scharfs. bei der in West-Berlin inhaftierten Ulrike Meinhof sowie der Verdacht, daß *wei kirchliche Mitarbeiter, die Sozialarbeiterin Undine Zühlke und der Vikar Kornelius Burghardt, von dem Plan der Entführung oder Ermordung des Gerichtspräsidenten von Drenkmann gewußt hätten.
Mit dem Tod des prominenten Mitglieds der Baader-Mein- hof-Gruppe Holger Meins und der kurz darauf erfolgten Ermordung des Berliner Gerichtspräsidenten von Drenkmann išt in der Bundesrepublik, Deutschland schlagartig das Problem des politisch motivierten Terrorismus wieder aufgeflammt, das mit der Verhaftung der führenden Gruppenmitglieder vor zwei Jahren ein Ende gefunden zu haben schien. Die Ruhe der vergangenen Monate war, wie sich jetzt herausstellte, scheinbar trügerisch.
Einen unsicheren und gehemmten Eindruck hat Bundeskanzler Helmut Schmidt, sonst strahlende Miene des Erfolggewohn- ten betont Jehau stellend, bei der Ankunft in Moskau und seinen eiVtfflF Unterredungen mit Breschnjew gemacht. Die Ursache für das ungewohnte Verhalten Schmidts ist unschwer zu erraten, wenn man bedenkt, daß er am Tag vor seiner Abreise in die UdSSR eine schwere Niederlage seiner Partei in zwei Bundesländern hatte hinnehmen müssen. Denn wenn er sich auch in den Wahlkämpfen in Hessen und Bayern nicht allzusehr exponiert und engagiert hatte, so wußte Schmidt doch zu genau, daß dies Niederlagen nicht nur Hans Jochen Vogel und den hessischen Ministerpräsidenten Osswald treffen, sondern ihn. Denn beim Wahlgang der 11,5 Millionen Wähler in den beiden Bundesländern — rund ein Viertel der gesamten Wählerschaft der Bundesrepublik — zeigte ės sich, daß Schmidt nicht mehr wie kurz nach dem Abgang Brandts den Abwärtstrend der SPD bremsen kann.
„Über den Tag hinaus”, nannte Ex-Bundeskanzler Willy Brandt sein eben zur bevorstehenden Frankfurter Buchmesse fertiggewordenes Buch, das, seinem altmodisch-poetischen Titel zum Trotz, in Bonn als „Zeitbombe” klassifiziert wurde. Denn die Ankündigung des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel”, daß in diesem Buch, das zum Großteil aus eher trockenen Betrachtungen über Innenpolitik des innenpolitisch nie sehr beeindruckenden Brandt bestehen soll, auch Fragen des überraschenden Kanzlerrüektritts behandelt werden, hat, vor alląm in den Regierungsparteien, für Aufregung gesorgt.Als
Früher als gedacht, schritt Willy Brandt zur Abrechnung mit seinem Brutus Herbert Wehner. Das Brandt-Buch „Über den Tag hinaus“ ist ein Pfeil, der den ?»Iann abschießen soll, der Br/mdt abschoß. Wehner hat offenbar tatsächlich eine sehr schäbige Rolle gespielt, vw allem, wenn man bedenkt, wie er sich später an seinen unhaltbar gewordenen Wienand geklammert hat. Aber auch Brandt war nicht mehr zu halten — seine eigenen Erinnerungen machen es noch deutlicher.
Nach einer durchzit'terten Wahlnacht in Niedersachsen lag ein Ergebnis vor, daß Politikern und Kommentatoren jede Interpretation erlaubte. Die Parteistrategen entschieden sich für „Sieg“. Die CDU konnte auf ihren zahlenmäßigen Gewinn verweisen, der allerdings knapp unter der notwendigen absoluten Mehrheit blieb. Die SPD verwies darauf, daß sie nun weiterhin den Ministerpräsidenten in Niedersachsen stellen kann und ihre Verluste geringer als bei den vorangegangenen Landtagswahlen waren. Die FDP, schon vor der Wahl auf eine Koalition mit der SPD festgelegt, durfte sich freuen, wieder
Nachdem sich in Bonn das für unmöglich gehaltene Ereignis eines Rücktritts von Bundeskanzler Willy Brandt in Blitzesschnelle vollzogen hat, gehen sowohl die Regierungsparteien SPD und FDP wie auch die Oppositionsparteien CDU und CSU daran, ihre Marschkolonnen neu zu ordnen und eine neue Strategie für die kommenden Schlachten zu entwerfen. Hauptakteur und Brandt-Nachfolger Helmut Schmidt zeigt dabei, daß er voll und ganz bereit ist, die von ihm erwartete Rolle zu spielen.Seine ersten programmatischen Ankündigungen beweisen, daß er fest gewiillt ist, den Karren der sozial-liberalen
Zumindest das Ausland empfand den Rücktritt des deutschen Bundeskanzlers wie einen Blitz aus heiterem Himmel, mit dem eigentlich nicht gerechnet worden war. In einer Situation der Stärke hätte die Entlarvung des persönlichen Brandt-Referenten Guillaume wohl kaum zu einem solch schwerwiegenden Schritt geführt. Der Fall bekam seine für die SPD verhängnisvolle Dimension durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren: ein im allgemeinen angeschlagenes Image der Regierungspartei und des Kanzlers, einen deutlichen Trend zum Konservativismus, eine aggressive Opposition; vor allem aber ließ die
Mit der Ausarbeitung eines Entwurfs für eine weitreichende Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Großbetrieben und für eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen größerer Firmen haben die beiden Bonner Koalitionsparteien SPD und FDP einen Schritt getan, der kurzfristig die innnenpolitische Szene in der Bundesrepublik in Aufregung versetzt, langfristig aber für dieses Land und für andere westliche Länder weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen haben kann. Sollten die beiden Reformvorhaben, gegenwärtig zwischen allen betroffenen Parteien noch umstritten,
Ehe die CDU die unerwartet hoch ausgefallenen Siege über die SPD in Hamburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein noch recht verarbeitet hat, sorgt ihre bayerische Schwesterpartei, die CSU, für Spannungen im Unionsblock. Franz Josef Strauß, dessen CSU im November bei den Landtagswahlen ihre Feuerprobe bestehen muß, startete einige vehemente Aktionen.• Strauß protestierte gegen eine Personalentscheidung der bayerischen Staatsregierung und verlangte deren Rücknahme, was zu Rücktrittsdrohungen dieser CSU-Regierung führte (siehe FURCHE Nr. 14/1974);• Strauß attackierte in einem
Die Kommunalwahlen in Rheinland-Pfalz haben den Trend von Hamburg bestätigt. Die SPD verliert massiv an Stimmen, die CDU holt mächtig auf. Ist ein Umsohwung in der Bundesrepublik in Sicht? Tatsächlich zehrt die Niederlage der SPD an der Nervenkraft der Regierungskoalition — aber darüber hinaus muß man wieder eine Pattsituation (wie vor 1972) ins Auge fassen. Die Länderkammer, der Bundesrat, hat bereits der Regierung einen Strich durch die Rechnung gemacht, als es um ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ging; und der Bundesrat kann, bei Andauern der Wahlerfolge noch leichter, sehr
Die verlorenen Wahlen in Hamburg, zunehmende Spannungen in der SPD, die von den JUSOS immer wieder angeheizt werden, Sorgen mit dem Koalitionspartner FDP: all das plagt Bundeskanzler Willy Brandt in zunehmendem Maße. Nur aus diesem Klima heraus lassen sich auch sogar Resignationsgerüchte des Bundesknzlers erklären.Tatsache aber ist, daß dies alles nicht die eigentliche zentrale SPD-Krisenstimmung erzeugt — es ist vielmehr die Wirtschaftslage (beängstigend in der deutschen Automobilindustrie) und die Tatsache der Entfremdung zwischen Gewerkschaftern und SPD.
Gerade in dem Augenblick, in dem mit Außenminister Walter Scheel die Bundesrepublik Deutschland die Präsidentschaft im EG-Ministerrat übernahm, ist das Verhältais zwischen der Bundesrepublik und der EG in eine kritische Phase getreten. Die Verhandlungen über den sogenannten Europäischen Regionalfonds, mit dem wirtschaftlich schwach entwickelte Gebiete der EG gefördert werden sollen, haben zwischen etlichen EG-Mitgliedsländern und der Bundesrepublik eine Kluft entstehen lassen.Ungeschicktes Taktieren des deutschen EG-Kommissars Haferkamp, eine zunächst auch sonst nicht eindeutige
Etwas mehr als ein Jahr nach ihrem großen Wahlerfolg steht die Bonner SPD/FDP-Koalition vor einer Belastungsprobe, die mit einem Schlag die latent vorhandenen Spannungen dieses Bündnisses sichtbar macht. Die Koalition, die vor allem im Gespann Brandt-Scheel ihren personellen Ausdruck fand, droht über dem Ende dieses Politikerduos — Scheel wird im Mai zum Bundespräsidenten gewählt werden — zwar nicht zu zerbrechen, aber doch gravierende Risse zu bekommen. Die Koalition, die unter dem Schlagwort „sozial-liberal“ eine geschlossene und abgestimmte politische Haltung zu besitzen schien, erweist sich nun als das, was Koalitionen in der Politik sind: Zweckbündnisse, die der Erringung und Behauptung von Macht dienen.
Nicht erst einer auf höchster politischer Ebene initiierten Reform des Rundfunks bedurfte es in der Bundesrepublik, um die Rundfunkanstalten wegen des parteipolitischen Einflusses auf sie ins Gerede zu bringen. Vielmehr hat eine schleichende Zunahme des Partcicneinflusses auf den Rundfunk begonnen, die nun bei verschiedenen Anlässen — vor allem bei der Besetzung von Intendanten- und anderen einflußreichen Posten — in alarmierender Weise evident wird.
In eine neue Phase ihres Daseins als Oppositionspartei ist die CDU getreten. Der Hamburger Parteitag, verbunden mit einem Tief der Regierungskoalition, das durch die Energiekrise unerwartet verschärft wurde, präsentierte eine Partei, die das trickreiche und hastige Bemühen um eine Rückgewinnung der Macht vorerst ebenso aufgegeben hat wie die interne Zerfleischung in Personalfragen. Es ist zweifellos eine selbstbewußt gewordene, zielbewußt eine Machtübernahme im Jahr 1976 anpeilende Unionspartei. Es ist sicherlich auch eine Partei, die aus den Fehlern der zurückliegenden Bundestagswahl
Rücktrittsger Uchte um Verteidigungsminister Georg Leber und die Problematik der der MFBR-Truppenreduzierungs-Verhandlungen haben in jüngster Zeit die schwierige Lage der bundesdeutschen Verteidigung plötzlich wieder deutlich hervortreten lassen. Dabei signalisierten die Gerüchte um Leber, die er selbst entschieden dementierte, die innenpolitische Problematik der Bundeswehr, während die Vorbereitung der MFBR-Gespräche die internationale Problemlage der bundesdeutschen Verteidigung deutlich machte.
Als gäbe es in der Bundesrepublik keine dringenderen Probleme, eröffnete der kleine Bonner Koalitionspartner, die FDP, mit einem „Kirchenpapier“ neuerdings einen Kampf gegen die Kirchen. In 14 Thesen wurden von einer Kommission dieser Partei unter dem Titel „Freie Kirchen im freien Staat“ Forderungen nach einer radikalen Trennung von Kirche und Staat erhoben, per Katalog reicht von der Aufhebung des Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts über die Abschaffung des staatlichen Einzugs der Kirchensteuer bis zur Aufhebung von Konkordaten und anderen Verträgen zwischen Kirche und Staat. Die Abschaffung der staatlichen Militär- und Anstaltsseelsorge, kirchlicher Symbole im öffentlichen Leben, des Religionsunterrichts als ordentlichen Lehrfachs sowie eine Einschränkung kirchlicher karitativer Tätigkeit sind noch weitere Vorschläge, wie sie von der FDP vorgelegt wurden.
Streiks, erst recht wenn es „wilde“ sind, pflegen im ordnungsliebenden Deutschland meist Anzeichen einer besonderen wirtschaftlichen und politischen Situation zu sein und ziehen daher immer magisch die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. So schreckten die von den Gewerkschaften nicht genehmigten Ausstände in der Metallindustrie an Rhein und Ruhr denn auch die noch halb in Urlaubsstimmung befindlichen Politiker auf und machten aus dem angekündigten „heißen Herbst“ einen unerwartet „hitzigen Spätsommer“. Dabei sind die Protestaktionen der Arbeitnehmer mit ihrer Forderung nach Teuerungszulagen nur Ausdruck einer wirtschaftlichen und politischen Situation, die sich bereits seit geraumer Zeit klar abgezeichnet hat.
Zwei Wochen dauerte es, ehe die DDR mit einem bissigen Kommentar im Zentralorgan „Neues Deutsehland“ auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe über den Grundvertrag reagierte. Diese lange Frist kann als ein Zeichen dafür gewertet werden, daß man auf östlicher Seite im Umgang mit dem Grundvertrag und mit dem anderen deutschen Staat noch nicht sehr sicher ist. Eine Unsicherheit, die um so deutlicher wird, als die DDR mit ihrer entschiedenen Ablehnung der bundesdeutschen Höchstgerichtsentscheidung ohnedies nur das gesagt hat, was auf westlicher Seite sofort nach Verkündung des Urteils erwartet worden war.
Während noch auf Bundesebene — animiert durch die Nachrichtenarmut der Sommerzeit;— über eine Krise im Bündnis von SPD und FDP gemunkelt wurde, platzte kürzlich im wichtigsten Bundesland der Bundesrepublik, in Nordrhein-Westfalen, die Bombe: SPD Und FDP gerieten in einen Konflikt, ausgelöst durch die Ernennung des DKP-Mitgliedes Volker Götz zum Richter auf Probe durch den SPD-Justizminister Posser.
Mit dieser Entscheidung Possers, getroffen während der Abwesenheit von Ministerpräsident Heinz Kühn, wurde neben dem Koalitionsstreit noch ein weiterer Konflikt erneut angeheizt, nämlich die Auseinandersetzung um die Beschäftigung von Mitgliedern extremistischer Organisationen im öffentlichen Dienst.
Ein klares Wort in der strittigen Frage, wie weit den Assistenten, Studenten und dem nichtwissenschaftlichen Personal eine Mitbestimmung an den Hochschulen eingeräumt werden soll, sprach das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Trotz des Urteils des Höchstgerichts ist aber alles andere als Ruhe an den Universitäten eingezogen. Aufgeschreckt durch die juristischen Richtlinien, fürchten Studenten, gesetzlich zugesprochene Rechte zu verlieren, Kultusverwaltungen sehen sich vor die unangenehme Aufgabe gestellt, ihre eigenen Gesetze wieder so zu ändern, daß sie dabei nicht das Gesicht verlieren, aber doch dem Karlsruher Urteil gemäß verfahren. Nur der heiße Sommer mit seinem die Lethargie fördernden Klima und die beginnenden Ferien verhindern gegenwärtig, daß der Streit an den Hochschulen neuerlich mit aller Heftigkeit dort wieder aufflammt, wo er bereits geschlichtet zu seih schien, nämlich in der Mitbestimmungsfrage.
Der Streik der bundesdeutscher. Fluglotsen, seit 1968 Begleiterscheinung fast jedes Sommers, hat in diesem Jahr eine Krise in der Bundesrepublik ausgelöst, wie sie Politiker und Urlauber nicht härter hätte treffen können. Zwar schwelte der Konflikt zwischen den Flutlotsen, die eine Verbesserung ihrer Bezahlung, ihrer Arbeitsbedingungen wie auch ihres derzeit beamteten Anstellungsverhältnisses erreichen wollen, schon seit Jahren. Seit dem Sommer des vergangenen Jahres weiß man auch, daß der Streit in Form des Bummelstreiks sehr, unangenehme Folgen haben könnte. Aber die Bundesregierung,
Der 21. Juni — im Kalender schlicht als „Sommeranfang“ verzeichnet — sollte auch der Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Regierung in Bonn Blüte und Reife bescheren. Das zumindest hofften die verantwortlichen Politiker. Der Grundvertrag zwischen der Bundesrepublik und DDR — heißumstritten in parlamentarischen Debatten und Wahlkämpfen, heute noch beim höchsten Gericht angefochten — ist in Kraft getreten. Die Ampeln an den vier neu errichteten Grenzübergängen zwischen den beiden Staaten wurden pünktlich auf Grün gestellt.
Ihr Personalproblem, zu dem die Niederlage der CDU bei der letzten Bundestagswahl geworden war, hat die Unionspartei gelöst: Ohne Elan, ohne zu großen Enthusiasmus hob sie Helmut Kohl aufs Schild und entließ den Verlierer Rainer Barzel unter knapper Wahrung des Anstands aus der Verantwortung. Ob sich mit diesem Wechsel in der Führung, wie er auf dem eintägigen Mini-Parteitag schnell vollzogen wurde, eine Wende in der nach der Wahlnied'!;'?0' vom vergangenen Jahr doch recht glücklosen Oppositionspoütik der CDU anbahnt, muß trotz aller unverkennbaren Unterschiede zwischen Barzel und Kohl offen bleiben.
Auf dem Höhepunkt ihrer Macht nach Kriegsende angelangt, befindet sich die deutsche Sozialdemokratie zugleich in einer ihrer ernstesten Krisen. Es ist eine Krise, die durch das Erreichen des nach 1945 gesteckten Ziels — Bundeskanzler und solide Mehrheit im Bundestag — mit ausgelöst wurde, und deren offenes Austragen, wie es vor dem Bundesparteitag der SPD in Hannover und auf dem Parteitag selbst zu beobachten war und ist, durch diese gesicherte Position ermöglicht und erleichtert wird.Der Besitz der Regierungsmacht, ein mehrjähriges, durch die FDP allerdings etwas gebremstes
Die Krise der SPD vor ihrem Parteitag in Hannover nähert sich dem Höhepunkt. Während der Neomarxismus an der SPD-Basis eine erstaunliche Renaissance erlebt und sich Brandt, Wehner und Schmidt immer stärker als die von Sachzwängen gebundenen „revisionistischen“ Regierungsführer von den Jusos distanzieren, geht auch — etwas weniger spektakulär — der Konflikt innerhalb der CDU/CSU weiter. Aber auch hier spitzen sich die Auseinandersetzungen auf eine Entscheidung zu.
Einige Wochen früher als in den übrigen Jahren wird sich diesmal das Interesse in der Bundesrepublik Deutschland, aber sicher auch in vielen anderen Ländern, auf die nüchterne und farblose Stadt Hannover richten. Die Messemetropole wird vom 10. bis zum 14. April in ihren Mauern den Bundesparteitag der SPD beherbergen und schon jetzt wird gemunkelt, daß „Hannover 1973“ für die bundesdeutschen Sozialdemokraten eine Wende bedeuten soll. Die in letzter Zeit nicht mehr abklingenden Querelen zwischen den einzelnen Gruppierungen in der SPD, durch Einigkeitsappelle von der Parteispitze her
„Schmidt ist Nummer eins“ — das verkündete nach der Bundestagswahl vom 19. November Bundeskanzler Willy Brandt; und heute bedürfte es solcher Charakterisierung von höchster Seite nicht mehr. Seit der ersten Dollarkrise und Steuererhöhung weiß jeder in der Bundesrepublik, daß kein anderer Minister im SPD/FDP-Kabinett dem Nachfolger des einstigen Superministers Schiller den Rang streitig machen kann.
Bertiin, der ewige Krisenherd der Nachkriegszeit, sollte mit dem Viermächteabkommen und durch den Grundvertrag seiner Brisanz beraubt, dem Westteil der geteilten Stadt endlich eine Entwicklung auf verbesserter rechtlicher Grundlage ermöglicht werden. Bei Abschluß beider Verträge gingen die Meinungen, ob das angestrebte Ziel damit erreicht wurde, weit auseinander, und auch jetzt, nachdem einige Zeit verstrichen ist und erste Erfahrungen gewonnen wurden, wogt der Streit noch immer hin und her, angeheizt durch einige Ereignisse, die optimistische Äußerungen nach den Vertragsunterzeichnungen
Zur „Volkspartei" will die FDP werden. Dies verkündeten ihre Spitzenmänner nach dem überraschenden Wahlsieg bei den jüngsten Bundestagswahlen. Vor der Wahl noch davor zitternd, ob sie die gefürchtete Fünfprozentgrenze, an der sich bundestagswürdige Parteien von den übrigen scheiden, überspringen können werde, gab sich die FDP nachher forsch.Auf dem Dreikönigstreffen wurde stolz verkündet, daß man darangehe, die Rolle der klassischen Minderheitenpartei abzulegen und sich breiteren Wählerschichten zu empfehlen. Kaum aber hat die Parlaments- und Regierungsarbeit begonnen, in
In der „Provinz“ und weniger auf der Bühne der Bundespolitik wird sich in nächster Zeit das Schicksal der CDU und ihres Parteivorsitzenden Rainer Barzel entscheiden. In den Bundesländern hat die bei der Bundestagswahl unerwartet schwer geschlagene Partei die nächsten Wahlen zu gewinnen und damit die knappe Mehrheit im Bundesrat, der Vertretung de* Länder, zu behaupten. In den Bundesländern aber harren auch die Männer, die Barzel Parteivorsitz und nochmalige Kanzlerkandidatur streitig machen könnten.
„Never change a winning team“ — nach diesem Satz scheint bei der Bildung der neuen Regierung der Bundesrepublik Deutschland verfahren worden zu sein. Denn das Kabinett, das Willy Brandt dem Bundestag präsentierte, zeigt wenig neue Gesichter und relativ gering veränderte Kompetenzen der einzelnen Ressort. Und doch trifft die Devise, eine siegreiche Mannschaft sei nicht zu verändern, nicht die Situation.
Mit einem Staatsvertrag, den die zehn Ministerpräsidenten der Länder der Bundesrepublik in Stuttgart unterzeichneten, soll das größte Problem des bundesdeutschen Hochschulwesens besser geregelt werden: die Zulassung zum Studium bestimmter Fächer, die durch einen ständig schärfer werdenden Numerus clausus für viele Maturanten immer schwieriger wird, soll durch diese Regelung einheitlicher und vor allem gerechter werden. Anlaß dafür war das Urteil des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts, das bestimmte, daß die Zulassung oder Ablehnung eines Studienbewerbers nicht „undifferenziert
Einer der ersten und sicher der prominentesten, die ein Ergebnis einer soziologischen Analyse der deutschen Bundestagswahl vom 19. November veröffentlichten, war Bundeskanzler Willy Brandt. Noch in seiner Erklärung am Abend der Wahl dankte er ausdrücklich den katholischen Wählern, die sich diesmal stärker als sonst für seine Partei entschieden hatten. Damit sprach er eine jener Wählerwanderungen an, die mit der Veröffentlichung immer neuer Wahlanalysen immer deutlicher werden. Denn klarer als bei der Bundestagswahl von 1969, bei der nur die „Schiller-Wähler“ genauer zu erfassen, weitere soziologische und vor allem regionale Trends aber nur schwer festzustellen waren, zeigte die jüngste Wahl deutliche Entwicklungen im Verhalten der Wähler.
Die 7. Wahl zum Deutschen Bundestag: das ist eine Entscheidung, die in jedem Fall für Europa — und zwar auch für das östliche — Konsequenzen und teilweise paradigmatischen Charakter hat. Lange schienen die globalen Aspekte des bevorstehenden Wahlentscheids in den innenpolitischen Auseinandersetzungen der Bundesrepublik durch das kleinliche Hick-hack eines harten Wahlkampfes zurückgedrängt zu sein. Die Paraphierung des Grundvertrags mit der DDR und die nunmehr 6,4pro-zentigen Preissteigerungen auf dem Hintergrund fruchtloser Bemühungen um eine Inflationstoekämpfung in den
Der Abschluß des Grundvertrages zwischen der Bundesrepublik und der DDR wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Damit ist die Außenpolitik wieder in die deutsche Wahlkampfarena getragen worden — und hat gerade Außenseitergruppen rechts oder links wieder mit Argumenten pro und kontra die Ostpolitik versorgt.
Denn gerade zwei kleine Parteien, die mit Sicherheit keinen ihrer Kandidaten im nächsten Deutschen Bundestag sehen werden, könnten die Wahlen in der Bundesrepublik entscheiden: NPD und DKP könnten CDU/CSU beziehungsweise der SPD jene Stimmen wegnehmen, die sie für eine deutliche Mehrheit und damit für eine Uberwindung des innenpolitischen Patts brauchen.
„Deutschlands schlafender Riese“ soll erwachen. Das verkünden seit einigen Tagen bunte Plakate im Coca-Cola-Werbestil in der Bundesrepublik. Was nach einer Mischung von Getränke- und Waschmittelreklame aussieht, wendet sich an die Jungwähler der Bundestagswahl 1972 und wird vom Deutschen Gewerkschaftsbund initiiert. Zielgruppe der Kampagne sind die Jungwähler, die bei dieser Wahl in einem noch nicht dagewesenen Maße zumindest numerisch ins Gewicht fallen. Von 40,6 Millionen Wahlberechtigten sind 4,8 Millionen Erstwähler. Diese Verdoppelung gegenüber 1969 — damals waren es 2,4 Millionen — rührt davon, daß in der Zwischenzeit das aktive Wahlalter von 21 Jahren auf 18 Jahre herabgesetzt wurde.
Während die CDU auf ihrem Parteitag in Wiesbaden lustloser als erwartet die Übernahme der Regierungsgewalt nach den Wahlen ankündigte und bereits erläuterte, wie sie das Erbe von Brandt und Scheel zu verwalten gedenke, agierten Vertreter der SPD/FDP-Koalition noch einmal auf jener Bühne, auf der sie sich in ihrer dreijährigen Amtsperiode am sichersten gefühlt haben: sie trieben noch eine große Außenpolitik.
Den härtesten Wahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik prophezeiten die Politiker, als die vorzeitige Auflösung des Deutschen Bundestages immer näher rückte. Nach erfolgter Auflösung scheinen diese Propheten ihre Vorhersage unbedingt wahrmachen zu wollen. Nachdem schon zuvor die Opposition mit ihrer Behauptung, ein SPD-Wahlsieg würde das Ende der Demokratie in der Bundesrepublik bedeuten, Schläge unterhalb der Gürtellinie auszuteilen begonnen hatte, lieferte schließlich Bundeskanzler Brandt mit seiner Verdächtigung in einem „Spiegel“-Interview, daß beim Parteiwechsel einiger Abgeordneter Korruption im Spiel gewesen sei, ein handfestes Beispiel dafür, wie rasch sich Stil-losigkeiten und Entgleisungen in diesem Wahlkampf einstellen können.
Vor kurzem war die Bundesrepublik noch strahlender Gastgeber der Welt: trotz mancher Pannen in und um Olympia verzeichnete sie einen kräftigen Sympathiezuwachs. Auch die innenpolitischen Probleme und den Wahlkampf schien man zumindest für die Zeit der Spiele los zu sein. Nun aber, nach dem Terrorüberfall und der mißglückten Geiselbefreiung, steht dieses Land vor einem außenpolitischen Scherbenhaufen, dem sich fast auch ein innenpolitischer dazugesellt.
Ein kräftiges Hoch-über München — ein flaches Tief über Bonn. Dieser politische Wetterbericht kennzeichnet die Situation der Bundesrepublik. Während die Politiker aller Couleurs sich in München via TV-Kameras in prominentem und spektakulärem Rahmen dem Wählervolk präsentieren, herrscht in der politischen Schaltzentrale jene Gedrücktheit, bei der jede Bewegung als ein Anzeichen eines möglichen Sturmes genau registriert und in ihren Auswirkungen leicht überschätzt wird. Minister Helmut Schmidts politische Aktionen, die jetzt in der Vorlage eines Entwurfs für einen Haushaltsplan des kommenden Jahres und in geschickt placierten Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft äußere Höhepunkte fanden, zeigen aber, daß die SPD den Wahlkampf nach Vorgeplänkeln um Schiller und „Quick“ nun in Sachen Wirtschaftspolitik trotz der Olympiade zu eröffnen gedenkt.
Neuwahlen — erst recht vorzeitige — pflegen keine sehr humorvolle Angelegenheit zu sein. Daß im Zusammenhang mit der nun als sicher geltenden Neuwahl in der Bundesrepublik aber ausgerechnet Worte wie „Totensonntag", „Büß- und Bettag" und „Volkstrauertag" fallen, dürfte ein bundesrepublikanisches Novum sein, das bereits heute Leitartikelschreiber zwischen Nord- und Bodensee genüßlich an manches Wartespiel im Zusammenhang mit dem Wahlergebnis denken läßt. Denn ausgerechnet an einem dieser drei Feiertage — dem 19,. 22. oder 26. November — dürfte die Wahl zu einem neuen
Muß Verteidigungsminister Helmut Schmidt den „Orden wider den tierischen Ernst“ zurückgeben, der ihm erst heuer, im vergangenen Fasching, verliehen worden ist? Dies ist nur eine der vielen Fragen, die sich aus dem neuen Haarerlaß des bundesdeutschen Verteidigungsministers ergeben. Denn mit der Verordnung, daß „ab sofort“ die Haare der Soldaten nicht über Kragen, Augen und Ohren reichen dürfen, hat Schmidt jetzt die Grundlage für die Verleihung dieses Karnevals-Ordens, den vor ihm schon Bundeskanzler Kreisky erhalten hatte, beseitigt.Die „German Hair Force“ war es, die dem
„Die Situation ist da” lautet ein klassisches Adenauer-Zitat, das angesichts der vielfach als ausweglos betrachteten innenpolitischen Situation der Bundesrepublik unigewöhnliche Aktualität gewinnt. Die Situation: Regierung und Opposition stehen sich gleich stark oder gleich schwach — je nach Betrachtungswinkel — gegenüber. Ein Regieren scheint für die SPD-FDP-Koalition zwar noch möglich, aber kaum mehr sinnvoll zu sein. Als Ausweg bieten sich vorzeitige Neuwahlen an. Brandt fordert sie, die FDP würde sie begrüßen und die CDU/CSU bezeichnet sie als „sympathische
„So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag kommt niemals mehr!” Aus den rauhen Kehlen tausender Stahlarbeiter der Dortmunder Hoesch-Werke tönte der Freu- dengesarag. Ihre plötzliche, wilde Streikaktion hatte zum Ziel geführt. 30 Pfennig mehr pro Stunde waren ihnen von der Betriebsleitung zugestanden worden. Wirtschaftsminister Schiller stimmte in den Freu- denjulbel ein und lohte, daß es in knapp zwei Tagen zu einer Einigung im Tariifkonflikt gekommen war. Eine Ungerechtigkeit im Lohngefüge der deutschen Stahlindustrie schien durch die radikale Aktion von 200.000 Arbeitern
Sieben Tage lang trotzte ein Volk der Besatzung, lehnte es sich dagegen auf, daß alle Hoffnungen, die in den letzten Monaten mühsam genährt wurden, mit einem Schlag wieder vernichtet werden sollten. Eine Woche nach dem Einmarsch der Russen aber schien es, als resignierte man in der CSSR. Der anfangs so heroische Widerstand brach nahezu schlagartig nach außen hin in sich zusammen. Fassungslos stand man im Westen vor diesem Phänomen. Angesichts der Leute, die weniger als eine Woche nach der Besetzung ihres Landes ruhig zur Arbeit gingen und wenige Tage darauf selbst die Plakate,