Ein Mann steht am Fenster im Wagengang des dahindonnernden Zuges. Während seine Füße im Rhythmus der Fahrt das Gleichgewicht zu halten versuchen, flitzen vor seinen Augen Straßengabelungen, Lagerplätze, Fabrikanlagen und eine immer größer anwachsende Zahl von Häusern vorüber. Auch die ausgedehnte Fläche eines Friedhofs mit Kapellen, Zypressen und unzähligen Grabstätten zieht in der Mähe für wenige Augenblicke vorbei. Der Blick des Mannes sucht nach einem bestimmten Punkt in dem zurückbleibcnden Gräbermeer.Bald darauf hält der Zug in der Station. Eine Unzahl von Reisenden mit
Der Verpfänder„Wer kann sein Eigentum behalten auf dieser Welt?“ meditierte er, als er seine Uhr ins Versatzamt trug.Um die Uhr auszulösen, mußte er seinen Anzug verpfänden.Lim den Anzug auszulösen, mußte er sein Bett verpfänden.Er mußte selbst das Hemd am Leibe verpfänden.Und als er nackt und aller Habe ledig dastand, bot er sich selber zum Pfand an. Er bekam statt barer Münze — nur Verachtung.Der PseudoidealistEr haßt den Reichtum. Denn er macht meistens habgierig. Aus Habgier erschlug Kain den Abel. Aus Habgier wurden die meisten Kriege geführt. Aus Habgier werden
Im Anfang war die Idee. Sie glänzte wie die Sonne. Und wie die Sonne jedermann beglückt, so wollte auch die Idee jedermann beglücken.Da kam ein Mensch und fand die Idee. „Du gefällst mir“, sprach er. „Ich will dich mitnehmen.“ — „Ich darf dir aber nicht allein gehören“, erwiderte die Idee, „denn ich gehöre allen Menschen.“ — „Schon recht“, antwortete der Findėr, „mach dir nur keine Sorgen ...“Aber es traf sich, daß der Mensch unterwegs einen anderen Menschen traf und diesem von seinem Fund erzählte. „Laß sehen!“ meinte dieser. „Wenn deine Idee
Gestern traf ich auf den Bettler. Er schnitt ein so bemitleidenswertes Gesicht, daß ich ihn auf ein Glas Wein einlud.Er ließ sich nicht zweimal bitten, und als er ausgetrunken hatte, versäumte er nicht, mir seine Geschichte zu erzählen. Wie er früher als angesehener, wohlhabender Bürger in der Stadt gelebt hatte, bis ein Kurssturz seiner Aktien ihn über Nacht um sein Vermögen brachte; wie eine gräßliche Seuche seine vielköpfige Familie dahinraffte; wie er im Kriege sein Auge für Gott, Führer und Vaterland opferte.„Du bist wahrlich wie Hiob geschlagen worden!" rief ich
Der PolitikerIr Ist so sehr mit Politik beschäftigt, daß er sozusagen ein zweites Mal geboren wurde: als der politische Mensch. Als solcher fordert er mit Nachdruck die politische Kinderstube, die politische Jugendaufklärung, den politischen Arbeitsplatz und den politischen Lebenswandel.Denn Politik ist die Aufgabe des Menschen. Politisch sein — der Schrei unseres Jahrhunderts. Und nur die Politik allein vermag noch das Abendland zu retten.Das Abendland aber dachte anders. Es machte dem Politiker den Prozeß.„Ich verlange", rief dieser, „daß man mich auch als Mensch wertet!"
Er hieß nicht Egon Erwin Kisch, doch er raste nicht weniger überzeugend. Per Auto und per Eisenbahn. Per Schiff und per Flugzeug. Und auch per pedes.Ein dutzendmal im Jahr um den Erdglobus herum war sein Durchschnitt. Er knipste und berichtete alles, was das Leserblut in Wallung brachte.Seine Chefs waren sehr zufrieden mit dem Burschen. Er war brauchbar, denn er war zu jeder Sensation pünktlich zur Stelle.Einmal auch zu einem Begräbnis. Eine große Menge starrte wie hypnotisiert in ein ausgehobenes Grab, in dessen unheimliche Tiefe an langen Seilen sich der Sarg langsam
Ihn hetzt die Zeit. Und er läßt sich von ihr hetzen. Es ist für alle, die ihn kennen, überhaupt ein Rätsel, daß er doch noch soviel Zeit findet, um nicht aus Zeitmangel das Zeitliche zu segnen.Und dabei möchte er in Wahrheit ein beschaulich-genießerisches Dasein führen. Am liebsten das eines Fische angelnden Einsiedlers.Aber Zeit ist Geld.Und um Geld dreht sich die Welt.Neulich traf er auf der Straße einen Fußgänger, dessen Gesicht ihm bekannt vorkam.Er wollte grußlos an ihm vorübereilen.„He!“ rief da der andere und vertrat ihm den Weg. „Kennst du mich nicht?“„Bedaure.
Sein Reich ist die Fabrik. Des Zeitnehmers Uhr stoppt der Menschen Schweiß und Atempausen. Sie ist das unerbittliche Auge, das den arbeitenden Menschen in jeder Sekunde überwacht und -verfolgt, wohin er sich auch wendet.Des Zeitnehmers Auftraggeber ist die Wirtschaft. Die Wirtschaft kennt keine Seele. Nur Mechanik. Ihr Ziel ist der Gewinn.Der Zeitnehmer verbürgt den Gewinn.In der Fabrikhalle eilt er von Maschine zu Maschine, von Mensch zu Mensch. Er nickt zufrieden, wenn Mensch und Maschine wie geölt laufen.Einmal gab es eine Stockung.Eine Maschine setzte aus, weil ein Mensch plötzlich
Der SternenguckerEr ist kein Astronom. Doch er beäugt den Sternenhimmel nicht weniger gründlich als die Fachleute. Warum er immer nach den Sternen starrt, läßt sich nur vermuten.Vielleicht, weil er einmal gelesen hat, daß jedes Menschen Schicksal in den Sternen geschrieben steht? Vielleicht, weil er den himmlischen Glanz dem Grau alles Irdischen vorzieht? Vielleicht auch nur, um eine Sternschnuppe zu entdecken?Des Sternehguckers Unglück war, daß er dem festen Boden unter seinen Füßen zu wenig Bedeutung zollte. Denn während er in die Sterne schaute, zogen ihm andere die Schuhe aus.Der