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35 Milliarden: Halt!

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Vor etwa zwei Jahren prangte sie auf den Titelseiten der Journale, heute führt sie trotz unverminderter Dringlichkeit ein Schattendasein in der Presse: die Verwaltungsreform, ein Sorgenkind der Regierung!

Stolz wurde anläßlich des Budget- Präliminars 1969 darauf hingewiesen, daß im Dienstpostenplan für das kommende Jahr 3915 Einsparungen vorgesehen sind und damit dem kontinuierlich steigenden Beamtenzuwachs Einhalt geboten werden konnte. Nicht so klar wurde betont, daß trotz des erfreulichen Tropfens der vieldiskutierte Personalaufwand fast 35 Milliarden Schilling, das sind nahezu 40 Prozent des Ausgabenrahmens, betragen wird.

Diese nüchternen Zahlen erhalten ein horrendes Aussehen, wenn man die Vergleichswerte vergangener Jahre heranzieht. So konnte im Staatsvertragsjahr 1955 noch mit 28.1Milliarden für Personalausgaben das Auslangen gefunden werden, während sich der Sachaufwand auf die gleiche Summe belief. 1957 betrugen die Personalkosten bereits 14.1 Milliarden, ebenso die Sachausgaben. Die weitere Steigerung (1961: 16,9 Personal-, 21,9 Milliarden Sachaufwand; 1963:19,5 Personal-, 28.1 Milliarden Sachaufwand) zeigit eine immer stärker werdende Progression. 1965 verschlang der Personalaufwand schon 23,2 Milliarden, erreichte 1967 27,6, 1968 30,6 und 1969 vermutlich über 34 Milliarden. Die „Zuwachsrate“ im Biennium hat sich also in den letzten drei Jahren mehr als verdoppelt!

Zieht man nun die für September 1969, August 1970 und Jänner 1971 vorgesehenen Bezugserhöhungen der Beamten, die Pensionsautomatik sowie die Wertsicherungsklausel ins Kalkül, kann das gigantische Wachstum des Personalaufwandes in den folgenden Jahren unmöglich eingedämmt werden. Selbst wenn es gelingen sollte, die Gesamtzahl der Bundesbediensteten unter 300.000 zu halten, steht eine jährliche Vermehrung der Personalausgaben von zirka fünf Milliarden bevor. Dazu kommt, daß die 1968 erstmals gelungene Einsparung von 620 Dienstposten ebenso wie die von 3915 für 1969 vorgesehene problematischen Charakters ist: ein Großteil dieser Posten ist nämlich nicht der Verwaltungsreform, sondern dem Mangel an Bewerbern zum Opfer gefallen — und hier wieder hauptsächlich auf einem kritischen Gebiet —, dem Schulwesen!

Fragt man nach den Ursachen des phänomenalen Verwaltungsaufwandes, ist es billig und bequem, der bösen Monarchie die Hauptschuld zu geben. Seltsamerweise scheute 1919 die Regierung zwar nicht vor einer radikalen Bannung festverankerter Traditionen auf verschiedenen Gebieten; den historisch gewachsenen und auf die spezifischen Eigenschaften des Vielvölkerstaates abgestimmten enormen Verwaltungsapparat aber übernahm sie aus diversen sozialpolitischen Erwägungen heraus zum größten Teil. In den fünfzig Jahren der Republik wurde er einer erfolgreichen Mastkur unterzogen. Rufer in der Wüste gab es viele, die vor den Folgen einer Hypertrophie warnten und Vorschläge für eine Reorganisation einzelner Gebiete der staatlichen Verwaltung unterbreiteten. Allein, der Proporz vereitelte in den 21 Jahren nach 1945 jeden Versuch einer Verminderung des Personalaufwandes; zahlreiche, meist sachlich unbegründete Dienstposten präsentieren sich heute als Hypothek unter dem Motto: „Die ich rief, die Beamten, die werd’ ich nun nicht los.“ Im Rahmen des Sachaufwandes erwiesen sich Bequemlichkeit, Tradi- tionalismus und zum Teil auch Gleichgültigkeit als unüberwind liches Hemmnis für Sparmaßnahmen.

Erst als das Wasser den Blähhals der Administration erreicht hatte und auf Grund der angespannten Budgetsituation ein weiterer Aufschub der Verwaltungsreform den Staatshaushalt in eine noch bedenk lichere Situation hineinmanövriert hätte, schritt man vom Willen zur Verwirklichung des Werkes, aus schon angeführten Gründen bestenfalls einer teilweisen Realisierung eines unumgänglich notwendigen Zieles.

Unter dem Vorsitz von Staatssekretär Dr. Karl Gruber, einem Mann, dem die Fähigkeit nachgesagt wurde, einen Gordischen Knoten im Stile Alexanders des Großen zu lösen, wurde 1966 die Verwaltungsreformkommission ins Leben gerufen. Bald danach machten sich sogenannte „fliegende Kommissionen“, bestehend aus je einem Beamten des Bundeskanzleramtes, des Finanzministeriums sowie des zu überprüfenden Ressort auf die Suche nach überbesetzten und überdotierten Abteilungen. Diesen Aktionen konnte kein durchschlagender Erfolg be- schieden sein. Fast jeder Abteilungschef nahm eine ablehnende, mancher sogar eine feindselige Haltung gegen die „Kürzungskommissionen“ ein. Nach ihrer Ansicht fehlte ja gerade in ihrem Bereich eine Reihe von Dienstposten und sei gerade bei ihnen die vorhandene Dotierung völlig unzulänglich.

Hier, bei der menschlichen Seite des Problems, erhellt deutlich die. Unzulänglichkeit wahrhaft demokratischer Mittel, die eine Reform von unten nach oben zum Scheitern verurteilen. Ob an dieser Front durch pädagogische Einwirkung von oben, durch Belohnung wirksamer Rationalisierungsvorschläge, mittels beschwörender Belehrungen, daß die Verwaltungsreform letzten Endes der Beamtenschaft selbst zugute kommt, daß eine Reduzierung der Dienstposten (= Einschränkung der Neuzugänge) Voraussetzung für eine angemessene Bezahlung darstellt, daß eine Umstrukturierung im Hinblick auf die stetig wachsende Zahl der Staatsaufgaben -die Essenz einer Effizienz der Administration beinhal-tet, wirklich wirksam zu Werke gegangen werden kann?

Manche Rationalisierungsexperten vertreten die Ansicht, daß durch Mechanisierung und Automatisierung die Routinearbeit der Verwaltungsbeamten auf ein Mindestmaß eingeschränkt werden kann. Diese sicherlich richtige Auffassung hat jedoch einige Pferdefüße, über die eine Verwirklichung in naher Zukunft stolpern dürfte. Abgesehen von den hohen Anschaffungskosten moderner Datenverarbeitungs- und anderer Büromaschinen sowie ihrer damit verbundenen langen Amortisationsdauer erfordert die Bedienung dieser Geräte besonders qualifiziertes Personal, das einer gründlichen Schulung unterzogen werden muß; nun leisten’Spezialisten einmal nicht nur . besonderes, sondern wallen auch besonders entlohnt werden. Derartige Ausgaben erscheinen nur dann sinnvoll, wenn eine exakte Prognostizierung und Planung der künftigen Verwaltungsaufgaben über einen längeren Zeitraum, als es bisher üblich war, gewährleistet wird. Daß so ein Prozeß nur nach Koordinierung der Auffassungen unserer Großparteien über dieses Problem durchzuführen ist, braucht nicht erwähnt zu werden, hätte uns die Vergangenheit nicht Beispiele vor Augen geführt, daß nach jeder Verschiebung der Mandatszahlen eine kurzfristige Reorganisation — bis zur nächsten Wahl — erfolgt ist. Als typisches Exempel für derlei kurzsichtige Maßnahmen sei nur die verstaatlichte Industrie angeführt.

Wehmütig stimmt ein Bericht aus Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland der deutschen Bundesrepublik, das auf dem Gebiet der Automation als führend angesprochen werden muß. Dort werden mehr als 85% der Einkommensteuer- und Gewerbesteuerveranlagungen maschinell bearbeitet, mehr als 95 Prozent des Lohnsteuerjahresausgleichs werden von Großmaschinen bewältigt. Dort hat man auch mit dem behördlichen Vorschlagswesen betreffend Rationalisierungen gute Erfahrungen gemacht: Von den in den letzten zehn Jahren eingegangenen 5500 Verbesserungsanregungen wurden immerhin 14 Prozent anerkannt und belohnt.

Dieser Grundriß einer Zwischenbilanz über Tätigkeit und Probleme der Verwaltungsreform macht augenscheinlich, daß mit den vorhandenen Mitteln und Methoden eine Generalsanierung nicht erreicht werden kann. So löblich es ist, einen Sektionschef oder mehrere Werkstättenobermanipulanten, ein Dienstauto oder einige tausend Formulare einzusparen, überzeugend wirken weder das Konzept noch die verhältnismäßig geringen Teilerfolge, die der Kommission zugeschrieben werden müssen.

Klar wird überdies eines: eine glaubhafte, dauerhafte Budgetsanierung kann die Verwaitungs- und damit Rechtsreform nicht im Schreibtisch ruhen lassen.

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