Abschied vom 19. Jahrhundert

19451960198020002020

An den österreichischen Universitäten ist viel in Bewegung, von Krise keine Spur: Antwort auf Bernd Schilcher ("Die Angst vor der Freiheit", Furche Nr. 8/99).

19451960198020002020

An den österreichischen Universitäten ist viel in Bewegung, von Krise keine Spur: Antwort auf Bernd Schilcher ("Die Angst vor der Freiheit", Furche Nr. 8/99).

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn ich auf Bernd Schilchers Artikel in der letzten Ausgabe der Furche nicht reagieren müßte, fühlte ich mich viel wohler, der Einladung der Furche-Redaktion, einen kurzen Kommentar zum Thema "Krise der Universitäten?" zu schreiben, nachzukommen.

Am stärksten stimme ich Schilcher zu, wenn er sagt, alle Beteiligten wären "auf alle Veränderungen" vorzubereiten. Sie hätten zu lernen. Hätte Herr Professor Schilcher selbst dieser Forderung schon ein wenig entsprochen, wären ihm nicht so viele sachliche Fehler und leicht widerlegbare Einschätzungen unterlaufen.

Schilcher glaubt nicht an die "großen Absichten" des Ministeriums. Ist es für einen Privatrechtler so schwer zu sehen, daß der erste große Schritt der Autonomisierung der Universitäten durch Gesetze (!) eingeleitet wurde? So gibt es etwa keine inhaltlichen gesetzlichen Vorschriften oder Verordnungen mehr für die Gestaltung der Studienpläne (Universitäts-Studiengesetz 1997). Nach Universitäts-Organisationsgesetz 1993 beruft der Rektor die Professoren, nicht mehr der Minister; die Verteilung des Budgets ist Sache des Rektors und der Dekane, die "Huld" des Ministeriums, die nach Schilcher zu erlangen sei, ist wirkungslos. Die Evaluierung von Lehre und Forschung, von Maßnahmen im Bereich der Organisation der Universitäten und in der Gestaltung der Studien ist längst der Universität übertragen. Das Fordern von Evaluierungsaufträgen ist überflüssig. Tun, selbständig gestalten! Die autonome "Drittmittelaufbringung", die Schilcher verlangt, ist längst gesetzlich geregelte, autonome Sache der Institute. Attraktiv genug für Auftraggeber sein, ist die Devise. Ausreden, das böse und/oder dumme Ministerium sei schuld, zählen nicht mehr.

Der kürzlich zur Begutachtung ausgeschickte Gesetzentwurf (Entwurf zum Bundesgesetz über die Akkreditierung von Bildungseinrichtungen als Universitäten) kann doch wohl nicht bloß als "große Ankündigung", wie Schilcher sagt, sondern nur als konkrete Absicht des Ministers erkannt werden. Früher als vielen lieb ist, wird aus der Ministerialgesetzvorlage hoffentlich ein Gesetz geworden sein.

Der Rücktritt des Vorsitzenden der Rektorenkonferenz hat - nach dessen eigener öffentlichen Begründung - mit der Ablehnung weiterer Reformen durch Teile der Rektorenkonferenz zu tun, nicht mit der behaupteten "gewaltigen Kluft" zwischen "großen Ankündigungen" und den "Hunderten Reibereien des Uni-Alltags".

Zwei wichtigen Punkten der Schilcherschen Klagen stimme ich zu. Die neu eingeführte Bewertung der Arbeitsplätze bedeutet eine Re-Zentralisierung, sie läuft der Universitätsreform zuwider. Und nicht wenige der Stellen im nichtwissenschaftlichen Bereich, ohne die es keine funktionierende Lehre und Forschung gibt, werden zu schlecht bezahlt. Recht hat er auch, wenn er Widerstände gegenüber Veränderungen im Ministerium entdeckt. Die sind ganz normal. Mit ihnen konstruktiv fertig zu werden, ist eine bedeutende Aufgabe. Von der Ablehnung der Neuerungen an den Universitäten spricht er nicht. Nicht so wichtig?

Schilcher wünscht nicht die Universität als handelnde autonome Einrichtung, sondern die Fakultät, also eine Art Universität in der Universität. Sieht er nicht, daß bei einer solchen Konstruktion die Geld verteilende Stelle, das Ministerium, stärker wäre als das Ministerium in der UOG-93-Konstruktion, weil an die Stelle der autonom budgetierenden und Mittel zuteilenden Gesamtuniversität das Ministerium träte? Ein wirklich überlegter Vorschlag? Oder einer, der erkennen läßt, daß das Ministerium besser die Mittel an die Fakultäten verteilt als die Leitungsorgane der Universität?

Der Widerspruch in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion liegt offen: Einerseits ist tagtäglich in den Zeitungen von großem Reformbedarf die Rede, einfache Erklärungen und Rezepte werden angeboten. Anderseits wird geklagt, das Ministerium würde den Universitäten zu viele Veränderungen in zu großer Dichte abverlangen. Dieser Widerspruch scheint für diejenigen aufgehoben, die sagen, es gäbe die große Krise. Nicht selten sind dies gerade die Gegner jeder Veränderung oder diejenigen, die sich die Mühen der Neugestaltung nicht antun wollen.

Zweifellos gibt es Diskussion und Bewegung an den Universitäten. Die Universitäten sind dabei, ihre Organisation und ihr Studienangebot, zum Teil mit großem Elan, autonom neu zu gestalten. Die größte Reform in diesem Jahrhundert: Aus der staatlich, auch im einzelnen durch Vorschriften gelenkten Universität wird die autonome. Der späte Abschied aus dem 19. Jahrhundert. Die Reformgesetze - Universitäts-Organisationsgesetz 1993 und Universitäts-Studiengesetz 1997 - sind die wichtigen Weichenstellungen, die Gestaltung der Veränderungen ist Sache der Universitäten selbst. Die Budgetkonsolidierung hat die Entwicklung aufgehalten. Jetzt geschieht die Neugestaltung fast überall mit großem Engagement. Freilich gibt es gegenüber jeder Veränderung resistente Kerne.

Die Autonomie, verbunden mit Verantwortung, zu gestalten, ist eine große Herausforderung, jedenfalls schwieriger als Autonomie fordern, über den ordnungswütigen Staat klagen, sich aber im dichten Netz der Vorschriften dabei sicher fühlen.

Für nicht wenige sind die durch die Gesetze vorgegebenen Rahmen zur Selbstgestaltung aufgrund der Erfahrung mit den ersten Autonomieschritten viel zu eng. Sie wollen jetzt schon den zweiten Schritt, nämlich den zur vollen Rechtsfähigkeit, bei der das Dienstrecht und das Haushaltsrecht des Bundes nicht mehr gilt. Diese Universitäten sollen den gesetzlichen Rahmen möglichst bald bekommen.

Auch das dreigliedrige Studiensystem (Bachelor, Master, Doktor) soll, wo es paßt und gewünscht wird, anstelle des alten zweigliedrigen bald ermöglicht werden.

Ungleichzeitigkeit in den Veränderungen gibt es daher, aber keinen ernsthaften Grund für Jammer über vermeintliche "Planlosigkeit".

Die Verkürzung der Studienzeit ist für die Lebensgestaltung der Studierenden und volkswirtschaftlich gesehen erstrebenswert. Die "gestreckte Jugend" (meine Begriffsprägung) - hinausgeschobener Eintritt in die reguläre Berufstätigkeit, möglich gemacht durch die lockere Studienorganisation, verbunden mit Erwerbstätigkeit, die Konsumqualität halbwegs sichert - soll zurückgedrängt werden.

Die öffentliche Diskussion zeigt jedenfalls, daß die Universitäten als sehr wichtig gelten. Die Anforderungen, sowohl was ihre Lehr- als was ihre Forschungsleistungen anlangt, sind, das wird allgemein gesehen, im Steigen begriffen. Die Herausforderungen müssen angenommen werden. Unsere sehr guten und guten Universitäten müssen auch morgen sehr gut oder gut sein. Es ist viel mehr aus ihnen herauszuholen. Sie sollen leistungsfähiger in Lehre und Forschung sowie in der Entwicklung der Künste werden. Sie sollen besser wirtschaften. Sie sollen anpassungsfähiger für neue Anforderungen werden. Sie sollen offener und erfolgreicher bei der Förderung von Kreativität und individuellen Entwicklungen werden. Sie sollen europäischer und internationaler werden. Und sie sollen eine aktivere kritische intellektuelle Instanz werden.

Unsere Universitäten haben ein gesetzlich geschütztes, staatliches Monopol. Dies soll bald aufgehoben werden. Konkurrenz, andere Angebote und Organisationen sollen ermöglicht werden. Die Akkreditierung ist sowohl für private inländische wie für private oder staatliche ausländische Erhalter vorgesehen. Auch private Neugründungen oder solche z. B. von Bundesländern können mit entsprechenden Standards eine Zulassung erlangen. Es soll keine Finanzierungsbeteiligung mit Bundesmitteln für die akkreditierten Universitäten geben. Die österreichischen Studierenden an solchen Universitäten sollen aber - was Studienförderung und Familienbeihilfe anlangt - gleichbehandelt werden.

Viel Bewegung also, keine Krise, aber mehr Leidenschaft für Sachlichkeit und Augenmaß täten den Universitäten gut.

Der Autor ist Leiter der Sektion Universitäten und Fachhochschulen im Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr.

Zum Thema Schweres Geschütz Mit solchem fuhr Bernd Schilcher, Professor für Bürgerliches Recht in Graz, letzte Woche in der Furche auf: Der aufgeklärte Absolutismus habe an den österreichischen Universitäten bis heute überdauert, nach wie vor werde zuviel zentral, "von oben" geregelt. Im Ministerium sei man in wesentlichen Punkten nicht bereit, loszulassen, sprich: Kompetenzen abzugeben, auf Institutsebene traue man sich nicht zuzupacken, sprich: um Autonomie zu kämpfen. Fazit: Angst vor der Freiheit auf beiden Seiten.

(Fast) alles Unsinn, entgegnet auf dieser Seite Sigurd Höllinger, Sektionschef im Wissenschaftsministerium und dort eine Art graue Eminenz in Fragen der Hochschulpolitik. RM

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung