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Abschied vom Glauben?

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Über die Kirche und ihre Lehre wird viel debattiert. Auf dem Markt für Sinnangebote verkauft sie sich heute oft schlecht. Warum?

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Über die Kirche und ihre Lehre wird viel debattiert. Auf dem Markt für Sinnangebote verkauft sie sich heute oft schlecht. Warum?

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Wer einen Blick auf die Religionslandkarte der Welt wirft, findet die Industrieländer als christliche Region eingezeichnet. Diese Zuordnung mag etwas über die historische Entwicklung dieser Länder aussagen. Kennzeichnet sie aber die Situation heute?

Was den ehemaligen Ostblock anbelangt, so stand er jedenfalls jahrzehntelang unter der Fuchtel eines atheistischen Systems, das die Christen systematisch verfolgt hat. Wie sich die Herrschaft des Kommunismus auf den Glauben der Bevölkerung ausgewirkt hat, erkennt man unter anderem an der Situation im Osten Deutschlands.

Dort erhob das Institut für Demoskopie in Allensbach im Jahr 1990, daß 30 Prozent aus der Kirche ausgetreten und 36 Prozent nie Mitglied einer Kirche gewesen waren. Eine Em-nid-Umfrage in Deutschland (1992), die „Der Spiegel” zitiert, kommt wiederum zu dem Ergebnis: „An den Gottessohn Jesus glauben im Osten nur 17 Prozent... wahr geworden ist ein prophetisches Wort des 1984 verstorbenen katholischen Theologen Karl Bahner vom künftigen Deutschland als einem ,heidnischen Land mit christlicher Vergangenheit und christlichen Restbeständen'. Die meisten Deutschen sind zu neuen Heiden geworden, ohne dem verlorengegangenen Glauben nachzutrauern.”

So das Resümee im „Spiegel”- allerdings um die Glaubenssituation in ganz Deutschland zu kennzeichnen. Tatsächlich glauben derselben Umfrage zufolge nur mehr 56 Prozent der Deutschen an Gott (obwohl 84 Prozent von ihnen einer der beiden großen Kirchen angehören). Für ein „christliches ” Land ist dieses Ergebnis nicht gerade eindrucksvoll, umso mehr als alles darauf hindeutet, daß die Glaubenssubstanz in immer breiteren Schichten der Bevölkerung abnimmt. Außerdem stimmen die Gottes Vorstellungen immer weniger mit der christlichen überein. Denn nur 29 Prozent der Deutschen halten Jesus Christus für den Gottessohn. Klar, daß die Kirche als Instanz der Glaubensvermittlung bei den Deutschen ein untergeordnete Rolle, spielt. Sie landet in einer Werteskala an 17. von 22 Stellen - hinter Freizeit, Wohngegend und Hobbies.

Besonders ausgeprägt ist der Abschied vom christlichen Glauben in Holland: Schon 1984 betrachteten sich 49 Prozent der Bevölkerung nicht einer Glaubensgemeinschaft zugehörig. In den Städten, etwa in Amsterdam, werden Werte bis zu 80 Prozent erreicht. Mangels Bedarfs schloß man in den siebziger Jahren rund 20 Kirchen (DIEFURCHE 8/92).

Was Österreich anbelangt, gaben einer Fessl und GFK-Befragung zufolge 1990 rund 50 Prozent an, es sei ihnen wichtig, an Gott zu glauben. Bei näherem Hinsehen erkennt man jedoch, daß Religion nur für 25 Prozent „sehr wichtig” im Leben ist. Nur 23 Prozent fanden, daß die Vermittlung eines „festen Glaubens” wichtig für die Erziehung sei (in der EU sind es laut „Eurobarometer” sogar nur zehn Prozent). Bemerkenswert ist auch, daß nur 12 Prozent der Österreicher an eine „Auferstehung mit Leib und Seele” glauben.

Wie wenig der Glaube das tägliche Leben des Europäers prägt, zeigen auch Umfragen über Werte und Einstellungen der Bevölkerung in Großbritannien (1982). Nach der Bedeutung verschiedener Lebensbereiche befragt, reiht der Durchschnittsbrite Gesundheit und Familie ganz nach vorne. „Glaube” hingegen landet

ganz hinten: An 22. von insgesamt 23 Positionen - hinter Hobbies, Aussehen, Essen und Irinken. Eine sehr ähnliche Reihung ergeben auch Umfragen in Frankreich und Österreich (1986): Da landete Religion jeweils an sechster von sieben Stellen.

Immer dasselbe Bild: Eine verblassende Vorstellung von Gott und eine weitverbreitete Abkehr von zentralen Inhalten des christlichen Glaubens. Damit ist eines offenkundig: Der christliche Glaube, eines der konstitutiven Elemente Europas, ist zur Randerscheinung geworden, die weder das öffentliche Leben, noch den Alltag einer Mehrheit der Bürger entscheidend prägt. Wir leben längst in

einer pluralistischen Gesellschaft, die bewußt davon Abstand nimmt, sich zu einer Weltanschauung zu bekennen. Ebenso wie unsere Gesellschaft stolz auf ihren leistungsfähigen Güter- und Dienstleistungsmarkt ist, hält sie sich auch etwas auf ihren Markt an Sinnangeboten zugute.

Auf ihm gibt es ein buntes Angebot, das von rechtsextremer Führerverherrlichung, über ostasiatische Meditation, Hexenkulte, indianische Gottheiten, okkultes Anzapfen des Jenseits, agnostische Wissenschaftsgläubigkeit, linksextreme Utopien bis hin zu reinem Konsumismus reicht. Ja, letzterer ist wohl am stärksten prägend: „Shopping macht happy”, „Ich genieße, also bin ich”... Werbeslogans sind die moderne Heilsverheißungen. Sie werden uns pausenlos von den heutigen Kanzeln, den Plakatwänden eingehämmert.

Entscheidend für gemeinsames Handeln ist in der modernen Gesellschaft nicht ein gemeinsamer, vorgegebener, weil von Gott geoffenbarter Glaube, sondern ein Kompromiß zwischen Werten, für die sich jeder nach eigenem Gutdünken entscheidet. Der Mensch meint, Herr auch über den Glauben geworden zu sein. Man fragt: Mit welchen Werten läßt sich am besten leben? Mit welchen funktioniert die Gesellschaft am besten? Und dabei ist das Kriterium für gut meist eine relativ kurzfristig gesehene Nut-zenmaximierung für den einzelnen.

Unter diesem Blickwinkel wird auch der christliche Glauben betrachtet. Er ist eben eines der Sinnangebote unter vielen. Und man erwartet von diesem Angebot, daß es sich durch seine „Nützlichkeit” rechtfertigt und möglichst gut verkauft. Was bringt es, Christ zu sein? Welche Rezepte für ein erfolgreiches, interessantes und angenehmes Leben hat er anzubieten? Im Wettkampf um Anteile auf dem Markt für Sinnangebot müssen Christen da Rede und Antwort stehen in Talk-Shows oder Fernsehdebatten.

Auf dieser Ebene spielt sich meist auch der Diskurs über die Lehre der Kirche ab. Aus dieser Warte werden die heißen Eisen, die moralischen Wegweisungen, die die Kirche für die Lebensgestaltung gibt, abgehandelt: Passen sie überhaupt zu einem modernen Leben, wie es unsere Gesellschaft einrichtet? Sind die natürliche Empfängnisregelung, ein zölibatäres oder ein einfacheres Leben, eine lebenslange Treue in der Ehe zumutbar? Was bringt das?

Von der Kirche erwartet man auf solche Frage - nicht ganz zu Unrecht - überzeugende Antworten. Man vergißt dabei aber, daß diese erst auf dem Hintergrund eines Vorverständnisses vom Menschen und seiner Stellung in der Schöpfung verständlich werden. Auseinandersetzungen über konkrete Fragen der Lebensgestaltung lassen sich sinnvoll nur dann führen, wenn zuerst geklärt wurde, worin die Gesprächspartner den letzten Sinn der menschlichen Existenz sehen. Sonst redet man unentwegt aneinander vorbei.

Genau diese Klarstellung findet aber so gut wie nie statt. Alle Debatten über die Moral spielen sich so ab, als würden die am Gespräch Beteiligten von derselben Weltanschauung ausgehen. Gerade davon aber kann aber wirklich keine Rede mehr sein -leider auch nicht unter jenen, die sich innerkirchlich am Gespräch beteiligen.

Die moderne Welt sieht nämlich den Menschen, sein Wesen, seine Bestimmung ganz anders als die christliche Offenbarung. Daher ist es höchste Zeit, das Gespräch der Kirche mit der Welt auf eine andere Ebene zu verlagern. Sie darf sich nicht festnageln lassen auf Debatten über Detail-fragen (so wichtig diese auch im einzelnen sein mögen), sondern muß über den Kern der christlichen Botschaft sprechen, die beglückende Erfahrung des Glaubens.

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