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Adoptiert Missionre!

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„SAGEN SIE ZU HAUSE: SIE SOLLEN UNS NICHT VERGESSEN!“ Pater R., der Missionär mit dem deutschen Schäferhund, das einzige, was ihn an die Heimat erinnert, bleibt am Bahnsteig zurück. Er winkt mir noch ein letztes Mal.

Dann ist er wieder allein. Allein in seiner kleinen Missionsstation an der japanischen Binnensee. Allein in dem kleinen Hafen mit 90.000 Einwohnern, von denen nur 180 Katholiken sind. Allein in dem japanischen Haus, das zugleich Kirche ist, die je nach Anzahl der Gläubigen vergrößert werden kann. Man braucht nur die Papierwände zu verschieben. Vor einigen Jahren ist ein Amerikaner auf den Gedanken gekommen, ihm einen Außenbordmotor zu schenken. Ein Missionär muß nun nicht nur ein eifriger Mann Gottes, er muß auch ein Bastler sein. Also baute sich Pater R. - verblüffend geschickt - ein dazugehöriges Boot. Das war der Beginn seiner Inselmission.

Das ist ein Missionspater. Einer unter tausend anderen. Allein japanisch sitzen zu lernen (auf den Knien) war für ihn eine Marter. Daß er die Sprache beherrschen muß, genau sogut wie jeder gebildete Japaner, sei nur nebenbei erwähnt. Daß er einen Kindergarten baute, mit eigens konstruierten Patentgeräten, Rutschanlage und Planschbecken, dessen Wasserzufuhr Sträflinge freiwillig bauten, sei auch nur nebenbei erwähnt.

Aber wie Kinder in den Kindergarten bekommen? Also konstruierte sich unser Missionär eine amerikanische Küche mit besonderem Auswurfschacht für Abfälle. Sie ist die Attraktion für japanische Hausfrauen der Umgebung geworden. Sie werden deshalb zwar nicht katholisch, aber sie schicken ihm jetzt ihre Kinder. Das alles gehört zum Alltag eines Missionärs. Denn Mission ist harter Alltag; Mission ist - im Gegensatz zur Vorstellung eines Großteils der Katholiken — abenteuerlichster, ebenso auch diszipliniertester Alltag.

Abenteuerlichster Alltag: Da ist in Mittelindien eine Missionsstation. Mit einer Agrar-mittelschule. Just in einem Gebiet, in dejn Dürre und Hunger herrschen. Die Bodenerosion hat den Distrikt zu einer einzigen Karstfläche gemacht. Und gerade hier hat ein Missionsbruder sein Tätigkeitsfeld. Ein bayrischer Bauernsohn. Im Krieg war er Flieger. Und was macht er jetzt in Indien? Er baut Brunnen und Wasserleitungen. Er legt eine Plantage nach der anderen an. Die jungen Agrarmittelschüler lernen bei ihm, wie man mit der. Sichel umgeht, Getreide sortiert, Gemüse anbaut und Obst züchtet. Unser Missionsbruder baut aber auch Wohnhäuser, Schulen und Stallgebäude. Er zauberte eine Sportanlage hin und fährt den einzigen Traktor im Umkreis von 70 Kilometer.

Wo gibt es heute noch für den europäischen Zivilisationsmenschen ähnliche Chancen solchen Pionierlebens? W

Diszipliniertester Alltag: An den Universitäten und High-Schools der Missionen ist das Leben kaum anders als auf europäischen Bildungsstätten. Patres vermitteln hier einer bildungshungrigen Elite in den nach technischen Maßstäben „unterentwickelten Ländern“ Wissensstoff. Sie leisten minuziöse Forscherarbeit in Kultur und Geschichte jener Völker, denen sie im Namen Christi dienen. In Indien etwa sind mehr als eine Million Schüler an katholischen Bildungsstätten (bei insgesamt nur vier Millionen Katholiken!). Hier steht der Missionär als anerkannter Lehrer und Wissenschafter in Begegnung mit der führenden Intelligenzschicht von morgen. *

DIE TRAGIK DER KATHOLISCHEN SCHULEN in Indien jedoch ist (allerdings auch im“ Raum des Islams): sie dürfen keine religiöse Erziehung vermitteln, sondern nur Mittler profanen Wissens seih. Von katholischen Sozialprinzipien ist in Indien — leider — soviel wie gar nichts bekannt. Also auch hier die politische Paradoxie, daß dank der Missionen das Bildungsniveau zwar allgemein gehoben wird, daß aber davon natürlich auch die Radikalen, seien es die Nationalen oder die Kommunisten, profitieren.

Zwar verbreiten die Missionäre an den katholischen Schulen in Asien eine gewisse christentumsfreundliche Atmosphäre. Letztlich aber toleriert man sie seitens der asiatischen Staaten nur, soweit ihre Bildungsleistung in das Konzept der jeweiligen Regierungen hineinpaßt.

Diesem Problem begegnet man in vielen Missionsländern, besonders in den asiatischen.Dennoch nehmen die Missionäre mit unverminderter Kraft den Kampf gegen das Analphabetentum und gegen die geistige Primitivität auf.

Wir sehen hier, wie stark die Mission in Bereiche hineinspielt, die mit unserer landläufigen Vorstellung von der Mission gar nicht in Einklang zu bringen sind. Es geht eben heute um mehr als um bloßes Loskaufen von Negersklaven. Der Missionär mit dem Flugzeugführerschein ist bereits nüchterne Realität.

In einem Gespräch hat kürzlich ein prominenter österreichischer Sozialist die Annäherung des Sozialismus an die Kirche auch mit dem Hinweis auf Asien begründet. Unsere Zukunft, sagte er, werde in dem Existenzkampf zwischen der kommunistischen und nichtkommunistischen Welt bestehen. Das Schwergewicht der Auseinandersetzung sei aber Asien. Seiner Meinung nach gäbe es nun in Asien nur zwei Mächte, die dem Kommunismus Widerstand bieten und sein Vordringen stoppen könnten: -politisch — der asiatische Sozialismus eines Nehru oder U Nu, der sich natürlich von der europäischen Spielart wesentlich unterscheide, und geistig — die katholischen Missionen. Wenn diese beiden Mächte sich gegen den Kommunismus in Asien in eine gemeinsame Front stellten, wäre es da nicht sinnlos, daß sie sich in Europa angesichts der immer stärkeren weltweiten Kommunikation bekämpfen?

Man kann gewiß zu dieser These manches sagen. Es würde aber den Rahmen unseres Themas übersteigen. Besonders bemerkenswert erscheint jedoch hier das Urteil eines Nichtkatho-liken über die weltpolitische Bedeutung der katholischen Missionen für die Existenz der nichtkommunistischen Welt! Darüber, also über unsere eigene Existenzfrage in Europa, ob es sich nun um Christen, Liberale, Sozialisten usw. handelt, machen wir uns leider wenig Gedanken. Uns ist darum noch kaum aufgefallen, daß es für die Mission sehr rationale Gründe gibt, sie mit allen unseren Kräften hier in Europa, wo wir nur theoretisch weit vom Schuß sind, zu unterstützen. Die Rotchinesen z. B. haben weit besser erfaßt, was die Missionen in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus bedeuten. Wie könnte L sie sonst eine Minorität von drei Millionen Katholiken bei insgesamt mehr als 600 Millionen Chinesen stören, wenn ihnen nicht in der Kirche eine Mächt entgegenträte, die ihren unmenschlichen Grundsätzen ein beharrliches und unbeugsames Nein entgegensetzte? Haben wir diese Sicht der Missionen einmal vor Augen, dann müßten uns die rührend naiven Methoden unserer Propaganda für die Missionen aufregen. Dann müßte uns die Missionsgleichgültigkeit breitester katholischer Schichten alarmieren! Gleichen wir nicht Leuten, die innerhalb eines geistigen Kirchturmhorizonts behaglich auf den Henker warten wollen?

Man kann entgegenhalten: Es wird doch ohnedies viel für die Missionen getan.

Kurze Antwort: Die zuständigen Missionsstellen haben kürzlich bekanntgegeben, daß die Katholiken der ganzen Welt jährlich nicht mehr für die Missionen an Geldmitteln aufbringen als eine einzige New-Yorker Bierbrauerei in einem Jahr für Propaganda ausgibt.

Es geht also darum, neue Wege zu finden, um unseren Missionären in der Welt zu helfen. Die Mittel, die über die Diözesen der Zentralstelle für die Mission in Rom zur Verfügung gestellt werden, reichen niemals aus. Das liegt

— werbetechnisch begründet — darin, daß die Einsatzfreudigkeit für ein allgemeines Objekt immer geringer ist als für einen konkreten Fall. Was hindert aber Einzelgruppen, die Patenschaft für eine Missionsstation oder für einen bestimmten Missionär zu übernehmen? Oesterreich hat Missionäre in alle Welt entsandt. Sie kommen aus Stadt- oder Landgemeinden. Wenn einer in die Heimat zurückkehrt, begrüßt man ihn mehr oder minder feierlich in seiner Heimatgerrieinde. Wo aber bleiben seine Schulfreunde, seine einstigen Spielgefährten, die Honoratioren und Geschäftsleute seiner Gemeinde, die ihn alle noch kennen? Warum greifen sie nicht gemeinsam

— so wie sie es zur Wiederbeschaffung der im Krieg eingeschmolzenen Glocken getan haben — ihrem Missionär unter die Arme, warum „adoptieren“ sie ihn nicht? Warum gründen sie für ihn nicht einen Missionsverein, dessen Aufgabe darin besteht, dem Missionär zu schicken, was er braucht: Schreibmaschine oder Motorrad oder Auto (wie dies eine oberösterreichische Gemeinde im vergangenen Jahr bereits getan bat!) oder einen Eisschrank (für die Temperaturen von 40 bis 50 Grad!) usw ? Hier können Einzelinitiativen entwickelt werden, die bei allgemeinen Sammelaktionen nie zum Zug kommen. ■ , . • ,

Gemeinden, die aus ihren Reihen keinen Missionär hervorgebracht haben, brauchen aber keineswegs untätig abseits zu stehen. Die Missionsstellen können jederzeit Auskunft geben, weil sie ja einen besseren Ueberblick haben, in welcher Missionsstation dringend Hilfe nottut. *

DIE MISSION IST natürlich keine neue Idee, denn sie ist genau so alt wie die Kirche selbst. Aber es macht nichts aus, wenn jede Christengeneration sie als „große Idee“ neu für sich entdeckt. Eine Diözese, die sich selbst als „Missionsgebiet“ so wichtig nähme, daß sie sich bestenfalls mit einem dürftigen und pflichtmäßigen Obolus für die Missionen begnügen zu können glaubt, wird es auf das eigene Schuldkonto buchen müssen, selbst Missionsgebiet geworden zu sein. Denn wer sich von den Sorgen und Leiden der Weltkirche — dem uralten Kraft-und Erneuerungsstrom der Kirche — abkapselt, der muß konsequent zum berühmten „dürren Zweig“ der Bibel werden.

„SAGEN SIE ZU HAUSE, SIE SOLLEN UNS NICHT VERGESSEN!“ Ein Missionär hat mir das auf einem südjapanischen Bahnsteig nachgerufen. Noch glaubt er daran, daß wir in der Heimat, in der „Etappe“, unser Christsein bedingungslos und großherzig üben.

Die Antwort an ihn und an sie alle, die in den Missionen draußen auf Vorposten der Kirche stehen, das heißt ja von uns allen, die getauft sind, wird uns niemand abnehmen ...

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