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Akademische Lehrer ohne Titel

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Aus der Notwendigkeit, die Beamten eines geordneten Staatswesens nicht wild durcheinander laufen zu lassen, ergibt sich das Verlangen nach Titeln, die das Ansehen des staatlichen Amtsträgers schützen und heben, ihn von anderen Beamten unterscheiden und seine Vorbildung sowie die Art seines Amtes damit in der Oeffentlichkeit bezeichnen sollen. Zur Zeit bemüht sich eine schwer benachteiligte Gruppe von Akademikern um eine gerechte Lösung der Titelfrage: die Mittelschul-1 e h r e r.

Die Absolventen des höheren Lehramtes werden ohne jeden Titel von der Hochschule entlassen. Sie führen aber auch im Beruf, zunächst im Probedienst und dann als Vertrags-Jehrer, keine offizielle Amtsbezeichnung, sondern erst nach ihrer Pragmatisierung, also etwa acht Jahre nach Beendigung ihrer Universitätsstudien, den Titel „Professor“, wie eine kürzlich ergangene Verordnung des Ministerrates bestimmt.

Ganz anders beim Arzt, beim Juristen, beim Techniker, beim Pharmazeuten, beim Philosophen, soferne er ein reines Fakultätsstudium betreibt, beim Veterinärmediziner, beim akademisch gebildeten Künstler, beim Absolventen der Hochschule für Welthandel oder beim hochschulmäßig ausgebildeten Dolmetscher: sie alle verlassen bereits die Hochschule mit einem Titel, der ihre höheren Studien nach außen hin dokumentiert; ganz abgesehen davon, daß sie in Stellungen mit Beamtencharakter — oft schon vom ersten Augenblick an — würdige und ihre Tätigkeit charakterisierende Berufsbezeichnungen führen.

Hier ?oll nun nicht von den Amtstiteln der Mittelschullehrer gesprochen werden, die einer Regelung bedürfen: denn Bezeichnungen wie „Probelehrer“ und „Vertragslehrer“ kennzeichnen die verantwortungsvolle Tätigkeit eines akademisch gebildeten Beamten durchaus ungenügend.

Noch notwendiger ist vorerst die Schaffung eines eigenen akademischen Grades für alle Absolventen der Lehramtsstudien in Analogie zu den anderen Studienrichtungen. Diese Lösung hätte dazu noch den Vorteil, daß der Betreffende, falls er nicht in das Lehramt eintritt, sondern privat sein Fortkommen sucht, dort gleich als Akademiker erkannt, behandelt — und besoldet wird. Die Einführung eines solchen Grades würde den Staat finanziell nicht belasten, den Universitäten aber im Gegenteil gewisse materielle Vorteile (Promotionstaxen) bieten, und im übrigen nur einem historischen Vorbild entsprechen und dem Beispiel anderer Länder folgen.

Wie die „Wiener Universitätszeitung“ vom .15. April 1949 mitteilte, regte das Professorenkollegium der philosophischen Fakultät der Universität Wien bereits damals beim Bundesministerium für Unterricht an, den Grad eines „Magisters scholarum“ tu schaffen. Aehnliche Vorschläge — wie etwa „Mag. doc.“ und „Mag. phil.“ — sind seither gefolgt. Der neue akademische Grad würde übrigens einer späteren Gesamtregelung keineswegs hinderlich sein, da die Titulatur der Lehramtskandidaten immer eine Sonderregelung ei fordert, also aus dem Schema herausgenommen werden muß. Das Lehramt verlangt normalerweise zwei Hauptfächer, das reine Fakultätsstudium, aber nur eines; für diese beiden Fälle muß also eine unterschiedliche Titelgebung erfolgen.

Der neue Titel würde übrigens an eine Gruppe von Akademikern verliehen werden, die diese Auszeichnung durchaus verdient. Zahlreiche Hochschulprofessoren haben ihr Lehramt über den Mittelschuldienst erreicht. Forscher von Rang gingen aus ihnen hervor: Kepler, Wöhler, Bunsen, Galetti, Marquardt, Mendel, Ranke, Schönbein, Herder, Duden, Ohm. Aber auch manche akademische Lehrer der Gegenwart, bis zur Leiterin des Wiener Radiumforschungsinstitutes und zum Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, würden gewiß gerne bestätigen, daß ihnen die seinerzeitige gründliche Ausbildung im Rahmen des Lehramtsstudiums eine willkommene Verbreiterung ihrer wissenschaftlichen Grundlagen geboten hat. Ein Blick in den Schematismus der Mittelschullehrer zeigt auch, daß es kaum einen anderen akademischen Berufszweig gibt, deren Angehörige sich in derartigem Umfange noch zusätzlichen Studien hingeben: Mittelschullehrer mit mehreren Hauptfächern, Doktoraten und anderen akademischen Graden sind durchaus keine Seltenheit. Daneben erscheinen viele von ihnen als Lektoren, Mitglieder von Prüfungskommissionen für das Lehramt an Mittelschulen, und als sonstige Lehrbeauftragte mit der Universität, oder etwa als Assistenten an den Lehrkanzeln für darstellende Geometrie auch mit den Technischen Hochschulen verbunden. Viele von ihnen sind literarisch publizistisch tätig. Schließlich sei daran erinnert, daß die Lehramtsprüfung oft bedeutend schwieriger zu erreichen ist als das philosophische Doktorat, das — wie etwa Prof. M e i s t e r im Vorjahre in der Gesamtsitzung der Akademie der Wissenschaften ausführte — einer tiefgreifenden „Revalorisierung“ bedürfte; im übrigen sprechen auch die von Min.-Rat Dr. Stur in Heft 1/2 der „Oesterreichischen Pädagogischen Warte“ (1948) veröffentlichten Zahlen für sich: von den etwa 9000 in den Jahren 1925 bis 1932 an den Universitäten inskribierten Lehramtsanwärtern gaben rund 7000, also rund 78 Prozent, ihr Studienvorhaben auf!

In Würdigung aller dieser Umstände ist daher zu hoffen — und die so anerkennenswerte Initiative der Wiener philosophischen Fakultät, verbunden mit der verständnisvollen Haltung des Unterrichtsministeriums, gibt dazu die Berechtigung —, daß die Frage eines akademischen Grades für die Lehramtskandidaten bald gelöst wird. Auf jeden Fall aber sollte diese Regelung eine Herzensangelegenheit der Hochschule sein, die damit ihre Solidarität mit den vielen Absolventen, die ihr seinerzeit die Treue geschworen haben, beweisen könnte.

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