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Alimente auf Staatskosten?

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Mehr als 227.000 unehelich geborene Kinder wurden in Oesterreich in den Jahren 1945 bis 1955 in die Welt gesetzt. Die meisten von ihnen erwartet ein trauriges Los für das Leben. Denn ihre Mütter sind größtenteils arme Mädchen aus dienenden Berufen. Darauf angewiesen, sich durch ihre eigene Arbeit fortzubringen, können sie ihr Kind nicht bei sich behalten und selbst betreuen. Und das ist das Unglück für solche Kinder. Für ein Kleinkind ist die Mutter mindestens ebenso lebenswichtig wie das Essen.

Wenn nun diese Kinder, wie es üblich ist, auf bezahlte Pflegeplätze kommen, so leiden sie kaum oder nur selten Mangel an dem, was der Körper braucht. Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Insbesondere in den ersten Jahren der Kindheit braucht er, um sich seelisch richtig zu entwickeln und zu einem brauchbaren Mitglied der menschlichen Gesellschaft heranwachsen zu können, die „Nestwärme" der Mutterliebe. Das braucht das Kleinkind Tag und Nacht, beständig. Sonst kommt es leicht zu seelischen Fehlentwicklungen, die später nicht mehr korrigierbar sind.

Seelisch fehlentwickelte Menschen sind die schwersten Belastungen der öffentlichen Gesellschaft. Sie beschäftigen schon als „Halbstarke“ die Polizei und die Jugendgerichte, sie bevölkern dann als Erwachsene die Zuchthäuser, die Irrenhäuser und die Krankenhäuser, viele von ihnen verfallen der Trunksucht, der Rauschgiftsucht, der Prostitution, sie stellen den überwiegenden Teil der Selbstmordkandidaten und der Ehescheidungswilligen und den parteihörigsten Teil des Führerkorps in politisch-radikalen Bewegungen. Ihr fehlentwickeltes Kontaktstreben befähigt einen Teil von ihnen auch zu jener Grausamkeit, die in den letzten Jahrzehnten (aber ebenso auch im Altertum und im Mittel- alter) in den Folterkellern der politischen Polizei und in den KZ.s so erschreckend zutage getreten ist. Den Ausgangspunkt nehmen all diese Entwicklungen in der Lieblosigkeit der frühesten Kindheit — ein Los, das vor allem die vaterlos und mutterlos aufwachsenden Kinder unverschuldet trifft.

Der öffentlichen Gesellschaft müßte somit sehr viel daranliegen, auch diesem — besonders gefährdeten — Teil unserer heranwachsenden, nachkommenden Generation eine Erziehung in Liebe und Geborgenheit zu sichern. Der Schlüssel hierzu liegt in der Möglichkeit, dem Kinde das ständige Beisammensein mit seiner Mutter — zumindest in den ersten Lebensjahren — zu sichern. Hierzu reichen allerdings die üblicherweise bezahlten Alimente bei weitem nicht aus. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, überschreitet die Höhe der üblichen Alimente monatlich kaum die Grenze von 300 Schilling einschließlich der Kinderbeihilfe. Das Aufreizendste aber am Nebeneinander der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen liegt darin, daß ein Teil -4 in manchen Fälle sogar das Ganze — dem Verpflichteten erstattet werden muß, somit indirekt aus den Steuerleistungen der übrigen Mitmenschen stammt. Nachfolgend ein Berechnungsbeispiel:

Der Eisenbahner K. ist ledig und bezieht ein steuerpflichtiges Monatseinkommen von rund 2000 Schilling.

Er wird im Zuge eines Vaterschaftsprozesses für sein uneheliches Kind zu einer Alimentation von monatlich S 200.— verpflichtet. Außerdem muß er die ihm ausbezahlte Kinderbeihilfe für das

Aber K.s nächster Lohnstreifen zeigt nicht etwa ein vermindertes Nettoeinkommen, sogar noch ein um S 1.20 zu seinem Gunsten höheres Einkommen, und zwar aus folgenden Gründen:

Nach den finanzamtlichen Richtlinien ist die monatliche Alimentation von S 200.— ausreichend für das Merkmal der sogenannten „überwiegenden Kostentragung“ und verschafft dem Verpflichteten statt der bisherigen Steuergruppe I die Einreihung in die Steuergruppe III/1. Dadurch ermäßigt sich seine Lohnsteuer von S 218.20 auf S 99.70 und seine Lohnsteuerersparnis beträgt S 118.50

Dazu kommt bei ihm als öffentlich Bediensteter, daß sein Lohn um die monatliche (steuerpflichtige) K i n- derzulage von S 100.— erhöht wird. Vermindert um die darauf entfallende Lohnsteuer von S 17.30 verbleibt ihm als Ueberschuß S 82.70

Außerdem bekommt er die monatliche steuerfreie Kinderbeihilfe (die er an das Kind weiterleiten muß) im Betrag von S 105.—

Erstattet auf Staatskosten: S 306.20

Dazu ist nun zweierlei zu sagen:

1. Man mag aus weltanschaulichen Gründen zur unehelichen Vaterschaft diese ohne jene Einstellung haben — jedenfalls ist aus familienpolitischen Gründen die Verantwortungslosigkeit gegenüber dem gezeugten Kinde völlig abzulehnen. Kinder, die nicht im Schoße einer geordneten Familie aufwachsen können, bilden ein viel ernsteres Problem als Kinder, die gar nicht gezeugt werden. Die Sorgen des Familienpolitikers beginnen also — zum Unterschied von der Bevölkerungspolitik, deren Bestrebungen mit der. Hebung der Geburtenziffern ihre Erfüllung finden — erst nach der Geburt und konzentrieren sich darauf, daß jedes neuge- ? borene Menschenkind für die Zeit seines ersten Ausgreifens in die Umwelt und für die Zeit der Erziehung und Reife ein ordentliches Elternhaus vorfindet. Daher müßten die Alimentationsbeträge so hoch sein, daß sie ausreichen, um dem Kind zumindest für die ersten drei Lebensjahre ein ständiges Beisammensein mit seiner Mutter zu ermöglichen. Die Kindesmutter sollte in dieser Zeit ihren und ihres Kindes Lebensunterhalt aus der Alimentation und ihrer häuslichen Arbeit bestreiten können, ohne daß sie genötigt ist, einem außerhäuslichen Erwerbsberuf nachzugehen. Damit leistet sie nämlich der öffentlichen Gesellschaft einen viel größeren Dienst.

2. Wieso kommt es zu der unverständlich hohen Erstattung der Alimente auf Staatskosten über den Weg der (allerdings nur für den öffentlichen Dienst bestehenden und steuerpflichtigen) Kinderzulage und über den Weg der allen zugänglichen Steuerermäßigungen? Das liegt daran, daß das österreichische Steuerrecht und zum Teil auch die Besoldungsordnungen ohne Gefühl für die f a m i 1 i e n m ä ß i g e Struktur der öffentlichen Gesellschaft konzipiert worden sind. Was einem verantwortungsbewußten Vater, der die Mutter seines Kindes ehelicht und für ihren und des Kindes Lebensunterhalt sorgt, mit Recht zusteht, wird gedankenlos auch dem zugebilligt, der nur für das Kind allein und auch für dieses nur in ungenügendem Umfang Alimente bezahlt. Seine Leistung erreicht aber nur einen Bruchteil der ihm steuerlich völlig gleichgestellten Leistung des Familienvaters.

Die öffentliche Gesellschaft hat somit nicht nur den Schaden in Form von für das soziale Zusammenleben untauglichen Mitmenschen, wie rie (von Ausnahmen abgesehen, die es selbstverständlich auch gibt) erfahrungsgemäß aus schlecht erzogenen unehelichen Kindern heranzuwachsen pflegen, sondern sie muß zu diesem schlechten Ergebnis noch dazu mit ihrer Steuerleistung beitragen. Und das ist bestimmt kein kleiner Beitrag, Soweit Schätzungen überhaupt möglich sind (Oesterreich besitzt leider keine Familienzählung, sondern nur eine Haushaltszahlung), dürfte die Summe der so vom Staatsfiskus indirekt erstatteten Alimente zwischen 300 und 400 Millionen Schilling jährlich liegen.

Zur Reform dieses unbefriedigenden Zustandes würden wohl hauptsächlich folgende drei Wege führen können:

a) Die Kinderbeihilfe soll nicht dem Vater, sondern jener Person ausgefolgt 'werden, die das Kind tatsächlich in Pflege hat (auch ohne einen besonderen Antrag).

b) Die Alimente sollen spürbar erhöht werden, weil das Unterhaltsbedürfnis des Kindes auch die Anwesenheit der Mutter bedingt, zumindest im Kleinkindalter.

c) Die Kinderzulagen und die steuerlichen Begünstigungen der Steuergruppe III dürfen den unehelichen und den geschiedenen Vätern nur dann zukommen, wenn die Höhe ihrer Alimentationsleistung entsprechend ausreichend ist. Soweit es die Steuergruppe III anlangt, bedarf es hierzu vermutlich nicht einmal einer Gesetzesänderung, sondern nur einer Erhöhung der Grenzen für die „überwiegende Kostentragung“, in den bei der Finanzverwaltung gebräuchlichen Richtsätzen, zumal dieselben den tatsächlichen Kosten derzeit sowieso nicht mehr entsprechen.

Würde der dem Staatsfiskus daraus ersparte Betrag von jährlich 300 bis 400 Millionen Schilling dem Familienlastenausgleichsfonds bzw. Kinderbeihilfenfonds überwiesen, so könnte man mit diesem Geld und mit den sowieso schon vorhandenen Ueberschüssen die Möglichkeit schaffen, den Lebensunterhalt für alleinstehende Mütter auch ohne außerhäusliche Erwerbstätig- keit zu sichern. Da ihnen hierfür auch die Kinderbeihilfe und die Alimente und ihre eigene häusliche Arbeitsleistung (eventuell mit einer ‘ zusätzlichen Heimarbeit als Nebenverdienst) zur Verfügung stehen, wäre das durchführbar.

Daß derartige Gedankengänge durchaus nicht so abwegig sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen mögen, ergibt sich auch aus der letzten Regierungserklärung des Bundeskanzlers Ing. Raab. Darin wurde den alleinstehenden Müttern ausdrücklich Schutz und Hilfe versprochen. Die auf Alimente angewiesenen Mütter, das sind die unverehelichten und geschiedenen, stellen zwar nur einen Teil der alleinstehenden Mütter dar, aber den weitaus größten und hinsichtlich der erwähnten nachteiligen Erziehungsfolgen gefährdetsten Teil. Das Interesse der gefährdeten Kinder steht im Vordergründe. Es ist identisch mit dem Interesse der öffentlichen Gesellschaft. Da es dabei um die familienmäßige Erziehung von mindestens 400.000 unversorgten Kindern geht, muß man endlich den Erziehungsund Unterhaltsanspruch des — immer schuldlosen — Kindes von der allfälligen Verschuldensfrage seiner Mutter unabhängig machen.

Zielbewußte Familienpolitik bezweckt neben der Festigung der noch bestehenden gesunden Familien auch die Heilung der nachteiligen Folgen in zerstörten oder halben Familien. Dabei darf man — wenn man an alleinstehende Mütter denkt — auch die Witwen nicht vergessen. Ihnen (und den Waisen) einen ausreichenden Lebensunterhalt zu schaffen, damit sie nicht zum Schaden des häuslichen Pflichtenkreises und insbesondere der Kindererziehung einen außerhäuslichen Erwerbsberuf nachzugehen gezwungen seien, wäre Aufgabe einer sehr dringend notwendigen Reform der Pensions- und Rentenversicherung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage.

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