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Alle an die Uni — und was dann?
An den UniversitäTen läuft vieles in die falsche Richtung: Der langjährige Rektor und Dekan der Medizinischen Fakultät in Graz über seine Erfahrungen.
An den UniversitäTen läuft vieles in die falsche Richtung: Der langjährige Rektor und Dekan der Medizinischen Fakultät in Graz über seine Erfahrungen.
dieFurche: Werden sich bald die Pro-motionen aufhören?
Thomas Kenner: Das Universitätsstudiengesetz schreibt vor, daß akademische Grade durch einen Bescheid verliehen werden. Er ist von amtswegen zu erlassen und verleiht das Recht, einen Titel zu führen. Man kann weiterhin an der Universität eine Feier veranstalten. Hat der Absolvent aber den Schein schon vorher in der Hand, wird die Feier zu etwas Überflüssigem. Wer aber keine Zeit hat, kommt nicht. Uangsam aber sicher wird die Feier ganz überflüssig werden. Dieses Zerstören der Feier stellt eine schwere Verletzung für die Universität dar ...
dieFurche: Ist das nicht eine nebensächliche Frage?
Kenner: Ein Zeichen für Tiefergehendes: Man macht aus der Ausbildung etwas Mechanistisches. Das Bewußtsein geht verloren, daß ein wichtiger Lebensabschnitt mit einem symbolischen Ereignis abgeschlossen werden soll. Man hat ja auch in der Kirche die Erfahrung gemacht, daß man durch Vernachlässigung des Feierns und Konzentrieren auf Zwecke Wesentliches verliert. Ich sehe in dem Zeichen den Verlust des tieferen Sinnes des Studierens. Es ist nicht nebensächlich, wenn die „Liturgie" verloren geht.
dieFurche: Den Studenten genügt wohl, rasch den Berufsbefähigungsnachweis in Händen zu halten
Kenner: Sicher will man rasch das Dokument. Aber andererseits lese ich, daß man in den neuen Fachhochschulen großen Wert auf Abschlußfeiern legt. Da gab es Bilder von Promotionen, die an amerikanische Universitäten erinnern: Studenten mit Baretts.
dieFurche: Übernehmen die Fachhochschulen die Rolle der Universitäten?
Kenner: Es sieht aus, als dränge man in diese Richtung. Übrigens hatte schon vor 200 Jahren Kaiser Josef II. die Sorge, man bilde Leute aus, die für den Staat nicht nützlich genug wären, weil sie zu viel philosophierten. Also mehr Praxis. Und vor kurzem hörte man aus dem Munde des Ministers den Vorschlag, die Ausbildung der Mediziner an einer Fachhochschule durchzuführen.
dieFurche: Der Vorschlag wurde ja wieder zurückgezogen ...
Kenner: Das stimmt. Bleiben wir aber beim Thema Fachhochschulen. Da ist einiges bemerkenswert: Sie haben -ohne, daß sich jemand aufregt - einen strengen „numerus clausus". Außerdem eine ganz strenge Zeiteinteilung. Beides hat die Universität nicht. Fällt also einer bei der Aufnahmeprüfung für die Fachhochschule durch, kann er selbstverständlich an einer Universität studieren.
dieFurche: Bietet die Universität überhaupt mehr als Berufsausbildung?
Kenner: Das ist der Schwach punkt der Universität: Sie vernachlässigt ihre Aufgabe, mehr als reine Berufsausbildung zu vermitteln. Bei Medizinern etwa: Gesprächsführung, ethische Grundsätze, ein gewisses philosophisches Wissen, z.B. um ein klares Den ken zu lernen ... Ich merke das Manko, wenn die Ombudsfrau, die in der Steiermark die Interessen der Patienten vertritt, über deren Klagen berichtet. Sie beziehen sich meist auf das Verhalten der Ärzte: Sie reden nicht mit den Patienten, klopfen nicht an, wenn sie ins Zimmer kommen, grüßen nicht ... Viel geklagt wird auch über Organisatorisches, unnötiges Warten. Alles Dinge, die man im Studium nicht lernt, obwohl es wichtig wäre.
dieFurche: Fehlt das entsprechende Angebot
Kenner: 'Vielfach ja. Weil aber auch kein Zwang besteht, solche Lehrveranstaltungen zu besuchen, mangelt es auch an der Nachfrage dort, wo es ein Angebot gibt. Auch wenn man noch so Interessantes anbietet, — es gibt kaum ein Echo. So veranstalten wir seit rund 15 Jahren ein Seminar für medizinische Ethik. Voriges Jahr ging es um Fragen der Gentechnik, heuer um das Thema „Sterben". Da kommen im Durchschnitt höchstens 15 Mediziner.
dieFurche: Von wievielen Hörern?
Kenner: Heuer haben wir über 600 Neuinskribenten! Aber ganz allgemein werden Vorlesungen weniger besucht. Und ganz allgemein steht die Lehrtätigkeit nicht so hoch im Kurs wie das Forschen. Image gewinnt man durch Publizieren. In den vielgelesenen und vielzitierten Zeitschriften zu publizieren, ist vor allem für Habilitationen entscheidend: In „Science", „Nature", „Lancet" ... Es gibt für die Zeitschriften ein eigenes Bewertungssystem, die „Impact-Punkte". Mit ihnen soll wissenschaftliche Qualifikation quantifiziert werden. In dieser Aus-schließlichkeit ein Blödsinn. Hat man das Glück, einen dummen Artikel in einer guten Zeitschrift unterzubringen, ist man Sieger: Man wird viel zitiert - und sei es mit dem Hinweis der Artikel sei ein Unsinn. Überhaupt ist Evaluierung momentan sehr gefragt. Im neuen Gesetz wird vorgeschrieben, Lehre und Forschung zu bewerten. Derzeit werden einige Institute an der Medizinischen Fakultät, auch meines, evakuiert. Daß man dabei mit einer Selbstevaluierung beginnen soll, ist sehr nützlich. Man fragt nach den Zielen des Instituts und entdeckt, daß es gar nicht so leicht ist, manches, was man seit Jahren tut, zu begründen. Andererseits sieht man, daß es fast unmöglich ist, die „Produkte" zu quantifizieren. Ergibt sich dann nichts anderes als die „Impact-Punkte", geht die Sache in die falsche Richtung.
dieFurche: Bedarf die Universität einer anderen Reform, als jener, die derzeit durchgeführt wird?
Kenner: Ja. Man müßte die Eignung angehender Mediziner vor dem Studium oder an seinem Beginn testen. Ich habe immer wieder gefordert, am Beginn des Studiums ein Pflegepraktikum einzuführen.
dieFurche: Also ein „numerus clausus"?
Kenner: Das Wort ist heikel. Es impliziert, daß die Schulleistungen entscheiden. Das will ich nicht. Heute ist die Situation ja verrückt: Für Mediziner gibt es den „numerus clausus" nach dem Studium: den Engpaß bei der Turnus-Ausbildung und bei den Arzt-Praxen! Das Dienstzeit-Gesetz hat die Situation verschärft, indem weitere Turnus-Stellen abgebaut werden, weil man mehr Facharzt-Stellen in Spitälern braucht. Da entsteht ein Riesenstau.
dieFurche: Wie lange muß man da etwa warten?
Kenner: Heute ein bis zwei Jahre, in Zukunft mehr. Wir machen in Osterreich einen schweren Fehler: Man vermeidet eine Gesamtlösung für ein Problem und begnügt sich mit Einzellösungen, die ihre Absicht gut kaschieren. So heißt es: Alle in die AHS, alle an die Uni ... Da darf es nur ja keine Reschränkungen geben! Und dann hat man am Ende des Studiums den Engpaß, der tödlich sein kann. Ich meine damit: Ein Mediziner, der jahrelang nach seinem Studium nichts tut, als zu „jobben", vergißt ja alles. Oder noch ein Beispiel: Im Gefolge des EU-Beitritts war die Rede von der Einrichtung eines Zahnmedizinstudiums. Es gelang nicht, einen Studienplan zu erstellen, vor allem, weil man offensichtlich nur eine begrenzte Zahl hätte aufnehmen können - 20 bis 30 in Graz. Das schien politisch gefährlich. Also hat man es jetzt den Universitäten überlassen, die Studienpläne zu erstellen. Sie haben den schwarzen Peter!
dieFurche: Und das Ergebnis?
Kenner: Ein gemeinsamer erster Studienabschnitt für alle. Dann eine Übergangsprüfung für Zahnmedizin. Da könnte es im Extremfall dazu kommen, daß die besten Studenten Zahnmedizin weitermachen. Die übrigen werden Internisten oder Chirurgen ...
dieFurche: Gehört die Zukunft wie in Frankreich den Fachhochschulen?
Kenner: Die Gefahr ist schon gegeben. Schaut man aber auf die historische Entwicklung der österreichischen Universitäten, so erkennt man, daß es ein Auf und Ab gibt. In der Zeit um 1800 sind sie zu besseren Lycees degeneriert. Leider sind wir heute wieder in einer Abschwungphase. Aber: Die Universitäten werden selbst einen Verkehrsminister überleben.
Das Gespräch führte Christof Gaspari
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