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Also doch: Mißverständnisse bei der Steuerpolitik

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Es kann nicht genug begrüßt werden, daß der verantwortliche Ressortminister in einer so heiß umstrittenen Frage, wie sie die Steuersenkung darstellt, das Wort ergriffen hat. Die von der Redaktion der „Furche“ veranlaßte und von allen Teilnehmern in so sachlicher Weise bestrittene Diskussion beweist aufs neue, daß eine solche Aussprache geeignet ist, die wirklichen Grundfragen herauszuarbeiten. Die Stellungnahme des Herrn Finanzministers, Professor Dr. Karnitz1, hat gezeigt, daß in der Tat, was die Zusammenhänge von Familienpolitik und beabsichtigter Steuersenkung anlangt, sowohl im Finanzressort als auch bei manchen verantwortlichen Politikern in entscheidenden Punkten Mißverständnisse bestehen.

Ich will mich zunächst bemühen, finanzpolitische Gesichtspunkte in den Vordergrund zu rücken, und versuchen, nachzuweisen, daß die Wünsche der Familienorganisationen zu der bevorstehenden Steuersenkung sich auch auf finanzpolitische Erwägungen allein stützen lassen und es gar 'nicht erforderlich ist, spezielle familienpolitische Gesichtspunkte in die Diskussion einzubeziehen.

Ein Blick in ein Lehrbuch der Finanzwissenschaft bestätigt, daß von der Naturrechtslehre über die klassische englische Nationalökonomie bis in die Gegenwart neben dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung, der besagt, daß jeder Staatsbürger grundsätzlich steuerpflichtig ist, der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung unterstrichen wird. Aus dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit folgt die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei der steuerlichen Belastung. Der Grundsatz der Steuergerechtigkeit ist es vor allem, auf den sich die Familie bei ihren Forderungen zur bevorstehenden Steuersenkung beruft. Dieser Grundsatz besagt, daß der Staat bei der Bemessung seiner Steuern auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit seiner Steuerzahler Rücksicht zu nehmen hat. Diese Erwägungen sind sowohl für die Gestaltung der Progression in vertikaler Hinsicht maßgebend wie auch für die Beantwortung der Frage, ob dem Steuerzahler bei. der Verwertung seines Einkommens auch andere Verpflichtungen anzurechnen sind, die seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit schmälern. Es kann nicht bezweifelt werden und wurde auch bisher nicht bezweifelt, daß der Familienerhalter kraft naturrechtlicher und positiv-rechtlicher Verpflichtungen von seinem Einkommen für Frau und Kind den sogenannten standesgemäßen Unterhalt zu gewähren hat. Seine steuerliche Leistungsfähigkeit ist daher nach Erfüllung dieser Verpflichtung geringer als bei Kinderlosen gleichen Einkommens. In diesem Blatt wurde schon in der bisherigen Diskussion überzeugend dargestellt, daß der heute geltende Einkommert- steuertarif diesen Grundsatz der Steuergerechtigkeit vernachlässigt, so daß sich eine Wiederholung dieser Argumente erübrigt. Ich kann mich darauf beschränken, auf die Beiträge von Dr. Schimetschek, Dr. Schwab und das Expose des Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform zu verweisen? Von keiner Seite wurde bisher die Richtigkeit dieses Tatbestandes in Zweifel gezogen. Was gegen diese Argumente eingewendet wird, ist allein die Tatsache, daß die Familie im Steuertarif durch eine Differenzierung nach Steuergruppen (Ledige, Verheiratete, Familienerhalter) schon berücksichtigt ist. Nun kommt es aber bei der Verwirklichung jeglichen Gerechtigkeitsprinzips nicht auf irgendeine Differenzierung, sondern eben auf eine g e- rechte Differenzierung an. Hier liegt nun das entscheidende Mißverständnis.

In den erwähnten Beiträgen ist wiederholt nachgewiesen worden, daß die Entwicklung des Steuertarifes von 1946 bis 1957 selbst bei Einrechnung der Familien- und Kinderbeihilfen dazu geführt hat, daß auf die geringere Leistungsfähigkeit der Familienerhalter zuwenig Rücksicht genommen wurde. Das kommt darin zum Ausdruck, daß die Unterschiede zwischen den einzelnen Steuergruppen weitestgehend nivelliert worden sind, indem man die Kinderermäßigung der eingetretenen Geldentwertung nicht mehr angepaßt hat. Wenn die Belastung der Familie durch Kinder im Höchstsatz der Kinderermäßigung mit heute maximal 1005 Schil-

1 Die „Furche“ vom 21. September 1957, Nr. 38.

5 Memorandum des Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform, S. 5.

ling anerkannt wird, das ist monatlich rund S3 Schilling, so heißt das mit anderen Worten: der Staat berücksichtigt die Belastung mit einigen Groschen mehr, als die Ausgabe für einen Liter Flaschenmilch pro Kind und Tag ausmacht, während alle übrigen Aufwendungen in der Wirkung auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des steuerzahlenden Familienerhalters völlig ignoriert werden. Die pritik hat daher offensichtlich nicht unrecht, wenn sie, vielleicht überspitzt, sagt, daß die heutige Kinderermäßigung im Verhältnis zur einstigen Größe nur noch eine zarte Andeutung im Sinne eines buchhalterischen „Erinnerungswertes“ darstelle2.

Es muß daher als eine besondere Unfreundlichkeit empfunden werden, wenn, dem Vernehmen nach, zum Beispiel in den Einkommensstufen 26.000 bis 100.000 Schilling (jährlich) geplant wird, die Kinderermäßigung um 1 Prozent, höchstens 2 Prozent, ihres derzeitigen Betrages zu erhöhen, während die Steuersenkung der kinderlos Verheirateten 20,5 Prozent bis 11,2 Prozent betragen soll. Der Familienerhalter bekommt nur die gleiche Steuersenkung wie der bisher schon begünstigte kinderlos Verheiratete. Von der in Aussicht genommenen Steuersenkung wird sehr wenig auf die Erhöhung der Kinderermäßigung verwendet. Die steuerliche Ueber- belastung der Familienerhalter erfährt daher im Vergleich zu den kinderlos Verheirateten eine weitere Zunahme. Eine Steuersenkung von beispielsweise 200 Schilling verteilt sich in einem Fall auf zwei Personen, im anderen auf drei oder mehr Personen. Wieso angesichts dieser Situation behauptet werden kann, „daß die Möglichkeiten für die Familie auf steuerpolitischem Gebiet weitestgehend ausgeschöpft sind“, ist nicht recht verständlich. Solange das Prinzip der Steuergerechtigkeit nicht verwirklicht ist, sind nicht nur die Möglichkeiten zu familienfreundlicherer Gestaltung des Steuertarifes offen, sondern es besteht sogar die Verpflichtung, mit dieser familienfeindlichen Haltung Schluß und mit dem auch in anderen Fällen der Gesetzgebung. ųnd Verwaltung betonten Prinzip der Steuergerechtigkeit Ernst zu machen.

Wir sind auch der Meinung, daß die Steuersenkung keine Geschenkaktion ist, sondern eine Aktion, die dazu beitragen soll, die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Staatsbürgers über die Verwendung seines Einkommens zu erweitern. Es kann nicht genug unterstrichen werden, daß es sich um eine gesellschaftspolitisch richtige Tendenz handelt, die auf die Stärkung einer freiheitlichen — im Sinne des Gegensatzes zum Kollektiv — Gesellschaftsordnung ausgerichtet ist. Die Tatsache, daß von einer Steuersenkung nicht alle Familien Nutzen ziehen können, kann kein Grund dafür sein, der

relativen Minderheit von Familienerhaltern den Zugang zu diesem gesellschaftspolitischen Ziele zu verwehren. Unter den zirka 1,9 Millionen Einkommen- und Lohnsteuerpflichtigen des Jahres 1953 befinden sich immer noch rund 290.000 Steuerpflichtige mit einem Einkommen von mehr als 20.000 Schilling im Jahr. Davon sind rund 150.000 Familienerhalter mit einem Einkommen von mehr als 20?000 Schilling. Da 35 Prozent des Lohnsteueraufkommens von der Steuergruppe III aufgebracht werden, davon 31 Prozent von den Steuergruppen III 1 und II1 2, kann auch davon keine Rede sein, daß die Zahl derer, die unter der Verletzung der Steuergerechtigkeit zu leiden haben, unbedeutend ist. Im übrigen würde es in anderer Beziehung niemandem einfallen — und darin liegt das zweite Mißverständnis, das sich in die Diskussion um die österreichische Familienbesteuerung eingeschlichen hat —, die Verfolgung eines Gerechtigkeitsgrundsatzes abzulehnen, weil die Zahl derer, die davon betroffen sind, im Verhältnis zu denen, die davon unberührt bleiben, relativ gering ist.

Die Mißverständnisse finden ihre Fortsetzung in der wirtschaftspolitischen bzw. kapitalmarktpolitischen Begründung der bevorstehenden Steuersenkung. Zweifellos gehört die Erhöhung der Sparrate und die Alimentierung des Kapitalmarktes gerade im Hinblick auf die bevorstehenden Schritte zur Integration der europäischen Wirtschaft zu den wirtschaftspolitischen Anliegen erster Ordnung. Hingegen wird diese Zielsetzung völlig zu Unrecht als Argument gegen die Forderungen der Familienorganisationen verwendet. Es entbehrt der Begründung, warum die Eigenkapitalbildung den Kinderlosen in höherem Maße ermöglicht werden soll als den Familienerhaltern. Die Bevorzugung der Kinderlosen bei der Eigentumsbildung widerspricht aber nicht nur dem schon aufgezeigten finanzpolitischen Grundsatz der steuerlichen Gerechtigkeit, sondern würde auch zur Konsequenz haben, daß ausgerechnet die in der Gemeinschaft der Eltern und Kinder, das ist eben die Familie, lebenden Personen auf dem Wege zur Eigentumsbildung größere Schwierigkeiten zu überwinden hätten als die Kinderlosen. Nun ist aber die Eigentumsbildung in den modernen Formen der Volksaktie, des Wohnungseigentums, des Eigenheimes usw. ein Anliegen der fortschrittlichen Gesellschaftsreform.

Niemand kann bestreiten, daß die Verwirklichung der angedeuteten Senkungspläne einer neuerlichen Diffamierung der Familie gleichkäme, jener Institution der Gesellschaft, die in den Zeiten größter Bedrängnis Hort der persönlichen Freiheit und Raum zur gesicherten Entfaltung der freien Persönlichkeit war, ist und sein wird.

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