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An den Round geschrieben

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ROT-WEISS-ROT. Der „Tag der

Fahne”, diese Vorübung zu einem künftigen Nationalfeiertag Österreichs, wurde also geziemend gefeiert von Schulen und Garnisonen, von Landtagen und Institutionen. Bei der Morgenfeier des Unterrichtsministeriums im Burgtheafer war der Bundespräsident anwesend. Besondere Akzente trug die Rede des Altbundeskanzlers Ing. Raab bei der von der österreichischen Hochschülerschaft veranstalteten akademischen Feierstunde in der Wiener Universität. Wer die weltpolitische Lage und die innenpolitische Entwicklung Österreichs in der letzten Zeit bedenkt, muhte hier aufhorchen. Julius Raab beschwor die Österreicher, „am internationalen Wegkreuz in Europa die Hand nach beiden Seilen hin auszustrecken” und „Abgründe zu überbrücken’. Wichtig ist, so betonte der Altbundeskanzler, daß Österreich in seiner Vermittlerrolle selbst nie Partei ergreift, sondern seine selbstgewählte Neutralität wahrt. Unser Land soll sich weder von Moskau noch von Washington führen lassen… Raab hob die Notwendigkeit hervor, ein gemeinsames österreichisches Geschichtsbewußtsein zu schaffen, quer durch die weltanschaulichen und politischen Fronten. Als Warner und Mahner hat hier der Mann in einer unruhigen Stunde der Welt und unseres Landes das Wort ergriffen, der den Mut hatte, den Mut zum Staafsvertrag. Weit ist der Weg, der vor uns liegt: bis das Selbstverständnis des Österreichers so fesfeingewurzelt ist und die Neutralität allgemein so positiv verstanden wird, wie Julius Raab beide hier ansprach. Die nächste Station auf diesem Weg sollte der österreichische Nationalfeiertag sein: als eine Wegmarke, hinter die es kein Zurück mehr gibt.

MAN NÄHERT SICH WIEDER. Die

Frage, die sich „Sieger” wie „Besiegte” der dramatischen Nacht vor dem Budget am nächsten Morgen stellten, war die: Soll jetzt der Streit, der in der letzten Phase vor Tor- schluf) fast nur noch zur Presfige- sache geworden war, beendet sein oder erst recht beginnen: nicht mehr hinter den verschlossenen Türen des Koalitionsausschusses, sondern im offenen Gegeneinander der natüt liehen und politischen Interessengruppen? Manches schleif in den ersten Wochentagen auf diese negative Entwicklung hinzudeuten: Die endgültige Ablehnung des Gewerkschaftspräsidenten, seinen Präsidentensitz im Nationalrat einzunehmen, die als Solidaritätsgeste verstandene vorzeitige Mandatsniederlegung des Generalsekretärs des ÖGB, Dr. Klenner, der Nichtzusammentritt der Paritätischen Kommission. Nun aber beginnen sich die Dinge in den von uns schon vor einer Woche abgesteckten Bahnen zu entwickeln: Das sachliche Einvernehmen zwischen ÖGB und SPÖ ist, wenigstens nach außen hin, Wiederhergestellt, der Kanzler selbst bat die Gewerkschaft ausdrücklich zur verstärkten Mitarbeit an einem gemeinsamen Aktionsprogramm gegen die steigenden Preise eingeladen. Es war der Sprecher der Volkspartei in der ersten Lesung des Budgets, Dr. Maleta, der durch eine staatspolitisch weiträumige und vornehme Rede das Eis brach. Er zeigte die tieferen Gründe der alljährlichen Budgetprobleme: die ungelösten Fragen um den Gesamtkomplex der Verstaatlichung. Und er fordert das einzig Mögliche: endlich ein Gespräch über diese alle Staatsbürger angehende Lebensfrage ohne parteipolitische Vorbelastung. Im Sinne der Inhalte einer Demokratie, die — nach seinen Worten — christlichen Demokraten und humanistischen Sozialisten gemeinsam sind.

DER STREIK IM WOHLFAHRTSSTAAT

scheint zwar ein Anachronismus zu sein, kann aber, weil der Natur der Gesellschaft geradezu eingeboren, auch durch eine Steigerung des Realeinkommens nicht aus der Welt geschafft werden. Von diesem Tatbestand, dem Streik als Wirklichkeit in jeder Situation der Arbeitsgesellschaft, ging das Institut für Sozialpolitik und Sozialreform bei seiner Fünften Ge- werkschaftskundlichen Tagung aus. Weil also der soziale Konflikt der Natur des Menschen im gesellschaftlichen Verband entspricht, ist es Aufgabe der Gesellschaft, ihn gerade im Interesse des arbeitenden Menschen zu disziplinieren (Universitätsdozent Dr. Butghardt). Das aber macht erforderlich, den jeweiligen Streik auf die von ihm ausgehenden Primär- und Sekundäreffekte hin zu untersuchen, ebenso die Streikmotive und die Art der Durchführung eines Streiks. Der Vortragende be-

kannte sich nachdrücklich zur Position der Gewerkschaften in der Frage des Streiks, vertrat aber die Ansicht, dal} der Streik wohl ein Mittel sei, das eingesetzt werden kann, aber nur in den seltensten Fällen eingesetzt wird. „In der Selbsfbegren- zung bei Anwendung des Kampfmittels eines an sich unbestritten erlaubten Streiks im Rahmen der Marktstrategie der Dienstnehmer liegt mehr potentielle Macht als in einer steten Streikbereilschaft, wie sie für die romanischen Länder typisch ist.” Nachdem Univ.-Prof. Dr. B y d I i n s k i (Graz) den Streik als Rechtsproblem untersucht hatte, beschäftigte sich der Staafsrechtler der Universität Freiburg, Univ.-Prof. Dr. Kaiser, mit dem politischen Streik, den er als eine revolutionäre Aktion klassifizierte, ist er doch an den Staat adressiert. Ist jedoch der Staat selbst als Unternehmer tätig, hat ein gegen ihn als Eigentümer gerichteter Streik gleiche Qualität wie jeder andere Streik.

UND WER KOMMT NACH IHM)

„Ich kann den Herrn Brentano nicht mehr sehen.’ Das soll, glaubwürdigem Bericht zufolge, der ehemalige hohe HJ-Fübrer und jetzige Unterhändler für die Freien Demokraten Deutschlands, Herr Zoglmann, bei den Koalitionsverhandlungen mit Adenauer ausgeruten haben. Es ist ihm nachzufühlen: Denn Brentano verkörperte jenes „andere europäische Deutschland vom Rhein, das für die nun so oder so zu Ende gehende Ara Adenauer Leitbild war. Der Wunsch des Zogelmann ging in Erfüllung. Brentano trat zurück, ehe man ihn abgehalftert hatte. Das neue Bonner Kabinett wird nun vielleicht ohne größere Schwierigkeiten zu bilden sein. Es wird den Namen Adenauers tragen. Aber es wird mit jener großen europäischen Politik, die nicht zuletzt mit dem Namen Brentanos signiert — und von Adenauer in der nun entschwindenden Vollkraft gemacht wurde — kaum noch viel zu tun haben. Der Siebenundachtzig- jährige wird der Sfaatsnofar für eine „kleine Koalition”, einen Bürgerblock, werden. Und Zoglmann samt Anhang wird in der Außenpolitik endlich jenen Einfluß gewinnen, der den Gestrigen unter Brentano zäh verwehrt wurde. Weshalb sie ihn begreiflicherweise „nicht sehen” konn-

EIN DENKMAL FllR DIE STALINOPFER! Riesiger Beifall dröhnte Chruschtschow entgegen, als er im Schlußwort zur Diskussion des Parteiprogramms auf dem XXII. Parteitag den Vorschlag machte, ein Denkmal für die Opfer Stalins zu errichten. Wer hätte dies vorzudenken gewagt, etwa vor zehn Jahren… Lange Namenslisten dieser Opfer werden nun veröffentlicht, an der Spitze die hohen Offiziere, die, wie es nun gemeldet wird, Stalin und der parteifeindlichen Gruppe zum Opfer fielen. Wie übermächtig muß das Grauen, muß die Angst noch n vielen Sowjetbürgern stecken: Chruschtschow sprach diese Angst nun selbst an, indem er darauf hinwies, daß viele der Teilnehmer am gegenwärtigen Parieikongreß jahrelang unschuldig im Gefängnis saßen und daß ihnen „eingeredet wurde, sie seien deutsche oder britische Spione. Wie schwer aber müssen auch die Kämpfe hinter den Kulissen gewesen sein, bis nahe an den heutigen Tag, bis Chruschtschow diese Erklärungen wagen durfte oder abgeben mußte. Die größte Sensation, die der XXII. Parteitag bisher gebracht hat, wird noch ausführlicher und näherhin zu würdigen sein, sobald weitere Meldungen sie bestätigen: die Entfernung Stalins aus dem Mausoleum auf dem Roten Platz, vor den rubinenen Sternen des Kremls.

DIE INTERNATIONALE IN ROM. In der letzten Woche tagte in Rom der Kongreß der Sozialistischen Internationale. Der hier vertretene demokratische Sozialismus ist durchaus kein einheitlicher Bau, sondern ein von Spannungen und Gegensätzen erfülltes Gebilde. Nicht nur die afrikanischen Sozialistenführer stehen da den Europäern reserviert gegenüber, das Ringen um die Resolutionen zeigte auch die innereuropäischen Spannungen. Der Führer der Labour Party, Gaitskell, forderte von den Westdeutschen die Anerkennung der Oder-Neisse-Linie, die De-faclo-An- erkennung der DDR und eine Verminderung der Bundeswehr. Dem widersetzten sich die Deutschen, aber auch die Franzosen und Belgier. Gesamteindruck: es ist fraglich, ob diese Internationale das werden kann, was sie sein will: ein erfolgreiches Gegengewicht gegen die kommunistische Internationale.

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