"Anprangern nützt nichts"

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Der Grazer Bildungsforscher Werner Specht über PISA, Bildungsstandards und die Kooperations- Unlust der Pädagogen.

Die Furche: Die PISA-Studie ist zuletzt unter Beschuss geraten. Wie aussagekräftig ist sie Ihrer Ansicht nach?

Werner Specht: Natürlich ist PISA nicht alles. Ich bin auch der erste, der sagt: Rankings sind ein Wahnsinn und nicht wirklich sinnvoll. Gleichzeitig offenbart PISA aber Kernprobleme, um die wir uns kümmern müssen: Erstens zeigt PISA, dass wir zu viele Schüler haben, die aus der Schule entlassen werden und die Grundkompetenzen nicht beherrschen. Das heißt: Die Schule nimmt ihren Förderanspruch nicht ernst genug. Und zweitens ist der Bildungserfolg in unserem Schulsystem stärker als in anderen Systemen von der sozialen Herkunft und weniger von der Schulleistung und Motivation der Schüler abhängig. Das heißt: Die Schule nimmt ihre Kompensationsfunktion nicht ernst genug, sondern perpetuiert soziale Unterschiede. Diese Schwachstellen sind nicht wegzudiskutieren.

Die Furche: Eine der Hauptforderungen seit Veröffentlichung der PISA-Daten ist die Auswahl der "Besten" unter den angehenden Lehrerinnen und Lehrern. Was halten Sie davon?

Specht: Tests halte ich nicht für sinnvoll. Es ist aber gut und richtig, in Eingangsgesprächen die Berufsmotivation zu eruieren und einen frühen Kontakt mit den Schulen herzustellen, wie das bereits an den Pädagogischen Hochschulen geschieht. Generell ist es notwendig, das gesellschaftliche Ansehen von Lehrerinnen und Lehrern zu erhöhen. Es muss deutlicher werden, welche Leistung diese Menschen tagtäglich erbringen. Andererseits darf es auch nicht sein, dass wir einen mehr oder weniger hohen Anteil von Kolleginnen und Kollegen an den Schulen haben, die den ganzen Berufsstand desavouieren.

Die Furche: Durch die Implementierung der Bildungsstandards ab 2008 wird es möglich, den Wissensstand der Schüler in Deutsch, Mathematik, der ersten lebenden Fremdsprache und den Naturwissenschaften objektiv zu messen. Wer wird die Test-Ergebnisse zu Gesicht bekommen?

Specht: Das ist noch nicht entschieden. Es kann jedenfalls nicht darum gehen, öffentliche Rankings zu erstellen oder Schulen bzw. Lehrer an den Pranger zu stellen - weil wir wissen, dass das nichts nützt. Aber bei der Bewertung der Schulen durch die Schulaufsicht und durch die regionalen und nationalen Schulbehörden stehen durch die Bildungsstandards sicher neue Informationen zur Verfügung.

Die Furche: Und Schulen mit Personalautonomie könnten dadurch Anreize erhalten, sich von bestimmten Lehrkräften zu trennen …

Specht: Auch hier muss man vorsichtig sein. Wir wissen ja: Eine Klasse ist nicht eine Klasse. Es ist schwer vergleichbar, was Lehrer in ihren Klassen und ihren Schulen zu leisten haben. Aber andererseits geben die Bildungsstandards schon eine Handhabe, um zu beobachten, welche Lehrerinnen und Lehrer über mehrere Testungen hinweg suboptimale Leistungen erbringen.

Die Furche: Ihr Institut hat während der Pilotphase die Akzeptanz der Bildungsstandards in der Lehrerschaft untersucht. Wie groß ist die Akzeptanz?

Specht: Überraschend groß. Rund 70 Prozent der befragten Lehrerinnen und Lehrer haben gesagt: Wir wissen nun besser, wo wir stehen. Und das ist wichtig, weil es hinsichtlich der Anforderungen zwischen den Schulen sehr große Unterschiede gibt. Diese Tests helfen Lehrern, ihre eigenen Anforderungen zu kalibrieren. Wenn man aber fragt, ob die Lehrer nun auch wissen, was sie tun sollen, um ihren Unterricht zu verbessern, dann liegt die Zustimmung nur noch bei 50 Prozent. Wichtig ist also eine verstärkte Lehrerfortbildung und Kompetenzförderung. Die Bildungsstandards sind ja nicht nur zur Diagnose da, sondern vor allem zur Schul- und Unterrichtsentwicklung.

Die Furche: Lehrerinnen und Lehrer gelten als Einzelkämpfer. Wie könnte man sie dazu bringen, stärker als bisher zu kooperieren?

Specht: Lehrer sind es tatsächlich nicht gewohnt und wollen es meist auch nicht, im Team zu unterrichten. Für Lehrerkooperation braucht es deshalb Anreizsysteme. Ein solches Anreizsystem für Team-Teaching war etwa die Integration behinderter Kinder, die es einfach erforderlich gemacht hat, sich stärker auszutauschen und gemeinsam zu unterrichten. Ein anderer Ansatz, den die Reformkommission von Unterrichtsministerin Schmied stark favorisiert, ist die Bildung von Jahrgangsteams, die über eine längere Zeit hinweg eine Schulstufe gemeinsam unterrichten. Man muss das jedenfalls systematisch entwickeln. Zu den Lehrern einfach zu sagen:, Kooperiert miteinander!' reicht sicher nicht.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

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