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Auch 1.000 Tote sind noch zuviel

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Was die Zahlen der Toten und Schwerver-letzten nach Unfällen betrifft, steht Osterreich im internationalen Vergleich nicht allzu gut da.

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Was die Zahlen der Toten und Schwerver-letzten nach Unfällen betrifft, steht Osterreich im internationalen Vergleich nicht allzu gut da.

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Die Opfer von Autounfällen können sowohl auf die Gesamtbevölkerungszahl, auf die Zahl der angemeldeten Autos wie auch auf gefahrene Kilometer bezogen werden - in jedem Fall rangiert unser Land im untersten Drittel internationaler Statistiken. Daher hat das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) 1995 zum „Jahr der Unfallreduktion” ausgerufen. KfV-Direktor Franz M. Bogner erläutert im FuRCHE-Ge-spräch die wichtigsten Maßnahmen seiner Organisation.

„Die 1.000 Toten sind natürlich ein plakatives Ziel. Sie hätten aber in gleichem Umfang auch für die Verletzten und für die Unfallzahlen insgesamt Bedeutung. Denn die 1.300 Toten des Vorjahres sind ja nur die Spitze des Eisberges. Darunter stehen Zehntausende Verletzte, das sind zum Feil genauso schlimme Schicksale wie mancher Todesfall. Natürlich sind die 1.000 Toten griffig, da kann man sich viel eher etwas vorstellen als unter 40.000 Verletzten.

Erste Maßnahme ist die Veränderung des Verkehrsklimas. Nur ist dieses Verkehrsklima ein Teil unseres gesamten gesellschaftlichen Klimas, man kann es nicht isoliert sehen. Das heißt, wir müssen im Zuge eines grundsätzlichen Wertewandels zu einem Umdenken veranlassen”, erklärt Bogner.

Das betrifft sowohl den Stellenwert des Autos als Individualver-kehrsmittel wie das allgemeine Verhalten gegenüber Mitmenschen, das sich beim Autofahren besonders stark manifestiert.

■Direktor Bogner dazu: „Bei uns hat einmal einer zu unserem Psychologen gesagt: ,Wissen Sie, im Büro bisakt mich der Chef, daheim habe ich Probleme mit meiner Frau. Der einzige, der tut was ich will, ist mein Auto.' Das hat einen wirklich tiefen Sinn. Für viele erfüllt das Auto eine Ventilfunktion. Frust, Ärger und Aggression werden abgebaut. Da muß sich etwas in der Grundeinstellung ändern.”

Bogner gibt zu bedenken: „Soll es in Zukunft noch ein Wert sein, möglichst viele Kilometer zu machen? Oder in ein Auto Hunderttausende Schilling zu investieren und zum Beispiel bei der Erziehung der Kinder zu sparen? Ist es ein Wert, besonders viel Alkohol zu vertragen?”

Das Kuratorium veranstaltet auch heuer zahlreiche Aktionen zur Bewußtseinsbildung. „Go Cool - Go Safe” richtet sich an Jugendliche und soll diese zur aktiven Auseinandersetzung mit Verkehrssicherheit animieren. „Don't drink and drive” ist hinlänglich bekannt aber noch immer hochaktuell, immerhin dürften - Dunkelziffer - an fast 30 Prozent aller schweren Verkehrsunfälle Alkoholisierte beteiligt sein. „Anschnallen statt Aufprallen” soll an den Gurt erinnern, im Rahmen der Kampagne „GEMEINSAM SICHER '95” wird auch das Thema „Kindersitz” wieder aufgegriffen.

Neben solchen „weichen” Maßnahmen zur Bewußtseinsbildung hält das Kuratorium aber auch „harte Maßnahmen” - Gesetz und Kontrolle - für nötig: „Hier ist eine tragende Säule die Verkehrsüberwachung. Auch ein Fußballspiel wird nur fair und geordnet 90 Minuten ablaufen, wenn es einen Schiedsrichter gibt. Und der auch die Möglichkeit hat, eine gelbe oder rote Karte zu zeigen. Wenn es keinen Schiedsrichter gibt, werden die Leute einander die Haxen abhauen. Genauso ist es im Verkehr. Es wirkt nur ein Gebäude von Maßnahmen; das Bewußtmachen allein ist zuwenig, wenn es nicht gleichzeitig unterstützend Begeln und eine Regelkontrolle gibt. Die Verkehrsüberwachung ist im Moment in Österreich - aber auch in anderen Ländern - unzureichend.”

Die „Erwischungswahrscheinlich-keit” sei laut Bogner so gering, daß der kalkulierende Mensch sagt: „Ich werde so selten erwischt, daß ich es mir erlauben kann, bei Rot über die Kreuzung zu fahren. Wenn ich nur einmal im Jahr erwischt werde, nehme ich das in Kauf.” Diese Quote müsse soweit gesteigert werden, daß

er es sich überlegt. So könnten auch Aggressionen abgebaut werden. Denn je mehr Leute bei Rot über die Kreuzung fahren, umso aggressiver würden auch die anderen. Daher sei am gestörten Verkehrsklima die nicht effiziente Verkehrsüberwachung mitschuld.

„Gute, bereits vorhandene Gesetze werden nicht vollzogen. Zum Beispiel: die Gurtenanlegepflicht. Wir wissen, wenn sich alle angurten würden, hätten wir um 150 - 200 Tote weniger. Es wird das Gesetz kaum kontrolliert, daher nicht vollzogen, die Gurtenanlegequote sinkt. Oder: Straßenerhalter - zum Beispiel die Länder - sind laut Gesetz verpflichtet, Straßenstellen, wo besonders viel passiert, zu analysieren und zu sanieren. Das geschieht nur in höchst unzureichendem Maß. Die Straßenerhalter kommen dem gesetzlichen •Auftrag nur bedingt nach.”

Gegen Rowdytum

Bedarf sieht Bogner aber auch an neuen Regelungen: „Fahren mit Licht am Tag - eine sehr einfache Maßnahme - würde um drei bis fünf Prozent weniger Unfälle bewirken, das untermauern viele Forschungsarbeiten. Mit einer Begrenzung auf 0,5 Promille Blutalkohol könnten wir um 10-15 Prozent Alkoholisierte reduzieren und etwa 30 bis 50 Tote verhindern. So eine Senkung hätte eine Signalwirkung auf die gesamte Einstellung zum Alkohol, vor allem sollen damit jene beeinflußt werden, die schon heute oft mit 1,2 Promille unterwegs sind.”

Gegen Rowdytum und wiederholte Schwerstvergehen im Straßenverkehr fordert das Kuratorium für Verkehrssicherheit den sogenannten „Punkteführerschein”. Derzeit würden manche, einmalige Vergehen zwar relativ hart bestraft, es ist aber keine Kumulation solcher Übertretungen vorgesehen. Der Punkteführerschein würde bei einer gewissen Häufung von Rechtsverletzungen entzogen werden. Erfahrungen in Deutschland, Frankreich, England oder Australien würden für einen solchen „Punkteführerschein” sprechen. Auch hier geht es vor allem um eine generalpräventive Wirkung erklärt Franz Bogner: „In Deutschland wird nur 0,03 Prozent der Autofahrer der Führerschein durch

dieses Punktesystem entzogen. Wenn jemand nämlich schon einige Schlechtpunkte hat, verhält er sich besser und angepaßter, um nicht in die höhere Punkteanzahl zu kommen. Daher kann man auch Unfallreduktionen beobachten.”

Eine weitere Forderung des Kuratoriums ist Tempo 80/100 auf Frei-landstraßen. 80/100 würde bedeuten, daß im Gegensatz zur heutigen Re-gelung generell die Beschränkung auf 80 km/h gilt, auf weniger gefährlichen Strecken aber das Limit auch 100 km/h betragen könnte. Diese Strecken wären dann extra durch entsprechende Verkehrstafeln gekennzeichnet. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Überlegung im Hintergrund: Es geht nicht so sehr darum, daß die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit von 80 km/h um so viel ungefährlicher als 100 km/h ist. Viel mehr sollen jene, deren Tacho schon jetzt statt erlaubter 100 km/h regelmäßig 130 km/h oder noch mehr anzeigt, gebremst werden. Eine Übertretung um mehr als 50 km/h könnte immerhin den Entzug des Führerscheins bedeuten. Die Situation ist also etwas paradox: Es werden niedrigere Limits gefordert als tatsächlich notwendig - um Übertretungen im Bahmen zu halten. Gäbe es eine nahezu lückenlose Verkehrskontrolle, wären die heute zulässigen Tempolimits kein Problem.

„Auto nicht vermiesen”

Wo liegt nun die Grenze zwischen den Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit und dem Wunsch nach individueller Mobilität? Franz Bogner dazu: „Das ist eine politische Entscheidung: Wieviele Tote leisten wir uns? Keiner will auf Mobilität verzichten, man könnte aber unnötige Mobilität einschränken. Wir sind nicht für das Abschaffen oder Vermiesen des Autos! Die Grenze ist dort, wo vergleichbare hochentwickelte Länder mit Mobilitätsbedürfnis und einer ähnlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung uns Vorbild sein können.

Das sind die skandinavischen Länder, Schweden oder England. Schweden hat bei vergleichbaren Verhältnissen jetzt bereits etwa 700 Toten pro Jahr. Die Schweden haben dadurch aber keine großen Einbußen an Lebensqualität. Sie schränken sich halt manchmal ein, trinken nichts, wenn sie fahren, passen aufeinander vielleicht etwas mehr auf und fahren vorsichtiger. Würden sich bei uns alle angurten, nichts trinken und die jetzigen Limits einhalten, könnten wir schon heute so gut dastehen wie Schweden - ohne zusätzliche Vorschriften.”

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