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Auch die ,Kleinen' haben Zukunft

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Im Zeitalter der Automation, der Elektronik und der Atomkraft, aber auch des Zusammenschlusses von Großuntemehmungen zu Industriegiganten, Warenhaus- und Bankkonzemen, deren wirtschaftliche Machit sich vielfach nicht nur über Länder, sondern auch über Kontinente erstreckt, steht der kleine oder mittlere Betrieb des Gewerbes keineswegs auf verlorenem Posten — im Gegenteil, gerade die moderne Industriegesellschaft bietet ihm viele neue Entwicklungsmöglichkeiten. Diese Chancen fallen den „Kleinen“ allerdings nicht wie reife Früchte in den Schoß: sie müssen vielmehr vom Unternehmer mit dem richtigen Spürsinn erkannt und dann sinnvoll genutzt werden — eine Forderung, die sich zwar leicht liest, der gerecht zu werden jedoch alles andere denn einfach ist. Damit sind war aber auch schon mitten in der Problematik des Gewerbes in einer Wirtschaft und Gesellschaft, die sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt hat und deren wesentliches Merkmal immer noch die Veränderung ist. Als unbestritten darf heute gelten, daß das Gewerbe im weitesten Sinne und generell gesehen auch in dieser gewandelten Welt bestehen kann, vielfach sogar — dies gilt insbesondere für die zahlreichen Dienstleistungen — bestehen muß. Ebenso einig aber ist man sich über die fundamentalen Voraussetzungen für den Weiterbestand eines gesunden Gewerbes auch in der Zukunft: Es sind dies der Wille und die Fähigkeit zur Anpassung an zum Teil völlig neue, zumindest aber stark geänderte Gegebenheiten. Was den Willen anlangt, so darf er wohl vorausgesetzt werden, da er einen wesentlichen Teil der Unternehmerfunktion überhaupt bildet.

Anders ist es mit der Fähigkeit, sofern sie nicht nur geistig, sondern auch materiell-wirtschaftlich aulgefaßt wird. Hier steht der Unternehmer mit seinem Betrieb vielfach vor Aufgaben, die seine Kräfte übersteigen. Dies ist vor allem stets dort der Fall, wo es gilt, durch Umbauten, Anschaffung neuer Maschinen und Anlagen, Umstellung auf neue Erzeugnisse und neue Produktionsmethoden oder andere durchgreifende Maßnahmen den Betrieb auf eine neue und gesündere Basis zu stellen. Ohne Hilfe von außen, sei es durch Kredite mit günstigen Konditionen, steuerliche Erleichterungen, technische und betriebswirtschaftliche Beratung zu annehmbaren Bedingungen müßte der Unternehmer resignieren. Die Gewährung solcher Hilfen liegt nicht nur im Interesse des betreffenden Betriebes oder des Gewerbes allein, sie ist auch vom volkswirtschaftlichen Standpunkt her geboten. Maßnahmen zur Erhaltung und Anpassung gesunder Klein- und Mittelbetriebe werden heute in allen entwickelten Ländern diskutiert und stehen auch vielfach bereits in Kraft. Prominentestes Beispiel ist die Small Business Administration in den USA, dem Land der Industriegiganten. In Österreich hat der Staat auf diesem Wege erst durch das GewerbestrukturverbesserungsgeseU einen entschlossenen Schritt getan, wogegen sich die Interessenvertretungen schon seit vielen Jahren und auf vielfältigste Weise um unsere Gewerbebetriebe bemühen. Eine Reihe von Kreditaktionen vermittelt den Betrieben Finanzierungshilfen zu günstigen Bedingungen, daneben sind die Wirtschafts-förderungsinstitute der Kammern unablässig bestrebt, den Betrieben in der verschiedensten Weise Hilfe und Unterstützung zu geben. Dies geschieht durch ein umfangreiches und sehr detailliertes Kursprogramm, sowohl für Betriebsführer als auch für Mitarbeiter, ferner durch ständige Untersuchungen einzelner Branchen und Betriebe, durch individuelle Beratung in betriebswirtschaftlichen, technischen und organisatorischen Fragen, durch Hinweise auf wachstumsträchtige Produktionen, durch Beratung und Vermittlung bei der zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit und viele andere Aktionen.

Wo liegen nun die Zukunftschancen des Gewerbes in einer weitgehend industrialisierten Welt, die sich auf Großraummärkte stützt? Hier eröffnen sich grundsätzlich zwei Wege: die Deckung des individuellen Bedarfes und die Zusammenarbeit mit Großproduzenten. Im ersteren Fall hat der gewerbliche Klein- und Mittelbetrieb keine Konkurrenz von den „Großen“ zu befürchten, aber beachtliche Wachstumschancen zu erhoffen. Denn mit dem steigenden Massenwohlstand wächst auch die Nachfrage nach individuellen Leistungen, insbesondere des Handwerks und des Kunsthandwerks. Immer größer wird dde Zahl der Konsumenten, die sich etwa Maßkleidung oder einzeln angefertigte Einrichtungsgegenstände leisten können und wollen. Das Gewerbe kann und wird davon profitieren. Die Einzelanfertigung oder die Produktion in kleineren Serien wird in der industrialisierten Welt zunehmend geschätzt. Diese Feststellung enthält keineswegs eine Minderung der Leistungen der Industrie oder der Konsumenten, die etwas „Besonderes“ wollen. Es ist nur allzu natürlich, daß die Menschen neben dem perfekten Erzeugnis der Industrie auch einen Gegenstand oder eine Leistung mit persönlicher Note haben wollen. So gesehen, ergänzen sich die großen Industriebetriebe und das Gewerbe in für den Konsumenten sehr vorteilhafter Weise: Er kann seinen Grundbedarf mit industriellen Erzeugnissen decken und wird für zusätzlichen, mehr individuellen Bedarf gewerbliche Produkte erwerben. Eine Ergänzung zwischen Industrie und Gewerbe gibt es aber nicht nur aus der Sicht des Konsumenten, sondern auch auf der Ebene der Produktion. Hier sind kleinere und mittlere Betriebe immer wieder als Zulieferer für große Unternehmungen gefragt. Zahlreiche Bestandteile werden von der Industrie zur Anfertigung „außer Haus“ gegeben, einfach deshalb, weil ein kleinerer Zulieferbetrieb die Herstellung rationeller durchführen kann. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn es sich um Bestandteile oder Zubehör handelt, die nur in kleinerer Serie benötigt werden. Schließlich sind gewerbliche Betriebe auch für die Montage und Wartung von Geräten und Anlagen vielfach nicht zu entbehren. Auch hier erhöhen sich mit steigendem Wohlstand auch die Chancen der gewerblichen Unternehmungen. Und auch hier stellt das Gewerbe eine notwendige Ergänzung der industriellen Produktion dar. Zuletzt sei noch eine der modernsten Aufgaben von Klein- und Mittelbetrieben genannt: Ihre Individualität und ihre Beweglichkeit machen sie für die Forschung und Entwicklung besonders geeignet. Es gibt bereits zahlreiche Beispiele dafür, daß neue Produkte und neue Verfahren in kleineren Unternehmungen entwickelt und erprobt wurden, bevor sie dann von der Großindustrie — gegen entsprechende Lizenzgebühren — übernommen wurden. Die Welt der Zukunft wird und kann keineswegs nur eine Welt der Großunternehmungen sein. Die Chancen des Gewerbes sind beachtlich, doch gilt es, dafür zu sorgen, daß sie auch wahrgenommen werden.

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