7123314-1996_45_24.jpg

Hunderassen: Auf den Hund gekommen

Werbung
Werbung
Werbung

Sokrates war bekanntlich Kyniker, also Mitglied einer Philosophenschule, die jeden Gelderwerb ablehnte, weshalb man als Kyniker wie ein Kyon, ein Hund, lebte. Solche Philosophen gibt es angeblich noch heute. Dabei kann man, sollte man meinen, leicht zum Zyniker werden, doch die Beobachtung lehrt uns anderes: Je mehr Geld, desto größer der Zynismus, wenigstens in der Politik. Wer aber nicht auf den Hund kommt, sondern sich mit dem Hund beschäftigt, ist kein Kyniker, sondern ein Kynologe, was allemal angenehmer ist und mitunter auch mit Philosophie zu tun haben kann. Die Behauptung, Hunde seien die besseren Menschen, ist zum Beispiel eine durch und durch philosophische.

Gehen wir trotzdem der Sache auf den Grund. Ein kundiger Führer sei uns dabei ein brandneuer, kompetenter, schön fotografierter Bildband: „Die BI,V Enzyklopädie der Hunde”. Über den Hund im allgemeinen erfahren wir dabei eine Menge. Da unsere gemeinsamen Vorfahren schon vor dutzenden Jahrmillionen im Konkurrenzkampf um das tägliche Häppchen Nahrung getrennte Wege gingen, was man bekanntlich als Evolution bezeichnet, konnte der Hund einen ganz anderen Charakter entwickeln als die Affen und die Menschen. Nach menschlichen Maßstäben übrigens einen besseren, was erstens von der geringeren Intelligenz des Hundes kommt, ihn zweitens erstaunlicherweise nicht am Überleben hinderte (die direkt aus der Intelligenz resultierende Tücke lohnt sich vielleicht doch nicht so, wie man meint) und ihm drittens wurscht ist, solange er vom Menschen eine solche bekommt.

Evolutiv ging der Buschhund längst seiner eigenen Wege, bevor der Mensch aus Wölfen das machte, was man heute unter Hunden versteht: Eine breite Palette höchst unterschiedlicher Lebewesen, die aber allesamt etwas dümmer und weniger überlebenstüchtig als der Wolf sind und dafür den Menschen als Vorgesetzten respektieren. Versuche, den Wähler nach dem Vorbild des Hundes ebenfalls in dieser Richtung zu modifizieren, sind eine Zeitungsente, befinden sich außerdem erst im Vorstadium, können auch gar nicht gelingen und wären sowieso nur im Interesse der Allgemeinheit.

Außerdem steht darüber nichts in dem Buch, welches wir hier besprechen wollen. Dafür steht darin eine Menge über die Behandlung des Hundes, was man als Hundefreund braucht, egal, ob man sich den Hund als Freund, als Sklaven oder als gassigehenden Spiegel zwecks Selbsterkenntnis hält: Medizinisches, Psychologisches und so weiter. Vor allem aber steht darin eine ganze Menge über die verschiedenen Rassen, welches Wort hier ausnahmsweise am Platz ist.

Absolute Fehlanzeige ist zum Beispiel, daß die Mitglieder der ohnehin kleinen Gruppe sogenannter Primitivhunde von primitiven Hundehaltern bevorzugt werden. Eher das Gegenteil ist der Fall, doch verbieten sich alle Rückschlüsse vom konkreten Hund aufs konkrete Herrl (oder Frauerl) aus Gründen der political correctness und des Zivilrechts. Daher muß es jedem einzelnen überlassen bleiben, aufgrund der Beschreibungen der Hunderassen den für ihn richtigen Hund selbst zu finden oder, falls er schon einen hat, im Wege der Selbsterforschung herauszufinden, welche unbewußten Vorgänge ihn ausgerechnet mit dem jeweiligen wilden oder sanften, anpassungsfähigen oder herrschsüchtigen, liebesbedürftigen oder einzelgängerischen Exemplar zusammengeführt haben. Ist der Hund ganz besonders einzelgängerisch, liegt die Verwechslung mit einer Katze vor. Warum sollte das nicht möglich sein, sehen doch manche Hunde aus wie eine Wurst und manche wie ein Mop.

Wer gern auf Nummer Sicher geht, wählt einen Rassehund, denn da kennt man den Charakter und alles übrige (abgesehen von Hüftluxationen und anderen Folgen der Überzüchtung) schon vorher, was beim Menschen noch immer nicht möglich ist. Der Luzerner Laufhund ist zum Reispiel ein besonders ökologischer Hund: Klein und umweltfreundlich wie das Dreiliterauto, dabei geländegängig und viel, viel schöner, dabei aber urig. Hingegen erreicht der zerbrechlich wirkende, tatsächlich aber robuste und langlebige Whippet Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 65 km/h, wovon aber ein nicht gerade im Hunderennsport engagiertes Herrl weniger hat als von der ausgeprägten Sanftmut und Anhänglichkeit dieser Rasse.

Der Yorkshire-Terrier hingegen sieht aus wie ein Statussymbol, welche Rolle er zwar durchaus auch spielen kann, vor allem mit Mascherl auf dem Scheitel, ist es aber ganz und gar nicht nur. Vielmehr ist er ein zähes, eigensinniges, leider auch überzüchtetes und anfälliges Energiebündel, welches gleich Napoleon (nicht nur dem historischen) schlicht und einfach seine Kleinheit nicht zur Kenntnis nimmt. Schließlich wurde er im frühen 19. Jahrhundert von Bergleuten gezüchtet, die für die Jagd nach Ratten einen Hund haben wollten, den sie unterwegs in die Tasche stecken konnten.

Viel ruhiger und bequemer, selbst, aber auch für die Familie, ist der englische Cocker-Spaniel. Leider neigt auch er, wie sein amerikanischer Vetter, zu Augenleiden, Hautkrankheiten, Nieren- und Verhaltensproblemen und fängt sich auch, wo sie vorkommt, besonders leicht die Tollwut ein. Weniger anfällig, im Wesen aber ähnlich, ist der elegante, liebevolle, freundliche Langhaardackel.

Selbstverständlich gibt es auch Hundemoden. Damit sind nicht die in den reichen Gegenden New Yorks gesichteteten Pelzschabracken und Brillanthalsbänder an den Hunden gemeint (mancher, der keinen Hund hat, gibt das Geld eben für Autofelgen aus), sondern die Hunde selbst. Bracco italiano, die Bracke, war an den italienischen Renaissance-Fürstenhöfen sehr beliebt und wurde in letzter Zeit wiederentdeckt. Ein ernster, gut aussehender Hund, und ein passionierter Wildaufspürer auf der Jagd, mangels Gelegenheit dazu ein unermüdlicher Apportierer im Park.

Angesichts der Überzüchtung vieler Rassen ist der Trend zur gezielten Rassenmischung sehr vernünftig. Mischlinge sind im allgemeinen weniger anfällig und stehen den Rassehunden in den sonstigen Eigenschaften nicht nach. Wer gern auf Nummer Sicher geht, ist aber mit einem „Wunschmischling” möglicherweise besser bedient als mit einem aus dem Tierheim geholten Tier, denn da braucht man nicht mit Krankheiten und Verhaltensstörungen zu rechnen, die bei vernachlässigten oder ausgesetzten Hunden oft auftreten. Andererseits ist ein „zugelaufener Köter” mitunter das treueste Wesen der Welt. Und die sogenannte Treue des Hundes steht ja hoch im Kurs. Womit wir wieder beim Menschen wären.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung