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Auf die Plätze, fertig und — arbeitslos!

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Die Sparmaßnahmen des Unterrichtsministeriums treffen das Schulsystem am Schwachpunkt: Gerade die engagierten Junglehrer werden systematisch aus den Klassen geboxt. Oder gar nicht erst hinein gelassen.

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Die Sparmaßnahmen des Unterrichtsministeriums treffen das Schulsystem am Schwachpunkt: Gerade die engagierten Junglehrer werden systematisch aus den Klassen geboxt. Oder gar nicht erst hinein gelassen.

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So gezittert wie dieses Jahr hat Margit Zöchner noch nie. Das Ritual hat sie zwar schon unglaubliche elfmal hinter sich gebracht: Abwarten der Ausschreibung der freien Lehrerposten, Ansuchen an den Niederösterreichischen Landesschulrat, banges Warten, ob die mündlichen Vereinbarungen mit dem Schuldirektor auch höheren Ortes bestätigt werden...

Obwohl sie Jahr für Jahr an der selben Schule unterrichtet, erhält die Badener Textilleh-rerin - wie alle neuen Junglehrer - stets nur einen sogenannten II/L-Vertrag: einen simplen Einjahresvertrag, der automatisch nach einem Schuljahr ausläuft. Ein typischer Kettenarbeitsvertrag, in anderen Branchen streng verboten. Doch der Bund als Arbeitgeber kann es sich erlauben, die alleinerziehende Witwe Jahr für Jahr zittern zu lassen, ob noch ein paar Stunden übrig bleiben.

Karenzzeiten wollte sie nicht riskieren. Denn wenn unterdessen ihr Vertrag ausläuft ist ihr eine Wiedereinstellung so sicher wie eine frei herumliegende Kindermilch -schnitte in der Schülergarderobe. Kein Wunder, daß Zöchner nach dem zweiten Kind und lediglich acht Mutterschutzwochen sofort wieder vor der Klasse stand. Krankwerden? Jobgefährdender Luxus.

Doch seit dem Spajpaket bedeutet ihr II/L-Vertrag nicht nur die nervenaufreibende Unsicherheit bei den jährlichen Bewerbungen, sondern eine existentielle Knockout-Hürde so wie für viele Hunderte Junglehrer in ganz Österreich ohne unbefristeten Dienstvertrag. Sie sind die wirklich Leidtragenden der ministeriellen Sparmaßnahmen. Denn für den Landes-^ schulrat als Exekutor der Sparideen lassen sich bei Lehrern mit Einjahresverträgen auf die bequemste Art die geforderten Stellen einsparen. Es muß gar keine Kündigung ausgesprochen werden. Und der Lehrer, dessen Vertrag ohne weiteres Zutun einfach ausläuft, scheint auch in keiner Kündigungsstatistik auf.

Direktor Helmut Skala, Österreichs oberster Lehrer-Vertreter der Berufsbildenden

Höheren Schulen: „Die Verbitterung und Verunsicherung unter den Jungen ist schon sehr groß geworden.”

Die Gegenmaßnahmen sind bescheiden: die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit bei pragmatischen Lehrern soll ein paar Stunden für die Jungen freischaufeln, die II/L-Verträge sollen endlich zumindest einmal auf vier bis sieben Jahre begrenzt werden, die Arbeitsämter sollen Umschulungsmaßnahmen finanzieren - aber alles muß erst verhan-, delt werden. Helmut Helm, oberster Lehrergewerkschafter Österreichs, Bereich Pflichtschullehrer: „Die Jungen wissen genau, daß sie als erster gehen müssen, wenn's knapp wird.” Obwohl viele Kollegen gerade in den ersten Jahren des Berufslebens die Garantie suchen, daß mitten im Häuslbau-en oder Kindergroßziehen der Job nicht abhanden kommt.

Doch die II/L-Lehrer sind geradezu privilegiert verglichen mit den nun fertig werdenden Lehramtsstudenten, die gerade ihr Unterrichtspraktikum absolvieren - quasi das Testjahr vor dem richtigen Einstieg. Denn im Falle einer Freisetzung und somit Rückkehr auf den freien Arbeitsmarkt rücken II/L-Lehrer immerhin an die vorderste Stelle der allgegenwärtigen Wartelisten. Das ist viel wert. „Denn die Listen werden nächstes Schuljahr schlicht explodieren”, schätzt etwa Bernhard Zuser, Betreuer der steirischen Unterrichtspraktikanten. Nach Bundesland, Schulart und Fächerkombination unterschiedlich.

Bereits letztes Jahr war etwa der Überhang an fertigen Lehramtsstudenten im Bereich der höheren Schulen (Bundesschulen) gewaltig. Rund 800 etwa warten in der Steiermark seit dem letzten Herbst auf einen Job, 600 in Kärnten, 270 sind es in Niederösterreich, in Summe sind es in ganz Österreich über 3.000 Lehrer. Der Kärntner Landeschulratspräsi-dent Hartmann Glantschnig: „Wir sollen Posten einsparen und gleichzeitig produzieren die Unis Jahr für Jahr Lehrerüberschuß.”

Der ist schon alleine durch die Alterspyramide vorprogrammiert. Während des Schülerbooms in den siebziger und achtziger Jahren wurden massiv Lehrer eingestellt. Die heute 40jährigen bilden nun den Hauptstock im Lehrkörper, der noch lange am Werk ist. Vor allem Lehramtsstudenten mit den Fächern Deutsch, Geschichte, Geographie, Philosophie können sich auf eine jahrelange Wartezeit gefaßt machen. Lehrer werden hat sich zum reinen Lotteriespiel entwickelt: Maximal sechs aus 45 Bewerbern haben eine Chance. Kein Wunder, daß Selbsthilfevereine für arbeitslose Junglehrer - wie der Verein ISOP in Graz - mit der Beratung der hilfesuchenden Kollegen nicht mehr nachkommen.

Dennoch machen auch heuer wieder Hunderte Junglehrer ihr Unterrichtspraktikum ohne Chance, im Herbst unterzukommen. Markus Stocken etwa, oberösterreichischer Unterrichtspraktikant aus Steyr mit der Fächerkombination Turnen und Geographie: „Ich habe Gott sei Dank noch ein zweites Standbein als Bergführer und werde nächstes Jahr wohl eher auf dem Berg als in der Klasse anzutreffen sein.” Was ihn besonders erzürnt ist, daß „die meisten von uns Jungen noch wirklich engagiert und um die Schüler bemüht sind. Aber manche ältere ausgebrannte Kollegen, die am Anfang der Turnstunde gerade den Fußball in den Turnsaal werfen und sich sonst um nichts mehr kümmern, blockieren dann die Plätze.”

Das bestätigt weitere Befürchtungen der Experten. Gerade die engagierten und motivierten Jungen werden die Wartezeit nicht untätig verbringen, sondern in andere Berufe umsteigen - und gehen dem Lehrberuf verloren. Die Verunsicherung durch die Sparpläne steigert noch die Bereitschaft zu wechseln. „Ausgerechnet die besten Leute gehen weg”, klagt dann etwa auch Jürgen Rainer, Lehrervertreter aus der Steiermark - dem Bundesland mit dem größten Lehrerüberschuß.

Die Schülerdemonstrationen waren sicher nicht die letzte Willenskundgebung zu den Sparplänen: Bainer dazu: „Wir sammeln jetzt schon Unterschriften.” Und wenn im Herbst die große Kündigungswelle durch die Schulen brandet, kündigt er an „stehen wir auf der Straße”. Die Doppeldeutigkeit ist bitter. Aber bittere Wahrheit.

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