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Auf Gott hinweisen

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Der Religionsunterricht sei nicht Privileg, sondern Dienstleistung, betonte Bischof Krätzl jüngst anhand von zehn wichtigen Thesen.

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Der Religionsunterricht sei nicht Privileg, sondern Dienstleistung, betonte Bischof Krätzl jüngst anhand von zehn wichtigen Thesen.

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Erstens geht es um einen Religionsunterricht, der Schülern und Schülerinnen hilft, ihre Identität zu finden, selbstbewußt zu werden und ihr Lebenskonzept zu entwickeln Das ist ein klares Ja zu einem anthropologischen Ansatz des Religionsunterrichts (RU), der also nicht von der Lehre ausgeht, sondern vom Leben des Schülers, der biographisch orientiert und erfahrungsbezogen angelegt ist. Er wendet sich an Schüler, die auf Grund ihrer Entwicklungsphase auf der Suche nach der Sinndeutung ihres I^ebens sind. Im RU geht es nicht darum, ihnen eine bestimmte Sinndeutung aufzuzwingen, sondern zuerst zur Frage nach dem eigenen Sein zu verhelfen, und ihnen dann aus der ^elt des biblischen Glaubens und dem durch die kirchliche Gemeinschaft überhe-ferten Glauben, der durch das Leben erprobt ist, Lebensentwürfe und Daseinsorientierungen anzubieten und die Eröffnung einer möglichen Begegnung mit Gott... Das bedeutet aber zugleich auch das Eingehen auf eine unzerstörbare religiöse Anlage im Menschen.

2.) Ein Religionsunterricht, der die Überlieferungen des Christentums als fiir unsere Kultur prägend erschließt Schule hat in mannigfaltiger Weise Kulturgut zu tradieren... Nun leben wir aber in einem weitgehend christlich geprägten Kulturkreis, so-daß die kulturellen Überlieferungen ohne Verknüpfung mit den religiösen gar nicht recht gedeutet werden können. Der RU wird dabei auch zu einer kritischen Geschichtsdeutung Hilfe leisten. Er wird keineswegs das Christentum nur als die einzig prägende Kraft hinstellen und Mißentwicklungen beschönigen oder verschweigen. Er soll aber etwas deutlich machen von der Lebensfreundlichkeit des Evangeliums und seinem Einfluß auf das Werden einer sozialen, humaneren Gesellschaft. Gerade der christliche RU wird bei der offenen Darstellung auch von Fehlhaltungen der Christen und Kirchen in der Geschichte nicht in den Verdacht geraten, parteiisch oder gar polemisch zu sein.

X) Ein Religionsunterricht, in dem die Schüler lernen, christlichen Glauben im Horizont heutigen Denkens und Lebens auszulegen Das heißt, den überheferten Glauben zu aktualisieren, in direkten Bezug zum heutigen Leben zu bringen, ihn vor dem „Wahrheitsgewissen" der Zeitgenossen zu verantworten, ja sogar aus dem „Zeitgeist" Anregungen zur Auslegung des Glaubens zu gewinnen... Der Glaube muß seine praktische Relevanz erweisen, als „Glaube zum Leben", zum Beispiel für die Lebensorientierung des einzelnen, für das Überleben der Menschheit, für die Verwirkhchung der Menschenrechte. Hier wird besonders deutlich, welche Hilfe der Religionsunterricht für die Gesamtbildung eines jungen Menschen leisten kann und wie er hinüberwirkt auf andere Unterrichtsfächer oder Unterrichtsprinzipien.

4.) Ein Religionsunterricht, der dazu beiträgt, nichtchristliche Religionen besser zu verstehen und aus ihren Traditionen zu lernen Ein solcher Ansatz entspricht den Aussagen des Zweiten Vatikanums. In einer Zeit, da sich das Menschengeschlecht von Tag zu Tag enger zusammenschließt, schenkt die Kirche den anderen Religionen größte Aufmerksamkeit und sieht sich verpflichtet, alles zu fördern, was zur Gemeinschaft untereinander führt.

Dies hat einmal zur Folge, die anderen Religionen unbefangen in ihrer Eigenart kennenzulernen und zu akzeptieren. Das Ziel ist aber nicht nur eine distanzierte Toleranz, sondern auch, daß Schüler aus der religiösen Haltung anderer lernen können... Wie notwendig ist eine solche Hilfe für die Gesamtbildung junger Men bieten... Dieses Prinzip durchzuhalten schafft natürlich Schwierigkeiten: einmal für die Art des Dialogs, den der Lehrer offenhalten muß und der doch auch weiterführend sein soll und in den er sich mit seiner eigenen Glaubensgeschichte einbringen muß; zum anderen aber wird lier innerkirchlich oft der Vorwurf gemacht, es bheben auf diese Weise viele Inhalte ungesagt, die Darbietung der ganzen Lehre (der „unverkürzten Wahrheit") bliebe auf der Strecke. Dennoch wird gerade in dieser These deutlich, daß nur von der Lebens- und Glaubensgeschichte von Schüler und Lehrer ausgehend der RU lebensnah sein kann...

7.) Ein Religionsunterricht, der in den Kirchen beheimatet ist und daraus Sicherheit und Kraft gewinnt Bei aller notwendigen ökumeni Projektunterricht), in gememsamen Gottesdiensten im Laufe des Schuljahres und auch in gemeinsamen iVktivitäten außerhalb der Schule. A/or allem aber wird der rechte Geist der Ökumene daran zu messen sein, wie im getrennten Unterricht Lehre, Geschichte und Eigenart der anderen Konfession tradiert wird.

9.) Ein Religionsunterricht, der alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Eltern und Kirchengemeinden nützt Hier liegt der RU zunächst ganz auf der Linie der pädagogischen Zielsetzung der Schule, nämhch das primäre Erziehungsrecht der Eltern zu achten... Für den RU kommt dazu, daß für die Motivation zu einer Lebensentscheidung aus dem Glauben auch andere Orte der Weitergabe des Glaubens ausschlaggebend sehen unseres Landes im Hinblick auf Erziehung zu Toleranz, Abbau des noch immer schwelenden Antisemitismus, der neuen Herausforderung in der Begegnung mit dem Islam und nachdrängender fernöstlicher Religionen und Philosophien...

„CLEARING-STELLE"

5.) Ein Religionsunterricht, der Schülern und Schülerinnen hilft in Auseinandersetzung mit Weltanschauungen und Wertsystemen ihren eigenen Standort zu finden Der weltanschauliche und Werte-Pluralismus führt heute nicht selten zu relativierender Standpunktlosig-keit oder zu fundamentalistischer Starrheit. Die Schule muß Jugendliche befähigen, mit dem Pluralismus der Perspektiven, der Positionen und Lebensformen „produktiv" umzugehen. Der RU kann für diesen weltanschaulichen Diskurs so etwas wie eine „Clearing-Stelle" sein. Es gehört durchaus zuf Aufgabe des Religionslehrers, sich intensiv mit von manchen als „bloß sozialkundlich" geschmähten Themen zu befassen (Drogenmißbrauch, Ausländerhaß, Schwangerschaftsabbruch, Partnerschaft, Aids...), um Jugendlichen zu einem kritischen Urteil darüber zu verhelfen. Der christliche RU wird dabei die christhche Sinn-Sicht und Sinn-Deutung als möglichen Entscheidungshorizont ins Gespräch bringen.

6J Ein Religionsunterricht, für den Lebens- und Glaubensgeschichten der Schüler und Lehrer konstitutiv sind Soll der RU schülerorientiert sein, dann muß er von den Fragen der jungen Menschen ausgehen. Soll er „diakonai", dienend sein, dann nicht in dem Sinn, andere zu befürsorgen, sondern im Dialog die Hilfe anzu sehen Offenheit soll hier ein eindeutiges Plädoyer für einen konfessions-verschiedenen, von der jeweiligen Kirche zu verantwortenden RU abgelegt werden. Es geht zunächst um die Schüler, die in eine der christlichen Kirchen durch die Taufe eingegliedert worden sind. In ihr sind sie aufgewachsen, haben auch weitere Initiationssakramente empfangen: Erstkommunion, Firmung. Die Jugendlichen haben das Recht, in dieser ihrer Konfession unterwiesen zu werden, Eltern können dies für ihre Kinder zurecht auch erwarten.

Dazu kommt, daß selbst in der einen christlichen Lehre in der Geschichte der einzelnen Kirchen besondere Schwerpunkte gesetzt wurden, die zu einer lebensgeschichtlichen Identität geführt haben. Schließlich ist religiöses Leben immer ein solches in Gemeinschaft und daher die Hinführung zu einer per-sönUchen religiösen Entscheidung auch immer die Vorbereitung auf eine Sozialisation in eine ganz konkrete Gemeinde (Kirche). Die Interpretation der Lehre steht in der Autorität einer bestimmten Glaubensgemeinschaft, um nicht in subjektive Beliebigkeit abzufallen.

8.) Ein Religionsunterricht, der ökumenisch offen ist Unter Ökumene im engeren Sinn versteht man jene unter den christlichen Kirchen. Schon um des Zeugnisses willen für den einen Jesus Christus, dessen Namen alle diese Kirchen tragen, ist Gemeinsamkeit eine Frage der Glaubwürdigkeit. In der Schule könnte dies unter Beibehaltung des sonst getrennten Unterrichtes deutlich werden, zum Beispiel in regelmäßigen Gesprächen der Rehgionslehrer der verschiedenen Konfessionen, gelegentlichem gemeinsamem RU (Teamteaching,

sind, in besonderer Weise die Familie und die Kirchen- (Pfarr-)gemein-de;, und daher mit diesen kooperiert werden muß. Freilich sind hier die Erwartungen von Eltern und Pfarrgemeinden an den RU oft sehr unterschiedlich, nicht selten wird dem RU aufgelastet, was im eigenen Bereich nicht mehr geleistet werden kann. Gerade da scheint der RU das Schicksal mit der Schule insgesamt zu teilen, der man heute auch die Verantwortung für Fehlhaltungen in der Gesellschaft anlastet, ohne bereit zu sein, die Verantwortung gemeinsam mit ihr zu tragen.

DIE GLEICHEN RECHTE

10.) Ein Religionsunterricht, der bei der Gestaltung des Schullebens und der Reform der Schule mitwirkt Weil die Kirche den RU in der nun gezeigten Weise als Hilfe der Gesamtbildung der Jugend in der Schule sieht, beansprucht sie nicht nur für den RU die gleichen Rechte, wie sie andere Fächer haben, sondern fühlt sich auch mitverantwortlich für das Schuheben insgesamt. Mit dem schulischen Bildungsauftrag eng verbunden wissen wir uns auch zur Mitwirkung an allen notwendigen Schulreformen verpflichtet, ja wohen diese sogar, wo immer das pädagogisch Bessere erkannt wird, vorantreiben. Wir dürfen mit einem gewissen Stolz sagen, daß der RU im allgemeinen nach Methode und auch durch seine Lehrmittel ganz auf der Höhe schulischer Entwicklung steht. Wir sind auch gerne bereit, den RU zum Gegenstand jener Schulversuche zu machen, die seiner Eigenart entsprechen.

Aus Altern Vortrag im Stadlschulrat fiir fVien (19. 4. 1994)

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