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Der innerdeutsche Schulleistungsvergleich "Pisa-E" liefert den Bildungspolitikern ernüchternde Daten - und eignet sich vortrefflich als Wahlkampf-Keule.

Diesmal wurde ausnahmsweise gemeinsam gebangt. Diesmal harrten nicht nur Deutschlands Schülerinnen und Schüler ihrer Zensuren. Auch die deutsche Bildungspolitik befand sich im Countdown vor der Zeugnisverteilung: Immerhin wurden für Donnerstag dieser Woche die sehnlichst erwarteten innerdeutschen Daten der internationalen Pisa-Studie ("OECD Programme for International Student Assessment") in Aussicht gestellt. Die Sorgen der einzelnen Länder waren groß, birgt doch der direkte Leistungsvergleich - zumal in Wahlkampfzeiten - jede Menge politische Sprengkraft.

Geschickt lancierte Vorabinformationen sowie ein Bericht des deutschen Nachrichtenmagazins "Focus" ließen jedoch schon vergangene Woche die Bombe platzen: Demnach würden die christdemokratisch regierten Länder Bayern und Baden-Württemberg - gemessen an der Leseleistung ihrer 15-Jährigen - bundesweit an der Spitze stehen. Bremen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt rangierten dagegen in fast allen Wertungen auf den hintersten Plätzen.

Am Wochenende folgten schließlich die Ranglisten en detail: Während kein deutsches Bundesland die Spitzenwerte Finnlands in der Lesefähigkeit erreichte, würde Bayern auf der Liste der 32 untersuchten Staaten einen Platz im vorderen Drittel belegen - gleichauf mit Österreich, das auf dem zehnten Platz zu liegen kam, und weit vor Gesamtdeutschland, dessen 21. Platz im Dezember letzten Jahres für Katastrophenstimmung sorgte.

Politische Scharmützel

"Die CDU/CSU hat den dreißigjährigen Krieg um die deutsche Bildungspolitik gewonnen", kommentierte die "Zeit" ironisch - und warnte zugleich vor interpretatorischen Hüftschüssen. Umsonst: Noch bevor die offiziellen Daten von "Pisa-E" überhaupt vorliegen, ist in Deutschland ein heftiger Disput über ihre Auslegung entbrannt. Bislang schielten die Parteien und Medien vor allem auf Platz und Sieg einzelner Länder - sehr zum Missfallen jenes nationalen Konsortiums, das die zusätzliche Untersuchung von 50.000 Schülern unter Federführung des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung vorgenommen hatte. (In Österreich wurde aus Kostengründen auf eine länderspezifische Auswertung verzichtet.) Auch der Hinweis der Kultusminister, politische Bewertungen hätten "im Augenblick keinen Sinn", dürfte ungehört verschallen: Zu sehr bietet sich dem bayerischen Ministerpräsidenten und Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber jene Tatsache als Wahlkampf-Keule an, wonach die Leseleistungen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Bremen nur noch von Luxemburg, Mexiko und Brasilien unterboten werden.

Bei näherem Hinsehen besteht freilich auch in Bayern kein Grund für Selbstgefälligkeit, bleiben doch die Werte finnischer oder japanischer Schüler unerreicht. Dennoch werden von den Bildungsexperten die Gründe zu klären sein, warum Schülerinnen und Schüler im deutschen Süden besser abschneiden als anderswo:

* Liegt es an einheitlichen Leistungsstandards? Vielleicht, immerhin verfügt man in Bayern und Baden-Württemberg über ein Zentralabitur. Im Freistaat geben zudem "Orientierungsarbeiten" den Lehrenden die Möglichkeit, zwischendurch das Lernniveau ihrer Schüler zu eruieren.

* Liegt es daran, dass 15-jährige Schüler in Bayern von der ersten bis zur neunten Klasse viel mehr Unterrichtsstunden erhalten als in allen anderen Ländern? Nicht unbedingt, schließlich müssen Kinder in Baden-Württemberg bei weitem nicht so viele Stunden absolvieren und erreichen dennoch gute Ergebnisse.

* Liegt es an der wirtschaftlichen Prosperität der beiden Länder? Höchstwahrscheinlich. Leider bestätigt ja "Pisa-E" auch die Ergebnisse der internationale Pisa-Studie vom Dezember 2001, wonach Bildung in Deutschland noch immer von der sozialen Herkunft abhängig ist.

Sympathie für Blauweiß

Während die deutschen Experten nun angehalten sind, die bildungspolitischen Zusammenhänge innerhalb von "Pisa-E" zu entwirren, zeigt man sich hierzulande von den (vorläufigen) Ergebnissen der Studie wenig überrascht: "Das entspricht genau dem, was wir schon 1995 im Rahmen der internationalen TIMMSS-Studie (Third International Mathematical Sciences Study, Anm. d. Red.) eruiert haben", erklärt Günter Haider, österreichischer Pisa-Projektmanager und Schulforscher an der Universität Salzburg. "Bayern legt bewährt den Schwerpunkt auf Leistung, hat mehr Unterrichtsstunden und selektiert mehr. Die sind konservativ im besseren Sinn."

Entsprechend groß ist im heimischen Bildungsministerium die Zufriedenheit über das Länderranking: "Natürlich freut uns das Ergebnis in Bayern, weil dieses Schulsystem dem unseren ähnelt", erklärt Ulrike Rauch-Keschmann, Pressesprecherin von Ministerin Elisabeth Gehrer (VP), auf Anfrage der furche. Näher wolle man das vorläufige Ergebnis von "Pisa-E" jedoch nicht kommentieren, schließlich stünden die offiziellen Daten noch aus.

Hat das Länderranking dem Konzept Gesamtschule endgültig den Todesstoß versetzt? Nein, glaubt SP-Wissenschaftssprecher Erwin Niederwieser: "Skandinavien, wo konsequent ein System mit Förderungen und Ganztagesschulen angeboten wird, ist dem bayerischen Modell noch überlegen." So lange man sich allerdings in deutschen Gesamtschulen nur am Durchschnitt orientiere und nicht wie in Finnland oder Schweden lernschwache Schüler verstärkt fördere, bleibe Bayern mit seinem selektiven Schulsystem im Vorteil. Auch die bayerische Zentralmatura sei keinesfalls der Weisheit letzter Schluss, so Niederwieser: "Durch die verstärkte Autonomie der Schulen hat man unterschiedliche Profile. Wenn man das auf bloße Gemeinsamkeiten zurechtstutzt, büßt man viel Freiheit ein." Erst letzte Woche hat die österreichische Bundesregierung einen zusätzlichen Schritt in Richtung Autonomie gesetzt: Im Ministerrat wurde ein Schulpaket beschlossen, wonach es in den AHS-Formen neben einem "Kernbereich" von 114 bis 118 Wochenstunden auch einen autonomen Bereich von 19 bis 24 Stunden geben soll. Die Frage der optimalen Reifeprüfungs-Form wurde indes in die nächste Legislaturperiode verschoben.

Sinnloses Sitzenbleiben?

Auch die Frage, ob das Phänomen der "Ehrenrunde" bei ungenügenden schulischen Leistungen sinnvoll ist, bleibt ungelöst. "Länder wie Japan oder Schweden, die im Pisa-Vergleich an der Spitzen stehen, haben das längst aufgegeben", erklärt Schulforscher Günter Haider. "Es ist ja sinnlos, noch einmal Biologie zu lernen, wenn man in Mathematik durchgefallen ist." Dagegen ist für Lehrergewerkschafter Helmut Jantschitsch ein Wegfall des "Sitzenbleibens" wegen Mangels an Alternativen derzeit undenkbar. Schon jetzt würde Schülern bei einem Nicht Genügend sehr oft eine Aufstiegsklausel gewährt, erst bei drei Fünfern sei das Wiederholen unausweichlich. Für 50.000 österreichische Schülerinnen und Schüler eine müßige Diskussion: So oder so müssen sie im Sommer für ihren "Nachzipf" büffeln.

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