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Aug' in Aug' mit dem Schleimmonster

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Computerspiele machen Kinder aggressiv, hemmen die Kreativität und fördern die soziale Isolierung. Was ist dran an diesen vielzitierten Ängsten?

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Computerspiele machen Kinder aggressiv, hemmen die Kreativität und fördern die soziale Isolierung. Was ist dran an diesen vielzitierten Ängsten?

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Weißt du, da gibt es einen ganz tollen Außerirdischen. Er hat keine Hände, sondern Saugnäpfe, mit denen er sich an einer Wand hinauftasten kann. Und da gibt's auch so komische Schleimmonster.” Begeistert erklärt ein zehnjähriger Bub sein liebstes Computerspiel. Mit der Tastatur des Computers kann er seinen außerirdischen Helden durch elf sogenannte Welten, durch Eis und Feuer, führen. „Grad' noch gerettet.” Erleichtert, daß er seinen Helden vor dem Absturz in die drohende Schlucht gerettet hatte, setzt er seinen Weg fort und muß noch viele andere Mutproben bestehen. Vor Ungeheuern und anderen furchterregenden Gestalten kann er sich mit Bomben schützen.

Geschicklichkeit, schnelle Beakti-on und höchste Konzentration sind gefragt: „... und jetzt muß ich in eine fleischfressende Pflanze springen!” Auch diese Gefahr besteht das kleine außerirdische Männchen mit den Saugnäpfen. Die Punktezahl am oberen Bildschirmrand erhöht sich beträchtlich. Nach Punkten zu spielen, gefällt dem Zehnjährigen besonders gut, auch sei die Graphik dieses Computerspiels exzellent. Nur leider ist die letzte Welt unbezwingbar: Ein Monster erscheint und verschluckt den sympathischen Außerirdischen. Der Bub ist schweißgebadet und k. o.

Was gefällt ihm besser? Fernsehen oder die Computerspiele? Die Antwort kommt ohne Zögern: „... lieber Computer spielen, es ist spannender.” Daß die meisten seiner Computerspiele in englischer Sprache verfaßt sind, stört ihn dabei wenig. Jeden Tag dürfe er aber nicht die CD-BOM ins Laufwerk einlegen. Das hätten ihm seine Eltern verboten.

„Action muß sein”, sagt auch der Kölner Spielpädagoge Jürgen Fritz, der für die Bundeszentrale für Politische Bildung in Bonn Computerspiele analysiert und mit Jugendlichen erprobt. „Der Spieler handelt mit Hilfe eines elektrischen Stellvertreters'. Seine Einwirkungen auf diese Spielfigur sind direkt.auf die Aktion gerichtet. Es entsteht ein unmittelbarer Handlungsdruck, der den Spieler zur ständigen Konzentration und Handlungsbereitschaft zwingt. Der Spieler hat dadurch das Gefühl, direkt und unmittelbar im Spiel zu sein.”

Zu den Spielforderungen der Computerspiele gehören: Basches Auffassungsvermögen, Beaktionsschnellig-keit, räumliches Orientierungsvermögen und Streßresistenz.

Was fasziniert Kinder und Jugendliehe an Computerspielen? „Die Suche nach Spaß und Spannung macht nach Befragungen von Jugendlichen einen Hauptteil der Motivation aus”, erklärt Fritz. Wesentlich sei aber auch der Wunsch nach Kontrolle, nach Beherrschung des Spiels. „Offensichtlich hat das Bildschirmspiel die Funktion, einen Ausgleich zu schaffen für den permanenten Kontrollverlust, der die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen, auch und gerade in der Schule, kennzeichnet.” Das Kind oder der Jugendliche würde sich in dem Spiel mit seinen Vorlieben, Interessen und Fantasien wiederfinden und seinem Wunsch nach Kontrollierbarkeit dieser Welt auf die Bechnung kommen.

Auch Kinder haben das Bedürfnis, ihre „kleine Welt” zu kontrollieren, ihr nicht hilflos ausgeliefert zu sein

Action- und Denkspiele, wie Fritz die Computerspiele unterteilt, sind „in”. Immer mehr Familien haben ihren Personalcomputer. Immer mehr Kinder wissen, was Soft- und Hardware, eine CD-BOM oder eine Festplatte ist. Laut David Wohlfahrt vom Pädagogischen Institut in Graz waren es im Jahr 1994 bereits über 70 Prozent der Jugendlichen, die sich gelegentlich in den Bann eines Computerspiels ziehen ließen. Täglich kommen zwei Computerspiele auf den Markt.

Computerspiele machen aggressiv, hemmen die Kreativität und fördern die soziale Isolierung. Was ist dran an

Täglich sind neue Spiele zu haben dieser Einschätzung? „Man kann es nicht nachweisen”, erklärt der Kla-genfurter Universitätsprofessor für Entwicklungspsychologie, Erich Löschenkohl, „daß Computerspiele bei Kindern und Jugendlichen negative Folgen haben.” Die Wissenschaftler seien sich nicht einig, ob Kinder, wenn sie sich in Computerspielen gegenüber aggressiven Gegnern behaupten müssen, nachher ebenso aggressiv sind. Die hänge auch vom „Stil der hierarchischen und emotionalen Kommunikation in den Familien” ab. Löschenkohl ist sich mit seinen wissenschaftlichen Kollegen im deutschen Sprachraum darin einig, Computerspiele nicht generell als gefährlich zu bezeichnen, sondern das elektronische Spielmaterial zu testen und es Pädagogen, Lehrern und Eltern zu konfrontieren, die häufig vor dieser für sie unbekannten Welt zurückschrecken. „Wichtig ist, ein Bewußtsein zu schaffen: Was gibt es Positives?”

Auf die richtige Auswahl der Computerspiele kommt es an. Professor Löschenkohl empfiehlt keine Computerspiele, die der Kriegsglorifizie-rung, der Gewaltverherrlichung oder der Gewaltverharmlosung dienen. Wichtig sei es, daß Kinder und Jugendliche mit anderen gemeinsam spielen: „Bei Untersuchungen zum Thema der Aggressionswirkung von Computerspieleri wurde zum Teil bestätigt, daß die Aggressionsübernahme bei Wettbewerbsspielen am stärksten ist, bei kooperativen Spielen hingegen nicht stattfindet. Daher ist es sinnvoll, bei der Bewertung der Spiele nach solchen zu suchen, die gemeinsam bewältigt werden können.

Gemeinsames Spiel wirkt auch der sozialen Isolierung am Computer entgegen.” Ebenso würden die hohe Geschwindigkeit des Spielablaufes und die starke Zeitbegrenzung bei der Durchführung der Spielaufgaben den Spieler isolieren. Löschenkohl fordert daher die Einstellbarkeit der Zeit, die man für ein Spiel brauchen darf, und die Begelung der Laufgeschwindigkeit des Spiels.

Lange „Computer-Sessions” haben nicht immer einen Nachteil: Die Mutter eines an Krebs erkrankten Kindes, die Seminare und Workshops über Computerspiele bei Löschen-kohl besuchte, berichtet: „Ich will nicht behaupten, daß der Computer mein Kind gerettet hat, aber ich möchte meinen, daß er wesentlich daran beteiligt war, ihn wieder zurückzuholen.” Er habe nicht mehr kämpfen, nicht mehr leben, wollen und aufgehört zu essen.

Als der krebskranke Sohn begann, sich mit Computerspielen zu beschäftigen, habe sich vieles geändert. „Mit der Zeit nahm seine motorische Geschicklichkeit zu, seine Beaktions-fähigkeit und Genauigkeit steigerte sich, und er begann andere Spiele auszuprobieren.” Um seine Aggressivität machte sich die Mutter keine Sorgen, „schließlich”, so meinte sie, „hatte er viele, viele grausige Tumorzellen zu töten und wahrscheinlich hat er sie in all diesen Drachen und sonstigen Gestalten getötet.”

Bei den meisten Computerspielen haben „weibliche Helden” wenig Chancen auf Mitwirkung

Ebenso zählt Christian Brauner vom Landesjugendreferat und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft „Computer und Spiel” in Linz nicht nur Negativbeispiele auf. „Wenn jemand beispielsweise ein höheres Aggressionspotential hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, daß die Aggression durch einen verstärkten Konsum an Computerspielen verstärkt wird”, erklärt Brauner. Vielfach werde aber die oft behauptete Gefährlichkeit von Computerspielen überschätzt. Er spricht sich dafür aus, daß der Mensch die Technologie nützt und nicht von der Technologie ausgenützt wird. Kinder und Jugendliche können inzwischen schon sehr gut mit dem Computer umgehen.

Ob Zehnjährige schon Computer freaks sein müssen, um die Computerfachleute von morgen zu sein? „Die emotionalen Ängste vor dem Unbekannten”, betont Professor Löschenkohl, „können schon durch die spielerische Beschäftigung des Computers in der Kindheit abgebaut werden. Das wäre auch eine Chance für die Mädchen.”

Untersuchungen bei Vierjährigen haben ergeben, daß Mädchen in be-zug auf technisches Spielmaterial keine geringere Leistung erbrachten als die Buben. Statistiken zeigen aber, daß der Computer mehr von Buben als von Mädchen benützt wird. „Um der Entwicklung des Bollenstereotyps in bezug auf Technik in der Erziehung entgegenzuwirken, sollten die Mädchen möglichst früh spielerisch emotional positive Erfahrungen mit Computern sammeln und den Computer mit seinen Möglichkeiten erkunden können. Wenn die Bolle der Mädchen hauptsächlich die der wartenden, passiven Prinzessin ist, dann ist es schwierig, sich mit den Figuren zu identifizieren.” Löschenkohl fordert daher, daß bei Computerspielen statt passiver Frauenrollen vermehrt aktive Bollen für Mädchen eingebaut werden.

Ist Trauer nach den guten, alten Zeiten des Bücherlesens angebracht: „Der Blick zurück in die guten, alten Zeiten des Bücherlesens darf nicht zu weitsichtig ausfallen”, meint dazu der Grazer Pädagoge David Wohlhart. „Mit welch beißendem Hohn die handfesten Dörfler der Mancha den Don Quichote bedecken, weil er seinen Kopf in Bücher steckt, mit welch gequälter Moralität die bürgerliche Erziehung des vergangenen Jahrhunderts gegen das Lesen von Bomanen wettert ... ; vielleicht kommt einmal die Zeit, wo man sich nach den trauten Computerspielen wieder zurücksehnt.”

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