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Digital In Arbeit

Aus der Praxis entstanden

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Der Verfasser erhielt den Anstoß zur vorliegenden Studie während seiner Tätigkeit als Seelsorger im Katholischen Frauenwerk Österreichs und kennzeichnet sie im Vorwort so: „Aus der Praxis entstanden, sollte diese Arbeit wiederum der Praxis dienen.“ Weiler geht es in seiner Studie vor allem um etwaige Zusammenhänge zwischen wachsender Wirtschaft, Frauenarbeit und Fruchtbarkeit. Um seine These „Die Mutter gehört in die Familie“ (Seite 137) zu unterstützen, gliedert der Verfasser seine Arbeit in zwei Teile: „Darstellung der Probleme“ und „Die Probleme und ihre Lösung“. Im ersten Teil legt er eine statistische Bestandsaufnahme der Entwicklung der beruflichen Tätigkeit der Frau in Österreich dar sowie der Wechselzusammenhänge von allgemeinem Zuwachs der Beschäftigung und jenem der weiblichen Berufstätigen, vor allem der verheirateten Frauen. Als Unterlage verwendet der Autor hauptsächlich die Statistik de« Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger und das Material der Volkszählungen. Leider standen dem Verfasser noch nicht die Ergebnisse der Volkszählung 1961 zur Verfügung, weshalb ein Großteil der Tabellen sich auf jene des Jahres 1951 bezieht. Dieser von Weiler selbst eingestandene Mangel an Gegenwartsnähe fällt vielleicht deshalb ins Gewicht, weil zwischen 1951 und 1961 der beispiellose wirtschaftliche Aufschwung unseres Landes liegt; ob neue Unterlagen die Schlußfolgerung des Autors wesentlich beeinflussen, kann frühestens in einem Jahr festgestellt werden, wenn das Material der Volkszählung 1961 verarbeitet ist.

Weiler räumt zunächst mit dem Vorurteil auf, daß in unserer Zeit der Anteil der Frau im Erwerbsleben höher ist als zur Zeit unserer Großväter. Sowohl vor 60 Jahren als auch jetzt stellen die Frauen etwa zwei Fünftel aller Beschäftigten (Seite 43). Allerdings schwankt die Quote von Wirtschaftssektor zu Wirtschaftssektor sowie innerhalb dieser von Zweig zu Zweig. Es überrascht nicht, daß der Anteil der Frau in der sogenannten Tertiärindustrie — Dienstleistungen, Handel und Verkehr — am größten ist, ebensowenig wie die hohe Quote der weiblichen Berufstätigen in den Altersgruppen von 18 bis 30 Jahren (rund zwei Drittel), die in der nächsten Gruppe um ein Fünftel abnimmt. Das umgekehrte Verhältnis von Frauenarbeit und Fruchtbarkeit glaubt der Autor in der über dem nationalen Durchschnitt liegenden Berufstätigkeit verheirateter Frauen in Wien sowie in der unter dem österreichischen Mittel liegenden Geburtenrate gefunden zu haben. Freilich weist der Autor auf die Schwierigkeit hin, hier unmittelbare Wechselbeziehungen aufzudecken. Sind objektive Sachverhalte für die niedrige Geburtenrate verantwortlich, wie etwa die erwähnte Berufstätigkeit der Ehefrauen, die Höhe des Familieneinkommens. oder rufen subjektive Elemente dieses Phänomen hervor? Obwohl der Verfasser die subjektiven Gründe der niedrigen Geburtenrate nicht übersieht, meint er doch, daß der außerhäuslichen Arbeit Verheirateter entscheidendes Gewicht zukäme. Denn die Frauen arbeiteten vor der Ehe und zu einem Zeitpunkt, in dem die Kinder nicht mehr ausschließlich ihre Obsorge verlangen, in einem verstärkten Ausmaß; in der Gruppe von 18 bis unter 30 Jahren waren 1951 22 Prozent der weiblichen Beschäftigten verheiratet, 40 Prozent der 30- bis 50jährigen und schließlich 30 Prozent der Gruppe von 50 bis 60 Jahren. Die Aussage des Verfassers stimmt allerdings nur dann, wenn wir annehmen, daß das Alter der Mehrzahl der Mütter in die Gruppe von 18 bis 30 Jahren fällt.

Wenngleich Weiler gegen seine Schlußfolgerung die Einwände selbst vorbringt — zum Beispiel ist die Geburtenrate der nichtbeschäftigten Frauen in der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung Österreichs nicht oder nicht wesentlich höher als jene der verheirateten Frauen (Seite 111) —, glaubt er doch an den Zusammenhang zwischen außerhäuslicher Arbeit von Ehefrauen und der Fruchtbarkeit (Seite 117). Ehrlich fügt der Autor hinzu, daß „für die Behauptung jedoch, die geringe Kinderzahl sei allein durch die Berufstätigkeit der verheirateten Frauen verursacht, kein letzter Beweis erbracht werden kann“ (Seite 117).

Im zweiten Teil seiner Untersuchung zeigt Weiler „realistische“ Lösungsmöglichkeiten des Dilemmas „Beruf und Familie“ auf. Vor allem weist er die Haltlosigkeit der Forderung, „Frauen gehören an die Kochtöpfe“, nach. Gestützt auf ein umfangreiches Quellenmaterial, bringt der Autor seine These vor, daß nur eine zunehmende Teilzeitbeschäftigung anstatt der totalen Beschäftigung einen Ausweg bietet.

Es wäre Weiler einfacher gefallen, seinen Lösungsvorschlag ökonomisch zu belegen, falls er mit Hilfe der internationalen Statistiken die Zusammenhänge zwischen dem Grad der wirtschaftlichen Entwicklung und der Frauenarbeit in seine Untersuchung einbezogen hätte. Je höher sich eine Volkswirtschaft entwickelt hat und je ausgelasteter der Produktionsfaktor Arbeit ist, um so größer ist die Neigung der Wirtschaft, verheiratete Frauen nur teilweise zu beschäftigen. Sicherlich wäre es von Vorteil gewesen, wenn der Autor auch auf die Zusammenhänge zwischen der Zunahme des Volkseinkommens und der Frauenarbeit hingewiesen hätte; vielleicht wäre er dann doch zu der Ansicht gelangt, daß zwischen Einkommen und Kinderreichtum eine größere Korrelation besteht, als er jetzt zuzugeben bereit ist. Obwohl der Autor selbst auf die Kompliziertheit der Materie mehrmals hinweist, versäumt er es, auf andere Faktoren einzugehen, die zweifellos den Kinderreichtum beeinflussen. An erster Stelle wäre hier die Wohnungsfrage zu nennen. Über diese Frage kommen allerdings wieder die subjektiven Elemente lierein. Von anderen Studien ist hinlänglich bekannt, wie sehr sich die seelische Haltung auf den Wunsch nach Nachkommenschaft auswirkt, wenn dieser in Widerspruch mit dem Wunsch nach einem höheren Lebensstandard tritt. Daß die Geburtenrate in jüngster Vergangenheit wieder zugenommen hat (auch in Wien), legt für den Rezensenten doch nahe, eine starke Wechselwirkung zwischen Familienwohlstand und Willen zum Kind anzunehmen, wenngleich der Geburtenrhythmus nur, zugegeben, träge auf Änderungen des Einkommens von Mann und Frau reagiert. Bis vor wenigen Jahren glaubte eine Mehrzahl der Ehepaare vor der Alternative zu stehen: entweder ein Auto oder ein Kind; der inzwischen gestiegene Lebensstandard läßt sie eben jetzt Auto und Kind verlangen, wenn das Ehepaar über eine entsprechende Wohnung verfügt. Ohne eine solche familiengerechte Wohnung würde die vom Autor vorgeschlagene Therapie wirkungslos bleiben. Solange der „soziale Wohnhausbau“ fast ausschließlich nur Wohnungen von 60 bis 70 Quadratmetern baut, dürfte die überwiegende Mehrzahl der Familien in den Großstädten die Kleinfamilie mit einem oder zwei Kindern bleiben. Freilich hülfe eine verbreitete Teilzeitbeschäftigung der verheirateten Frau der Gesellschaft das Ziel: Sicherung der Nachkommensahaft, eher zu erreichen; da ein höherer Wohlstand der Massen nur mittels eines stetig wachsenden Einkommens zu gewährleisten ist, beides aber erarbeitet werden muß.

Selbstverständlich kann man nicht erwarten, auf dem beschränkten Raum von 248 Seiten alle Aspekte des Problems „Wirtschaftswachstum und Frauenarbeit“ erschöpfend erörtert vorzufinden. Für eine etwaige zweite Auflage würden wir uns wünschen, daß die nicht seltenen Druckfehler beseitigt werden. Jedenfalls stellt auch so die Arbeit Weilers eine erfreuliche und notwendige Bereicherung des Schrifttums über soziale Fragen dar.

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