"Authentische Lehrer sind gute Lehrer“

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PORTRÄT • Anna Karloff unterrichtet besonders problembelastete Schüler. Eine Ausnahmepädagogin über ihre Tricks und ihre Motivation.

Schon von weitem winkt Anna Karloff und kommt die Straße herunter spaziert. "Mein Beamtenschritt“, scherzt sie, und ein herzliches Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie reicht ihre Hand zu einem festen Händedruck. Wenig später beginnt sie auf der Holzbank ihrer schattigen Terrasse über ihre Erfahrungen als Lehrerin an einer nicht ganz einfachen Schule zu erzählen.

Fast alle ihre Schüler haben Migrationshintergrund und sprechen Deutsch als Zweitsprache. Viele erleben wenig familiären Rückhalt. "Ich habe einen Buben in der Klasse, der auf alle losgeht und keine Achtung vor den Lehrern hat. Er kennt seine eigenen Grenzen nicht, und sein Vater schützt ihn“, erzählt Karloff mit sonorer Stimme. Auf ihre Anregung hin ist er in psychologischer Behandlung und besucht nun wieder regelmäßig die Schule. "Es gibt aber auch Schüler, die sagen: ‚Da will ich nicht hingehen.‘ Dann können wir nichts tun“, weiß die engagierte Pädagogin.

Die nötige Unterstützung holt sie sich auf eigene Faust von Fachleuten: Beratungslehrern, Psychologen, Sozialarbeitern, manchmal auch Bewährungshelfern und dem Jugendamt. "Sonst bleibt kaum Zeit zum Unterrichten“, betont Karloff. "Wir bräuchten viel mehr Unterstützung durch Sozial- und Freizeitpädagogen.“

Vertrag mit den Schülern

Gemeinsam mit den Schülern hat sie einen Katalog von Verhaltensregeln erarbeitet: Die Pausenregeln einzuhalten, niemanden anzupöbeln, keinen Kaugummi zu kauen oder keine Kappe zu tragen sind nur einige Punkte. Ihre Idee trägt Früchte: "Die Schüler beurteilen ihre Sozialkompetenzen sehr ehrlich und entwickeln durch das Sichtbarmachen ihres Verhaltens einen regelrechten Ehrgeiz“, berichtet Karloff.

Humor ist einer der Schlüssel ihres Erfolgs: "Mit den Schülern zu lachen ist unglaublich wichtig. Sie aber lächerlich zu machen oder zynisch zu sein, liegt mir fern.“ Oft haben die Schüler am Anfang der Stunde das Bedürfnis, ihr etwas zu erzählen. "Zum Plaudern muss Zeit sein, danach arbeiten sie wieder viel effizienter“, weiß Karloff.

Ein großes Thema ist Gewaltprävention: "Das beginnt schon beim Ton und der Wortwahl.“ Wenn die toughe Lehrerin einen pöbelnden Burschen erwischt, fragt sie nach dem Grund seiner Aggression. Oft lautet die Antwort: "War ja nur Spaß.“ Dann bleibt sie hartnäckig und fragt nach: "Wie könntest du das anders ausdrücken?“ So versucht sie herauszufinden, was das eigentliche Problem ist.

Ihre Vorbildwirkung ist Karloff sehr bewusst: "Die Schüler saugen alles auf - wie wir sprechen, uns kleiden, uns bewegen.“ Ihr ist es wichtig, dass dieselben Regeln für alle gelten: "Ich predige Bier und trinke Bier. Genauso wie die Schüler trage ich Patschen, benutze kein Handy, kleide mich dezent. Ich würde auch nie vor den Kindern rauchen.“ Eine interessante Erfahrung: "Wenn ich den Kraftausdruck eines Schüler wiederhole, sind sie plötzlich ganz entsetzt: ‚Aber Frau Karloff! Wie grauslich das klingt!‘ “

Ihre Handynummer ist Eltern und Schülern bekannt. Einmal monatlich veranstaltet sie einen Elternabend im Café. Auch die Schüler sind eingeladen. Manchmal kommen acht Leute, manchmal niemand. "Es kommen fast nur die Mütter. Alle erreicht man nie“, ist ihr klar.

In den Siebzigerjahren hat die heute 56-Jährige ihre ersten Unterrichtserfahrungen gesammelt. Sie beobachtet, dass junge Menschen heute orientierungsloser und einsamer als je zuvor sind. "Oft sitzen sie alleine vorm Computer oder verstecken sich hinter ihrem Handy.“ Viele Kinder hätten es verlernt, miteinander zu kommunizieren oder gemeinsam zu spielen.

Schon in der Volksschule in Kärnten kannte die Pädagogin ihren Berufswunsch. "Ich habe allen Mitschülern erzählt, dass ich auch einmal so gerecht sein werde wie die Frau Rieder“, erinnert sie sich schmunzelnd. Ihre eigene Volksschullehrerin hat es jedem Kind ermöglicht, seine Talente zu zeigen. "Täglich habe ich freudig vor der Klasse vorgelesen. Nie hatte ich das Gefühl, als Bauernkind benachteiligt zu werden.“ Heute versucht sie, genauso ermutigend zu wirken: "Ich sage nicht ‚Das war schlecht‘, sondern ‚Das kannst du sicher noch viel besser‘.“

Junglehrern rät sie, den Freiraum Klasse für sich zu nutzen. "Denn authentische Lehrer sind gute Lehrer.“ Gut vorbereitet zu sein sei das Um und Auf: "Die Schüler bemerken jede Lücke, sind erbarmungslos. Sobald du planlos bist, haben sie die Oberhand.“ Karloff ist überzeugt, dass Junglehrer zumindest zwei Jahre in der Wirtschaft gearbeitet haben sollten. "Um ihren Horizont zu weiten.“

"Ich will stolz auf euch sein“

Ihre eigene Biografie ist bunt: Nach einer Ausbildung zur katholischen Religionslehrerin hat sie in Wien an einer Schule für Schwererziehbare, an einer Volksschule und einer Sonderschule unterrichtet. 15 Jahre lang führte sie einen Obst- und Gemüsehandel, anschließend eröffnete sie ihr eigenes Kulturlokal. Irgendwann fehlte ihr das Unterrichten. "Also habe ich die Lehramtsprüfung für Deutsch und Geografie gemacht.“

Auf die eigene Gesundheit zu achten wird ihr immer wichtiger. "Meine Stimme setze ich bewusst ein. Schreien versuche ich möglichst zu vermeiden.“ Einmal wöchentlich besucht die Lehrerin auf eigene Kosten eine Supervision, um ihren Unterricht zu reflektieren. "Ich hinterfrage täglich: Was ist heute daneben gegangen? Was war ein Highlight?“

Karloffs Kernsatz lautet: "Ich will stolz auf dich sein.“ Einen Grund dafür findet sie bei jedem Schüler. Sie geht gerne in die Schule. "So leiste ich einen positiven Beitrag. Meine Schüler will ich zu guten und glücklichen Mitgliedern der Gesellschaft erziehen.“ Zu sehen, dass sich ehemalige Schüler gut entwickelt haben, ist der Lohn für ihre Mühen. "Wenn sie mich Jahre später kontaktieren, merke ich: Das Vertrauen ist noch da. Sie haben mich nicht vergessen.“

Name und Standort der Schule dürfen auf Weisung des zuständigen Schulrates nicht genannt werden.

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