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Autokratie und Demokratie

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Wesentlich ist der Unterschied zwischen autokratischer und demokratischer Staatsführung.

In der Demokratie ist für geborene Führernaturen kein rechter Platz; in der Demokratie sollen die Führer ja weniger geboren als erkoren werden. Auch hier hat Kelsen bereits 1929 treffend formuliert: „Damit wird die Kreation dieser vielen Führer zum Kernproblem der realen Demokratie, die nicht eine führerlose Gemeinschaft ist, die sich nicht durch den Mangel, sondern eher durch die Fülle der Führer von der realen Autokratie unterscheidet. Und sohin ergibt sich als ein

Wesenselement der realen Demokratie eine besondere Methode der Auslese der Führer aus der Gemeinschaft der Geführten.“

Im Gegensatz dazu läßt die Ideologie der Diktaturen ihre Führer als ein gegenüber der sozialen Gemeinschaft höheres Wesen gelten, das der Strahlenkranz göttlicher Herkunft oder magischer Kräfte umgibt. Der autokratischen Ideologie nach ist der Führer überhaupt nicht ein von der Gemeinschaft erzeugtes oder von ihr erzeugbares Organ. Die Führerschaft repräsentiert hier einen absoluten Wert. Hingegen ist für die Demokratie

charakteristisch: nicht daß der herrschende Wille der Wille des Volkes ist, sondern daß eine breite Schichte der Noi munterworfenen, daß die größtmögliche Zahl von Gemeinschaftsgliedern an dem Prozeß der staatlichen Willensbildung teilnimmt; freilich ist auch dies nur — wenigstens in der Regel — an einem bestimmten Stadium dieses Prozesses, das man im allgemeinen als Gesetzgebung bezeichnet, möglich, und alle Staatsbürger können nur bei der Kreation des Gesetzgebungsorgans mitwirken. Dies hat zur Folge, daß die aus der Masse sich heraushebenden Autoritäten in ihrer spezifischen Funktion auf Gesetzesvollziehung eingeschränkt werden.

Sicherlich kann die Regierung — das ist praktisch die staatlich-rechtliche Form der Führerschaft — die Gesetzgebung wesentlich beeinflussen. Allein, es ist schon charakteristisch, daß sie ein anderes Organ in Funktion setzen muß, um sich die Grundlage ihrer Tätigkeit zu schaffen. Der Mechanismus des parlamentarischen Apparates aber, gekennzeichnet durch den Gegensatz von Majorität und Minorität, bedeutet auch für eine sich auf die Majorität stützende Regierung eine wirksame reale Schranke; was einen nicht unbeträchtlichen Unterschied gegenüber einem politischen Zustand ausmacht, wo der Regent die Gesetze selbst erläßt, die er, beziehungsweise der ihm unterstellte Verwaltungsapparat, vollzieht (Kelsen).

Über und unter der sozialen Ordnung

Freilich hat die moderne Form der parteienstaatlichen Demokratie auch diesen Erkenntnissen manche neue Aspekte hinzugefügt. In der Parteienspitze der Regierungsmehrheit oder in den Parteienspitzen bei Koalitionsregierungen vollzieht sich wieder die Zusammenfassung der Gewalten; parlamentarische Fraktion und Regierungsfraktion stehen unter derselben Leitung, nämlich der Parteiführung. Umso wichtiger sind die weiteren Spielregeln der Demokratie: die Führungsorgane gelten nur für eine gewisse Zeit als gewählt; sie sind auch nur innerhalb ihrer Kompetenzen zu respektieren, wobei aber gleichzeitig wiederum jedes Organ seine Kompetenzen voll auszuschöpfen hat, damit sich auch die gegenseitige Hemmung der Gewalten ergibt. Im übrigen untersteht alles der Kritik der Öffentlichkeit, daher das Prinzip der Publizität

der Herrschaftsakte in der Demokratie gegenüber dem Prinzip der Geheimhaltung in der Diktatur. Für die reale Demokratie ist ferner ein stetes Aufströmen aus der Gemeinschaft der Geführten in die Führungsstellungen charakteristisch.

Der wesentliche Unterschied ist also der, daß in der Diktatur der Mensch, der die Herrschaft ausübt, stets über und nicht unter der sozialen Ordnung stehend vorgestellt wird, somit wesentlich unverantwortlich ist, während anderseits die Verantwortlichkeit gegenüber den Geführten ein spezifisches Merkmal der Demokratie darstellt. Nicht, daß keiner Fü Il-

rer sein soll, sondern daß jeder Führer werden kann, macht das Prinzip der demokratischen Staatsführung aus! Sieht man das ein, dann bleibt natürlich immer noch die Forderung, daß die besten in die politischen Spitzenpositionen berufen werden sollen. Aber es erübrigt sich, sie als eine Art Übermensch zu glorifizieren oder auch nur sehen zu wollen.

Die Nutzanwendung

Aus diesen allgemeinen Erwägungen der politischen Soziologie beziehungsweise der Wissenschaft von der Politik ergeben sich selbstverständlich auch Nutzanwedungen für die Funktion des Bundespräsidenten in Österreich. Seine Stellung wurde ja vor allem in der Verfassungsreform von 1929 festgelegt, die nach allgemeiner Ansicht stark von der damaligen Weimarer Verfassung beeinflußt war. Daß das Staatsoberhaupt einer Demokratie jemals zum Gegengewicht der politischen Parteien werden könnte — was diesem Verfassungskonzept wenigstens teilweise zugrunde lag —, muß im modernen Parteienstaat eine Illusion bleiben. Anderseits ist bis zum Erweis des Gegenteils jedem maßgeblichen Politiker und daher natürlich auch dem zum Staatsoberhaupt Gewählten das Stieben nach Objektivität, Gemeinwohlverwirk-lichune und so weiter zugute zu halten. Daher sind ja die Parolen wie etwa „Staatspolitik vor Parteipolitik, Opferbereitschaft für die Allgemeinheit vor Eigennutz, politische Sauberkeit“ Grundlagen und Voraussetzungen des demokratischen Staates überhaupt und nicht geeigneter Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen. Weil irdoch über das, was im Einzelfall die Obiektivität gebietet und das Gemeinwohl erheischt, verschiedene grundsätzliche Vorstellungen bestehen, ergeben sich eben Parteiungen im Volke und in weiterer Folge politische Parteien als notwendige Institutionen der modernen Demokratie.

Ein verantwortlicher Politiker

Die Volkswahl des Staatsoberhauptes stellt nun die Anforderung an die Staatsbürger, sich dieser Zusammenhänge bewußt zu werden. Der gewählte Bundespräsident ist dann auch keine sakrosankte Person, sondern ein verantwortlicher Politiker, der sich unter Umständen auch Kritik gefallen lassen muß. Freilich wird sich diese Kritik in dem Rahmen zu halten haben, der einerseits durch die Würde des Amtes und anderseits durch die Notwendigkeit bestimmt ist, das Staatsoberhaupt als Symbol der Ein-

heit des Volkes nicht zu beeinträchtigen. Gerade dieses letzgenannte Symbolbedürfnis beweist, daß auf dem Weg zur Rationalisierung des politischen Geschehens noch weite Strecken vor uns liegen. Auf gesellschaftlichem und politischem Gebiet ist eben der Linterschied in der Vorstellungswelt breitester Kreise unserer Kultur gegenüber den Vorstellungen der Primitiven — in ihrer von Medizinmännern und Tabus beherrschten Gesellschaft — längst nicht so gToß wie in anderen Bereichen.

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