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Bauernführer gesucht!

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Es ist offenbar schon zur Tradition feworden, daß die Hälfte der Nationalräte, die die ÖVP Niederösterreichs in das Hohe Haus entsendet, dem Bauernbund angehört. Auch von den 18 Kandidaten der Volkspartei für die Wahlen am 18. November, die reelle Chancen auf ein Mandat haben, stellt der Bauernbund nicht weniger als neun. Dies, obwohl der Anteil der Land- und Forstwirtschaft an der Bevölkerung Niederösterreichs — sie beträgt laut jüngster Volkszählung 1,572.962 Einwohner — vom Jahr 1951 bis 1961 auf 21,7 (29,5 Prozent) gesunken ist.

Ohne Zweifel ist der Anteil der bäuerlichen Bevölkerung an der Wählerschaft der Volkspartei bedeutend größer als an der Gesamtbevölkerung des Landes unter der Enns. Nach einem Ausspruch des Bundeskanzlers beim jüngsten Landesparteitag in Krems, stellt die ÖVP Niederösterreich die „Garderegimenter“ der Volkspartei. Stellt das Gros dieser „Regimenter“ der Bauernbund?

Bei den Nationalratswahlen im Jahre 1959 erhielt die Volkspartei in Niederösterreich rund 445.000 Stimmen. An diesem „schwarzen Sonntag“ büßte die Volkspartei eines ihrer 19 Mandate ein. Aber noch immer lag Niederösterreich mit 18 ÖVP-Manda-ten vor Wien (15), Oberösterreich (14), Steiermark (13) um Kopflängen an der Spitze. Die SPÖ konnte damals im Lande unter der Enns von 14 auf 15 Mandate vorrücken.

Wie viele der 445.000 ÖVP-Stim-men konnte im Jahre 1959 der Bäu-ernbund auf sich buchen? Laut Volkszählung beträgt die Wohnbevölkerung der Land- und Forstwirtschaft in Niederösterreich rund 297.000. Die Zahl der Wahlberechtigten ist allerdings fast um ein Drittel kleiner, da die in den Altersgruppen unter 20 Jahre fallende Bevölkerung abzuziehen ist. Selbst wenn also relativ wenig Stimmen zu den Freiheitlichen und zum SPÖ-Ar-beitsba^ueinbund abbröckelten, könnte der TJauernbund nicht die Hälft der ÖVP-Wähler stellen.

Die Bauern Niederösterreichs sind also zahlenmäßig im Hohen Haus gut vertreten. Man sollte meinen, daß sie darüber auch froh sein würden. Die Zufriedenheit der Bauern im Lande unter der Enns ist in der Tat auch noch um vieles größer als die ihrer Standesgenossen in Salzburg oder etwa in Kärnten.

Sicherlich, der allgemeine Unmut der Bauern darüber, daß sie vom „Staatskuchen“ nicht das entsprechende Stück erhalten, richtet sich zum Teil zu Unrecht gegen die Bauernführer. Aber mangelt es der Volkspartei nicht auch an Bauernführern, die die schwierigen Probleme der heutigen Zeit zu meistern imstande sind? Wo sind die Männer vom Schlag eines Buchinger, Reither, Stöckler, Sturm und Kraus, die Niederösterreich zum führenden Bauernland machten? Freilich, die „Pionierzeit“ ist vorüber. Es geht heute nicht mehr um den Aufbau einer Organisation — die stark macht —, es geht um die viel diffizilere Adaptierung der Landwirtschaft in der Industriegesellschaft.

Der Bauernführer des Jahres 1962 muß daher über besondere Qualitäten verfügen. Das Wort „Führer“ ist durch die jüngste Geschichte belastet und soll hier nicht mißverstanden werden. Wir meinen damit nicht wortgewaltige Demagogen, raffinierte Kenner derMassenpsychologie, sondern Männer, die durch die Macht ihres Geistes überzeugen, Persönlichkeiten mit sauberem Charakter und einer entsprechenden Fachausbildung; Mandatare, die im Hohen Haus nicht bloß kumulativ die Hand erheben, sondern die auch das Wort ergreifen können; Bauern f ü h-r e r, die von den Intellektuellen nicht belächelt und von ihren Standesgenossen nicht nur deswegen gewählt werden, weil sie auf der ÖVP-Liste stehen.

Man muß es begrüßen, daß das Unbehagen im Niederösterreichischen Bauernbund auch zu konkreten Maßnahmen geführt hat. Von dem Drittel der Nationalräte, deren Namen in der ÖVP-Liste nun in Niederösterreich nicht mehr aufscheinen, sind die Mehrzahl Bauernbündler — und nicht alle schieden wegen Erreichung der Altersgrenze aus.

Allerdings hat es sich gezeigt, daß e nicht immer leicht ist, neue geeignete Männer zu finden. Man fragt sich da freilich: wo bleiben die Nachwuchskader, die angeblich aus der ÖJB und aus dem Ländlichen Fortbildungswerk heranwachsen sollen? Im Wahlkreis 8 (Viertel ober dem Wienerwald) hat man buchstäblich bis zur letzten Minute nach einem Nachfolger für den aus Altersgründen ausgeschiedenen Nationalrat Eichinger gesucht. Schließlich hat man dem Bauern Leopold Kern, St. Georgen bei St. Pölten, der bisher kaum hervorgetreten ist, den so gut wie sicheren Nationalratssitz eingeräumt.

Im Wahlkreis 8 führen Figl und Raab die ÖVP-Liste an. Landeshauptmann Figl, Spitzenkandidat in allen vier Wahlkreisen Niederösterreichs, wird von den Bauern noch immer als einer der ihren angesehen. Obwohl er, durch viele andere Aufgaben in Anspruch genommen, nicht immer aktiv an der Agrarpolitik Anteil nehmen kann, versteht er die Sorgen der Bauern.

Der führende Bauernbundmandatar im Wahlkreis 9 (Viertel unter dem Wienerwald) ist NR Scheibenreif, Präsident der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer. Er gilt als der Initiator der Einführung der Pflichtkrankenkasse für die Bauern. Seine Pläne stoßen bei den größeren Landwirten leider — bis jetzt — auf wenig Verständnis.

Die Kandidatur Prof. Schönbauers im Jahre 1959 im Wahlkreis 10 hat gezeigt, daß man den Waldviertier Bauern viel zumuten kann. Es steht außer Zweifel, Prof. Schönbauer ist ein großartiger Mediziner, ein berühmter Chirurg, aber doch kein Bauernführer, dessen Stelle er einnahm. Nach seinem Ausscheiden und dem Abgang ökonomierat Strommers und Nationalrat Gindlers werden voraussichtlich zwei neue Waldviertler Bauernmandatare in den Nationalrat einziehen: der 49jäh-rige Bürgermeister von Röschitz, Leopold Krottendorfer, Bezirk Horn, und der 41jährige Dr. Johann Haider aus Oberrosenauerwald, Bezirk Zwettl. Ob der talentierte Bau-ernbundsekretär noch zum Zug kommt, muß man freilich erst abwarten. Denn bekanntlich verliert das Waldviertel auf Grund der Volkszählung ein Mandat. Nach Recherchen einiger Wahlstrategen geht das auf das Konto der Sozialisten.

Prominente ÖVP-Namen finden wir auf der Liste im Wahlkreis 11 (Viertel unter dem Mannhartsberg): Landwirtschaftsminister Hartmann, ÖVP-Generalsekretär Dr. W i t h a 1 m, Nationalrat Dr. P r a d e r. Den relativ sicheren vierten Platz erhielt der 41jährige Bauer Karl Fachleut-n e r, bisher Bundesrat, an Stelle des ausscheidenden Bauern Ferdinand Mayer.

Übrigens, im Wahlkreis 11 hat Landwirtschaftsminister Hartmann gewissermaßen einen „Gegenkandidaten“ : Nationalrat Ernst W i n k 1 e r, den Agrarexperten der SPÖ. Winkler steht an sicherer Stelle auf der SPÖ-Liste und ist so zu seinem Glück auf die bäuerlichen Stimmen nicht angewiesen. Ernst Winkler, Marxist alter Schule, Herausgeber von Vorträgen Otto Bauers über die Volkswirtschaftslehre, einer volkstümlichen Darstellung von Marxens „Kapital“, hat es schwer mit seinem Agrarkonzept.

Winkler hat es heute um so schwerer, da unsere Agrarpolitik — zum Schutz der Bauern und der Konsumenten — kaum mehr nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen betrieben wird. Ein verstärkter „Dirigismus“ ist wenig populär.

Eines kann man bereits mit einiger Sicherheit voraussagen: Die Experimente in Sachen Landwirtschaft, sowohl die von der Linken wie auch von seiten des Bauernverbandes, dürften bei den kommenden Wahlen im Lande unter der Enns eine Abfuhr erleiden, der Bauerbund wird ohne Zweifel seine feste Position halten können. Doch ein Problem bleibt auch nach den Wahlen bestehen: Junge, tüchtige Bauernführer sind in Niederösterreich gefragt!

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