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Begabung und Bildungsgang

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Alle Bestrebungen, die auf eine Hinausschiebung der Wahl des Bildungsganges bis zum 14. Lebensjahr hinauslaufen, werden an der naturgegebenen Schichtung der Intelligenz der Jugend zunichte, die in der pyramidenförmigen Struktur der ganzen menschlichen Gesellschaft ihr naturgegebenes und weises Korrelat findet. Hier müssen daher vor allem die Anwärter auf ein höheres Studium in ihrem eigensten Interesse und in dem der Gesamtheit bereits beim Ubergang von der Volksschule znr Mittelschule sorgfältig und streng gesiebt

werdenl Daß dabei die soziale Lage der Eltern für den Aufstieg der Begabten kein Hindernis sein sollte, ist zweifellos gerecht und wünschenswert. Dies ist aber keine Angelegenheit der Schulpoli-t i k, sondern fällt in das Ressort der sozialen Fürsorge.

Bei der Wahl der Mittelschultype sollten aber nicht wie bisher Familientradition, verwandtschaftliche Beziehungen, räumliche Nähe des Schulgebäudes oder andere äußere Umstände bestimmend sein, es wäre vielmehr schon beim Ubergang in die erste Mittelschulklasse eine Scheidung nach Begabungsgraden so zu treffen, daß die verhältnismäßig geringe Zahl leicht erkennbarer höchst Begabter das Gymnasium wählen, eine etwas größere Anzahl mittelschulreifer Kinder in das Realgymnasium und die überwiegende Mehrzahl der übrigen geisteswissenschaftlich weniger begabten Kinder in die Realschule übertritt, wobei für je hundert Zehnjähriger etwa folgende Prozentsätze der natürlichen Begabungsschichtung und dem Schwierigkeitsgrad des Bildungsganges der einzelnen Mittelschultypen entsprechen dürften: Von je 1000 zehnjährigen Volksschulabsolventen gelangten in normalen Zeiten nur 550 in die erste Hauptschulklasse und zirka 120 in die erste Klasse einer Untermittelschule.

Von diesen Volksschülern dürften jedoch pro 100 nicht mehr als höchstens etwa 20 ins Gymnasium, etwa 30 bis 40 in das Realgymnasium und der Rest (etwa 40 bis 50 Prozent) in eine Realschule aufgenommen werden. Die gegenwärtige Uberfüllung der Realgymnasien erklärt sich keineswegs aus dem Wunsche der Eltern, ihre Kinder Latein lernen zu lassen, sondern aus der irrtümlichen Meinung, daß die Realschule den Absolventen beim Ubergang zur Hochschule eine wesentlich geringere Wahlmöglichkeit biete als das Realgymnasium. Dazu kommt noch, daß viele Eltern die Entscheidung über die Wahl der Hochschulvorbereitung möglichst lang hinauszuschieben trachten. Diese Taktik mag für den Laien in Bildungsfragen sehr verlockend erscheinen. Sie kann aber gar nichts an der Tatsache ändern, daß durch dieses Hinausschieben nicht ein einziger wirklich begabter Schüler dem Mittelschulstudium gewonnen würde, denn die geringe Zahl der für ein höheres Studium ausreichend oder besonders geeigneten zehnjährigen Volksschüler bekundet diese — natürlicherweise auf wenige — beschränkte Eignung durchaus verläßlich schon vor der Aufnahme in die Mittelschule.

Die Angleichung des Lehrplanes der Mittelschule an den der Hauptschule beraubt aber gerade die hoch- und höchstbegabten Untermittelschüler während der aufnahmsfähigsten Jahre der ihnen angemessenen Geistesnahrung, nämlich jenes unersetzlichen Geistestrainings, das das Studium der klassischen Sprachen, besonders des Lateinischen, seit. Jahrhunderten für die geistige Elite aller europäischen Kulturvölker geboten hat.

Aus Gründen der natürlichen Berufsgliederung ist es also von größter sozial-

ökonomischer Bedeutung, mit der B e-gabtenauslese möglichst früh zu beginnen, damit der übermäßige Zuzug zu den Hochschulen schon beim Ubergang von der Volksschule zur Hauptoder Mittelschule energisch gedrosselt werde.

Die anderen mögen ihrer Schulpflicht in der Volks- und Hauptschule genügen. Diese Pflichtschulen müßten allerdings, dem Begabungsgrade ihrer Schüler entsprechend, so zweckmäßig wie möglich organisiert sein, denn sie haben der großen Messe der Bauern und Arbeiter durch vorzüglich vorgebildete Lehrer jene unerläßliche elementare Allgemeinbildung zu vermitteln, außerdem abeT, ähnlich wie die Untermittelschule, für einen erheblichen Teil ihrer Frequentan-ten den Ubergang in fachliche Gewerbeschulen vorzubereiten, in denen die in der Wirtschaft unentbehrlichen „Unteroffiziere“ für Industrie, Ackerbau, Handel, Verkehr und für den niederen Verwaltungsdienst ausgebildet werden.

Gegen einen gelegentlichen Ubertritt auffallend begabter Hauptschüler in die Untermittelschule ist natürlieh ger nichts einzuwenden. Man baue ihnen goldene Brücken.

Es gibt aber wohl keine absurdere Idee als um dieser seltenen Fälle willen die Untennittelschule ihrem Schwierigkeitsgrad nach der Hauptschule angleichen zu wollen und mit der damit verbundenen Senkung des Niveaus der Untermittelschule schwere Sünden gegen den Geist praktischer Bildungsprinzipien zu begehen.

Erstens, indem man damit der höherbegabten Schiüjugend in ihrem aufnahmsfähigsten Alter die ihr entsprechende vollwertige geistige Nahrung entzieht, auf die das begabte Proletarierkind in gleicher Weise wie das Kind reicher Eltern Anspruch hat. Zweitens wird, was noch viel verhängnisvoller ist, durch diese groteske Niveausenkung die Ausscheidung und Rückverweisung an die Hauptschule jener unfähigen Kinder unmöglich gemacht, die für die anderen Kameraden einen hoffnungslosen Ballast bilden.

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